Edelhirsche

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Edelhirsche

Rothirsche, Hirschkuh, Männchen und Kalb (von links nach rechts)

Systematik
Unterordnung: Wiederkäuer (Ruminantia)
ohne Rang: Stirnwaffenträger (Pecora)
Familie: Hirsche (Cervidae)
Unterfamilie: Cervinae
Tribus: Echte Hirsche (Cervini)
Gattung: Edelhirsche
Wissenschaftlicher Name
Cervus
Linnaeus, 1758

Die Edelhirsche (Cervus) sind eine Gattung der Hirsche (Cervidae), die in Eurasien und Nordamerika vorkommt. Zur Gattung gehören unter anderen der in Europa vorkommende Rothirsch (Cervus elaphus), der aus Ostasien nach Europa eingeführte Sikahirsch (Cervus nippon) und der in Nordamerika und Ostasien lebende Wapiti (Cervus canadensis).

Zu den Edelhirschen gehören vor allem große und mittelgroße Hirscharten. Ihre Kopf-Rumpf-Länge liegt zwischen 240 und 120 Zentimeter, bei einer Widerristhöhe von 65 bis 165 Zentimeter und einem Gewicht von 20 bis 530 kg. Dabei gehören die kleinsten Maße zu Inselformen des Sikahirsches, die größten zu der im südlichen Kanada und den nordwestlichen USA lebenden Population des Wapitis. Letztere sind nach dem Elch die größten Hirsche der Welt. Bei allen Edelhirschen sind die Männchen erheblich größer und schwerer als die Weibchen und nur sie tragen ein Geweih, das wie bei allen Hirschen jährlich nach der Brunft abgeworfen wird. Das Geweih ist groß und komplex. Es entwickelt bis zu sieben Sprossen beim Rothirsch, Wapiti und Weißlippenhirsch, maximal sechs Sprossen beim China-Rothirsch und vier Sprossen beim Sikahirsch.[1] Die Schneidezähne und die Voraugendrüsen sind relativ klein. Oft ist eine Mähne vorhanden, die sich vom Nacken bis zum Widerrist erstreckt.[2] Wie bei allen Gattungen der Tribus Cervini ist die Zehenstellung der Edelhirsche plesiometacarpal, das heißt, dass nur die proximalen (am Fuß anliegenden) Teile der verkleinerten 2. und 5. Zehen vorhanden sind.[3]

Lebensraum und Lebensweise

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Edelhirsche leben sowohl in Steppen, Prärien und auf alpinen Wiesen als auch in Laub- oder Nadelwäldern, in feuchten oder trockenen Wäldern oder in Buschland. Wapitis und der China-Rothirsch kommen auch in Gebirgen vor und der Weißlippenhirsch ist ein Hochgebirgsspezialist. Als nicht spezialisierte Pflanzenfresser ernähren sich Edelhirsche von Gräsern, Kräutern, Blättern, Zweigen, Früchten und Samen. Sie sind soziale Tiere, die in mehr oder weniger großen Gruppen oder in kleinen Herden leben. Adulte Männchen sind oft Einzelgänger. Die Trächtigkeitsdauer liegt zwischen 222 und 260 Tagen.[1]

Innere Systematik der Tribus Cervini nach Mackiewicz et al. 2022[4]
 Cervini 




Cervus


   

Rusa



   

Panolia


   

Elaphurus




   

Dama



   

Axis


   

Rucervus




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In der Familie der Hirsche (Cervidae) gehört Cervus in die Unterfamilie Cervinae und die Tribus der Echten Hirsche (Cervini).[5] Die Gattungsbezeichnung Cervus (lateinisch: Hirsch) für die Edelhirsche wurde schon im Jahr 1758 durch den schwedischen Naturforscher und Begründer der modernen zoologischen Taxonomie Carl von Linné mit der Benennung des Rothirsches (Cervus elaphus), des Elchs (Cervus alces), des Rehs (Cervus capreolus) und des Damhirsches (Cervus dama) eingeführt. 1777 wurde der Wapiti (Cervus canadensis) als erste außereuropäische Art der Gattung beschrieben. In den folgenden Jahrzehnten wurden zahlreiche weitere, in Folge der europäischen Expansion entdeckte, Hirscharten der Gattung zugeordnet.[6] Dies änderte sich erst mit der Einführung weiterer Hirschgattungen.

Im wissenschaftlich-zoologischen Nachschlagewerk Mammal Species of the World (3. Auflage von 2005) werden schließlich nur noch zwei Arten anerkannt, der Rothirsch und der Sikahirsch, beide mit zahlreichen Unterarten. Der Wapiti galt als Unterart des Rothirsches und Elch, Reh und Damhirsch gehören zu anderen Gattungen.[7] Die Eigenständigkeit des Wapitis ist jedoch schon 2004 durch eine Untersuchung der mitochondrialen DNA nachgewiesen worden.[8][2] Auch die Einbettung des südchinesischen Weißlippenhirsches, der als Przewalskium albirostris zu einer monotypischen Gattung gehörte, in die Gattung Cervus und die Existenz einer fünften Entwicklungslinie in Zentralasien konnte mit molekularbiologischen Methoden nachgewiesen werden.[8]

Innere Systematik der Gattung Cervus nach Mackiewicz et al. 2022[4]
 Cervus 



Cervus nippon


   

Cervus canadensis



   

Cervus albirostris



   

Cervus elaphus


   

Cervus hangul




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Es ist noch umstritten, in wie viele Arten die Gattung der Edelhirsche unterteilt werden soll. Im Huftierband des Handbook of the Mammals of the World und im Nachfolgeband All the Mammals of the World werden fünf Arten angegeben:[1][9]

  • Weißlippenhirsch (Cervus albirostris Przewalski, 1883), monotypisch
  • Wapiti (Cervus canadensis Erxleben, 1777), vier Unterarten
  • Rothirsch (Cervus elaphus Linnaeus, 1758), sechs Unterarten
  • Sikahirsch (Cervus nippon Temminck, 1838), zehn Unterarten
  • China-Rothirsch (Cervus hanglu Wagner, 1844), drei Unterarten

In einer im Jahr 2011 veröffentlichte Revision aller Huftiere durch die Mammalogen Colin Groves und Peter Grubb wurde die Gattung Cervus in drei Artengruppen mit insgesamt 18 Arten eingeteilt. Der hohe Zuwachs, der der Gattung ein Vielfaches an Mitgliedern beschied, erfolgte durch Aufsplittung der bestehenden Arten und die Erhebung von Unterarten zu Arten und nicht durch Neuentdeckungen.[6] Dieses Vorgehen wurde als „taxonomische Inflation“ stark kritisiert und hat sich bis heute nicht durchgesetzt. Eine vierte Artengruppe mit sieben Arten kam durch die Synonymisierung der süd- und südostasiatische Hirschgattung Rusa mit Cervus hinzu.[6] Zahlreiche Autoren sehen Rusa jedoch als eine eigenständige Gattung an.[10][4][7][9][11][12][13]

Weißlippenhirsch
Dybowski-Hirsche, Weibchen

Wie schon oben erwähnt, wurde die starke Aufsplitterung der Edelhirscharten heftig kritisiert. Allerdings zeigen zeitkalibrierte Arbeiten zur Systematik der Edelhirsche, dass sich die Unterarten von Rothirsch, Sikahirsch und Wapiti teilweise schon vor vielen Hunderttausend oder vor über einer Million Jahren voneinander getrennt haben.[14][15] Vergleichbar dazu fand die Trennung von Süd-Giraffe (Giraffa giraffa) und Massai-Giraffe (G. tippelskirchi), beide gelten heute als eigenständige Arten, vor etwa 650.000 Jahren statt[16] und die Aufspaltung der Takine in zwei Arten geschah vor rund 231.000 Jahren.[17] Meirav Meiri und Mitarbeiter fanden in ihrer 2018 veröffentlichten Analyse des Rothirsch-Artenkomplexes (Cervus ohne Sikahirsch und Weißlippenhirsch) fünf evolutionäre Linien, die man taxonomisch zusammenfassen könnte. Eine kommt in Europa vor, die zweite auf dem Balkan, in Anatolien und im Kaukasus, die dritte in Zentralasien, die vierte in Tibet, Nordchina, im russischen Fernen Osten und in Korea und die fünfte in Nordamerika, in den Gebirgen Altai und Tian Shan, in der nördlichen Mongolei und im mittleren Südsibirien.[18]

Von den fünf bei der IUCN aufgeführten Arten gelten Rothirsch, Wapiti, Sikahirsch und China-Rothirsch als ungefährdet, während der in einem relativ kleinen Verbreitungsgebiet im östlichen Tibet und angrenzenden Regionen vorkommende Weißlippenhirsch als gefährdet gilt.[19]

  • Stefano Mattioli: Family Cervidae (Deer). In: Don E. Wilson und Russell A. Mittermeier (Hrsg.): Handbook of the Mammals of the World. Volume 2: Hooved Mammals. Lynx Edicions, Barcelona 2011, ISBN 978-84-96553-77-4, S. 350–443 (S. 421–425).

