Tempo (Musik)

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Die ersten beiden Takte von Mozarts Sonate KV 331, die als ursprüngliche Tempovorgabe die Worte „Andante grazioso“ tragen. Die nicht originale Tempobezeichnung (Achtelnote = 120) bedeutet, dass der erste Satz der Sonate in einem Tempo von 120 Achtelnoten pro Minute zu spielen ist. Die beiden Takte enthalten formal 12 Achtelnoten, ihre Wiedergabe dauert also 6 Sekunden. Hören/?

Das Tempo (italienisch „Zeit“, „Zeitmaß“; Plural: Tempi ['tɛmpi]; von lateinisch tempus), auch Zeitmaß, gibt in der Musik an, wie schnell ein Stück zu spielen ist, bestimmt also die absolute Dauer der Notenwerte.[1] Da die Notenwerte der heutigen Notenschrift nur relative rhythmische Wertverhältnisse darstellen, bedarf es zur Bestimmung ihrer Dauer zusätzlich einer Tempobezeichnung. Die hierfür seit dem 17. Jahrhundert verwendeten, vorwiegend italienischen Bezeichnungen lassen jedoch den Interpreten Spielraum. Deshalb kann – erstmals eingesetzt von Beethoven – zur Präzisierung der Tempobezeichnung eine Metronomangabe hinzugefügt werden.

Viele Tempobezeichnungen sind zugleich Ausdrucksbezeichnungen, geben also auch über den beabsichtigten Charakter eines Musikstücks Auskunft.

Der tatsächliche Tempoeindruck eines Musikstücks ist indes ein Phänomen, das über die reine Schlagzahl pro Zeitspanne hinausweist und von anderen musikalischen und außermusikalischen Parametern mitbestimmt wird, insbesondere von den vorkommenden Rhythmen, der Dichte des musikalischen Satzes, aber auch von den gegebenen Räumlichkeiten sowie der Tagesform von Musikern und Zuhörern.

Klassische Tempobezeichnungen

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Ursprünglich wurde das Tempo nach Gefühl bestimmt, einzelne musikalische Traditionen hatten dazu spezielle Tempoworte, mit denen mittels Sprechdauer das Tempo mitgeteilt werden konnte. So verfügten etwa Haydn und Mozart über ein feingradiges System von über 300 Tempo-Modulen.[2] Tempobezeichnungen in Form von in die Noten geschriebenen Eigenschaftswörtern kamen in der abendländischen Kunstmusik im 17. Jahrhundert auf. Da Italien zu jener Zeit lange das musikalische Innovationszentrum Europas war, etablierten sich italienischsprachige Tempo- und Ausdrucksbezeichnungen, die bis heute weltweit in der Musik üblich sind. Allerdings wurden in England und besonders in Frankreich eher Bezeichnungen in der jeweiligen Landessprache bevorzugt. Erst im 19. Jahrhundert – dem Zeitalter ausgeprägter Nationalstile – setzten dann auch einige deutsche Komponisten wie Schubert, Schumann, Brahms und Mahler neben den italienischen Bezeichnungen auch solche in deutscher Sprache ein. Aber auch schon Beethoven verwendete deutsche Spielanweisungen, so z. B. in seinen Klaviersonaten op. 90 und op. 101.

(ungefähr im Sinne zunehmender Geschwindigkeit angeordnet)

italienische Bezeichnung Bedeutung
Langsame Tempi
Larghissimo sehr breit
Grave schwer
Largo breit, langsam
Larghetto etwas breit (schneller als Largo)
Lento langsam
Adagio langsam, ruhig
Adagietto ziemlich ruhig, ziemlich langsam
Mittlere Tempi
Andante ruhig gehend[3]
Andantino ein wenig schneller[4] als Andante
Moderato mäßig (bewegt)
Allegretto etwas langsamer als Allegro
Schnelle Tempi
Allegro schnell, urspr. munter, fröhlich
Vivace, vivo lebhaft, lebendig
Vivacissimo sehr lebhaft, sehr lebendig
Presto sehr schnell, geschwind
Prestissimo äußerst schnell

