Benutzer:Elevatorgirlivy/Keiner zwischen uns

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Am 15. Februar 2021 kam im Ueberreuter Verlag das Buch "Keiner zwischen uns" von Carolin Hristev raus. Dies ist eine kritische Analyse des Buches.

1. Ausgewählte, problematische Szenen

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A. Szene der Essensausgabe[1]

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Ibo (der überaus lächerlich skizzierte Troll der Klasse) macht eine Anspielung auf die rassistischen Wahlplakate der NPD und sagt zu Marie während der Essensausgabe: “‘Natürlich blond’ kommt natürlich zuerst!” [1]Daraufhin schmettert Marie ihren Teller auf die Theke und rennt weinend weg. Als Gülcan (POC) die weiße Marie tröstet, erwidert diese auf den Trost “Wie, ‘Mach dir nichts draus’!? Weißt du, wie ätzend das ist, ständig wegen seiner Haarfarbe diskriminiert zu werden?!”[1] Erstens war das keine Diskriminierung, da Marie weder schlecht behandelt, noch ausdrücklich negativ betitelt wurde. Zweitens ist das Blondsein und Rassismus nicht annähernd zu vergleichen, diese zwei kritischen Themen sind auf kolossal verschiedenen Ebenen.

Es grenzt an einer Beleidigung, solch eine Szene einzusetzen, ohne die Bigotterie dabei deutlich zu kritisieren. Denn als Gülcan sagt “Dafür steht nicht auf den Plakaten, das du nach Hause fliegen sollst.” [1] antwortet Marie: “Ich kann auch nichts dafür, dass diese Plakate hier rumhängen! Wieso macht mich jeder dafür verantwortlich!?!”[1] Das Pauschalisieren, jeder würde sie verantwortlich machen ist ein massiver Trigger. Wenn nämlich eine POC andersherum behauptet, alle weißen Menschen seien rassistisch, gibt es Backlash von nicht kleiner Natur. Mit einer verhamlosenden Bemerkung versucht Gülcan, die Situation zu entschärfen: “Ich will nur sagen, dass du nicht die Einzige bist, die wegen irgendwas diskriminiert wird.” [1] Woraufhin unmittelbar danach folgender Kommentar im inneren Monolog erwidert wird: “Ich bin noch mehr gekränkt.”[1] Folgende Fragen bleiben unbeantwortet: Warum ist sie noch mehr gekränkt? Was genau hat sie hier beleidigt?

B. Engstirnigkeit durch White Privilege [1]

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Marie möchte nun etwas gegen die Wahlplakate machen und bittet um Gülcans Hilfe. Als diese ihre Hilfe verweigert, weil sie von der Handlung als Komplex eingeschüchtert ist, wird Marie mürrisch. Sie sagt folgende Dinge: “Ach! Du willst dich also weiterhin schön diskriminiert fühlen? Sich diskriminiert fühlen, aber bloooß nichts dagegen tun, ja??”[1] und als Gülcan daraufhin schweigt, sagt sie: “Traust du dich nicht, für dich zu kämpfen, oder was?!” [1] Weiteres Schweigen, und dann: “Oh Mann. Das ist echt mal wieder typisch. Du bist ein Feigling, Gülcan.” [1] und dann: “wenn du auch nur ein bisschen Selbstrespekt hast, dann kommst du mit.” [1]

Es ist so vieles verkehrt an dieser Szene. Gülcan möchte nicht mitmachen. Als Grund nennt sie die Gesetzeswidrigkeit, schweigt aber die meiste Zeit und wird verbal ständig angegriffen. Es ist offensichtlich, dass weder Marie, noch die Autorin auch nur versuchen, die Sache zu verstehen. Dies ist ein Paradebeispiel für die Verblendung durch White Privilege. Gülcan wird oft mit Rassismus diskriminiert, die aggressiven Wahlplakate richten sich gegen sie, täglich wird ihr der Hass spürbar gemacht. All das ist psychologische Einschüchterung an sich. Des weiteren hat Gülcan, wie sie impliziert, Angst, vor den Konsequenzen eines Gesetzesbruchs. Polizei, Polizeigewalt gegenüber POC, voreingenommene Gerichtsurteile, etc. Das gibt es alles auch in Deutschland. Die Skeptik und Angst gegenüber der Polizei ist innerhalb der Nichtweißen in Deutschland weit bekannt und verbreitet, während sich weiße Deutsche im Gegenteil von der Polizei tatsächlich beschützt fühlen. POC nicht. Dieser ganze Komplex wird nicht nur ignoriert, noch dazu wird Gülcan für ihren Rückzug verurteilt und obendrein beleidigt. Als Kirsche oben drauf wird ihr vorgeworfen, kein Selbstrespekt zu haben. Marie (oder die Autorin) sieht die tiefergehende, kritische Problematik nicht, weil sie nicht einmal ansatzweise anknüpfen können und nicht ehrlich versuchen, die Sache zu verstehen. Und das ist White Privilege.

