Benutzer:Sargoth/Wikimania 2018

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Die Zeit hat geschlagen. Wikimania 2018 ist vorbei

Sonntag

Mit Buffet, zwei Drinks aufs Haus, Traditionsshow und DJ geht die Wikimania zu Ende
Der Chor der Abschlussveranstaltung. Hat wirklich Spaß gemacht, zuzuschauen- und hören
Die drei von der Vertrauensabteilung bei der Event safety session. Toll gemacht!

Der Sonntag ist nur noch ein halber Inhaltlicher Tag, bis zur Mittagspause. Zum Thema Pause möchte ich bemerken: Wahnsinn, was uns an Essen aufgetischt wurde. Es gab 4 oder 5 Stationen, verteilt über 3 Etagen, alles war einfaches Essen, aber wirklich gut zubereitet und wohlschmeckend. Hamburger, Wraps, Sandwiches, Mac 'n Cheese, Hotdogs, Salate ...
Vormittags habe ich von Tbayer, der verschiedene wissenschaftliche Artikel zusammengefasst hat, erfahren, dass nur 5% der Mobilnutzer Artikel bis zum Ende lesen, und praktisch niemand sich für die Weblinks interessiert. Über 45% der Zeit geht mit der Suche nach spezifischen Inhalten flöten, dem Recherchieren in Links und Inhaltsangaben, und nur bis zu 10% der von Lesenden verbrachten Zeit können direkt den Kernaufgaben zugeordnet werden, also dem Erfassen von Informationen, die gesucht wurden, bzw. dem Erlernen von Inhalten.
Das Trust and Safety Team der Foundation hat eine inspirierende Session angeboten, die über drei Slots ging. Dort haben sie in erster Linie ihr erarbeitetes Material zum Gelingen von Veranstaltungen vorgestellt (siehe outreachdashboard.wmflabs.org), aber auch Erfahrungen der Teilnehmenden nach Vorfällen abgefragt (da wurde so einiges berichtet ...) und ein Rollenspiel durchgeführt, das anschließend gemeinsam evaluiert wurde. Daraus Gelerntes zu vermitteln, ist wie bei allen Workshops nicht trivial. Ganz neu war mir aber, der ich schon öfter mal in dem Bereich Awareness und Sicherheit bei Veranstaltungen involviert war, der Hinweis, dass Betroffenen von Unangenehmem und Übergriffen nicht nur in einem Rückzugsraum (oder einer 'privaten' Ecke) zugehört werden sollte, sondern auch Notizen gemacht. Wichtiger als das Auswerten der Notizen ist hier das Vermitteln des aktiven Zuhörens, denn wer sich Notizen macht, muss zuhören. Wie also vorgehen, wenn jemand etwas berichtet? Erstens einen Rückzugsort finden, zweitens Zuhören und Notizen machen, drittens beide Seiten anhören, viertens die berichtende Person nach Lösungsmöglichkeiten fragen. Auch das dient nicht dem Naheliegenden (man würde sogleich tun, was sie verlangt), sondern soll bei der Suche nach einer Lösung des Problems oder Vorfalls das aktive Einbinden der berichtenden Person rüberbringen. Eben diese Person, die etwas berichtet (klassischerweise Opfer genannt, was wir aber vermeiden), hat auch eine Aufgabe: nämlich so genau wie möglich zu berichten, was vorgefallen ist. Es gab in dieser Session auch sonst interessante Punkte, so etwa die Bemerkung, dass in einer Gruppe von 10 Leuten, die sich gut kennt, zwar weniger Konflikte auftauchen - wenn es diese aber gibt, sind sie umso heftiger.
Mit diesen Erkenntnissen, die jedem und jeder von uns etwas nutzt, wenn er oder sie eine Veranstaltung durchführt - mit oder ohne Wikibezug - ging für mich das Lernen zu Ende. Es folgten noch die ziemlich durchritualisierte Closing Session mit einem total netten Chor, der stehende Ovationen bekam, und die Abschlussparty mit Tanz bis in die Nacht. Wer noch nie auf der Wikimania war: bewerbt euch doch mal für ein Stipendium, es öffnet wirklich das Bewusstsein.

