Benutzer:Eva Schrittwieser/Arbeitsseite (Eva Schrittwieser)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Franz Vranitzkys Rede vor dem Parlament 1991

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 8. Juli 1991 hielt der damalige österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) anlässlich der Jugoslawienkriese eine Rede vor dem Nationalrat, die sehr bedeutsam für Geschichte Österreichs ist. Darin bekannte er die Mitschuld Österreichs an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Nachdem Österreich zuvor 46 Jahre als erstes Opfer Adolf Hitlers gesehen worden war, war es das erste Mal, dass ein österreichischer Bundeskanzler die Mitschuld der Österreicher am Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen eingestand.

Österreich hat lange Zeit keine Verantwortung für die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs übernommen. Im Gegenteil, es wurde die sogenannte Opferthese vertreten, wenn es um den Status Österreichs während der nationalsozialistischen Herrschaft ging. Dieser Opfermythos - wie er später auch oft genannt wurde - besagte, dass Österreich das erste Opfer der nationalsozialistischen Aggressionspolitik war. Gestützt wurde diese Ansicht durch eine Passage der Moskauer Deklaration von 1943:[1]

„Die Regierungen des Vereinigten Königreichs, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika sind darin einer Meinung, dass Österreich, das erste freie Land, das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer fallen sollte, von deutscher Herrschaft befreit werden soll.
Sie betrachten die Besetzung Österreichs durch Deutschland am 15. März 1938 als null und nichtig.“[1]

Am 15. Mai 1955 unterschrieb Außenminister Leopold Figl den österreichischen Staatsvertrag. Zuvor hatte er veranlasst, dass der Absatz über die Mitschuld Österreichs am Zweiten Weltkrieg gestrichen worden war. Die Opferthese wurde mehr und mehr zum Leitbild der Politik, was dazu führte, dass die österreichische Regierung sich weigerte jegliche Form der Wiedergutmachung zu leisten. Aber nicht nur in der Politik fand die Opferthese großen Anklang, auch die Bevölkerung hielt daran fest und wurde bald zu einem Teil des nationalen Bewusstseins.[1]

Ins Wanken geriet der Opfermythos vor allem durch die Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre, den Fall Walter Reder und die Waldheim-Affäre. Die Öffentlichkeit begann langsam die Opferthese zu hinterfragen. Im Gedenkjahr 1988 (50 Jahre Anschluss) kam es zu teils heftigen Auseinandersetzungen um die Frage nach der Mitschuld Österreichs. Ausgelöst wurde diese Debatte hauptsächlich durch die Aufführung des Theaterstücks „Heldenplatz“ von Thomas Bernhard und der Errichtung des „Mahnmals gegen Krieg und Faschismus“ auf dem Wiener Albertinaplatz durch den österreichischen Bildhauer Alfred Hrdlicka.[2]

Am 8. Juli 1991 gestand der damalige österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky als erstes österreichisches Regierungsmitglied öffentlich in einer Rede vor dem Parlament die Mitschuld von zahlreichen Österreichern am Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen ein. Anlass für diese Rede war einerseits eine Aussage des damaligen FPÖ-Vorsitzenden und Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider. Darin behauptete er, dass im Dritten Reich eine „ordentliche Beschäftigungspolitik“ gemacht wurde.[2][3] Anderseits war die Jugoslawienkriese Grund für seine Rede. Denn zu der Zeit hatte gerade der gewaltsame Zerfall Jugoslawiens begonnen. In Österreich wurde parlamentarisch beraten, wie man sich dazu verhalten sollte, vor allem in der Frage nach der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens. Vranitzky betonte, dass Österreich nur dann als moralische Autorität ernst genommen werde, wenn man sich mit der eigenen Vergangenheit kritisch auseinandersetze. Daraufhin bekannte er sich zur Mitschuld zahlloser Österreicher an den Gräueltaten während der NS-Herrschaft.[4]

Zu Beginn seiner Rede spricht Franz Vranitzky von den Konflikten im damaligen Jugoslawien. Er betont vehement, dass nur eine friedliche Lösung dieser Konflikte in Frage komme. Zudem hebt er hervor, dass die österreichische Bundesregierung immer wieder Gespräche mit verschiedenen Regierungen geführt hat und noch weiterhin führen wird, um zur Beruhigung der Situation in Jugoslawien beizutragen. Vranitzky nimmt auch zu der Frage Stellung, ob Österreich Slowenien als eigenen Staat anerkennen soll oder nicht. Diese Problematik war zuvor schon heftig in Österreich diskutiert worden. Er spricht sich dafür aus, die Souveränität Sloweniens nicht anzuerkennen, zumal dadurch weder die inneren noch die internationalen Probleme gelöst werden.

Die Probleme Jugoslawiens können laut Vranitzky nur verstanden werden, wenn man die Geschichte der beteiligten Staaten kennt. Das bedeute allerdings auch, dass Österreich, wenn man als Gesprächspartner ernst genommen werden will, seine eigenen Vergangenheit kritisch bewerten und eine klare Sprache dafür finden müsse.

Aus diesem Grund betont Franz Vranitzky nachdrücklich, dass viele Österreicher an den Verbrechen des Nationalsozialismus beteiligt waren. Man müsse sich deshalb bekennen „zur Mitverantwortung für das Leid, das zwar nicht Österreich als Staat, wohl aber Bürger dieses Landes über andere Menschen und Völker gebracht haben.“[5] Österreich sei darum nicht nur Opfer Adolf Hitlers gewesen, sondern auch Täter. Denn viele begrüßten den Anschluss, stützten das Nazi-Regime und waren an den Verbrechen in führenden Positionen beteiligt. Zu dieser Schuld müsse Österreich sich bekennen und für seine Taten entschuldigen. Zum ersten Mal wolle er sich im Namen der Bundesregierung zu dieser Mitschuld bekennen:[5]

„Wir bekennen uns zu allen Daten unserer Geschichte und zu den Taten aller Teile unseres Volkes, zu den guten wie zu den bösen; und so wie wir die guten für uns in Anspruch nehmen, haben wir uns für die bösen zu entschuldigen - bei den Überlebenden und bei den Nachkommen der Toten.
Dieses Bekenntnis haben österreichische Politiker immer wieder abgelegt. Ich möchte das heute ausdrücklich auch im Namen der österreichischen Bundesregierung tun.“[5]

Nach Vranitzkys Rede setzte ein Umdenken in Österreich ein. Die Opferthese wurde offiziell relativiert. Am Nationalfeiertag (26. Oktober) 1991 wurde der Text von Franz Vranitzkys Rede an alle Schulen geschickt. Damit sollten es den Schülern ermöglicht werden, sich mit er Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart auseinanderzusetzen.[6]

Diese tiefgreifende geschichts-politische Wende führte zu einigen weiteren Handlungen im Sinne der Wiedergutmachung und der Vergangenheitsbewältigung Österreichs. Es kam zur Einrichtung des Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus, des Allgemeinen Entschädigungsfonds 1995 sowie des Fonds für freiwillige Leistungen der Republik Österreich an ehemalige Sklaven- und ZwangsarbeiterInnen des nationalsozialistischen Regimes (Versöhnungsfonds) 2000. Außerdem wurde eine Historikerkommission zur Aufarbeitung der österreichischen NS-Vergangenheit gegründet und die Geschichtsbücher an den Schulen umgeschrieben.[7]

1993, 2 Jahre nach seiner Rede vor dem Nationalrat, wurde Vranitzky nach Israel eingeladen und besuchte er als erster österreichischer Regierungschef Israel. Er hielt dort eine Rede, in der er die Opfer der österreichischen Täter im Namen der Republik um Verzeihung bat. Zudem wurde ihm dort an der Hebräischen Universität in Jerusalem die Ehrendoktorwürde verliehen.[8]

Im Jahre 2005 erhielt Franz Vranitzky zudem die Goldene Medaille von B’nai B’rith für seinen Einsatz bei der Aufarbeitung der Geschichte Österreichs seit 1945 und seine Beziehungen zur jüdischen Gemeinschaft. Dies ist die höchste Auszeichnung dieser internationalen jüdischen Organisation. Victor Wagner, Präsident der österreichischen B'nai B'rith, sagte im Rahmen der Verleihung zu Vranitzky: „Dank Ihnen sind wir heute mit Stolz österreichische Juden.“[8]

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b c Der „Opfermythos“ in Österreich: Entstehung und Entwicklung. In: Demokratiezentrum Wien. Demokratiezentrum Wien, April 2015, abgerufen am 21. August 2019.
  2. a b Vergangenheitsbewältigung in Österreich. In: mediathek.at. Technisches Museum Wien mit österreichischer Mediathek 2019, abgerufen am 21. August 2019.
  3. Zitiert: Österreichische Politiker. In: nationalsozialismus.at. Grüne Bildungswerkstatt Kärnten, abgerufen am 5. September 2019.
  4. Erhard Stackl: Interview mit Franz Vranitzky „Ich hatte den Vorsatz, reinen Tisch zu machen“. In: juedischesecho.at. Das jüdische Echo, abgerufen am 21. August 2019.
  5. a b c Stenographisches Protokoll - 35. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich. In: parlament.gv.at. parlament.gv.at, 8. Juli 1991, abgerufen am 20. August 2019.
  6. Wir bekennen uns ... In: Österreich1918plus. politik-lexikon, abgerufen am 22. August 2019.
  7. Gerald Lamprecht: Der Gedenktag 5. Mai im Kontext österreichischer Erinnerungspolitik. In: erinnern.at. Forum Politische Bildung, 2010, abgerufen am 22. August 2019.
  8. a b Vranitzky erhält hohe jüdische Auszeichnung. In: derstandard.at. 11. November 2005, abgerufen am 22. August 2019.