Als Untermauerung werden folgende ignorante Gedanken im inneren Monolog Maries ausgedrückt, als sie tatsächlich ihre Aktion vollendet: “Endlich habe ich mal etwas anderes gemacht als Lesen und Hausaufgaben und richtige Antworten zu geben und mich darüber zu wundern, dass die anderen sie nicht wissen und mich darüber zu ärgern, dass sie mich Streberin nennen. Gülcan hatte nicht den Mut, abends rauszugehen und sich gegen Diskriminierung zu wehren.” [1]

C. Abstinenz von Einfühlsvermögen [2]

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Als Maries Vater sie und ihren Freund abholen möchte, stellt er empört fest, dass dieser schwarz ist. Nelson begreift das und läuft weg. Das kommentiert Marie in ihren Gedanken so: ” Ich lasse ihn los und gehe zurück zu meinem Vater. Nelson ist ein Fremder, und ich bin nicht mehr sicher, ob ich mit ihm zusammen sein will.” [2]

Kein Einfühlen in die Lage, kein Verständnis dafür, dass Nelson verletzt und getriggert wurde, nur emotional beschränkte und egoistische Wahrnehmung. Als der Vater im Auto noch dazu sagt, von “Afrikanern [sollte man] Abstand halten” [2] und ein weiteres Vorurteil ausdrückt “Die sind häufig im Drogenmilieu zu Hause.”,[2] wird dies von Marie nicht abgestritten oder dessen Problematik nicht besprochen, sie sagt lediglich “Nelson bestimmt nicht.”[2], was impliziert, er sei bestimmt eine Ausnahme.

D. Sexualität als Entscheidung[3]

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Nelson denkt über seinen besten Freund Hamza nach, der sich gezwungenermaßen outen musste. Folgende schädliche Aussagen kommen daraus: “Und ich lass mich da nicht mit reinziehen. Und schon gar nicht, wo Hamza mich die ganze Zeit belogen hat.” [3] und “Aber am wütendsten bin ich auf Hamza, dass er so bescheuert ist, schwul zu sein, ganz egal, ob er damit sein Leben kaputt macht, oder meins.” [3]

Sich aus Angst vor sozialer Ächtung und Schlimmerem nicht zu outen, kommt lügen nicht gleich. Außerdem ist es keine Entscheidung, schwul zu sein, sondern eine Sexualität. Diese wird als “bescheuerte[3] Entscheidung verbucht. Weiterhin wird das im Buch nicht richtig gestellt.

2. Bewiesene Klischees

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Im Buch werden sämtliche Klischees serviert und ausgekostet. Alle Rollen, die die Schüler bekommen, sind vorgeführte und fast ironisch übertriebene Stereotypen. Von den überspitzten Machos bis zu den typischen, unbewussten Strebern. Doch folgende sind besonders verheerend.

Exzessiver Gebrauch von Slang

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Wenn Slang, der übrigens historische Wurzeln hat, was der Autorin bestimmt nicht bewusst ist, von einer weißen Person imitiert wird, ist das prekär und angreifend. Während POC für ihren Slang mit unbestreitbarer Diskriminierung und Hass konfrontiert werden, ihn einfach so zu adaptieren, ist unsensibel. Es ist vergleichbar mit Ebonics (=Black Language) in Amerika. Diesen zu adaptieren ist grenzwertig.

Es kommt raus, das Hamzas muslimischer, ausländischer Vater ihn schlagen (und Schlimmeres) wird, wenn herauskommt, dass er schwul ist. Ein weiteres Klischee, dass abgeklappert wird.[4]

Barin, ein afghanischer Flüchtling und kopftuchtragende Muslima, muss bei jeder Entscheidung die Erlaubnis ihres Vaters und Bruders, der sie auch zur Aufsicht zu vielen Orten begleiten muss, einholen.