Wiki loves love meetup

Die UNESCO stellt auf ihrer Website frei lizensierte Texte in mehreren Sprachen zur Verfügung, die auch bereits in 263 Wikipedia-Artikeln genutzt werden. Das sind dann von Experten geschriebene Texte, die 1:1 kopiert werden können. Nach Darstellung der UNESCO-Mitarbeitenden bringt das eine Win-win-Situation, und es tritt nichteinmal eine Kannibalisierung auf, denn die Abrufzahlen der Seiten der UNESCO bleiben Sonderfälle wie einen Blogger, der dreist den Text der UNESCO geklaut hat und dann die Wikipedia-Seite mit der Begründung gelöscht haben wollte, dies sei sein Text. An solchen Stellen müssen Wikipedianer*innen und Institutionen eng zusammenarbeiten, um Frust zu vermeiden und vor allem die Anfangsschwierigkeiten aus dem Weg zu räumen.

Ein Kapstadt-Zug brennt ab.
UNESCO liebt Wikipedia

Wie gewinnt mensch eine Diskussion? Da gibt es dann wenig Neues zu erfahren: nach Forschungsergebnissen der WMF durch detailliertes inhaltliches Diskutieren, durch Beispiele, Belege und eine gute Sprache (Formulieren, Rechtschreibung etc.). Verloren wird beim Zitieren der Policies, aber auch beim Moderieren und beim Beharren auf Seitenformatierung. Kein Wunder, dass unsere Projekte für Moderationsansätze regelmäßig scheitern!
Katherine Maher sricht wie immer über Community und Strategie, gesteht dann selbst ein, genug davon geredet zu haben und übergibt das Podium an vier Menschen aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern, die von ihren Situationen berichten. Enkosi! und Ubuntu sind hier übrigens Kernworte, die immer wieder mal auf Folien erscheinen. Ich muss wirklich mal nachschlagen, was Enkosi! ist.
Inzwischen habe ich auch erfahren, dass die diesjährige Wikimania 680 Teilnehmende hat. Nicht leicht, alle kennenzulernen, nicht an nur drei Tagen. Ich habe bisher wohl nur etwa 20 Personen kennengelernt, die sich auch an mich erinnern werden. Dafür waren sie aber aus der ganzen Welt: Wikipedians mit Stipendium, Botbetreibende und andere Tech-Geeks, Chapterfunktionäre, WMF-Mitarbeitende aus verschiedenen Abteilungen, die endlich ein Gesicht bekommen.
Abends dann das Wiki loves Love-Meeting, mit einer tollen, ruhigen und doch begeisterten und begeisternden Initiatorin. Es wird im Februar (Valentinstag!) 2019 stattfinden. Dann ist weltweit Liebesmonat, mit vielen Dekorationen und Veranstaltungen, die wunderbar abgebildet werden können. Noch ist unklar, was genau der thematische Schwerpunkt sein wrd, das wird dann auf Meta besprochen (wer das jetzt im Juni 2018 liest, kann sich noch einbringen): Liebe zwischen Paaren, zwischen Eltern und Kinder, oder Tier und Mensch; Objekte, spezifische kulturelle Hochzeitsrituale, oder mein Favorit: Gesten der Liebe. Sollen nur Fotos hochgeladen werden, oder auch Videos? Und wie nützen die Daeien den Wikipedia-Artikeln? Das Problem gab es bei Wiki loves Earth ja auch. Und der Umgang mit Trollereien oder Missverständnissen wurde auch besprochen: das Hochladen pornographischer Bilder wird nicht unterstützt, es wird aber auch nicht von Seiten der Orga über das Commons-Maß hinaus zensiert. Sprich: Maßstab ist die indische Kultur. Küssende Paare sind kein Affront.

Potential von Wikipedia-Sprachausgaben in Südafrika
Realzeitkollaboration, sowas wie Etherpad und Googledoc

