Wilde Karde

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Dipsacus sylvestris)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Wilde Karde

Wilde Karde (Dipsacus fullonum), Illustration

Systematik
Euasteriden II
Ordnung: Kardenartige (Dipsacales)
Familie: Geißblattgewächse (Caprifoliaceae)
Unterfamilie: Kardengewächse (Dipsacoideae)
Gattung: Karden (Dipsacus)
Art: Wilde Karde
Wissenschaftlicher Name
Dipsacus fullonum
L.

Die Wilde Karde (Dipsacus fullonum L., Syn.: Dipsacus sylvestris Huds.)[1] ist eine Pflanzenart, die zur Unterfamilie der Kardengewächse (Dipsacoideae) gehört. Der Name Dipsacus kommt aus dem griechischen dipsa für Durst: Nach Regen sammelt sich in den Trichtern der Stängelblätter das Wasser, das Vögel oder Wanderer trinken können.

Wilde Karde (Dipsacus fullonum). Man kann deutlich die zwei Reihen geöffneter Blüten erkennen.

Die Wilde Karde ist eine zweijährige krautige Pflanze, die Wuchshöhen von bis zu 2,0 Meter erreicht. Die Stängel sind stachelig. Die Grundblätter sind kurzgestielt und in einer Rosette angeordnet. Die kreuzgegenständigen Stängelblätter sind in der Basis paarweise zusammengewachsen und am Rand gekerbt. Die ganze Pflanze ist mit spitzen Stacheln übersät.

Die Blütezeit reicht von Juli bis August. Die bei einer Länge von 5 bis 8 cm eiförmig-länglichen, walzenförmigen, köpfchenförmigen Blütenstände sind von stacheligen, auffallend unterschiedlich langen und bogig aufsteigenden Hüllblättern umgeben. Die Tragblätter sind länger als die Blüte. Die Blüten sind zwittrig. Die vier violetten Kronblätter sind röhrenförmig verwachsen.[2] Die Blüte ist blau.

Blütenstand

Die vom Kelch gekrönten Früchte sind häutige, einsamige Nüsse (Achänen).

Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 16 oder 18.[3]

Die Wilde Karde ist eine zweijährige Halbrosettenpflanze. Man nennt sie Zisternenpflanze, weil die gegenständigen, unten verwachsenen Blätter ein Wassersammelbecken (Phytotelm) bilden. Deren Funktion wird als Aufkriechschutz gegen Ameisen interpretiert. Möglicherweise stellt Insektenfang und Ansiedlung von Kleinlebewesen eine zusätzliche Stickstoffversorgung dar.

Blütenökologisch handelt es sich um „Körbchenblumen“. Die Entfaltung der Blüten geht von der Mitte des Blütenstandes aus und schreitet sowohl nach oben wie nach unten fort. Deshalb sieht man oft zwei Reihen von offenen Blüten; die dazwischen sind schon abgeblüht. Die Blüten sind vormännlich, mit einer 1 cm langen engen Röhre und herausragenden Narben und Staubbeuteln. Die Blüten werden reichlich von Insekten besucht. Der Nektar ist nur für langrüsselige Hummeln und Schmetterlinge erreichbar. Auch Selbstbestäubung ist erfolgreich.

Die Wilde Karde ist ein typischer Tierstreuer; ihre Pflanzenteile, insbesondere die Fruchtstände, bleiben am Fell vorbeiziehender Tiere hängen und werden, unterstützt von den elastischen Deckblättern, durch den Rückschlag der ganzen Pflanze meterweit fortgeschleudert. Aber auch der Wind und bestimmte Vogelarten, wie z B.der Stieglitz, verbreiten die Samen der Wilden Karde, wenn die Pflanzen im September oder Oktober die Fruchtreife erreichen. Die in den Fruchtstände befindlichen Samen sind dann soweit gereift, dass sie unter günstigen Bedingungen keimen können.

