Diskussion:Salige Frau
Salige Fräulein und die hilfreichen Zwerge
[Quelltext bearbeiten]Es ist billig, die Saligen Frauen lediglich anhand einiger Sagen bruchstückhaft zu beschreiben, obwohl sie eine komplexe Erscheinung sind und zahlreiche Einzelheiten der mündlichen Überlieferung wie auch einige Fakten der Völkerkunde es erlauben, sie zu interpretieren. Zunächst fällt auf, dass es ledige und verheiratete Salige gibt, also Salige Fräulein und Salige Frauen. Vor der Heirat stellt das Salige Fräulein dem künftigen Ehemann eine Bedingung. Die lautet zwar in jeder Überlieferung anders, doch wenn wir eine größere Anzahl von Texten vergleichen, kehren dieselben Forderungen wieder. Der Mann muss Folgendes versprechen: nicht zu schimpfen – nicht zu schlagen – keine Geliebte zu haben – keine Anspielungen auf die Mitgliedschaft im Frauenbund zu machen – der Frau einen Tag zu gewähren, an dem sie tun kann, was sie möchte. Diese Forderungen verleihen dem Urbild des Saligen Fräuleins unbestreitbar irdische Züge. Zugleich damit zeichnen sich zwei Auffassungen von der Stellung der Frau ab. Offenbar stammen die Überlieferungen aus einer Zeit, als die Rechte der Ehefrauen nicht mehr selbstverständlich waren, sonst hätte der Mann ihre Einhaltung nicht eigens geloben müssen. Was den Sinneswandel bewirkte, wurde bisher nicht erforscht. Möglicherweise war es das Pflügen mit Rindern. Nachdem der von Rindern gezogene Pflug eingeführt wurde, vermerkt der Historiker George Thomson, ging der Ackerbau in die Hand der Männer über (was übertrieben sein mag, da viele Arbeiten auf dem Feld nach wie vor von den Frauen erledigt wurden). Und er fügt hinzu, dass man diesen Vorgang in einigen Teilen Afrikas, in denen der Pflug eine Neuerwerbung darstellt, „noch heute“ [d.h. um 1950] gut verfolgen kann (Frühgeschichte Griechenlands und der Ägäis, S. 19). In der westlichen Sahara, bei den Mauren, war eine von den Bedingungen der Saligen-Ehe bis in unsere Tage Gegenstand eines förmlichen Abkommens zwischen Eheleuten. Dort wurde schriftlich und vor Zeugen ein Ehevertrag geschlossen, in dem sich der Mann verpflichtete, keine weitere Frau zu heiraten und seiner Frau unbedingt die Treue zu halten, andernfalls würde sie sich von ihm trennen. Obwohl der Islam dem Mann mehrere Ehefrauen gestattet, setzten die Maurinnen sich durch. Peter Fuchs hält dies für ein mögliches Erbe ihrer matriarchalischen berberischen Vergangenheit (Menschen der Wüste, S. 92-93.) Als der Mann sein Versprechen bricht, zieht sich die Salige zurück – sie verschwindet. Dieser Ausgang lässt mehrere Schlüsse zu. Wir dürfen annehmen, dass sie wirtschaftlich nicht von ihrem Mann abhängig war, denn andernfalls hätte sie bei ihm bleiben müssen. Offenbar fand die Salige Zuflucht und Aufnahme in einer anderen Gemeinschaft, sonst hätte sie nicht von Zeit zu Zeit wiederkehren können, um, wie in der Überlieferung geschildert, die kleinen Kinder zu pflegen. Drittens entsteht der Eindruck, dass die Scheidung leicht zu bewerkstelligen war. Wohin die Salige nach dem Zerwürfnis verschwindet, wird niemals mitgeteilt, die Erzähler wussten es nicht. Wir glauben es zu wissen: Sie zog sich in die Hausgemeinschaft zurück, in der sie aufgewachsen war. Wenn die Salige kleine Kinder hat, kehrt sie noch eine Weile heimlich wieder, um diese zu pflegen: Der Säugling wird gestillt, die älteren Kinder werden gewaschen und gekämmt. Laut Überlieferung geschieht es heimlich, in Abwesenheit des Vaters. Das für die Erzählgemeinschaft rührende Verhalten können wir durch das Gewohnheitsrecht der Kpelle, einer Ethnie in Liberia, juristisch begründen: Wurde die Ehe auf Antrag der Frau gelöst, dann verblieben die Kinder dem Manne; einen Säugling aber behielt die Mutter bis zur Entwöhnung, um ihn dann dem Vater zu übergeben (Diedrich Westermann: Die Kpelle, S. 63). Durch diese Entsprechung wird die Gestalt der Saligen als historisch bezeugt. In zweiter Linie fällt auf, dass die Saligen Fräulein durch ein auffälliges Merkmal den hilfreichen Zwergen gleichen – den Heinzelmännchen, Wichteln, Hütchen, Sgönauken, Hollen, Heugüteln, Kasertörggelen, Lutken und Seemännlein; den wilden Fräulein, Guten Leuten, Waldweibchen, Erdweiblein, Nachtfräulein, Seejungfrauen, Meerfräulein, Elfen und Feen. All diese Gestalten halten sich in der Nähe der Siedlungen auf, helfen den Menschen bei der Arbeit, werden dafür verköstigt und suchen nach Einbruch der Kälte Unterschlupf bei den Bauern. Im Falle der Arbeiten, die sie verrichten, handelt es sich in der Regel um Tätigkeiten, die weder viel Kraft, noch Übung, noch Erfahrung voraussetzen. Vermutlich waren ihre Urbilder Halbstarke, die an einem Initiationsritus teilnahmen und durch die Einführung ins Ar-beitsleben sozialisiert worden sind. Währenddessen hausten sie in der Nähe des Dorfes in Höhlen oder anderen primitiven Unterkünften. Die Erzähler heben verwundert hervor, dass es sich beim Aufenthalt auf dem Bauern-hof um keinen Dienst handelt, denn die Saligen Fräulein erhalten keinen Lohn. So war es in Tirol: Die Seligen durften für die geleistete Arbeit weder Dank noch Geschenk annehmen (Die Seligen in Schrambach). – Die Salige schaffte unentgeltlich vom frühen Morgen bis in die späte Nacht in Haus und Stall (Die Salige zu Oberhamm). – Auf der Gemeinschaftsalm Sojat in Prägraten arbeiteten zwei Salige Mädchen den ganzen Tag über fleißig und unentgeltlich (Die blonden Zöpfe). – Zum Garn-Hof in Schnauders kamen zwei Selige Weiblein uneingeladen zum Schwarzplentenschneiden (Beim Plentenschneiden). – Das Selige Weiblein beim Hofer in Ridnaun erledigte alle Heuarbeit und kümmerte sich um das Haus und die Kinder, nahm aber weder Lohn noch Vergütung für die viele Arbeit (In Ridnaun). – Die Saligen Fräulein aus dem Vintschgau halfen oft beim Flachs- und Getreideschnitt, durften aber keine Belohnung akzeptieren (Die verbannte Salige auf dem Piz Lat). So war es auch in Kärnten: Die Saligen Frauen verkehrten gern mit den Menschen und kamen aus ihren Höhlen herunter, um bei häuslichen und Feldarbeiten zu helfen, nur durfte man ihnen dafür keinen Lohn geben (Die saligen Frauen des Möll- und Drauthales). Für die Arbeit auf dem Feld stand den Helferinnen ein Imbiss zu: Wenn die Saligen gruppenweise beim Heuen oder beim Schnitt mithalfen, erhielten sie einen Imbiss (Die wilden Bergfräulein