Stereotypische und belastende Annahme, dass Homosexuelle plötzlich auf jeden stehen

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Ich frage mich, was er sonst noch so vor mir verheimlicht hat. Und dann frage ich mich, warum er damals eigentlich mit mir befreundet sein wollte, in der Fünften. Und plötzlich habe ich einen schrecklichen Verdacht und ein seltsames Gefühl schnürt mir die Luft ab.” [5]

Ein “schrecklich[er] Verdacht”: Wenn Hamza tatsächlich auf Nelson stehen würde, wobei dessen Implikation von Nelson allein schon falsch und ein beleidigendes Klischee ist, ist die “schreckliche” Verurteilung dessen fast schon schlimmer. Man kann sich weder aussuchen, in wen man sich verliebt, noch ist es okay, ihn in diesem Fall deswegen zu verurteilen.

“Aber da ist wieder dieser Verdacht, der mich nicht loslässt. Was, wenn Hamza gar nicht mit mir befreundet sein wollte, sondern…? Das wäre einfach zu peinlich”[5]

“Und trotzdem ist da dieser Verdacht. Ich muss ihn einfach danach fragen. ‘Weißt du’, sage ich, ‘ich habe mich gefragt, ob…’ Ich hole tief Luft. ‘... hast du mich damals in der Fünften verteidigt, weil … weil du auf mich gestanden hast?’ Hamza sieht mich an. Ich sehe keine Emotionen. Cool wie immer."[5] Dann sagt er: ‘Und selbst wenn, Nelson?’, seine Stimme ist rau. ‘Was wäre dann?’ Ich habe keine Antwort. Hamza starrt vor sich hin. ‘Wir kommen gut klar’, sagt er, ‘und ich weiß, dass du nich schwul bist. Selbst wenn ich jetzt sagen würde, ich fand dich vor vier oder fünf Jahren mal ziemlich süß, was würde das ändern?’ Ich habe immer noch keine Antwort. ‘Siehst du’, sagt Hamza. Er hat recht. Er hat definitiv recht.”[5]

Keine deutliche Klarstellung, dass es angreifend ist, von einer nicht-heterosexuellen Person anzunehmen, dass er/sie auf einen steht. Andersherum wird man ja auch nicht ständig aufgefordert, zu erklären, ob man sich in jede frei herumlaufende Person plötzlich verliebt hat.

4. Subtil reine und heldenhafte Weste weißer Charaktere - ohne deutliches Gegenbeispiel[6]

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- Die weiße Marie, die die rassistischen Plakate umgestaltet, eine Heldentat absolviert, was sich die anderen POC Kids nicht trauen.[6]

- Der weiße Herr Zimmermann verkündet, dass Barin nach Afghanistan abgeschoben wird. Ibo weint laut vor der Klasse. Hamza steht auf und appelliert darauf, politisch aktiv zu werden, um die Abschiebung in acht Tagen zu verhindern. Herr Zimmermann ist sofort dabei und trommelt die Mithilfe anderer Lehrer dazu. Bei der Anfrage auf weitere Hilfe vom weißen Herr Albrechts: “Sofort nimmt er sein Handy und schreibt seinem Bekannten eine Nachricht, um ihn für eine Reportage zu uns in die Schule einzuladen.”[6] Betonung auf “sofort” in Verbindung mit einem riesigen Schritt der Hilfe.

- Als Marie über das gesamte Buch als äußerst skeptisch, negativ und egoistisch dargestellte (und weiße) Mutter von der Abschiebung erfährt, springt sie ohne jegliche Bedenken oder Kritik auszudrücken, mit in die Hilfsaktion. Sehr widersprüchlich und lässt sich eigentlich kaum vereinbaren mit dem Bild, das bisher von ihr gezeichnet wurde. Die Chefin ist natürlich intuitiv sofort mit dabei, überlässt ihr endgültiges Urteil jedoch auf den nächsten Tag, welches jedoch positiv ausläuft. [6]

5. Sonstige Meinung

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Zügelloser Kitsch

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Nachdem Marie der Klasse vorgestellt wird, betitelt Nelson sie in seinem inneren Monolog sowie auch in seiner wörtlichen Rede mehrfach als “die Liebe [s]eines Lebens”. Das gleiche gilt auch andererseits. Dabei haben die beiden bis nachdem sie sich die Liebe gestehen keine Szene mit einem ordentlichen Gespräch oder irgendein anderes inhaltvolles Zusammensein vorzuweisen. Wenige Tage vergehen und Marie trifft an der Bushaltestelle auf Nelson mit einem Mädchen, Katharina. Danach weint sie sich mehrere Tage lang die Augen aus, kann nur noch an Nelson denken und dass sie “die Liebe [ihres] Lebens verloren hat”; ständige und massive Dramatisierung des Liebeslebens auf beider Seiten.