Inhaltsstoffe und Volksheilkunde

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Wilde Karde enthält das Glykosid Scabiosid, Terpene, Kaffeesäureverbindungen, organische Säuren, Glucoside und Saponine.

Im Mittelalter wurden Zubereitungen aus der Wurzel der Karde äußerlich bei Schrunden und Warzen verwendet.[4] In der Volksheilkunde wird die Wurzel gegen Gelbsucht und Leberbeschwerden, Magenkrankheiten, kleine Wunden, Gerstenkörner, Fisteln, Hautflechten und Nagelgeschwüre empfohlen. Wolf-Dieter Storl führte die Pflanze zur Behandlung von Borreliose ein, bisher kaum mit wissenschaftlichen Belegen für die Wirksamkeit.[5][6] Die Behauptung, getrocknete Pflanzen würden einen wasserlöslichen Farbstoff liefern, der als Ersatz für Indigo diente[2], wird weder durch einschlägige Färbeliteratur[7] gestützt noch kann sie experimentell nachvollzogen werden.

Handwerkliche und technische Anwendung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die stacheligen Blütenköpfe der Weberkarde wurden früher von Webern zum Aufrauen von Wollstoffen benutzt. Dieser Vorgang ist nicht zu verwechseln mit dem Kardieren, bei dem die Rohwolle für das Spinnen vorbereitet wird, was heute maschinell geschieht.

Die Wilde Karde oder Weberkarde stammt aus dem Mittelmeerraum und ist in Deutschland als Archäophyt zu betrachten. Die Pflanzenart ist in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Süd-Niedersachsen verbreitet. Sie kommt zerstreut auch in Nord-Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Brandenburg vor. Im Bergland ist sie selten.[8] In den Allgäuer Alpen steigt sie bis zu einer Höhenlage von 1100 Metern auf.[9] In der Schweiz ist die Wilde Karde im Mittelland und im Jura heimisch, in den Alpen nur in den unteren Lagen der Haupttäler.[10]

Ursprüngliche Vorkommen besitzt die Art in Marokko, Algerien, Tunesien, Portugal, Spanien, Frankreich, Italien, Slowenien, Sardinien, Korsika, Sizilien, Malta, auf der Balkanhalbinsel, in Irland, Großbritannien, Deutschland, Tschechien, Slowakei, Österreich, Ungarn, Polen, Belgien, Niederlande, Schweiz, Rumänien, Moldawien, Ukraine, in der Türkei, Syrien und im Libanon[11], aber auch im Kaukasusraum und in Georgien.[12] In Australien, Neuseeland, in Nordamerika, Bolivien, Ecuador, Uruguay und Argentinien ist sie ein Neophyt, eine Pflanze, die sich in Gebieten ansiedelt, in denen sie zuvor nicht heimisch war.[11]

Die Wilde Karde ist in wärmeren Gebieten insbesondere auf Überschwemmungsflächen, an Ufern, Wegen, auf Weiden und in Ruinen sowohl in den Niederungen als auch im Hügelland zwischen Juli und Oktober anzutreffen. Sie ist in Mitteleuropa eine Charakterart der Klasse Artemisietea.[3]