Einzelnachweise

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  1. a b c Mattioli (2011): Handbook of the Mammals of the World. S. 421 – 425.
  2. a b Christian Pitra, Joerns Fickel, Erik Meijaard und P. Colin Groves: Evolution and phylogeny of old world deer. Molecular Phylogenetics and Evolution 33, 2004, S. 880–895. doi:10.1016/j.ympev.2004.07.013
  3. Victor Brooke: On the classification of the Cervidae, with a synopsis of the existing species. In: Proceedings of the Zoological Society. Jahrgang 1878, S. 883–928 (biodiversitylibrary.org).
  4. a b c Paweł Mackiewicz, Maciej Matosiuk, Magdalena Świsłocka, Frank E. Zachos, Ghaiet M. Hajji, Alexander P. Saveljev, Ivan V. Seryodkin, Tarlan Farahvash, Hamid Reza Rezaei, Rasoul Vaez Torshizi, Stefano Mattioli und Mirosław Ratkiewicz: Phylogeny and evolution of the genus Cervus (Cervidae, Mammalia) as revealed by complete mitochondrial genomes. Scientific Reports 12, 2022, S. 16381, doi:10.1038/s41598-022-20763-x
  5. Clément Gilbert, Anne Ropiquet und Alexandre Hassanin: Mitochondrial and nuclear phylogenies of Cervidae (Mammalia, Ruminantia): Systematics, morphology, and biogeography. In: Molecular Phylogenetics and Evolution. Band 40, 2006, doi: 10.1016/j.ympev.2006.02.017. S. 101–117.
  6. a b c Colin Groves und Peter Grubb: Ungulate Taxonomy. Johns Hopkins University Press, 2011, S. 1–317 (S. S. 94–107)
  7. a b Don E. Wilson, DeeAnn M. Reeder (Hrsg.): Mammal Species of the World. Genus Cervus. 3. Ausgabe. The Johns Hopkins University Press, Baltimore 2005, ISBN 0-8018-8221-4.
  8. a b Christian J. Ludt, Wolf Schroeder, Oswald Rottmann, Ralph Kuehn: Mitochondrial DNA phylogeography of red deer (Cervus elaphus). In: Mol. Phylogenet. Evol. 31. Jahrgang, Nr. 3, Juni 2004, S. 1064–83, doi: 10.1016/j.ympev.2003.10.003
  9. a b Amy Chernasky u. a.: All the Mammals of the World. Lynx Edicions, Juni 2023, ISBN 978-84-16728-66-4, S. 591.
  10. Mattioli (2011): Handbook of the Mammals of the World. S. 417 u. 418.
  11. Nicola S. Heckeberg, Dirk Erpenbeck, Gert Wörheide und Gertrud E. Rössner: Systematic relationships of five newly sequenced cervid species. PeerJ 4, 2016, S. e2307, doi:10.7717/peerj.2307
  12. Nicola S. Heckeberg: A comprehensive approach towards the systematics of Cervidae. PeerJ 8:e8114, doi: 10.7717/peerj.8114
  13. Nur Alizati Nabila Giarat Ali, Mohd Lutfi Abdullah, Siti Azizah Mohd Nor, Tan Min Pau, No or Azleen Mohd Kulaimi, Darlina Md Naim: A review of the genus Rusa in the indo-malayan archipelago and conservation efforts. Saudi Journal of Biological Sciences, Volume 28, Issue 1, Januar 2021, S. 10–26, doi: 10.1016/j.sjbs.2020.08.024
  14. Rita Lorenzini, Luisa Garofalo: Insights into the evolutionary history of Cervus (Cervidae, tribe Cervini) based on Bayesian analysis of mitochondrial marker sequences, with first indications for a new species. Journal of Zoological Systematics and Evolutionary Research. 53 (4): 340–349. Juni 2015, doi: 10.1111/jzs.12104
  15. Hengxing Ba, Fuhe Yang, Xiumei Xing & Chunyi Li (2015): Classification and phylogeny of sika deer (Cervus nippon) subspecies based on the mitochondrial control region DNA sequence using an extended sample set. Mitochondrial DNA, 26:3, 373–379, doi: 10.3109/19401736.2013.836509
  16. Alice Petzold, Anne-Sophie Magnant, David Edderai, Bertrand Chardonnet, Jacques Rigoulet, Michel Saint-Jalme und Alexandre Hassanin: First insights into past biodiversity of giraffes based on mitochondrial sequences from museum specimens. European Journal of Taxonomy 703, 2020, S. 1–33, doi:10.5852/ejt.2020.703
  17. Lin Yang, Fuwen Wei, Xiangjiang Zhan, Huizhong Fan, Pengpeng Zhao, Guangping Huang, Jiang Chang, Yinghu Lei und Yibo Hu: Evolutionary conservation genomics reveals recent speciation and local adaptation in threatened takins. Molecular Biology and Evolution 39 (6), 2022, S. msac111, doi:10.1093/molbev/msac111
  18. Meirav Meiri, Pavel Kosintsev, Keziah Conroy, Shai Meiri, Ian Barnes und Adrian Lister: Subspecies dynamics in space and time: A study of the reddeer complex using ancient and modern DNA and morphology. Journal of Biogeography 45, 2018, S. 367–380, doi:10.1111/jbi.13124
  19. Genus Cervus bei der IUCN