Dorak-Affäre

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Dorak-Affäre wird ein Skandal um eine Reihe archäologischer Funde der Yortan-Kultur genannt, in dessen Mittelpunkt sich der britische Archäologe James Mellaart und der angeblich von ihm in Augenschein genommene sogenannten Dorak-Schatz befand. Mellaart behauptete, in den 1950er Jahren außergewöhnliche Grabbeigaben in Izmir gesehen zu haben, welche sich im Besitz einer griechischen Familie befunden hätten. Spätere Untersuchungen konnten jedoch Mellaarts Darstellungen nicht bestätigen, was Anfang der 1960er Jahre den Verdacht aufkommen ließ, dass er den Schatz ohne behördliche Genehmigung außer Landes geschafft hatte. Möglicherweise hat es den Schatz nie gegeben.

Im November 1958 wandte sich James Mellaart an seine Kollegen David Stronach und Seton Lloyd, um von einer erstaunlichen archäologischen Entdeckung zu berichten, welche er in Izmir gemacht haben wollte. Konkret sei ihm im Haus einer jungen Griechin aus Izmir ein Goldschatz aus der Zeit um 2500–2300 v. Chr. gezeigt worden. Die Geschichten, die er den beiden unabhängig voneinander vortrug, wiesen in zentralen Aspekten teilweise erhebliche Unterschiede auf. Auch später sollte Mellaart die Geschichte in zentralen Details immer wieder anpassen.

Gegenüber Stronach erklärte Mellaart, dass er vor sieben Jahren, also 1951, auf einer Zugfahrt nach Izmir auf eine junge Frau getroffen sei. Ihm sei ein güldenes, Troia-II-zeitliches Armband an ihr aufgefallen, woraufhin er sie auf dieses angesprochen habe. Sie habe sich ihm daraufhin als Griechin mit dem Namen Anna Papastrati vorgestellt. Schließlich sei er mit zu ihr nach Hause gegangen, wo sie ihm eine Sammlung von archäologischen Artefakten gezeigt habe, die sich schon lange im Besitz ihrer Familie befunden hätten. Zwei ihrer Onkel hätten die Artefakte zwischen 1919 und 1922, zur Zeit des Griechisch-Türkischen Krieges, aus einem Grab beim Dorf Dorak geborgen. Er habe daraufhin mehrere Tage im Haus der Griechin zugebracht. Es sei ihm ausdrücklich untersagt gewesen, die Schmuckobjekte zu photographieren, jedoch habe er Zeichnungen anfertigen dürfen. Weitere Personen erwähnte er in seiner Geschichte nicht. Stronach fielen hier – auch durch den Abgleich mit der Geschichte, welche Mellaart Lloyd vorgetragen hatte, bald Ungereimtheiten an der Darstellung Mellaart auf.[1] Lloyd gegenüber präsentierte Mellaart eine ähnliche Geschichte, jedoch behauptete er hier, dass der Grund für das Fehlen von Photographien darin bestünde, dass er keine Kamera bei sich getragen hatte, als er das Haus der jungen Griechin betrat. Weiterhin gab er an, das Treffen habe vor „einigen Jahren“ stattgefunden. Außerdem zeigte er Lloyd seine Skizzen, sowie eine Reihe von Notizen, die auf Neugriechisch verfasst und die angeblich den Funden beigefügt worden waren.[2] Auf eine spätere Anfrage Lloyds, die Originalskizzen einzusehen, sollte Mellaart später erklären, dass er sie entsorgt habe, obwohl er sie noch besaß.[3]

Bei einem Gespräch im Juli 1966 behauptete Mellaart gegenüber Kenneth Pearson und Patricia Connor hingegen, die Zugfahrt habe im Frühsommer 1958 und nicht 1951 stattgefunden. Auch hier gab er an, dass der Grund für das Fehlen von Photos darin liege, dass ihm das Photographieren untersagt worden sei. Eine Kamera habe er nicht bei sich getragen, aber es sei ihm auch untersagt worden, jemanden mit einer Kamera herzuholen. Sie habe aber zugesagt, ihm die Photos später zuzuschicken. Er erklärte, dass er drei oder vier Nächte in dem Haus der Griechin verbracht habe und zu keinem Zeitpunkt während dieser Zeit das Haus verlassen habe. Neben der jungen Frau, die Mellaart auf 20 oder 21 Jahre schätzte, hätten sich in diesem Haus ein alter Mann und möglicherweise auch eine ältere Frau befunden. Die Griechin habe Englisch mit einem amerikanischen Akzent gesprochen. Des Weiteren berichtete Mellaart, dass das Mädchen ihm zwei Photos mit Bildern von Skeletten gezeigt habe. Es seien auch wissenschaftliche Notizen in Griechisch vorhanden gewesen. Zusammen mit dem Mädchen habe er die Kommentare ins Englische übersetzt. Er empfand, dass das Mädchen während dieser Zeit ängstlich gewirkt habe. Die Adresse des Hauses sei 217 Dirkik Straße gewesen.[4] Nach einer widersprechenden Darstellung Mellaarts habe sie im Zug noch keinen Goldschmuck getragen, sie seien jedoch in ein Gespräch über Archäologie geraten, in dem sie ihm offenbart habe, dass sie im Besitz von antiken Kunstobjekten sei.[5]