Ergänzende Zusätze

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Durch zugefügte Adjektive oder anderes kann die Tempoangabe zur Vortragsbezeichnung erweitert werden, zum Beispiel (alphabetische Auflistung ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

  • assai = ziemlich, sehr
  • amoroso = lieblich, liebevoll, mit Leidenschaft, mit Liebe, amourös
  • cantabile = gesanglich
  • comodo = gemächlich
  • con brio = mit Schwung (oft auch als „mit Feuer“ übersetzt)
  • con dolore = mit Schmerz
  • con espressione = mit Ausdruck
  • con fuoco = mit Feuer
  • con moto = mit Bewegung
  • con spirito / spiritoso = belebt, feurig
  • espressivo = ausdrucksvoll
  • furioso = rasend, wütend, wahnsinnig
  • giocoso = freudig, verspielt
  • giusto = angemessen
  • grazioso = graziös, mit Grazie
  • impensierito = nachdenklich
  • lesto = flink, behände
  • lugubre = traurig, klagend
  • maestoso = majestätisch
  • ma non tanto = aber nicht sehr
  • ma non troppo = aber nicht zu sehr, aber nicht zu viel
  • marcato = markant
  • meno = weniger
  • meno mosso = weniger bewegt
  • moderato = gemäßigt
  • molto = viel, sehr
  • morendo = ersterbend
  • mosso = bewegt
  • non tanto = nicht sehr
  • non troppo = nicht zu sehr
  • pesante = schwer, wuchtig
  • più = mehr
  • poco = etwas, ein wenig
  • poco a poco = nach und nach
  • quasi = gleichsam
  • risoluto = entschlossen, zupackend
  • scherzando = heiter
  • sostenuto = nachdrücklich, gehalten, getragen, zurückhaltend, gewichtig
  • subito = plötzlich
  • teneramente = zart, zärtlich
  • tempo giusto = im angemessenen (üblichen) Zeitmaß
  • tranquillo = ruhig
  • un poco = ein wenig

Tempoänderungen

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Ausdruck Bedeutung
Bezeichnungen der Beschleunigung
accelerando (accel.) beschleunigend
affrettando eilend
incalzando antreibend
più mosso bewegter
poco più etwas mehr
stringendo (string.) eilend, vorwärts drängend
Bezeichnungen der Verlangsamung
allargando breiter (und lauter) werdend
calando langsamer und leiser werdend
largando siehe allargando: langsamer, breiter werdend
meno mosso weniger bewegt
più lento langsamer
poco meno etwas weniger
rallentando (rall.) verbreiternd, verlangsamend
ritardando (rit.) langsamer werdend
ritenente zögernd
ritenuto zurückhaltend
slentando dämpfend
strascinando schleppend, geschleift
Bezeichnungen für freies Tempo
a bene placito nach Wohlgefallen
a capriccio der Laune folgend
a piacere (auch: a piacimento) nach Gefallen; frei im Tempo
a suo arbitrio / commodo / placito nach Gutdünken / Bequemlichkeit / Belieben
ad libitum nach freier Wahl
colla parte einer freien Stimme folgend
rubato frei, nicht im strengen Zeitmaß
senza misura ohne Metrum
senza tempo ohne (festgelegtes) Tempo
suivez folget! (nämlich einer frei vortragenden Solostimme)
Bezeichnungen für Rückkehr zum zuvor gegebenen Tempo
a battuta im Takt
a tempo im ursprünglichen Zeitmaß
al rigore di tempo strikt im Tempo
misurato Wiedereintritt strenger Taktordnung
tempo primo/tempo I das Anfangstempo wieder aufnehmen
weitere Tempobezeichnungen
alla breve zur Hälfte (statt zwei Zählzeiten nur noch eine)
doppio movimento doppelt so schnell
doppio più lento halb so schnell

Tempoangaben mit Zahlen

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Eine Beziehung zwischen Puls bzw. Pulsfrequenz[5] und der Musik (genauer den Tempograden der damaligen Mensuralmusik) fand bereits um 1450 der Medizinprofessor Michele Savonarola.[6][7]

Zur genaueren Fixierung der Tempi erfand Johann Nepomuk Mälzel um 1815 das Metronom, mit dem der Grundschlag hör- und sichtbar gemacht werden konnte. Die Metronomzahl (abgekürzt mit M. M. = Mälzels Metronom) gibt an, wie viele Schläge pro Minute der Grundpuls hat.

Zuvor publizierten auch schon Frédéric Thiémé[8] und C. Mason[9] über genaue, auf die italienischen Bezeichnungen bezogene, Tempoangaben unter Benutzung eines Pendels, während Johann Joachim Quantz 1752 an einem Pulsschlag von 80 Schlägen pro Minute orientierte metrische Angaben gemacht hatte.[10][11]

In der Regel sind auf der Skala von Metronomen Tempobezeichnungen angegeben, die einem bestimmten Bereich zugeordnet sind. Die Zuordnung ist nur ungefähr platziert und nicht durch bestimmte Werte eindeutig begrenzt. Die Wertebereiche schwanken zum Teil erheblich, abhängig vom Zeitalter, dem Kulturkreis und dem Fabrikat. Selbst die Tempostaffelung weicht voneinander ab, wie die Position des „Larghetto“ zeigt. Alle Bereiche sind daher eher als Hinweise denn als verbindliche starre Regel anzusehen.

Die Tabelle übernimmt die auf den Skalen der beispielhaft abgebildeten Metronome angegebenen Tempobezeichnungen und Werte.

21. Jahrhundert, japanisch 20. Jahrhundert, deutsch 19. Jahrhundert, französisch
Bezeichnung Wert Bezeichnung Wert Bezeichnung Wert
Grave 040–44
Largo 044–48 Largo 040–60 Largo 042–70
Lento 048–54
Adagio 054–58
Larghetto 058–63 Larghetto 060–66
Adagietto 063–69 Adagio 066–76
Andante 069–76 Larghetto 070–98
Andantino 076–84 Andante 076–108
Maestoso 084–92
Moderato 092–104 Adagio 098–124
Allegretto 104–116 Moderato 108–120
Animato 116–126
Allegro 126–138 Allegro 120–168 Andante 124–152
Assai 138–152
Vivace 152–176 Presto 168–200 Allegro 152–180
Presto 176–200 Presto 180–208
Prestissimo ≥ 208 Prestissimo 200–208

In der Unterhaltungsmusik aber auch im Bereich der elektronischen Musik wird die Abkürzung BPM (= Beats per minute) verwendet.

Die Angabe des Tempos in genaueren Zahlenwerten erleichtert Produzenten das Erstellen von Remixen, DJs das Ineinandermischen mehrerer Lieder und Rappern das Einspielen einer weiteren Tonspur zum aktuellen Beat.

Definition der Größe Tempo

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Physikalisch lässt sich die Größe Tempo sehr einfach definieren. Bei konstantem Tempo ist die Größe Tempo definiert durch die Anzahl der gleichen Notenwerte eines Stückes, geteilt durch das Zeitintervall, in dem diese Notenwerte gespielt werden:

Die Größe Tempo ist eine Physikalische Größe, genauer eine Quotientengröße. Wie alle physikalischen Größen ist sie das Produkt aus einem Zahlenwert und einer Maßeinheit, zum Beispiel

, in musikalischer Notation Achtelnote = 120.

ist der Zahlenwert, die Maßeinheit.

Die Größe Tempo ist, wie alle physikalischen Größen, unabhängig von der Einheit, in der sie angegeben wird. Da sind, gibt die folgende Formel das gleiche Tempo an:

, in musikalischer Notation Viertelnote = 60.

Da außerdem gilt, wäre für dieses Beispiel

die gleiche Tempoangabe. Die in der Musik übliche Zeiteinheit für das Tempo ist allerdings durchweg die Minute.

Die obige Definitionsformel für das Tempo ergibt umgeformt das Zeitintervall, die Dauer des Stückes:

.

Je höher das Tempo, desto kürzer die Spieldauer. Daraus wird ersichtlich, dass die Größe Tempo eigentlich kein Zeitmaß ist, sondern, wie die bekannte Größe Geschwindigkeit, die beispielsweise das Tachometer im Auto anzeigt, ein Geschwindigkeitsmaß.

Das in der Unterhaltungsmusik gebräuchliche Geschwindigkeitsmaß Beats per minute lässt sich analog definieren durch

.

Mit der Bezeichnung Beats per minute, also Schläge pro Minute, legt man sich von vornherein auf eine Maßeinheit fest. Offen bleibt bei dieser Definition, was mit Beats per minute gemeint ist. In Handbuch des bekannten Notensatzprogramms MuseScore zum Beispiel findet sich dazu eine eindeutige Anmerkung: „BPM wird immer in Viertelnoten-Schlägen pro Minute gemessen und angezeigt, unabhängig von der geltenden Taktart (Nenner der Taktart).“[12]

Tempo-Interpretation und Aufführungspraxis in der klassischen Musik

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Siehe auch Historische Aufführungspraxis: Tempi

„[Tempo ist] das nothwendigste und härteste und die hauptsache in der Musique.“

Wolfgang Amadeus Mozart: in einem Brief vom 24. Oktober 1777

Bevor das Metronom erfunden wurde, stützte sich die Musik der Klassik auf ein Tempo-System aus den „natürlichen Tempi der Taktarten“, den kleinsten Notenwerten (ein Stück war etwa langsamer, wenn es Zweiunddreißigstel enthielt, als wenn es überwiegend nur aus Sechzehnteln oder gar Achteln bestand) und als drittem Faktor den italienischen Tempowörtern, die die ersten beiden Angaben modifizierten. Ebenso verzichtete später Brahms auf Metronomzahlen, obwohl entsprechende Apparate verfügbar waren. Aber auch bei Musikstücken, die mit Metronomangaben versehen sind, wird das Tempo in einigen Fällen abweichend von den notierten Werten interpretiert.

Einfluss der Taktart

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Ein „Andante 3/8“ ist in der Musik der Klassik z. B. schneller als ein „Andante 3/4“ – und dieses ist schneller als ein „Andante 4/4“. Ebenso ist es mit den Taktarten 2/2, 2/4 und 2/8. Ein Allegro im barocken C-Takt ist langsamer als eines im klassischen und modernen C oder 4/4 („Der grosse Viervierteltackt ist von äußerst schwerer Bewegung und Vortrag, und wegen seines Nachdrucks vorzüglich zu grossen Kirchenstücken, Chören und Fugen geschickt“).[13]

Einfluss der Art des Musikstücks

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Chopin hat Walzer und Polonaisen geschrieben, die beide im 3/4-Takt stehen. Zum Beispiel ist das Tempo der Polonaise op. 40, Nr. 2 mit Allegro maestoso angegeben, das des Walzers op. 69, Nr. 1 mit Lento. Die Polonaise wird üblicherweise langsamer gespielt als der Walzer. Dies rührt daher, dass das standardmäßige Grundtempo (tempo giusto) eines Walzers erheblich schneller ist als das einer Polonaise. So kann etwa über einem Walzer auch einfach nur Tempo di valse stehen, oder über einem Menuett Tempo di minuetto, da sich insbesondere bei als Tanz konzipierten Kompositionen wie Menuett, Walzer oder Polonaise das Tempo schon aus dem Charakter dieses Stückes ergibt. Aus diesem und vielen ähnlichen Beispielen geht hervor, dass der Typus des betreffenden Stücks für die korrekte Interpretation der Tempobezeichnung eine entscheidende Rolle spielt.

Metronomangaben von Komponisten

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Während Metronomangaben anonymer Herkunft oder von Herausgebern stammende allenfalls unverbindliche Vorschläge sein können, kommt den vom Komponisten selbst angegebenen Metronomzahlen wegen ihrer Authentizität ein weit höheres Maß an Verbindlichkeit zu, so dass ein auf Werktreue bedachter Interpret sich im Allgemeinen daran halten wird. Beethoven war der erste klassische Komponist, der Teile seiner Werke Metronomangaben versah. 25 seine Werke bestückte er (teils nachträglich) mit Tempoangaben nach der Mälzel-Skala.

Es sind aber auch Fälle denkbar, bei denen in der Aufführungspraxis von den Angaben des Komponisten abgewichen wird, wenn diese nämlich zu unbefriedigenden Ergebnissen führen oder gar den Verdacht erwecken, die vom Komponisten beabsichtigte Wirkung nicht korrekt wiederzugeben. Des Weiteren werden – gerade für Werke, die während der Anfangszeit des Metronoms entstanden – Defekte, Bedien- oder Ablesefehler diskutiert.[14] Ein berühmt-berüchtigtes Beispiel ist Beethovens Metronomangabe zum ersten Satz seiner Hammerklaviersonate ( = 138). Fast alle Interpreten sind sich darüber einig, dass dieses Tempo übertrieben schnell ist, und spielen deutlich langsamer. Auch Beethovens Symphonien werden allgemein langsamer gespielt von Beethoven angegeben – selbst in der historischen Aufführungspraxis. Eine mögliche Interpretation besagt, dass Beethoven versehentlich die Metronomenzahl unterhalb anstatt oberhalb des Gewichts notierte.[14] Auch bei Schumanns Kinderszenen gibt es kaum einen Pianisten, der mit den von ihm selbst vorgeschriebenen Metronomangaben spielt.[15]

Historische Bedienungsanleitungen

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Zur Frage, wie die Metronomangaben der klassischen Musik zu verstehen sind, greifen Musikwissenschaftler unter anderem auf historische Bedienungsanleitungen zurück.

Mälzel, der selbst Pianist war, schrieb in seinen Directions for using Maelzel’s Metronome hinsichtlich der Verwendung des Metronoms, übersetzt von der Allgemeinen musikalischen Zeitung: „so schiebt man das Gewicht, [...] [bis] ein Platz [...] gefunden wird, auf welchem der Pendel genau in dem Grade der Geschwindigkeit schlägt, welcher bey der Ausführung für die gehörige Bewegung geachtet wird; doch ist dieses so zu verstehen, dass in diesem, wie in jedem anderen Falle, jeder einzelne Schlag als ein Theil des beabsichtigten Zeitmasses anzusehen, und als solcher zu zählen sey; also nicht die beyden (durch die Bewegung von einer zur andern Seite) hervorgebrachten Schläge.“ ([16]) Carl Czerny, Schüler Beethovens, notierte in seiner Klavierschule op. 500, Vom Gebrauch des Mälzel’schen Metronoms (Taktmessers): „man spielt jede Viertelnote genau nach den hörbaren Schlägen des Metronoms.“ Gottfried Weber, der ein Fadenpendel zum Selbstbau propagiert und mit Mälzel um die Art das Tempo zu bezeichnen konkurriert, schrieb am 19. Juni 1817 in der (Wiener) Allgemeinen Musikalischen Zeitung: „Die Bezeichnungsart kann übrigens auch nie missverstanden werden, wenn man nur beständig dem Grundsatze treu bleibt, dass jeder Pendelschlag immer einen Tacttheil bedeuten soll […]“[17] Der Musikwissenschaftler Adolf Bernhard Marx im Artikel Chronometer der Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften 1835: „Der Componist schiebt nun, um das Tempo zu bezeichnen, jenes Bleigewicht auf einen größern oder geringern Bewegungsgrad […], und bestimmt über dem Anfange seines Tonstücks, daß die Viertel, oder Achtel, oder halbe Noten etc. in demselben so lange dauern sollen, als ein Pendelschlag des Metronomen.“

Zur metrischen Theorie

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Die metrische Theorie Retze Talsmas[18] und seiner Mitstreiter besagt, dass sich die Metronomangaben auf eine ganze Schwingungperiode des Metronom-Pendels bezögen, also auf eine volle Hin- und Herbewegung, weshalb die bisher angenommenen Metronom-Angaben halbiert werden müssen („Wiedergeburt der Klassiker“). Aus Sicht der Vertreter der metrischen Theorie meint also ein Schlag, wie in der obigen Quellen zitiert, nicht die Pendelbewegung von einer Seite zur anderen, sondern – wenn auch nicht ausdrücklich – die volle Hin- und Herbewegung. Er bezog dies aber nur auf die schnellen Sätze (Allegro, Presto usw.), weitere Mitstreiter wendeten die Lesart jedoch auch auf langsamere Tempi an. Motiviert ist diese Lesart unter anderem durch scheinbar unrealistisch hohe Tempoangaben einzelner Werke der klassischen Musik.