Das Programm der Wikimanias legt, neben den von Marcus angesprochenen personellen Aspekten, viel Wert auf einen lokalen thematischen Schwerpunkt. In der Session zu den möglichen Wikipedia-Sprachausgaben aus in Südafrika verwendeten Sprachen scheint es noch viel Potential zu geben, es werden aber bereits viele Ausgaben im Incubator angelegt.
Ebenfalls von Marcus angesprochen wurde die Problematik oralen Wissens, die auch auf der Wikimania 2018 ihren Raum bekommen hat. Dargestellt wurden nicht nur die mir bereits bekannten Probleme der Transkription, die bereits häufig passiert und besser als Audio-, vor allem aber auch Videoaufzeichnung durchgeführt wird. Denn ändert sich das Sprechverhalten in der artifiziellen medialen Situation, werden besondere Kleider angezogen, weil mensch gefilmt wird usw., also wie „authentisch“ ist das Ganze überhaupt und inwieweit entspricht es der tatsächlichen Situation des nun nicht mehr oral history, sondern oral sources genannten Wissens, das nur in Köpfen existiert und verbal, aber auch oft durch Gestik, und gar in Bezug zu Zeit und Raum weitergegeben wird? Manches Wissen, etwa die Ankündigung des Regens, das aus dem Verhalten von Vögeln abgeleitet wird, ist auch gar nicht reflektiert genug, um überhaupt transkribiert zu werden. Solches Wissen ist auch für Wikipedia irrelevant, so meine Meinung. Anderes Wissen aber, über das nur die Alten in den Dörfern verfügen - etwa der Hintergrund von Polygamie und der sozialen Organisation lokaler Gemeinschaften überhaupt, oder Lokalgeschichte - muss unbedingt in größerem Maßstab verfügbar gemacht werden und darf nicht verloren gehen. Was aber ist mit Ritualen, etwa Tänzen? Das bloße Abfilmen, womöglich von erhobenem Standpunkt außerhalb des Geschehens, generiert aus komplexen Strukturen, die vor- und nachbereitet werden und auf alten, mit Sinn geladenen Traditionen beruhen, die eine langfristige Wirkung auf das soziale Gefüge eines Dorfes haben nur zwischen und durch die Teilnehmenden funktionieren, eine plakative Reduktion.
Die Coolest African Projects beziehen sich viel auf die Einbindung von Frauen, was ich persönlich sehr unterstütze. Es gibt eine enorme Aktivierung von Freiwilligen, wenn ein sicherer Ort geschaffen wird, um kollaborativ an unseren Inhalten zu arbeiten und Schönes und Sinnvolles hinzuzufügen. Untersützt werden sollte das Ganze, so die Präsentator*innen, durch die Gründung lokaler Chapter, Budgetierung bezahlter Mitarbeiter für den langen Atem („Warum gibt es in Deutschland über 100 Mitarbeiter, aber nur 1 in Afrika?“), vor allem auch durch Meetups, also reale Treffen, erfahrene und neue Freiwillige und viel Platz für Aktivitäten.
Das LGBT+-Treffen, das ich besucht habe, führte mir vor Augen, wie wenig organisiert die DACH-Community etwa im Gegensatz zu WMUK und dem New Yorker Chapter ist, das jedes Jahr drei Editatons mit zweistelliger Teilnehmendenzahl nur zu LGBT+-Themen durchführt. Dabei wird, genau wie wir das in den lokalen Räumen oder bei GLAM-Aktivitäten machen, genausoviel Wert auf das soziale Miteinander wie auf konkrete Bearbeitungen von Artikeln gelegt. Die Zähigkeit und Dumpfheit, die bei uns die Aktualisierungen von Artikeln wie Chelsea Manning oder Wachowskis behindert, zieht sich übrigens durch ale Sprachausgaben.
Realzeitkollaboration. Das, was sich in der Ankündigung spannend liest, wird wohl bereits seit einigen Jahren auf der Wikimania vorgestellt, ohne dass irgendwelche Entwicklungen sichtbar wären. Es geht um ein drittes Etherpad bzw. Googledoc, bei dem alle gleichzeitig editieren können und Probleme wie Vandalismus und Editwars gelöst werden, besonderer Schwerpunkt aber auf nicht automatisch vom System gespeicherte Versionen und Autorenschaften gelegt werden soll. Ich selbst frage mich dann, was es mir nützt, wenn ich sehe, welche konkreten 5 Personen einen Satz geschrieben habe. Und wozu es ein überhaupt eine dritte Software für dieselbe Aufgabe, mit denselben Problemen geben soll. So ganz stecke ich im Kopf der Hardcore-WikiMPedia-Leute nicht drin. ein SmileysymbolVorlage:Smiley/Wartung/:p 
Nachts dann noch die Strategy-Bar im 32. Stock, eine Mischung aus Studi-WG-Party und Nerd-Treffen, aber in einer 4-Sterne-Suite. Dort endlich habe ich verstanden, was das Ganze strategieren auf 2030 überhaupt bringt: den Kopf freimachen! Nicht immer ein Klötzchen aufs nächste setzen, sondern mal dran denken, was überhaupt gebaut werden soll. So ganz ernst wird die Strategie also vielleicht gar nicht genommen, sondern soll der echten Fehlentwicklung der Bugfixing-Kultur, die uns schon so manche Schererei gebracht hat, etwas Klares entgegensetzen.