Mitte Oktober 1958 traf dann ein Brief im Britischen Archäologischen Institut in Ankara ein, in dem Mellaart als stellvertretender Direktor tätig war. Der Inhalt lautete:[6]

„Dear James, Here is the letter you want so much. As the owner, I authorise you to publish your drawings of the Dorak objects, which you drew in our house. You always were more interested in these old things than in me! Well, there it is. Good luck, and goodbye. Love, Anna Papastrati.“

Datiert war das Schreiben auf I8/I0/I958, der Absender lautete Miss Anna Papastrati, Kazim Direk Caddesi no. 2i7 Karşiyaka - Izmir.

Seton Lloyd nahm die Zeichnungen Mellaarts daraufhin auf seiner nächsten Reise nach London mit, um sie anderen Archäologen und Kunsthistorikern zu zeigen. Die Experten betrachteten das Material als authentisch und empfahlen eine Veröffentlichung. Da jedoch noch immer keine Photos vorhanden waren, schloss Seton Lloyd eine wissenschaftliche Veröffentlichung aus. Schließlich entschieden sie sich dafür, einen ausführlichen Artikel in der Illustrated London News zu verfassen, einer angesehenen Zeitschrift, die regelmäßig über archäologische Entdeckungen berichtete. Der vierseitige, reich illustrierte Artikel wurde am 28. November 1959 unter dem Titel The Royal Treasure from Dorak – a first exclusive account of a clandestine excavation leading to the most important discovery since the royal graves of Ur veröffentlicht. Da Mellaarts Bericht über seine Entdeckung nicht verifiziert werden konnte, hielt sich die wissenschaftliche Rezeption der Entdeckung in der Folge in Grenzen.[7] Die Veröffentlichung sollte langfristige negative Auswirkungen auf Mellaarts akademischen Ruf und auf seine Karriere haben.[8] Nachforschungen der türkischen Behörden und von Journalisten hatten ergeben, dass die Adresse in der Kazim Direk Caddesi zu einem Geschäftshaus in einer Straße gehörte, in der keine Wohnhäuser lagen. Es stellte sich allerdings auch heraus, dass es zeitweilig mindestens zwei derartige Straßen in Izmir gegeben hatte, und dass zusätzlich die Straßen mehrfach umbenannt worden waren. Faktisch war die Adresse nicht ermittelbar.[9] Auch die Stücke, die Mellaart beschrieb, tauchten zu keinem Zeitpunkt in Sammlungen oder auf dem legalen Kunstmarkt auf.[10]

Im Mai 1962 trat die mit einer Auflage von 200.000 Exemplaren zweitgrößte türkische Zeitung, Milliyet (Die Nation) eine dreitägige Pressekampagne gegen Mellaart los. Die Kampagne begann mit einem Leitartikel, in dem Mellaart vorgeworfen wurde, er habe Kunstwerke im Wert von einer Milliarde Lira aus dem Land geschafft. Es wurden Augenzeugen zitiert, die einen dicklichen Ausländer in der Nähe der Fundstellen bei Dorak in Begleitung einer Frau gesehen haben wollten. Ein Zeuge habe sogar Mellaart eindeutig identifiziert.[11] Die „Aufarbeitung“ der Ereignisse nahm damit derart bizarre Züge an, dass der Sunday Times-Redakteur Kenneth Pearson gemeinsam mit der Archäologin und BBC-Mitarbeiterin Patricia Connor umfangreiche Recherchen zum Thema durchführte. Ihre Ergebnisse wurden schließlich 1967 als Buch mit dem Titel The Dorak Affair veröffentlicht.