Für die Wilde Karde bestehen bzw. bestanden auch die weiteren deutschsprachigen Trivialnamen: Agaleia (althochdeutsch), Ageleia (althochdeutsch), Ageley (althochdeutsch), Agelia (althochdeutsch), Agen (althochdeutsch), Aichdam, Bubenstral, Caerde (mittelniederdeutsch), Carde (mittelniederdeutsch), Cart (mittelniederdeutsch), Chart (althochdeutsch), weis Distelen, Färberkarte (Schweiz), Folderskarten, Frau Venus Bad, Gart (mittelhochdeutsch), Garten (mittelhochdeutsch), Hausdistel, Hirtenstab, Immerdurst, Karde, Karden, Kardel (Österreich), Karden, Karp (mittelhochdeutsch), Kart (mittelhochdeutsch), Karta (althochdeutsch), Karten, Kartendisteln, Kartenkrut, Karth (mittelhochdeutsch), Karthe (mittelhochdeutsch), Klette,[13] Roddistel (mittelhochdeutsch), Rotdistel (mittelhochdeutsch), Rottdistel (mittelhochdeutsch), Schuttkarde,[14] güldin Skepter, Sprotdistel (mittelhochdeutsch), Strohle (Schweiz), Strumpfhosenkratzerli (Luzern), rott Tistel (mittelhochdeutsch), Tuchkart (bereits 1515 erwähnt), Venusbad, Walkerdistel (Schlesien), Wandkart, Weberdistel, Weberkarten (Schweiz), Wullkarten (Bremen), Zeisel (mittelhochdeutsch) und Zeisela (mittelhochdeutsch).[15]

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Werner Rothmaler (Begr.), Eckehart J. Jäger (Hrsg.): Exkursionsflora von Deutschland. Band 2. Gefäßpflanzen: Grundband. 19., bearb. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, München 2005, ISBN 3-8274-1600-0.
  2. a b Klaus Becker, Stefan John: Farbatlas Nutzpflanzen in Mitteleuropa. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, 2000, ISBN 3-8001-4134-5, S. 218.
  3. a b Erich Oberdorfer: Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete. Unter Mitarbeit von Angelika Schwabe und Theo Müller. 8., stark überarbeitete und ergänzte Auflage. Eugen Ulmer, Stuttgart (Hohenheim) 2001, ISBN 3-8001-3131-5, S. 885.
  4. Gerhard Madaus: Lehrbuch der Biologischen Heilmittel. Hildesheim 1979, Band II, S. 1225.
  5. Jens Behnke: Borreliose-Tagung in der Münch-Ferber-Villa. In: Natur und Medizin. Mitgliederzeitschrift der Fördergemeinschaft der Carstens-Stiftung. Nr. 5, September/Oktober 2013, S. 18–19.
  6. T. Liebold, R. K. Straubinger, H. W. Rauwald: Growth inhibiting activity of lipophilic extracts from Dipsacus sylvestris Huds. roots against Borrelia burgdorferi s. s. in vitro. In: Die Pharmazie. Band 66, Nr. 8, 1. August 2011, ISSN 0031-7144, S. 628–630, PMID 21901989.
  7. Schweppe, Helmut: Handbuch der Naturfarbstoffe. Hamburg, 1993
  8. Eckehart J. Jäger (Hrsg.): Exkursionsflora von Deutschland. Gefäßpflanzen: Grundband. Begründet von Werner Rothmaler. 20., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2011, ISBN 978-3-8274-1606-3.
  9. Erhard Dörr, Wolfgang Lippert: Flora des Allgäus und seiner Umgebung. Band 2, IHW, Eching 2004, ISBN 3-930167-61-1, S. 540.
  10. Konrad Lauber, Gerhart Wagner: Flora Helvetica. Flora der Schweiz. 2. Auflage, Haupt Verlag, Bern Stuttgart Wien 1998. S. 1026.
  11. a b Dipsacus im Germplasm Resources Information Network (GRIN), USDA, ARS, National Genetic Resources Program. National Germplasm Resources Laboratory, Beltsville, Maryland. Abgerufen am 21. April 2018.
  12. G. Domina (2017+): Dipsacaceae. – In: Euro+Med Plantbase - the information resource for Euro-Mediterranean plant diversity. Datenblatt Dipsacaceae
  13. Heinrich Marzell: Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen. Bd. 1. 1943. S. 151.
  14. Heinrich Marzell: Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen. Bd. 1. 1943. S. 151.
  15. Georg August Pritzel, Carl Jessen: Die deutschen Volksnamen der Pflanzen. Neuer Beitrag zum deutschen Sprachschatze. Philipp Cohen, Hannover 1882, Seite 135.(archive.org).
Commons: Wilde Karde – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien