Nationalbibliothek
Eine Nationalbibliothek sammelt und archiviert als herausragende Bibliothek die gesamte Literatur eines Staats oder eines Sprachraums und verzeichnet diese in der Nationalbibliographie. Laut Definition der UNESCO hat eine Nationalbibliothek häufig auch die Aufgabe, die wichtigsten ausländischen Publikationen zu erwerben. Die Nationalbibliothek nimmt im Bibliothekswesen eines Landes oft eine koordinierende Rolle ein.
Die meisten Staaten besitzen Nationalbibliotheken (siehe Liste der Nationalbibliotheken). Sie kann auf mehrere Standorte verteilt sein, so die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig und Frankfurt am Main, oder es kann in einem Staat mehrere Nationalbibliotheken geben. Die größte Bibliothek dieser Art, die Library of Congress in Washington, D.C., ist eigentlich eine Parlamentsbibliothek.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nationalbibliotheken entstanden seit dem Aufkommen der Nationalstaaten Ende des 18. Jahrhunderts in Europa und hatten ihre „Blütezeit“ im langen 19. Jahrhundert „als Modellinstitution der Selbstverständigung und Vergewisserung der Nation“.[1] Der Historiker Jörn Leonhard weist darauf hin, dass dieser Prozess Ausdruck und Motor der zugleich stattfindenden politisch-sozialen Zentralisierung, Homogenisierung und Hierarchisierung war, der auch die nationalen Mythen, Wissensbestände und Geschichtsbilder erfasste, und bezeichnet die Nationalbibliothek daher als „Zentralort der durch Texte imaginierten Nation“.[2]
Dabei stand im Vordergrund, einer breiten und egalitär verstandenen bürgerlichen Öffentlichkeit Zugang zu Bildung verschaffen, was als nationale Aufgabe verstanden wurde. Zugleich dienten die als Vorbild geltenden englischen und französischen Institutionen dazu, den Vormachtanspruch der jeweiligen kulturellen Nation und ihrer weltweiten Mission zu transportieren, was die amerikanischen und russischen Nachahmer aufgriffen.[3]
Durch die Ausweitung und Ausdifferenzierung der Wissenschaften verdrängten die Nationalbibliotheken zugleich private Gelehrtenbibliotheken und wurden zur „Letztinstanz und Basis der wissenschaftlichen Literaturrecherche“, indem durch Ankäufe (etwa aufgelassener Klosterbibliotheken) die trotz Pflichtexemplaren sehr lückenhaften Sammlungen in Richtung Vollständigkeit verdichtet wurden.[4]
In Deutschland konkurrierten wegen der politischen und kulturellen Dezentralität, auch noch nach der Nationalstaatsbildung 1871, Berlin, München, Leipzig und später Frankfurt sowie verschiedene öffentliche und kommerzielle Institutionen miteinander, auch wenn die deutsche Nationalbewegung immer wieder das Ziel einer „literarischen Walhalla“ vorgab.[5]
Nationalbibliotheken in Europa
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die europäischen Nationalbibliotheken sind, bis auf die kosovarische und belarussische, über das gemeinsame Webportal The European Library (ehemals GABRIEL) zu erreichen. Dies sind:
Nationalbibliotheken außerhalb Europas (Auswahl)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Ägypten: Ägyptische Nationalbibliothek, Kairo
- Angola: Biblioteca Nacional de Angola, Luanda
- Argentinien: Nationalbibliothek der Republik Argentinien/Biblioteca Nacional de Aeronáutica, Buenos Aires
- Aruba: Biblioteca Nacional Aruba, Oranjestad
- Australien: National Library of Australia, Canberra
- Brasilien: Brasilianische Nationalbibliothek, Rio de Janeiro
- China: Chinesische Nationalbibliothek, Peking
- Costa Rica: Nationalbibliothek von Costa Rica, San José
- El Salvador: Nationalbibliothek El Salvadors, San Salvador
- Guinea-Bissau: Instituto Nacional de Estudos e Pesquisa, Biblioteca Pública, Bissau
- Indien: Indische Nationalbibliothek, Kalkutta
- Indonesien: Nationalbibliothek der Republik Indonesien, Jakarta
- Irak: Nationalbibliothek und -archiv des Irak, Bagdad
- Iran: Iranische Nationalbibliothek, Teheran
- Israel: Israelische Nationalbibliothek, Jerusalem
- Japan: Nationale Parlamentsbibliothek, Tokio und Kyoto
- Kanada: Library and Archives Canada, Ottawa; Bibliothèque et Archives nationales du Québec, Montreal
- Kap Verde: Biblioteca Nacional de Cabo Verde, Praia
- Katar: Nationalbibliothek Katars, Education City und Doha
- Kolumbien: Kolumbianische Nationalbibliothek, Bogotá
- Madagaskar: Bibliothèque Nationale de Madagascar, Antananarivo
- Mosambik: Biblioteca Nacional de Moçambique, Maputo
- Namibia: Nationalbibliothek von Namibia, Windhoek
- Neuseeland: National Library of New Zealand, Wellington
- Nordkorea: Große Studienhalle des Volkes, Pjöngjang
- Pakistan: Pakistanische Nationalbibliothek, Islamabad
- Osttimor: Nationalbibliothek von Osttimor, Dili
- São Tomé und Príncipe: Biblioteca Nacional de São Tomé e Príncipe, São Tomé
- Thailand: Nationalbibliothek Thailands, Bangkok
- Tunesien: Nationalbibliothek Tunesiens, Tunis
- Türkei: Türkische Nationalbibliothek, Ankara
- Vereinigte Staaten: Library of Congress, Washington, D.C.; United States National Library of Medicine, Bethesda, MD
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Jörn Leonhard: Bücher der Nation. Die Entstehung europäischer Nationalbibliotheken als Orte lokalisierter Erinnerung. In: Kirstin Buchinger, Claire Gantet, Jakob Vogel (Hrsg.): Europäische Erinnerungsräume. Campus, Frankfurt am Main / New York 2009, ISBN 978-3-593-38865-6, S. 72–87, elektronischer Sonderdruck der Universität Freiburg 2011.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Listen von Nationalbibliotheken:
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Jörn Leonhard: Bücher der Nation. Die Entstehung europäischer Nationalbibliotheken als Orte lokalisierter Erinnerung. In: Kirstin Buchinger, Claire Gantet, Jakob Vogel (Hrsg.): Europäische Erinnerungsräume. Campus, Frankfurt am Main / New York 2009, S. 72–87, hier S. 77 f.
- ↑ Jörn Leonhard: Bücher der Nation. Die Entstehung europäischer Nationalbibliotheken als Orte lokalisierter Erinnerung. In: Kirstin Buchinger, Claire Gantet, Jakob Vogel (Hrsg.): Europäische Erinnerungsräume. Campus, Frankfurt am Main / New York 2009, S. 72–87, hier S. 73.
- ↑ Jörn Leonhard: Bücher der Nation. Die Entstehung europäischer Nationalbibliotheken als Orte lokalisierter Erinnerung. In: Kirstin Buchinger, Claire Gantet, Jakob Vogel (Hrsg.): Europäische Erinnerungsräume. Campus, Frankfurt am Main / New York 2009, S. 72–87, hier S. 78.
- ↑ Jörn Leonhard: Bücher der Nation. Die Entstehung europäischer Nationalbibliotheken als Orte lokalisierter Erinnerung. In: Kirstin Buchinger, Claire Gantet, Jakob Vogel (Hrsg.): Europäische Erinnerungsräume. Campus, Frankfurt am Main / New York 2009, S. 72–87, hier S. 80.
- ↑ Jörn Leonhard: Bücher der Nation. Die Entstehung europäischer Nationalbibliotheken als Orte lokalisierter Erinnerung. In: Kirstin Buchinger, Claire Gantet, Jakob Vogel (Hrsg.): Europäische Erinnerungsräume. Campus, Frankfurt am Main / New York 2009, S. 72–87, hier S. 81 f. Siehe auch Engelbert Plassmann: Eine „Reichsbibliothek“? Vortrag vom 13. Januar 1998 (PDF; 218 kB).
- ↑ About the Library. ( vom 19. Juli 2013 im Internet Archive) In: prlib.ru.