Diese Theorie erhält jedoch Widerspruch von Musikwissenschaftlern, darunter Wolfgang Auhagen und Klaus Miehling. Die Bedienungsanleitung von Mälzel sei in dieser Hinsicht eindeutig und lasse den Schluss der metrischen Theorie nicht zu. Historische Rezensionen gehen bereits auf die schnellen und für den Interpreten herausfordernden Tempi einzelner Stücke ein, was diese Theorie ebenfalls unplausibel erscheinen lasse. Auch existieren zahlreiche notierte Aufführungsdauern aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert, die ebenfalls nicht zur Theorie der tempohalbierten Metronomensart passen.[19][20]

Quellentexte (chronologisch):

Sekundärliteratur (chronologisch):

  • Curt Sachs: Rhythm and Tempo. A Study in Music History. New York 1953.
  • Eva und Paul Badura-Skoda: Mozart-Interpretation. Wien 1957.
  • Irmgard Herrmann-Bengen: Tempobezeichnungen. Ursprung. Wandel im 17. und 18. Jahrhundert (= Münchner Veröffentlichungen zur Musikgeschichte. Band 1). Tutzing 1959.
  • Wieland Ziegenrücker: ABC Musik. Allgemeine Musiklehre. 6. Auflage. Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-7651-0309-4, S. 82–84 (Vom Tempo).
  • Robert Donington: A Performer’s Guide to Baroque Music. London 1978, ISBN 0-571-09797-9.
  • Robert Donington: The Interpretation of Early Music. New Version. London 1979, ISBN 0-571-04789-0.
  • Helmuth Perl: Rhythmische Phrasierung in der Musik des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Aufführungspraxis. Wilhelmshaven 1984.
  • Wolfgang Auhagen: Chronometrische Tempoangaben im 18. und 19. Jahrhundert. In: Archiv für Musikwissenschaft. Jg. 44, Heft 1, 1987, S. 40–57.
  • Reinhard Platzek: Zum Problem der Zeit und Zeitbestimmtheit im musikalischen Tempo. Amsterdam/Atlanta, GA 1989 (= Elementa – Schriften zur Philosophie und ihrer Problemgeschichte. Band 52).
  • Eva und Paul Badura-Skoda: Bach-Interpretation. Die Klavierwerke Johann Sebastian Bachs. Laaber 1990, ISBN 3-89007-141-4.
  • Klaus Michael Miehling: Das Tempo in der Musik vom Barock und Vorklassik. Wilhelmshaven 1993–2003, ISBN 3-7959-0590-7.
  • Brockhaus Riemann Musiklexikon. 1995, Serie Musik – Atlantis/Schott.
  • Peter Reidemeister: Historische Aufführungspraxis. Darmstadt 1996, ISBN 3-534-01797-8.
  • Irmgard Bengen, Klaus-Ernst Behne, Wolf Frobenius: Tempo. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite Ausgabe, Sachteil, Band 9 (Sydney – Zypern). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 1998, ISBN 3-7618-1128-4, Sp. 443–470 (Online-Ausgabe, für Vollzugriff Abonnement erforderlich)
  • Helmut Breidenstein: Mozarts Tempo-System. Ein Handbuch für die professionelle Praxis. 2. Auflage. Tectum, Marburg 2015, ISBN 978-3-8288-3636-5.

Einzelnachweise

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  1. Ferdinand Hirsch: Das große Wörterbuch der Musik. 1. Auflage. Verlag Neue Musik, Berlin 1985, S. 471 (544 S.).
  2. Helmut Breidenstein: Mozart’s Tempo-System: Metronom. mozarttempi.de
  3. Wieland Ziegenrücker: ABC Musik. Allgemeine Musiklehre. 6. Auflage. Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-7651-0309-4, S. 82.
  4. Im 18. und 19. Jahrhundert auch langsamer. Vgl. Davis Fallows: Andantino. In: New Grove Dictionary of Music and Musicians.
  5. Werner Friedrich Kümmel: Der Puls und das Problem der Zeitmessung in der Geschichte der Medizin. Medizinhistorisches Journal, Band 9, 1974, S. 1–22, hier S. 3 f.
  6. Michaelis Savonarola: De febribus, de pulsibus, de urinis […]. Venedig 1498, Blat 80.
  7. Werner Friedrich Kümmel: Zum Tempo in der italienischen Mensuralmusik des 15. Jahrhunderts. In: Acta Musicologica. Band 42, 1970, S. 150–164.
  8. Frédéric Thiémé: Novelle théorie sur les différens mouvements des airs fondée sur la pratique de la musique moderne, avec le projet d’un nouveau chronomètre. Paris 1801; Nachdruck Minkoff, Genève 1972.
  9. C. Mason: Rules on the times, metres, phrases accent of composition. London, um 1806.
  10. Friedrich Gersmann: Klassisches Tempo für klassische Musik. Teil 2. In: Gitarre & Laute. 7, 1985, Heft 5, S. 61–66; hier: S. 64–66.
  11. Friedrich Gersmann: Klassisches Tempo für klassische Musik. Teil 3. In: Gitarre & Laute. 8, 1986, Heft 3, S. 14–18; hier: S. 15.
  12. Tempo. In: Handbuch MuseScore 3. MuseScore, 2022, abgerufen am 13. Juli 2024.
  13. Johann Philipp Kirnberger: Die Kunst des reinen Satzes in der Musik. 2. Teil, 1776, S. 122.
  14. a b Almudena Martin-Castro, Iñaki Ucar: Conductors’ tempo choices shed light over Beethoven’s metronome. In: PLOS ONE. Band 15, Nr. 12, 16. Dezember 2020, ISSN 1932-6203, S. e0243616, doi:10.1371/journal.pone.0243616, PMID 33326433, PMC 7743971 (freier Volltext).
  15. siehe zu diesem Thema jedoch auch eine abweichende Meinung in einem Telefoninterview mit Dr. Michael Struck zu Schumanns Metronom (PDF; 510 kB).
  16. Fr[anz] S[ales] Kandler: Rückblicke auf die Chronometer und die Herrn Mälzels neueste Chronometerfabrik in London. Anweisung zu dem Gebrauche des Mälzel’schen Metronomen. In: Allgemeine musikalische Zeitung. 1817, Sp. 33–36, 41–43, 49–52, 57–58, hier Sp. 51 (Digitalisat in der Google-Buchsuche [abgerufen am 3. November 2018]).
  17. Gottfried Weber: Über eine chronometrische Tempobezeichnung, welche den Mälzel’schen Metronome, so wie jede andere Chronometer-Maschine entbehrlich macht. In: [Wiener] Allgemeine Musikalische Zeitung, Nr. 25, Sp. 204–209 (Textarchiv – Internet Archive).
  18. Zur „metrischen Theorie“ Talsmas ausführlich Wolfgang Auhagen: Chronometrische Tempoangaben im 18. und 19. Jahrhundert und Peter Reidemeister: Historische Aufführungspraxis. S. 114–135.
  19. Wolfgang Auhagen: Zur Theorie des variablen Metronomgebrauchs. In: Die Musikforschung. Band 42, Nr. 1, 1989, ISSN 0027-4801, S. 55–60, JSTOR:41121928.
  20. Klaus Miehling: Die Wahrheit über die Interpretation der vor- und frühmetronomischen Tempoangaben. In: Österreichische Musikzeitschrift. Band 44, JG. Böhlau Verlag, Januar 1989, ISSN 2307-2970, doi:10.7767/omz.1989.44.jg.81.