Erdbebensicheres Bauen

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Die Stockwerke von Pagoden, wie die Pagode von Hōryū-ji, schwingen bei Erdbeben, so dass ein Einsturz meist verhindert werden kann[1]

Erdbebensicheres Bauen bezeichnet die gesamten Bemühungen, Bauwerke so auszulegen, auszustatten oder nachzurüsten, dass sie Erdbeben bis zu einer gewissen Stärke überstehen. Dabei unterscheidet man zwei Ansätze.

  • Erdbebengerechtes Bauen mit dem Schutzziel, in großen Erdbeben die Fluchtwege offen zu halten
  • Erdbebensicheres Bauen mit dem Schutzziel der Ausfallsicherheit
    • Elastisches Tragwerkverhalten per Erdbebenisolation
    • Zerstörungsfreies Reaktionsverhalten der Einbauten

Als Bemessungsregeln gelten europaweit seit ihrem Erscheinen die Eurocodes. Die Auslegung von Bauwerken gegen Erdbeben ist in der Normenreihe des Eurocode 8 (EN 1998-1 bis 6) geregelt. Die von Land zu Land unterschiedlichen Randbedingungen, z. B. die zu erwartenden Erdbebenintensitäten und Bodenbeschleunigungen, werden in den jeweiligen nationalen Anwenderdokumenten festgehalten.

EN 1998
Bereich Bauwesen
Titel Eurocode 8: Auslegung von Bauwerken gegen Erdbeben
Teile Teil 1: Grundlagen, Erdbebeneinwirkungen und Regeln für Hochbauten
Teil 2: Brücken
Teil 3: Beurteilung und Ertüchtigung von Gebäuden
Teil 4: Silos, Tankbauwerke und Rohrleitungen
Teil 5: Gründungen, Stützbauwerke und geotechnische Aspekte
Türme, Maste und Schornsteine
Letzte Ausgabe Teil 1:2004+ AC:2009
Teil 2:2005 + A1:2009 + A2:2011 + AC:2010
Teil 3: 2005 + AC:2010
Teil 4: 2006
Teil 5: 2004
Teil 6:2005
Klassifikation 91.010.30, 91.080.13, 93.040
Nationale Normen DIN EN 1998
ÖNORM EN 1998
SN EN 1998
Ersatz für DIN 4149
DIN 4149
Bereich Bauwesen
Titel Bauten in deutschen Erdbebengebieten – Lastannahmen, Bemessung und Ausführung üblicher Hochbauten
Letzte Ausgabe 2005-04 (zurückgezogen, aber baurechtlich anzuwenden)
Zurückgezogen November 2010
Klassifikation 91.120.25
Erdbebenzonen nach Eurocode 8, Teil 1, Nationales Anwenderdokument für Deutschland.
Dämpfende Gummilager unter dem Träger eines öffentlichen Gebäudes in Glendale, Kalifornien

Für Deutschland gilt die übernommene Version des Eurocodes, DIN EN 1998 mit ihren 6 Teilen. Vorläufer war die DIN-Norm DIN 4149 „Bauten in deutschen Erdbebengebieten – Lastannahmen, Bemessung und Ausführung üblicher Hochbauten“. Bis auf weiteres ist die bereits normativ zurückgezogene Norm DIN 4149:2005 baurechtlich anzuwenden, da der Eurocode 8 nicht in den Listen der bauaufsichtlich eingeführten Technischen Baubestimmungen der Bundesländer steht. Dabei gelten in den einzelnen Bundesländern, je nachdem in welcher Erdbebenzone sie die Grundstücke befinden, unterschiedliche technische Bestimmungen.[2]

Wichtiger Bestandteil der deutschen Ausgabe des Eurocodes ist ein nationales Anwenderdokument. Der Bemessung liegt eine darin enthaltene Erdbebenzonenkarte zugrunde, die auch schon in der DIN 4149 enthalten war. Die in der Karte festgelegten Zonen richten sich nach dem 475-jährlichen Erdbeben, ein Erdbeben mit einer bestimmten Stärke, die in 50 Jahren mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 % überschritten wird.

Der Großteil des Bundesgebietes gilt als nicht erdbebengefährdet, das heißt, das im statistischen Mittel einmal in 475 Jahren auftretende Erdbeben weist eine Intensität ≤ 6 auf der Europäischen Makroseismischen Skala (EMS) auf. Die am stärksten gefährdeten Gebiete der Zone 3 (EMS-Intensität I ≥ 7,5) liegen um Basel und Aachen sowie in den Hohenzollernschen Landen. Als an sich gefährdet (einschließlich Zone 0) gelten große Gebiete beiderseits des Rheins, Südwürttemberg, das Donautal bis etwa zur Altmühlmündung sowie das Vogtland und seine weitere Umgebung bis etwa Leipzig und schließlich die Alpen und das nähere Alpenvorland.

