Reitkunst

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Die Reitkunst entstand ab 1453 in Süditalien als höfische Präsentation des Pferdes zum Zweck der prunkvollen Darstellung des Reiters, meist der höheren Fürsten. Sie präsentiert das Pferd als Kunstwerk und das Reiten als Kunst. Sie umfasst auch die Präsentation des Pferdes an der Hand.[1]

Die Reitkunst ist Reiten als freie schöpferische Gestaltung und subjektiver Ausdruck. Das Aussehen der Pferde, ihre Farbe und die Kleidung des Reiters sind individuell unterschiedlich. Die benutzten Pferde basieren auf dem Typ des antiken Nisäers, der ab 1453 in die alten europäischen Rassen gezüchtet wurde.[1] Das heißt, die benutzten Pferde (PRE, Lusitano, Lipizzaner etc.) haben weiche Gänge, ca. 160 cm Stockmaß, eine starke Hinterhand und eine volle Kruppe. Man bildet das Pferd durch schwingendes Senken der Hanken (Piaffe) bis in Pesade und Schulsprünge aus. Dieser Stil wird oft auch als akademisch, Barockreiten oder als iberisch bezeichnet, entstand jedoch in der Renaissance. Die Winkelung der Hanken des Pferdes muss von der Morphologie her so stark sein, dass eine Verlagerung des Gewichts von Pferd und Reiter auf diese möglich ist, ohne den Schwung zu verlieren. Bevorzugt sollte das Pferd daher einen relativ kurzen Rücken haben, um Last aufnehmen zu können. Historisch benutzt man daher keine auf dem Achal-Tekkiner basierende Rennpferde zur Reitkunst.[1]

Beim Sportreiten geht es im Gegensatz hierzu um das Erreichen von Zielen. Es werden kontrollierbare gleichförmige Aufgaben gestellt, um einen Gewinner im Wettbewerb festlegen zu können. Die Pferde und die Kleidung des Reiters sind daher gleich. Bestimmt wird der Sport durch den historischen Einfluss der englischen Vollblüter (bzw. des Achal-Tekkiners Darley Arabian) im 19. Jahrhundert.[1] Daher benutzt man Pferde, die zwischen 160 und 175 cm Stockmaß haben, ausgreifende Gänge haben, schlank, langrückig und langbeinig sind und meist einfarbig braun. Dieser Stil wird oft als englisch bezeichnet. Er nutzt teils ein Echo der Reitkunst-Übungen in der Dressur, wobei man jedoch oft aufgrund der mangelnden morphologischen Voraussetzungen auf die Hankenbiegung verzichtet.[1]

Geschichte und Entwicklung

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Die ältesten Zeugnisse der Techniken der Reitkunst lassen sich bis ins antike Griechenland zu Xenophon (um 400 v. Chr.) zurückverfolgen.[2] Es ist wahrscheinlich, dass sich diese in Byzanz und in der byzantinischen Armee erhielten.

Die Anfänge der Reitkunst entstehen sodann nach dem Zusammenbruch von Byzanz durch die Einnahme durch die Türken im Jahr 1453 durch den Import von Pferden aus den ehemaligen byzantinischen Ställen, die man daher oft als 'türkisch' bezeichnet. Hinzu kommt die Immigration von albanesischen Stradioten, d. h. den Resten der byzantinischen Armee, mit Erlaubnis von Alfonso V. von Trastamara, dem König von Neapel. Schulprünge wie etwa die Kapriole werden sodann ab ca. 1516 beschrieben, etwa durch Federico II. Gonzaga und Galeazzo Sanseverino am Hof von Franz I. in Amboise.[1]

Die fortschreitende Veränderung des Militärwesens durch die Verbreitung der Feuerwaffen 15. bis 16. Jahrhundert beendet in diesem Moment zunehmend die Zeit der gepanzerten Ritter und führt zur Einführung der leichten Reiterei unter Giovanni delle Bande Nere, der ebenfalls türkische Pferde und Stradioten benutzt und sich die Reitkunst zu Nutze macht.[1]

Die Techniken der Reitkunst werden zuerst von Federigo Grisone in 'Ordini di Cavalcare' 1550 beschrieben und abschließend von Francois Robichon de la Gueriniere in nunmehr akademischer Weise zusammengefasst (Ecole de Cavalerie – 1731–1733).

Mit der Französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts kommt es zum abrupten Untergang der höfischen Reitkunst. Dies ist auch in Deutschland und England der Fall. Die „Anglomanie“[3] genannte Zuchtauswahl und Bevorzugung englischer Vollblüter im 19. Jahrhundert bringt die großen Reitkunst-Rassen wie die Sachsen, Oldenburger und Neapolitaner zum Absterben.

Die Einführung großer Kavallerieeinheiten und die Notwendigkeit einer Schnellausbildung für Reiter und Pferd im 19. und Anfang 20. Jahrhundert und die Entscheidung, den Reitsport auf den Prinzipien der Militärreiterei aufzubauen, beendet die tiefgreifende künstlerische Ausbildung des Pferdes. Lediglich Portugal und Spanien erhalten die Reitkunst durch den Stierkampf und Österreich bewahrt sie in der Spanischen Hofreitschule.[1]

Eine Reitschule auf einem Guckkastenblatt um 1760

Klassische Reitkunst

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Die Bezeichnung „klassische Reitkunst“ bezieht sich nicht auf die kulturgeschichtliche Epoche der Klassik, sondern auf deren Status als Klassiker (=allgemeingültig / modeunabhängig).[4]

Dieser seit ein paar Jahren in Deutschland verwendete Terminus ist eine Finesse. Da keine heutige Reitweise ausschließlich auf der Antike oder der Weimarer Klassik aufbaut, den Zeitperioden, die man üblicherweise als klassisch bezeichnet, nennen sowohl Reiter, die den Stil von Renaissance und Barock bevorzugen als auch Reiter, die im englischen Sportstil reiten ihren Stil ‚klassisch‘. Der Begriff ist weder definiert noch geschützt und stellt lediglich einen Kompromiss dar, um jedem historisch basierten Reitstil gerecht zu werden.[1]

Reitkunst heute

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In Portugal und Spanien wird bis heute in der Reitkunst des 15. bis 18. Jahrhunderts geritten und Hofreitschulen wurden in Jerez de la Frontera und in Queluz eröffnet. In Frankreich wurde ab 2003 die Accademie equestre in Versailles geschaffen. In Deutschland beginnt mit der Hofreitschule Bückeburg eine Wiederbelebung der alten Reitkunst.

Die spanische Reitkunst Doma Clásica ist der klassischen Reitkunst sehr ähnlich, zeigt aber zusätzlich folkloristische Elemente (z. B. Spanischen Schritt). Speziell die portugiesische Reitkunst umfasst auch typische Elemente der barocken Reitkunst.

Grundsätze der Reitkunst sind Sprezzatura sowie Takt, Gleichgewicht und Schwung.[1]

Sprezzatura ist dabei die Abwesenheit von Zwang und die völlige Losgelassenheit.[5]

Das Pferd wird als künstlerisches Medium verstanden, das es seinen Fähigkeiten entsprechend in Szene zu setzen gilt. Dabei soll der Reiter eine gute Figur machen und das Pferd mit unsichtbaren Hilfen steuern.[6][7]

Übung „Aufsitzen“ aus Johann Elias Ridingers Vorstellung und Beschreibung derer Schul und Campagne Pferden nach ihren Lectionen von 1760

Zu den Lehrmitteln gehören die Bücher zahlreicher europäischer Rittmeister, wie etwa der Italiener Federigo Grisone und Cesare Fiaschi, des Engländers William Cavendish, Herzog von Newcastle, der Franzosen Antoine de Pluvinel und De la Guériniere, des Portugiesen Manoel Carlos de Andrade oder der Deutschen Georg Engelhard von Löhneysen und des Barons von Eisenberg.

Die Reitkunst ist wie alle Arten von Kunst frei und schöpferische Freiheit ist daher eine Grundregel. Sie orientiert sich am Körperbau und der Leistungsfähigkeit des Pferdes.[1]

Die Reitkunst umfasst die Grundgangarten, kennt aber aufgrund der Nutzung von Reitkunst-Pferden, die auf dem antiken Nisäer basieren, keine Gangverstärkungen.[1] Als übliche Lektionen der Schulen auf der Erde haben sich zur korrekten Ausbildung und Gymnastizierung des Pferdes eingebürgert:

Die Schule über der Erde umfasst:

Viele Lektionen werden in der Arbeit an der Hand entwickelt, auch die im 17. Jahrhundert in Gebrauch gekommenen Pilaren dienen als Ausbildungshilfe, werden jedoch schon von Newcastle abgelehnt.

Derzeit demonstrieren die Reitkunst unter anderem:

  • Ulrike Ortrere: Die Geschichte des Reitens (= ArtEquestre Geschichte des Reitens. Band 1), ISBN 979-8-33378682-1.
  • Johann Baptista Galiberti: Neugebahnter Tummelplatz und eröffnete Reitschul. Sambt beygefügter Gestüttordnung und gründlicher Einzäumung, wie auch der Pferde Cur und Artzney […] Ins Deutsche übersetzt von Matthaeus Drummer von Pabenbach. Leipzig 1984 (Erstausgabe: Michael Rieger, Wien 1660).
  • François Robichon de la Guérinière: Reitkunst. 1817, ISBN 3-487-08288-8 (französisch: Ecole de cavalerie. Übersetzt von J. D. Knoell, Erstausgabe: 1733). Moderne deutsche Übersetzung: Reitlehre, Gueriniere.
  • Nuno Oliveira: Gedanken über die Reitkunst. 1999, ISBN 3-487-08383-3.
  • Philippe Karl: ReitKunst. Klassische Dressur bis zur Hohen Schule. 1999, ISBN 3-405-15826-5.
  • Anja Beran: Aus Respekt. 2008, ISBN 978-3-930953-14-1.
  • Horst Stern: So verdient man sich die Sporen. Kosmos, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-440-14476-3 (Originaltitel: So verdient man sich die Sporen. Reiten lernen, wie es selten im Buche steht. Erstausgabe: Franckh, Stuttgart 1961).

Einzelnachweise

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  1. a b c d e f g h i j k l Ulrike Ortrere: Die Geschichte des Reitens (= ArtEquestre Geschichte des Reitens. Band 1), ISBN 979-8-33378682-1.
  2. Xenophon, Übersetzung von du Paty de Clam: Reitkunst. In: Die Wagen und Fahrwerke der Griechen und Römer. Johann Chr. Grinzrot, 1817.
  3. Otto Digeon von Monteton: Über die Reitkunst. Georg Olms, Hildesheim 1995, ISBN 3-487-08346-9 (unveränderter Nachdruck von Anglomanie und Reitkunst 1877 und Reiter-Predigten. Ursache und Wirkung 1879).
  4. Berthold Schirg: Reitkunst im Spiegel ihrer Meister. Band 1, 1987.
  5. Baldassare Castiglione, Il Corteggiano
  6. Fürstliche Hofreitschule Bückeburg (Hrsg.): Schulen und Touren der barocken Reitkunst. 2011, DVD (akademie.hofreitschule.de).
  7. Johann B. von Sind: Vollständiger Unterricht in den Wissenschaften eines Stallmeisters. 1770.