1964 erreichte der Druck der Öffentlichkeit einen Punkt, an dem die türkische Regierung Mellaart Ausgrabungen in Çatalhöyük zunächst untersagte und ihm 1965 schließlich nur erlaubte, in die Türkei einzureisen, wenn er sich lediglich als Assistent an Ausgrabungen beteilige. Ein im Jahr 1968 eingesetzter Untersuchungsausschuss des Britischen Archäologischen Instituts in Ankara gelangte in seinem Abschlussbericht zu dem Schluss, dass Mellaarts Darstellung der Wahrheit entspreche, die Zeichnungen auf echten Artefakten beruhten und er sich zu keiner Zeit irgendwelchen illegalen Aktivitäten schuldig gemacht hatte. Ohnehin war 1960 eine Generalamnestie ausgesprochen worden, Mellaart wäre also selbst in dem Fall, dass er tatsächlich an einem Schmuggel beteiligt gewesen wäre, rechtlichen Konsequenzen entgangen.[12]

Debatte um den Schatz von Dorak

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Die Frage nach der Wahrheit hinter der Affäre ist Gegenstand umfangreicher Debatten gewesen. Auffällig ist, dass der fragliche Brief von Anna Pappastrati Ähnlichkeiten mit der von seiner Ehefrau in seinem Institut benutzten Schreibmaschine und mit Mellaarts sonstiger Korrespondenz aus der Zeit aufweist. Im Brief erscheint anstelle der Ziffer 1 der Buchstabe I, der nicht durch Drücken der Zahlen-, sondern der Buchstabentaste erzeugt wurde.[13]

Die türkischen Behörden und Medien betrachteten Mellaart als Teil eines Schmugglerrings, der die fraglichen Objekte ausgegraben habe und außer Landes schaffen wollte. Pearson und Connor sowie später auch Mellaart selbst argumentierten jedoch, dass er von kriminellen Kräften abgepasst und in eine romantische Beziehung verwickelt worden war, um mit seinem Namen die Authentizität des Schatzes zu untermauern. Gegen diese Annahme spricht jedoch der Umstand, dass der Schatz oder Teile von ihm niemals auf dem internationalen Kunstmarkt aufgetaucht sind.[14] In den unzähligen Manuskripten, welche nach Mellaarts Tod aus seinem Büro geborgen werden konnten, fand sich überdies auch ein Manuskript mit mehr als 60.000 Worten, welches von dem Dorakschatz handelt. Es bleibt jedoch offen, wie Mellaart in der Lage gewesen sein soll, so viele Details aus Artefakten und Notizen zu sammeln, die er lediglich einmal während eines „langen Wochenendes“ gesehen hatte und die in Griechisch verfasst waren, einer Sprache, die er nicht beherrschte.[15] David Stronach verweist auf den Umstand, dass die „Honigfallentheorie“ zugleich die einzige Möglichkeit für Mellaart war, sein Ansehen in der Fachwelt zu wahren.

Weiterhin wird mitunter angenommen, dass Mellaart die gesamte Geschichte aus reinem Vergnügen, also zum Scherze erfunden habe. Diese Annahme wird jedoch dadurch in Frage gestellt, dass Mellaart Archäologie nicht als etwas betrachtete, das man für sein Vergnügen missbrauchen kann und es weiterhin unwahrscheinlich erscheint, dass er lediglich für einen solchen Scherz eine Liaison mit einer Griechin erfunden und damit seine noch nicht lange andauernde Ehe aufs Spiel gesetzt hätte.

Stronach vertritt eine gegensätzliche Theorie: Er argumentiert, dass die Grabungssaison 1958 enttäuschend verlaufen war und Suton Lloyd, zu dieser Zeit Leiter des Britischen Archäologischen Instituts in Ankara, Mellaart, der für die Auswahl der Grabungsstätte zuständig gewesen war, dafür verantwortlich machte. Lloyd soll sich über den von Mellaart gewählten Grabungsort lustig gemacht und den Wert der anatolischen Kultur der Frühzeit als Solches in Frage gestellt haben. Diese Kritik, nach der Darstellung Stronachs vor allem letztere, habe Mellaart schwer getroffen. Aus dieser Kränkung und im Bestreben, den herausragenden Wert der anatolischen Kultur zu beweisen, hätte er einen Schatz mit fabelhaften Kunstobjekten erfunden, geeignet, die Existenz eines mächtigen westanatolischen Reiches zur Zeit der Troer zu belegen. Die Geschichte mit der Griechin habe ihm dabei lediglich als Überbau dienen, um die Herkunft dieses Schatzes zu erklären.[16]

  • Kenneth Pearson & Patricia Connor: Die Dorak-Affäre. Schätze, Schmuggler, Journalisten, Wien / Hamburg 1968.
  • Eberhard Zangger: James Mellaart’s Fantasies. In: Talanta. Bd. 50 (2018), S. 125–82 (Digitalisat).
  • David Stronach: One of Arechaelogys Greatest Mysteries: Dorak. A New Look at the Long-Lived Dorak Puzzle. In: James Mellaart. The journey to Çatalhöyük, hrsg. v. Emma L. Baysal, Istanbul 2020, S. 437–43.
  • Enrico Giannichedda: Il tesoro di Dorak, Archeo inchiesta, Bari 2023.
  1. David Stronach: One of Arechaelogys Greatest Mysteries: Dorak. A New Look at the Long-Lived Dorak Puzzle. In: James Mellaart. The journey to Çatalhöyük, hrsg. v. Emma L. Baysal, Istanbul 2020, S. 437f.
  2. Seton Lloyd: The Interval. A Life in Near Eastern Archaeology, Faringdon 1986, S. 163f. Auffällig scheint, dass Lloyd den Schatz in seinen akribischen Jahresberichten mit keinem Wort erwähnt; Enrico Giannichedda: Il tesoro di Dorak, Archeo inchiesta, Bari 2023, S. 26.
  3. Enrico Giannichedda: Il tesoro di Dorak, Archeo inchiesta, Bari 2023, S. 109, 123.
  4. Kenneth Pearson & Patricia Connor: Die Dorak-Affäre. Schätze, Schmuggler, Journalisten, Wien/Hamburg 1968, S. 44–48.
  5. Michael Balter: The Goddess and the Bull – Çatalhöyük: An Archaeological Journey to the Dawn of Civilization, New York 2005, S. 45.
  6. Photographie des Briefes zu finden in Kenneth Pearson, Patricia Connor: Die Dorak-Affäre. Schätze, Schmuggler, Journalisten, Wien/Hamburg 1968, S. 128/129.
  7. Eberhard Zangger: James Mellaart’s Fantasies. In: Talanta, Bd. 50 (2018), S. 125–82, hier S. 133.
  8. Enrico Giannichedda: Il tesoro di Dorak, Archeo inchiesta, Bari 2023, S. 28, 210f.
  9. Kenneth Pearson & Patricia Connor: Die Dorak-Affäre. Schätze, Schmuggler, Journalisten, Wien/Hamburg 1968, S. 142.
  10. David Stronach: One of Arechaelogys Greatest Mysteries: Dorak. A New Look at tehe Long-Lived Dorak Puzzle. In: James Mellaart. The journey to Çatalhöyük, hrsg. v. Emma L. Baysal, Istanbul 2020, S. 437–43, hier S. 440.
  11. Kenneth Pearson & Patricia Connor: Die Dorak-Affäre. Schätze, Schmuggler, Journalisten, Wien/Hamburg 1968, S. 49f., 54.
  12. Eberhard Zangger: James Mellaart’s Fantasies. In: Talanta, Bd. 50 (2018), S. 125–82, hier S. 133f.
  13. Eberhard Zangger: James Mellaart’s Fantasies. In: Talanta, Bd. 50 (2018), S. 125–82, hier, S. 135 und David Stronach: One of Arechaelogys Greatest Mysteries: Dorak. A New Look at the Long-Lived Dorak Puzzle. In: James Mellaart. The journey to Çatalhöyük, hrsg. v. Emma L. Baysal, Istanbul 2020, S. 437–43, hier S. 440f.
  14. David Stronach: One of Arechaelogys Greatest Mysteries: Dorak. A New Look at the Long-Lived Dorak Puzzle. In: James Mellaart. The journey to Çatalhöyük, hrsg. v. Emma L. Baysal, Istanbul 2020, S. 437–43, hier S. 440.
  15. Eberhard Zangger: James Mellaart’s Fantasies. In: Talanta, Bd. 50 (2018), S. 125–82, hier S. 135. Es handelte sich offenbar um die Aufzeichnungen, die Mellaart schon früher seinen Kollegen vorgestellt hatte; Suzan Mazur: The Dorak Affair’s Final Chapter. In: scoop.co.nz, 10. Oktober 2005
  16. Zusammenstellung der Theorien in: David Stronach: One of Arechaelogys Greatest Mysteries: Dorak. A New Look at the Long-Lived Dorak Puzzle. In: James Mellaart. The journey to Çatalhöyük, hrsg. v. Emma L. Baysal, Istanbul 2020, S. 437–43, hier S. 439–43.