Entscheidend für die konkrete Gefährdung am Standort ist darüber hinaus der dortige Untergrund.

Als förderlich gelten Bauweisen, die bei horizontaler Belastung große Verformungen zulassen und nur mit Vorankündigung (duktil, nicht spröde) versagen. Wird erdbebengerecht konstruiert und ausgeführt, können das u. a. sein:

  • Stahlbauten,
  • Stahlbetonkonstruktionen in Ortbetonbauweise,
  • Stahl–Stahlbeton–Verbundbauweise,
  • Holzbauweise,
  • Fachwerk.[3]

Zudem wirken folgende Konstruktionsprinzipien günstig auf den Widerstand gegen Erdbebenbelastung:

  • statisch überbestimmte Systeme,
  • redundante Bauteile,
  • symmetrische Grundrisse der Gebäude (insbesondere rund),
  • Anordnung vertikal durchlaufender, zentraler Mittelpfeiler,[1]
  • horizontale Aussteifungen durch z. B. Schubwände,
  • duktile Materialien und Verbindungen,
  • möglichst bodennaher Schwerpunkt
  • massearme leichte Bauweise

Seismische Isolation

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Die Entkopplung von Bauwerken von ihrem Untergrund, um die Wirkung der Erdbebenwellen auf diese zu verringern, kann durch verschiedene Arten der Lagerung erreicht werden. Das wesentliche Prinzip beruht dabei auf einer Erhöhung der Eigenschwingdauer des Bauwerks gemeinsam mit der Lagerung. Die auftretenden dreidimensional einwirkenden Erdbebenkräfte werden durch eine Verschiebung im Antwortspektrum des Bauwerkes verringert.

Große Vollgummilager

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Hochelastische zylindrische Elastomerlager wirken in alle Raumrichtungen isolierend und dämpfend. Sie sind bei entsprechender Auslegung zum Schutz gegen die größten Erdbeben geeignet (RSL: Räumlich schwimmende Lagerung).

Modifizierte Brückenlager

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Diese wirken in horizontaler Richtung (2D; vertikal steif) isolierend und dämpfend. Sie sind bei großer Schubverformungsfähigkeit zum Schutz vor kleineren Erdbeben geeignet (HSL: Horizontal schwimmende Lagerung).

Ein Gummilager enthält dabei zusätzlich einen Bleikern, der durch plastische Verformung dämpfend wirkt und Energie absorbiert.

Gleitlager ermöglichen die horizontale Bewegung (2D) des Bauwerks auf dem Untergrund und werden meist in Kombination mit anderen Verfahren der Absorption und Dämpfung eingesetzt.

Gleitpendellager

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Diese Bauwerklager kombinieren verschiedene Verfahren und verwenden eine konkave Gleitplatte. Sie wurden unter anderem beim Akropolismuseum angewendet.[4]

Weiche Bauteile wie eine schwimmende Lagerung oder die Aufhängung einer Hängebrücke sind weitere Möglichkeiten der Lagerung von Bauwerken zur Verringerung der Belastung aus Erdbeben.

Ablenken der Wellen

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Wissenschaftler an der Universität Marseille haben 2009 eine Simulation entwickelt, die nahelegt, dass Rayleigh-Wellen durch Ringe aus ausgewählten Materialien, die in konzentrischen Kreisen um Gebäude herum verbaut werden, die Erdbebenwellen ableiten können und so die Gebäude im Zentrum der Anlage geschützt würden.[5] Eine praktische Anwendung ist dafür aber nicht absehbar.

Schwingungsverhalten und Schwingungstilger

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Schwingungstilger im TK-Elevator-Testturm

Bei der Planung moderner Gebäude, orientiert man sich zunehmend an historischen Gebäudetypen, die sich als besonders erbebenresistent erwiesen haben. So zeigen Japanische Pagoden bei Erdbeben ein Schwingungsmuster (auch Schlangentanz genannt) um den zentralen Mittelpfeiler, durch das die Erschütterungen abgefedert werden, da sich jedes „Stockwerk“ in eine entgegengesetzte Richtung bewegt. Außerdem werden Schwingungen bei Pagoden und anderen traditionellen Holzbauten dadurch abgebremst, dass die einzelnen Balken nicht genagelt, sondern in einander gesteckt und verkeilt sind, was zusätzliche Beweglichkeit ermöglicht.[1]