in Martell, aus Tirol; Die seligen Weiber in Spiluck, aus Tirol; Salige Frauen in Neusach, aus Kärnten). Den Gruppen von Halbstarken, die sich in einem Sommerlager aufhielten, stellten die Bauern eine Kuh zur Verfügung – so ist es zu verstehen, dass die Saligen im Winter ihre Kuh bei den Bauern eingestallt haben (Das Zwirnknäuel, aus Tirol; Die Kuh der Saligen, aus Tirol). Aus einem Grund, den wir nicht kennen, sollte der Kontakt zu den Erwachsenen auf das Notwendigste beschränkt bleiben. Zum Beispiel: Die Saligen halfen bei der Heuernte, sobald die Schnitter eine Pause machten oder abzogen (Von den Saligen, aus Tirol). Übereinstimmend damit glaubten die Slowenen laut Friedrich S. Krauss, dass die Vilen mittags, wenn die Mäherinnen sich ausruhten, die Sensen ergreifen und die Arbeit fortsetzen. Die Saligen oder Wilden Frauen am Weißensee schnitten nachts, wenn sie von niemandem belauscht wur-den, für ein Stötzl Milch das Weizenfeld (Salige Frauen in Neusach, aus Kärnten). Wo am nächsten Tag gearbeitet werden sollte, wurde symbolisch bezeichnet: In Spiluck stellte man den Seligen Weibern Milch und „gegromm’lte Bröcke“ aufs Feld oder wo gerade die Arbeit drängte, und am Morgen war die ganze Arbeit verrichtet (Die seligen Weiber in Spiluck, aus Tirol). Die Vermutung, dass es einen vorgeschichtlichen Frauenbund gegeben hat, ist nicht aus der Luft gegriffen. Dafür enthalten eben die Erzählungen über Salige Indizien. Die Saligen Fräulein hatten einen zweiten Namen, der geheim war. In einer Überlieferung aus dem Vintschgau wird vermerkt, dass es sich bei dem verheimlichten Namen um den eigentlichen, wahren Namen handelt, den sie im Saligenreigen führten; wer das Gelöbnis bricht, wird aus dem Verband der Saligen ausgestoßen und verbannt (Die verbannte Salige auf dem Piz Lat). Eine Bedingung der Saligen-Ehe lautet, der Ehemann dürfe sich nicht nach jenem Namen erkundigen. Eine andere Bedingung lautet, er soll niemals versuchen, ihre nackten Schultern zu sehen, womit die Neugier nach den Bundesmarken gemeint ist (Die Fee vom Rizzanese, französisch aus Korsika). Vergleichen wir mit den Kpelle: Dort durfte sich eine Frau nicht nach der Bedeutung der Narben auf dem Rücken ihres Mannes erkundigen. „Gibt sie aber auf eindringliches Fragen zu, sie zu kennen, so muss sie gestehen, von wem sie dieses Wissen habe, vom Vater, Mann oder Liebhaber; dieser wird daraufhin beim Häuptling angeklagt und hat eine Strafsumme zu zahlen.“ (Diedrich Westermann: Die Kpelle, S. 233.) In Europa war die Erinnerung an solche Einzelheiten längst verblasst, was zu Entstellungen führte: Der Mann dürfe die Frau nicht nackt sehen (Melusinen-Sage, französisch) – er dürfe sie nicht bei Kerzenlicht ansehen (Die Heirat mit der Hexe, italienisch aus Welschtirol). Wenn wir annehmen, dass die Saligen Mitglieder eines vorgeschichtlichen Frauenbundes waren, können wir drei Ränge ausmachen: die Initiandinnen, die einfachen Mitglieder und Frauen in Führungsposition, die wetterkundig waren und sich auf Geburtshilfe verstanden. Hans Fink (Gießen) (nicht signierter Beitrag von 2003:CC:7F12:C700:B1B3:A2E4:E2BB:DC43 (Diskussion) 20:01, 10. Nov. 2020 (CET))