Öffentlicher Raum

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Öffentlicher Bereich)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Platz als öffentlicher Raum in Breslau (polnisch: Wrocław)

Als öffentlicher Raum (auch öffentlicher Bereich) kann jede nicht umfriedete Fläche verstanden werden. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff meist „städtische öffentliche Räume“, also überwiegend öffentliche Plätze, Verkehrs- und Grünflächen zwischen angrenzenden privaten oder öffentlichen Gebäuden. Öffentliche Gebäude und Verkehrsmittel stellen eine Form öffentlicher Einrichtungen dar. Stadt- und Verkehrsplanung beeinflussen Charakter und Qualität des öffentlichen Raums.

Öffentlicher Raum kann als Gemeingut privat genutztem Raum gegenübergestellt werden. Öffentlicher Raum in Privatbesitz ist aber der Öffentlichkeit zugänglich, obwohl er keiner Gemeinde oder Körperschaft des öffentlichen Rechts gehört.

Im ländlichen Raum können Allmenden und Commons als Formen des öffentlichen Raums angesehen werden. Natürliche Gewässer sind in fast allen Kulturen Gemeinschaftseigentum und somit öffentliche Räume.

Differenzierung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Ein privates Einkaufszentrum ist ein halb-öffentlicher Raum

Unterschieden werden drei Arten räumlicher Nutzungen:

  • öffentlicher Raum,
  • halböffentlicher Raum und
  • privater Raum

sowie deren funktionale Bedeutung in Aufteilung und Gestaltung sowie Rezeption.

Versammlungen von Personen im öffentlichen Raum (etwa Demonstrationen) unterliegen dem Versammlungsgesetz. Seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 werden öffentliche Räume der westlichen Welt verstärkt durch Videoüberwachung kontrolliert. In vielen Städten und Gemeinden wird die Nutzung des öffentlichen Raums (beispielsweise für Versammlungen) durch Satzungen geregelt, die gewerbliche Nutzung (wie für Außenbereiche von Geschäften und Restaurants) meist durch eine Gebührenordnung.

Der Begriff öffentlich zugänglicher Raum umfasst neben öffentlichem Raum im Freien auch Innenräume, die von jedermann ohne besondere Zugangsvoraussetzungen betreten werden können.[1]

Aufteilung und Gestaltung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gemeindefläche, Wälder oder Seen gehören zum öffentlichen Raum, meist sind jedoch nur öffentliche Flächen innerhalb von bebauten Ortschaften gemeint. Der öffentliche Raum kann verschieden aufgeteilt und gestaltet sein und wird unterschiedlich genutzt.

Aktuelle Entwicklungen und Ansätze

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Tischtennisplatte im öffentlichen Raum auf der Halbinsel Stralau in Berlin

Die Bedeutung des öffentlichen Raums für sozialen Zusammenhalt und Sicherheit wurde 1963 im Rahmen einer praktischen Kritik der Moderne von Jane Jacobs zum Ausdruck gebracht. Jacobs wendet sich gegen die moderne Bauproduktion, die „Rasen“ zwischen den Häusern vorsieht, aber keine sozial kontrollierten und produktiven öffentlichen Räume.[2]

In Deutschland setzte sich der Verleger und Publizist Wolf Jobst Siedler mit Elisabeth Niggemeyer (Fotos) und Gina Angress (Dokumentation) in den Veröffentlichungen Die gemordete Stadt – Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum (1964) oder Die verordnete Gemütlichkeit – Abgesang auf Spielstraße, Verkehrsberuhigung und Stadtbildpflege (1985) mehrfach kritisch mit dem öffentlichen Raum und seinen oft auseinanderstrebenden Nutzungsansprüchen auseinander.

Die Auflösung des öffentlichen Raums wird im 20. Jahrhundert durch seine Inanspruchnahme für Kraftfahrzeuge und für die von den Prinzipien der Moderne geleiteten Praktiken der Funktionstrennung verursacht. Es kommt zu einer Spezialisierung der Räume in Freizeit- und Konsumräume auf der einen Seite (Fußgängerzonen in Altstädten) und Verkehrsräume auf der anderen, wobei letztere vor allem vom Autoverkehr dominiert und nach dessen Anforderungen ausgestaltet sind. In dieser Spezialisierung geht die Vielfalt, die soziale Durchmischung und auch die gemeinschaftsbildende Funktion des öffentlichen Raums verloren.[3]

Nach der Wiederentdeckung des öffentlichen Raums als zentralem Element der über Jahrhunderte gewachsenen „Europäischen Idee eines identitätsstiftenden Gemeinwesens“ werden seine Elemente verstärkt als Steuerungsinstrumente von Stadtplanern genutzt. Durch eine nutzungsgerechte Aufteilung und Gestaltung öffentlicher Räume sollen Stadtviertel in ihrer Lebens- und Aufenthaltsqualität aufgewertet werden und Brach- und Bauflächen für private Investoren attraktiv gemacht werden. Der öffentliche Raum wird als Bindeglied privater Flächen gesehen, unterliegt aber auch besonderer politischer Aufmerksamkeit.[4] Als Beispiel kann hier das Projekt „Hannover schafft Platz“ der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover dienen.

Gegenstand von Stadtforschung und Politik ist außerdem die Frage, wie eine nachhaltige und sozial gerechte Gestaltung des öffentlichen Raums gelingen kann, die eine ausgewogene Frequentierung durch unterschiedliche Bevölkerungsgruppen ermöglicht. Zu nennen sind hier insbesondere: das Konzept einer Stadt der kurzen Wege, um alltägliche Wege für Menschen mit Beruf und Familien- und Pflegeverantwortung zu erleichtern, ein Fokus auf das subjektive Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum, um auch Frauen einen sicheren Aufenthalt zu ermöglichen, Angebote für alle Altersgruppen (je nach Alter und Bedarf zum Beispiel mit Sitzgelegenheiten, Barrierefreiheit, Freiflächen usw.), Möglichkeiten für spontane soziale Begegnungen sowie die Vermeidung einer Verdrängung einkommensschwächerer Bevölkerungsgruppen (Gentrifizierung). Der Stadtplaner Jan Gehl stellt Schutz, Komfort und Freude als drei übergeordnete Qualitätskriterien für öffentliche Räume heraus.[5]

Vielen Gemeinden übergeben die mit dem Besitz verbundenen Rechte und Pflichten an Flächen und Einrichtungen des öffentlichen Raums an privatrechtliche Unternehmen.

Wenn nach der baulichen Erschließung neuer Flächen der öffentliche Raum in Privatbesitz verbleibt (siehe etwa Canary Wharf), so kann der Eigentümer auf diesen privaten Plätzen und Straßen, ebenso wie in Tiefgaragen, Parkhäusern, Flughäfen, Bahnhöfen und Einkaufszentren allgemeine Grundrechte wie die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit durch das Hausrecht einschränken.

Der deutsche Bundesgerichtshof hat einer Klage gegen die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen in seinem Urteil 2006 zunächst nicht stattgegeben.[6] Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat jedoch im Februar 2011 die vorinstanzlichen Urteile von 2005 und 2006 aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen: „Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform unterliegen … einer unmittelbaren Grundrechtsbindung.“[7]

Zur Finanzierung von Bau, Wiederherstellung und Unterhaltung öffentlicher Räume werden immer mehr Public Private Partnerships propagiert und zunehmend durchgeführt. Pflege und Unterhalt öffentlicher Räume werden im Zuge von Einsparungen für Städtehaushalte schwieriger. In verschiedenen Kommunen ist es zur Übernahme der Unterhaltung öffentlicher Parkanlagen durch private Vereine und Interessengruppen gekommen. Ein solcher Bürgerverein ist aus dem Verein Lichtenrade-Ost e. V. (BILO) hervorgegangen und führt seit 1981 unter dem Namen Trägerverein „Lichtenrader Volkspark“ die Pflege einer Grünfläche in Berlin-Lichtenrade durch.

  • Sonia Curnier: Universal Singular. Public Space Design of the Early 21st Century. Birkhäuser-Verlag, Basel/Berlin/Boston 2023, ISBN 978-3-0356-2094-8.
  • Ernst Seidl (Hrsg.): Politische Raumtypen. Zur Wirkungsmacht öffentlicher Bau- und Raumstrukturen im 20. Jahrhundert (= Jahrbuch Kunst und Politik der Guernica-Gesellschaft, 11. Jg.), v+r unipress, Göttingen 2009, ISBN 978-3-89971-712-9.
  • Guido Brendgens: Vom Verlust des öffentlichen Raums. Simulierte Öffentlichkeit in Zeiten des Neoliberalismus. In: Utopie kreativ. H. 182 (Dez. 2005), S. 1088–1097.
  • Alexander Mitscherlich: Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-518-42046-1.
  • Lucius Burckhardt, Jesko Fezer (Hrsg.): Wer plant die Planung?: Architektur, Politik und Mensch. Martin Schmitz-Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-927795-39-9.
  • Laura Bruns: Stadt selber machen. Ein Handbuch. Jovis Verlag, Berlin 2014, ISBN 978-3-86859-325-9.
  • Johannes Fiedler: Haus und Straße. In: Herausforderung Sockelzone. Herausgegeben von der Wüstenrot-Stiftung, Jovis-Verlag, Berlin 2014.
  • Wolfgang Becker: Die gestörte Idylle des Platzes. Der öffentliche Raum und die moderne Kunst, ein Denkmodell. In: die waage. Zeitschrift der Grünenthal GmbH, Band 36, Aachen 1997, Nr. 1, S. 38–44.
  • Brigitte Sölch, Piazza, Forum, Agora: Die Ursprungsmythen der europäischen Stadt erweisen sich für heutige Urbanisten als Herausforderung, in: Neue Zürcher Zeitung, 13. August 2016.
  • Barbara Hoidn: Demo:Polis – The Right to Public Space. In: Tom Bieling (Ed.): Design (&) Activism: Perspectives on Design as Activism and Activism as Design. Mimesis, Mailand 2019, ISBN 978-88-6977-241-2, S. 87–96.
  • Wolf Jobst Siedler, Elisabeth Niggemeyer, Gina Angress: Die gemordete Stadt: Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum. Siedler, Berlin 1993 [Erstausgabe 1964], ISBN 3-88680-513-1.
  • Wolf Jobst Siedler, Elisabeth Niggemeyer, Gina Angress: Verordnete Gemütlichkeit: Abgesang auf Spielstraße, Verkehrsberuhigung und Stadtbildpflege. Severin, Berlin 1985, ISBN 3-88679-125-4.
Commons: öffentlicher Raum – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Das Bundesverwaltungsgericht konkretisiert den Begriff "öffentlich zugängliche Räume" in einem Urteil von 2019 so: "Der Berechtigte, d. h. der Inhaber des Hausrechts, muss den Raum für eine unbestimmte Anzahl von Personen geöffnet haben. Die Widmung kann sich darauf beschränken, den Aufenthalt in dem Raum nur zu einem bestimmten Zweck zu gestatten. Entscheidend ist, dass der Berechtigte ihm unbekannten Personen die Möglichkeit eröffnet hat, den Raum ungehindert, insbesondere ohne vorherige Einlasskontrolle, zu betreten und sich darin aufzuhalten. Dies ist typischerweise bei Geschäftsräumen mit Publikumsverkehr der Fall (Onstein, in: Auernhammer, DSGVO/BDSG, 5. Aufl. 2017, § 6b BDSG Rn. 12 ff.; Becker, in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, § 6b BDSG Rn. 9 f.)."
    Siehe Urteil vom 27.03.2019 - BVerwG 6 C 2.18; ECLI:DE:BVerwG:2019:270319U6C2.18.0. Abgerufen im Juni 2023. In: bverwg.de
  2. Jane Jacobs: The Death and Life of Great American Cities. Random House, New York 1961; Neuausgabe 1993; deutsch: Tod und Leben großer amerikanischer Städte. Bertelsmann 1963.
  3. Johannes Fiedler: Haus und Straße. In: Herausforderung Sockelzone. Herausgegeben von der Wüstenrot Stiftung, Jovis Verlag, 2014.
  4. Ernst Seidl: ‚Politischer Raumtypus‘. Einführung in eine vernachlässigte Kategorie. In: Seidl: Politische Raumtypen. Zur Wirkungsmacht öffentlicher Bau- und Raumstrukturen im 20. Jahrhundert. 2009, S. 9–19.
  5. Tim Albrecht: Städte sind Begegnungsräume! Heinrich Böll Stiftung, 20. Dezember 2018, abgerufen am 4. August 2021.
  6. Urteil vom 20. Januar 2006 – V ZR 134/05.
  7. Leitsätze zum Urteil des Ersten Senats vom 22. Februar 2011 – 1 BvR 699/06. bundesverfassungsgericht.de, abgerufen am 8. Mai 2011.