Besonders bei Hochhäusern kommen Schwingungstilger (Schwingungspendel) zum Einsatz. Ihre Aufgabe ist es, bei einem Erdbeben die auftretende Schwingungsenergie aufzunehmen und dadurch ein Schwingen des eigentlichen Gebäudes zu verhindern. Solche Systeme können als aktive, passive oder Hybridsysteme ausgelegt sein und finden sich beispielsweise im John Hancock Tower in Boston oder dem australischen Sydney Tower.[6]

Konstruktiv handelt es sich bei solchen Systemen um eine große Masse, teilweise mehrerer hundert Tonnen, die gleitend gelagert oder als Pendel freischwingend im oberen Teil eines Hochhauses eingebaut werden und die eingetragene vertikale Energie aufnehmen und abbauen, ohne dass das eigentliche Tragwerk damit belastet wird. In der Regel werden zusätzlich Dämpfersysteme in diese Konstruktionen integriert, um Resonanzeffekte und zu große Bewegungen zu verhindern.

Besondere Gebäude

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Die Nuklearkatastrophe von Fukushima seit März 2011 lenkte weltweit das Augenmerk darauf, dass Kernkraftwerke nicht jedem Beben trotzen können und dass sie trotz ihrer teilweise massiven Bauweise von Flutwellen erheblich beschädigt werden können.

Nach dem verheerenden Erdbeben von Kōbe 1995, bei dem mehr als 6400 Menschen starben, wurden in Japan die Vorschriften verschärft. Seitdem gebaute Reaktoren müssen mindestens Erdstößen der Richter-Magnitude M 7,75 standhalten können; in besonders gefährdeten Regionen sogar Beben bis M 8,25. Das Tōhoku-Erdbeben von 2011 hatte allerdings eine Momenten-Magnitude von M 9,0.

  • Das zeigt auf, dass Richter-Magnituden (als Maß für die freigesetzte Wellenenergie) und Zerstörungsintensitäten gemäß der Mercalli-Sieberg-Skala (als Maß für das globale Ausmaß der Zerstörungen) nicht repräsentativ sein müssen für die konkrete Zerstörungswirkung am einzelnen Bauwerk.
  • Für die Zerstörungswirkung am einzelnen Bauwerk repräsentativ sind drei Größen.
    • Seismische Kennwerte (3D) am Felshorizont des Standorts: Kennwerte für die 3-dimensional wirkenden Erdbebenwellen (größte Beschleunigung, Geschwindigkeit, Verschiebung – Erdbebentyp – Dauer der Intensivbewegung)
    • Allfällige Verstärkung bei lockerem Boden zwischen dem Felshorizont und dem Fundament („Baugrund“)
    • Erdbebenexposition (von einer vollen bis zu keiner Exposition infolge lokaler Wellenmuster)
  • Beim Tōhoku-Erdbeben (Seebeben verantwortlich für die Super-GAUs an drei AKWs in Fukushima, Japan) „verschluckte“ ein Seegraben ca. 130 km außerhalb tatsächlich einen erheblichen Anteil der Wellenenergie, bevor sie das Festland erreichte.

In Kalifornien stehen (Stand November 2011) zwei alte Kernkraftwerke an exponierten Standorten, die im Zusammenhang mit dem Thema Erdbebensicherheit oft erwähnt werden: das Kernkraftwerk San Onofre (seit 1968 und mittlerweile stillgelegt)[7] und das Kernkraftwerk Diablo Canyon (seit 1984/1985). Letzteres liegt 3 km entfernt von einer Erdbebenspalte (die man während des Baus entdeckte); beide liegen in der Nähe der San-Andreas-Verwerfung.

Einzelnachweise

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  1. a b c Japanische Pagoden. Universität Wien; abgerufen am 20. Februar 2022
  2. Erdbebensicher Bauen. Hinweise für das Bauen in Erdbebengebieten Baden-Württembergs. (Memento des Originals vom 20. Februar 2022 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/um.baden-wuerttemberg.de (PDF; 596 kB) Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg; abgerufen am 20. Februar 2022
  3. Hamid Isfahany und Georg Pegels: Erdbebensichere Häuser für Entwicklungsländer. Alexander von Humboldt-Stiftung, abgerufen am 8. August 2009.
  4. Georg Küffner: Füße in Schalen. In: FAZ.net. 11. Oktober 2005, abgerufen am 14. Dezember 2014.
  5. Suzanne Krause: Tarnkappe gegen Erdbeben. Konzentrische Ringe sichern Gebäude. Abgerufen am 8. August 2009.
  6. Konstantin Meskouris: Erdbebensicheres Bauen. Bundesministerium für Bildung und Forschung, archiviert vom Original am 5. Mai 2015; abgerufen am 22. Mai 2015.
  7. Lena Jakat: Reaktoren in Risikogebieten – Die gefährlichsten AKW-Standorte der Welt. In: sueddeutsche.de. 7. März 2012, abgerufen am 26. Mai 2015.