Direktmandat

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Erstmandat)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Als Direktmandat wird in Deutschland ein Parlamentsmandat bezeichnet, das der Bewerber erringt, der bei einer Parlamentswahl in einem Wahlkreis die meisten Stimmen erhält. Bei der in Deutschland üblichen personalisierten Verhältniswahl erhält eine Partei für in den Wahlkreisen gewonnene Sitze entsprechend weniger Listenmandate, so dass Direktmandate grundsätzlich keinen Einfluss auf die Sitzzahlen der Parteien im Parlament haben. Dagegen hängen bei einem Mehrheitswahlrecht wie beispielsweise in Großbritannien oder den USA die Sitzzahlen der Parteien ausschließlich von ihren Erfolgen in den Wahlkreisen ab.

Bundestagswahlen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

299 Abgeordnete des Deutschen Bundestages werden direkt in ihrem Bundestagswahlkreis gewählt. Mindestens weitere 299 (299 plus eventuelle Ausgleichsmandate) werden über die Wahlliste ihrer Partei gewählt (Listenkandidat). Die Erststimme und die Zweitstimme können unabhängig voneinander gegeben werden. Die Direktmandate werden bei der Wahl zum Deutschen Bundestag nach dem Bundeswahlgesetz durch die Erststimmen vergeben.

Nach dem Bundestagswahlrecht treten in jedem Wahlkreis Kandidaten der politischen Parteien und eventuell parteiunabhängige Kandidaten, sogenannte Einzelbewerber, gegeneinander an. Gewählt wird dabei nach dem relativen Mehrheitswahlrecht, d. h., der Kandidat mit den meisten Stimmen ist als Wahlkreisabgeordneter gewählt.[1]

Konnte eine Partei mindestens drei Direktmandate gewinnen, so erhielt sie bis 2023 auch dann Mandate gemäß ihrem Zweitstimmenanteil, wenn sie weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen gewonnen hatte (Grundmandatsklausel). Dies war zuletzt 2021 der Fall, als Die Linke zwar drei Direktmandate, aber nur 4,9 % der Zweitstimmen erringen konnte. Bei der Bundestagswahl 1953 reichte bereits ein Grundmandat, wodurch die Deutsche Zentrumspartei letztmalig im Bundestag vertreten war. Die Gesamtzahl der Mandate, die eine Partei erhält, bestimmt sich nach ihrem Anteil an den Zweitstimmen. Von den ihr nach diesem Anteil zustehenden Mandaten werden die Direktmandate abgezogen, die übrigen werden mit Bewerbern von der Liste besetzt.

Hat eine Partei mehr Direktmandate, als ihr nach Zweitstimmen zustehen, kommt es zu Überhangmandaten. Da es seit 2013 Ausgleichsmandate gibt, vergrößern Überhänge für eine Partei zwar den Bundestag, brachten ihr bis 2020 aber keinen systematischen Vorteil durch einen höheren Mandatsanteil mehr. Seit 2020 werden bis zu drei Überhangmandate nicht ausgeglichen. Scheidet ein Abgeordneter aus dem Bundestag aus, der ein solches nicht ausgeglichenes Überhangmandat besetzt, rückt im Gegensatz zu anderen Fällen kein Listenkandidat nach. Das war 2024 bei Stefan Müller und Andreas Scheuer (beide CSU) der Fall.

Nach den 2023 beschlossenen Änderungen entstehen in der Regel keine Überhangmandate mehr, was dadurch erreicht wird, dass Direktmandate nicht vergeben werden, wenn eine Partei in einem Land zu wenig Hauptstimmen errungen hat. Die Vergabe an den Zweitplatzierten wurde von den Koalitionsparteien als „schwer vermittelbarer Verstoß gegen eine zumindest intuitiv einleuchtende Gerechtigkeitsvorstellung“ verworfen.[2] Eine solche Regelung ist zum Beispiel im Bayerischen Landtagswahlsystem vorgesehen, falls eine Partei weniger als 5 % der Stimmen erhält und daher keine Mandate erhält.

Erringt ein Einzelbewerber die relative Mehrheit in einem Wahlkreis, so erhält er auf jeden Fall das Direktmandat (siehe aktuell § 6 Abs. 2 in Verbindung mit § 20 Abs. 3 Bundeswahlgesetz). Das kam nach der ersten Wahl 1949 bisher nicht wieder vor. Vor der Wahlgesetzänderung von 2023 galt das auch für Kandidaten einer Partei, die weder mehr als 5 % der Zweitstimmen noch die Grundmandate erhalten hatte, wodurch nach der Bundestagswahl 2002 die PDS mit zwei Abgeordneten im Bundestag vertreten war.

Über Direktmandate gewählte Abgeordnete des Bundestages nach Parteien
Wahl CDU CSU SPD FDP BP DP Zentrum PDS/
Die Linke
Bündnis 90/
Grüne
AfD Unabhängige Summe
1949 91 24 96 12 11 5 3 242
1953 130 42 45 14 10 1 242
1957 147 47 46 1 6 247
1961 114 42 91 247
1965 118 36 94 248
1969 87 34 127 248
1972 65 31 152 248
1976 94 40 114 248
1980 81 40 127 248
1983 136 44 68 248
1987 124 45 79 248
1990 192 43 91 1 1 328
1994 177 44 103 4 328
1998 74 38 212 4 328
2002 82 43 171 2 1 299
2005 106 44 145 3 1 299
2009 173 45 64 16 1 299
2013 191 45 58 4 1 299
2017 185 46 59 5 1 3 299
2021 98 45 121 3 16 16 299

Die Abgeordneten der meisten Landtage werden zu einem Teil direkt in ihrem Wahlkreis und zum anderen Teil über die Wahlliste ihrer Partei gewählt (dabei darf ein Kandidat nur in einem Wahlkreis antreten).[3] Nur in Hamburg, Bremen und im Saarland gibt es keine Einpersonenwahlkreise. Der Anteil der Direktmandate an der Gesamtzahl der Sitze variiert zwischen den verschiedenen Bundesländern. Prinzipiell wird bei der Sitzverteilung ähnlich verfahren. Überall gibt es für Überhangmandate Ausgleichsmandate. In Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist die Zahl der Ausgleichsmandate beschränkt, so dass es zu nicht ausgeglichenen Überhangmandaten kommen kann.

Keine Wahllisten gibt es bei der Wahl zum Landtag von Baden-Württemberg. Hier werden Direktmandate, die in Baden-Württemberg Erstmandate genannt werden, an die Gewinner der jeweiligen Wahlkreise sowie Zweitmandate an die unterlegenen Wahlkreiskandidaten mit den höchsten Stimmenanteilen vergeben.

Wiktionary: Direktmandat – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Bundeswahlgesetz § 41 Feststellung des Wahlergebnisses im Wahlkreis
  2. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes. Drucksache 20/5370. Deutscher Bundestag, 24. Januar 2023, abgerufen am 23. Juni 2024.
  3. Bundeswahlgesetz § 20 Inhalt und Form der Kreiswahlvorschläge. In: gesetze-im-internet.de.