Das ausschweifende Happy End

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Hamburg liegt einen Abschiebestopp ein, mit dem zuvor geächteten Lehrer ist die Beziehung wunderbar, mit Hamza und Marie ist alles geklärt, alle Mithelfer bei der Aktion machen ohne Hemmungen sofort mit und sie Aktion selber verläuft wie am Schnürchen ohne Hindernisse

  • Nelson wird mehrfach mit rassistischen Situationen konfrontiert, wobei die Sache nicht romantisiert oder verharmlost wird, sondern mehr oder weniger unkommentiert im Raum steht.
  • Die Reportage über die Abschiebung hat tatsächlich Inhalt und steuert kritisches Denken bei.
  • Der Rap von Hamza war gut.
  • Nelson hat sich für sein verkehrtes Verhalten ausdrücklich entschuldigt.
  • Toller letzter Satz: “Rechts von mir läuft Marie. Links von mir Hamza. Und keiner zwischen uns.”(S.220) , Anspielung auf den Titel
  • Die Geschichte hat sich nicht gezogen, es war nirgends langweilig.

Es ist schwierig. Man sollte prinzipiell immer skeptisch sein, wenn weiße Autoren über nichtweiße Hauptcharaktere Bücher schreiben. Die Tatsache ist, dass man kritisch sein muss. Es gibt so viele Faktoren, am größten davon White Privilege und die mit dessen einher kommende Distanz, die weiße Autoren davon abhalten (können), ein authentisches Buch zu schreiben. Genauso lässt sich das auch übertragen, wenn heterosexuelle und binäre Autoren Bücher schreiben über Hauptcharaktere aus der LGBTQ+ Community.

Man muss als Autor*innen und auch Leserschaft Feingefühl beim Schreiben und Lesen haben. Wenn eine POC ein Buch über seine/ihre Erfahrungen schreibt, ist diese kaum abzustreiten, denn es ist schließlich deren Wahrheit. Aber eine fiktive Geschichte, die Klischees, Stereotypen, individuelle Erfahrungen, große Problematiken adaptieren und von einer Person geschrieben ist, die sozial fern davon lebt, ist es keine Arbeit, die sich leichtfertig oder unbefangen verrichten lässt. In diesem Buch fehlt die kritische Auseinandersetzung mit dem vielen, großen aufgenommenen Themen.

Dieses Buch wurde zu naiv verfasst, zu sorgenfrei geschrieben. So kommt es immerhin rüber. Es ist einfach heikel und einfältig, wenn eine weiße Person einen fiktiven Roman über nichtweiße Hauptcharaktere schreibt und das kann nicht oft genug betont werden. Im Grunde war das Buch nicht schlecht, es war okay. Aber es wurden zu viele Faktoren weder berücksichtigt noch thematisiert, wodurch vieles drastisch falsch gelaufen ist. Dieses Buch ist schiefgelaufen. Ich finde nicht, dass die Autorin von dieser Naivität und Leichtfertigkeit profitieren sollte.

Einzelnachweise

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  1. a b c d e f g h i j k l m Carolin Hristev: Keiner zwischen uns. 1. Auflage. Ueberreuter Verlag GmbH, Berlin 2021, ISBN 978-3-7641-7120-9, S. 81–91.
  2. a b c d e Carolin Hristev: Keiner zwischen uns. 1. Auflage. Ueberreuter Verlag, Berlin 2021, ISBN 978-3-7641-7120-9, S. 157.
  3. a b c d Cristina Hristev: Keiner zwischen uns. 1. Auflage. Ueberreuter Verlag GmbH, Berlin 2021, ISBN 978-3-7641-7120-9, S. 169.
  4. Carolin Hristev: Keiner zwischen uns. 1. Auflage. Ueberreuter Verlag GmbH, Berlin 2021, ISBN 978-3-7641-7120-9, S. 182.
  5. a b c d Carolin Hristev: Keiner zwischen uns. 1. Auflage. Ueberreuter Verlag GmbH, Berlin 2021, ISBN 978-3-7641-7120-9, S. 166–215.
  6. a b c d Carolin Hristev: Keiner zwischen uns. 1. Auflage. Ueberreuter Verlag GmbH, Berlin 2021, ISBN 978-3-7641-7120-9, S. 86–198.

Kategorie:Literarisches Werk