Mittwoch & Donnerstag

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Siesta und Twin Mosia beim Empfang
Seewolf beim Empfang
Gnom nutzt den Empfang zum Tauchen mit den Nemos

Jetzt hat die Wikimania richtig begonnen. Die Teilnehmendenzahlen habe ich noch nicht, aber es müssen hunderte sein, aus aller Welz, mit den verschiedensten Perspektiven auf die Wikimania, aber auch auf die sozialen Herausforderungen, die in Kapstadt so offensichtlich sind. Gated Communities, Villen umgeben von Stacheldraht auf der einen, Menschen mit zerrissenen Klamotten auf der anderen Seite, die mit der Begründung betteln, sie müssten letztlich in den Knast, wenn man ihnen nichts gebe, da sie ihre hungrigen Kinder ernähren müssten, und dafür stehlen und rauben.
Das alles draußen beim Rauchen während des Treffens deutschsprachiger Wikipe- und Medianer*innen in der von Cornelius gut ausgesuchten Bar grad ums Eck. Gnom nutzt das Treffen für Willkommenworte und Hinweise, besonders wertvoll: es gebe nicht nur Track A, Track B und Track C, sondern auch den Hallway-Track, also das persönliche Gespräch auf dem Flur mit Menschen, die einen inspirieren und bewegen können.
Zwei solchen Menschen begegnete ich auf dem abendlichen Willkommensempfang der Wikimania in einem tollen Aquarium mit Nemos, Haien, Riesenkrabben und dicken Nasenfische: und zwar Seewolf, der mir begeistert von seinen Aktivitäten zur Aktivierung der WMDE-Mitglieder erzählte, und dem ich versprochen habe, hier einzugestehen, dass ich eine Flasche Bier in den Raucherhof geschmuggelt habe; und Twin Mosa, einem jungen, wahnsinnig interessanten Wikipedianer aus Südafrika, der sieben Sprachen spricht, für ein Geschichtsmuseum arbeitet und seine Hauptaktivität in einer Wikipedia hat, die gerade mal 500 Artikel aufweist. Das Feuer der globalen Community zieht mich mal wieder mit ein SmileysymbolVorlage:Smiley/Wartung/:-d 

„Africa“
(Brett Murray 2000; en)

Schön, Kapstadt. Frische Luft, nette Menschen. Abends war das Meeting der WEMDE-Stipendiat*innen, es wurden viele Erfahrungen geteilt. Das gibt's beim Essen zu beachten, diese Veranstaltung verpasst mensch leicht, es ist immer gut, ein kleines Notizbuch dabei zu haben...
Am nächsten morgen höre ich zum ersten mal über DarTar vom Projekt WikiCite. Ist aber auch kein Wunder, das Projekt ist brandneu und eine komplett andere Idee als Wikiquote, was für Deutschsprachige leicht zu verwechseln wäre: es geht vielmehr um eine freie Bibliografische Datenbank. Toll ein lächelnder Smiley 
Aus der Kategorie „mitgehört“: 8:30 Uhr, 4 Personen im Aufzug, Erdgeschoss. Gedrückte Knöpfe weisen aufs 17., 22. und 32. Stockwerk, dessen Suiten teilweise Wikimania-Konferenzräume sind. Frage eines der vier: „Wer fährt denn in den 32.?“ Antwort eines anderen: „Ich!“ - „Gehst du auch zur Wikimania-Einführung?“ - „Nein, zum Board-Meeting.“ Eine bessere Zusammenfassung der Bandbreite der Teilnehmer kann mensch sich nicht wünschen.

Diese Seite dient als Protokoll meiner Erfahrungen und Erkenntnisse bei der Wikimania 2018 in Kapstadt. Das Stipendium von Wikimedia Deutschland für Freiwillige der Wikimedia-Projekte hat mir die Teilnahme ermöglicht, wofür ich sehr dankbar bin. Ich freue mich sehr über Fragen und Anregungen auf der dazugehörigen Diskussionsseite.

Commons: Wikimania 2018 by Sargoth – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien