Galina Iwanowna Ustwolskaja

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Galina Iwanowna Ustwolskaja (russisch Галина Ивановна Уствольская, wissenschaftliche Transliteration Galina Ivanovna Ustvol'skaja; * 17. Juni 1919 in Petrograd (Sankt Petersburg); † 22. Dezember 2006 ebenda) war eine russische Komponistin.

Ustwolskajas Mutter war Lehrerin und stammte aus einer verarmten adligen Familie. Ihr Vater war Rechtsanwalt und kam aus einer Priesterfamilie.[1]

Ustwolskaja studierte von 1937 bis 1949 an der Musikfachschule bzw. am Rimski-Korsakow-Konservatorium in Leningrad. Dort unterrichtete der Komponist Dmitri Schostakowitsch, dessen Schülerin sie war.[2] Der Beginn ihres Studiums fiel in die Zeit der Stalinschen Säuberungen.[1]

Während des Weltkriegs wurde ihr Studium durch einen Dienst im Militärkrankenhaus unterbrochen. Während der Blockade Leningrads wurde sie mit anderen Studierenden des Konservatoriums nach Taschkent evakuiert.[1] Sie unterrichtete von 1947 bis 1975 Komposition an der Musikfachschule des Rimski-Korsakow-Konservatoriums.[3][4] Zeitgenossen beschreiben die Künstlerin als scheu, zurückgezogen, nahezu ängstlich.[5]

Als Komponistin genoss Ustwolskaja in der Sowjetunion stets die Anerkennung ihrer Kollegen, aber nicht immer die Anerkennung der Sowjetregierung. Zunächst wurde sie als junge kreative Komponistin gepriesen, ihre „reife Technik“ und ihr „hervorragendes Feingefühl für orchestrale Farben“ wurden gelobt.[6] Ihre Werke wurden prominent aufgeführt: Mit Der Traum des Stepan Rasin wurde viermal die Spielzeit der Leningrader Philharmonie eröffnet.[7] Doch zwischen 1959 und 1971 komponierte sie kaum und nach dieser Pause begann sie, christlich konnotierte Musik zu komponieren: Es entstanden Sinfonien mit Titeln wie Jesus Messias, errette uns! oder Gebet. Aufgrund der antireligiösen Kulturpolitik der Sowjetunion wurden ihre Werke immer seltener aufgeführt, bis sie vollständig aus den Konzertsälen verschwanden. Manche Werke wie ihr Klavierkonzert wurden explizit verboten.[8]

„Meine Werke sind nicht religiös, aber definitiv spirituell, weil ich alles von mir gegeben habe. Meine Seele, mein Herz.“

Galina Ustwolskaja[5]

Im Ausland war Ustwolskaja bis in die 90er Jahre wenig bekannt, obwohl Komponisten wie Witold Lutosławski und besonders György Ligeti ihre Werke sehr hoch schätzten.[9] Seit dem Zerfall der Sowjetunion gilt sie neben Sofia Gubaidulina als bedeutendste Komponistin Russlands im 20. Jahrhundert. Sie selber stand ihrer zunehmenden Bekanntheit misstrauisch gegenüber: so schrieb sie einer interessierten westlichen Schallplattenfirma, sie wolle hoffen, dass die geplante Veröffentlichung ihrer Aufnahmen nicht „bloß von ökonomischen Erwägungen“ motiviert sei.[1]

Ustwolskaja und Schostakowitsch

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Von 1939 bis 1950 war Ustwolskaja in der Kompositionsklasse Dmitri Schostakowitschs, sie galt als Lieblingsschülerin des Komponisten, doch Ustwolskaja beklagte später, dass der berühmte Komponist sich niemals für ihre Werke einsetzte und ihrer systematischen Isolierung tatenlos zusah. Die Ursachen hierfür sind ungeklärt. Der Komponist Viktor Suslin schreibt:

„Es ist schon wahr, daß sie eine Schülerin von Schostakowitsch gewesen ist, aber nicht jeder Schüler kann sich damit brüsten, daß der Lehrer seine Themen in eigenen Kompositionen benutzt, ihm seine Handschriften schenkt und seine neuesten Werke zur Durchsicht schickt, um dessen Meinung dazu kennenzulernen.“

Viktor Suslin[10]

In einem Brief an Ustwolskaja schrieb Schostakowitsch: „Nicht Du befindest Dich unter meinem Einfluß, sondern ich mich unter Deinem.“.[11] Der Komponist sagte den Werken Ustwolskajas weltweite Anerkennung voraus. Doch die Wertschätzung war nicht gegenseitig, Ustwolskaja machte kein Geheimnis daraus, dass sie seine Musik nicht mochte und sie nichts von Künstlern hielt, die Hunderte von Werken herausgeben, Schostakowitsch eingeschlossen. Seine Musik werde mit der Zeit verblassen, prognostizierte sie in einem Interview.[12]

Musikalisches Schaffen

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Komponieren als Selbstzweck

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Ustwolskaja lehnte Auftragsarbeiten ab. Als sie in finanzielle Not geriet, komponierte sie „Gebrauchsmusik“, versah aber diese Partituren mit dem Vermerk Für Geld, und sie nahm keines dieser Werke in ihre Werkliste auf. Falls ihr eine ihrer Kompositionen mit der Zeit missfiel, hat sie sie vernichtet oder sie vernichten lassen.[13][14] Ihre Werkliste umfasst nur 25 Werke und ergibt eine Gesamtspielzeit von weniger als 7 Stunden.

Charakteristisch ist die „Zeugung“ der Musik aus einer „Keimzelle“: Ein kurzer Intonationskern steht zu Beginn, aus diesem entwickelt sich die Musik, zuweilen monothematisch. Eine restriktive Auswahl der Ausdrucksmittel sorgt für ungewöhnliche Besetzungen, zum Beispiel Klavier, Piccoloflöte und Tuba. Typischerweise wird dabei die Ausdrucksmöglichkeit eines jeden Instruments ausgeschöpft.

Keine „Minimal Music“

Einige Charakteristika der Musik Ustwolskajas sind auch bei ihren engsten Kollegen zu finden. Dorothea Redepenning listet auf: Vorliebe für disparate Klangfarbenkombinationen, das Schreiben ohne Taktstriche, das Einbeziehen orthodoxer Melodien, das Aussparen der Mittellage und der mittleren Dynamik.[15] Auch massige Klangwirkungen und Cluster sind bei Alfred Schnittke oder Arvo Pärt keine Seltenheit.

Die Einzigartigkeit liegt eher in einer alles umfassenden Kargheit gepaart mit einer majestätischen Wirkung begründet: Wenige Motive, wenige Noten, wenige Instrumente, die aber einen monumentalen Klang erzeugen und eine intim-erhabene Atmosphäre evozieren. Ihre Musik ist unabhängig von der kargen Besetzung für große, andachtsvolle Räume wie Kirchen konzipiert,[16] denn wie bei Gija Kantscheli wird auch bei Ustwolskaja Stille zu Musik. Bezeichnend für die Kargheit ist ihre 4. Sinfonie: Vier Musiker, kaum 7 Minuten Spieldauer, aber in ihrer Wirkung wie eine Sinfonie.[17]

Trotz Kargheit klingt Ustwolskajas Musik niemals wie die sogenannte Minimal Music: Wiederholungen stehen bei Ustwolskaja nicht im Dienste der Harmonie, sondern der Dissonanz und vermitteln meistens Gefühle wie Agonie, Angst oder Auflehnung. Dazu kommt eine Vielfalt von scharfen Kontrasten, wie sie selbst bei Kantscheli selten vorkommen. Ein weiteres Charakteristikum ihrer Musik, die sie beispielsweise von Pärts Musik klar unterscheidet, ist ihre Neigung zur Punktualität: punktuelle scharfe Töne statt lange weiche Töne.

Mythos Ustwolskaja

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Ustwolskaja äußerte sich selten zu ihren eigenen Werken. Es gibt aber drei berühmte Zitate:

  • Als Komponistin mehrerer Sonaten für Klavier solo, mehrerer Duette und Trios und einer Sinfonie für nur vier Musiker, sagte sie:

„Der innere Gehalt meiner Musik schließt den Begriff Kammermusik aus.“

Galina Ustwolskaja[18]
  • Als Komponistin von 5 Sinfonien sagte sie:

„Es gibt bei mir keine symphonische Musik - im üblichen Sinne des Wortes. Aber es gibt Symphonien.“

Galina Ustwolskaja[19]
  • Endgültig zur Mythos-Bildung dient das berühmteste Zitat. Jenes Zitat, das ihre Musik „per Dekret der Ratio“[20] entzieht:

„Alle diejenigen, die meine Musik wirklich lieben, bitte ich, auf eine theoretische Analyse zu verzichten.“

Galina Ustwolskaja[20]
  • Wiener Festwochen Hommage an Galina Ustwolskaja 31. Mai bis 1. Juni 2014
  • Peter Leipold und Patricia Hase gründeten zu Ehren der Komponistin das Galina-Orchester
  • musica-viva-Sonderkonzert „Galina Ustwolskaja zum 100. Geburtstag“ am 21. November 2019 im Münchner Herkulessaal[21]
  • Zwölf Präludien (1953, UA 1968)
  • 1. Sonate (1947, Erstdruck 1989)
  • 2. Sonate (1949, Erstdruck 1989)
  • 3. Sonate (1952, Erstdruck 1989)
  • 4. Sonate (1957, Erstdruck 1989)
  • 5. Sonate (1986, Erstdruck 1989)
  • 6. Sonate (1988, Erstdruck 1989)
  • Oktett für 2 Oboen, 4 Violinen, Pauken und Klavier (1949/50, Erstdruck 1972)
  • Komposition Nr. 1 für Piccoloflöte, Tuba und Klavier (1970/71, Erstdruck 1976) Dona nobis pacem
  • Komposition Nr. 2 für 8 Kontrabässe, Holzwürfel und Klavier (1972/73, Erstdruck 1980) Dies irae
  • Komposition Nr. 3 für 4 Flöten, 4 Fagotte und Klavier (1974/75, Erstdruck 1978) Benedictus, qui venit
  • 1. Symphonie (1955, Erstdruck 1972)
  • 2. Symphonie (1979, Erstdruck 1982) Wahre, ewige Seligkeit
  • 3. Symphonie (1983, Erstdruck 1990) Jesus, Messias, errette uns
  • 4. Symphonie (1986, Erstdruck 1991) Gebet
  • 5. Symphonie (1990, Erstdruck 1993) Amen
  • Konzert für Klavier, Pauken und Streichorchester (1946, Erstdruck 1967)
  • Der Traum des Stepan Rasin (1949, Erstdruck 1963)
  • Suite für Orchester (1955, Erstdruck 1958)
  • Symphonische Dichtung Nr. 1 (1958, Erstdruck 1961)
  • Symphonische Dichtung Nr. 2 (1959, Erstdruck 1965)

Nachträglich hat die Komponistin die symphonischen Dichtungen 1 und 2 als ein Werk gezählt, und Der Traum des Stepan Rasin fand auch erst nachträglich Eingang in ihr Werkverzeichnis, sodass in manchen Quellen nur 23 Werke Ustwolskajas gezählt werden[23] statt wie hier 25.

Einzelnachweise

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  1. a b c d Wolfgang Stähr: Die Komponistin Galina Ustwolskaja. In: Bayerischer Rundfunk / musica viva (Hrsg.): musica viva-Programmheft. Band 21.11.2019. München November 2019, S. 22.
  2. Igor Levit. In: Das Schwerste ist das Einatmen. DIE ZEIT, 11. November 2021, Nr. 46, S. 53. Der Pianist Igor Levit ist ein Schostakowitsch-Spezialist
  3. Ludmila Kovnatskaya: The New Grove Dictionary of Women Composers 1996.
  4. Olga Gladkowa: Galina Ustwolskaja – Musik als magische Kraft (Studia slavica musicologica Band 19). Berlin 2001, S. 47.
  5. a b Die russische Komponistin Galina Ustwolskaja. (Memento vom 23. Dezember 2017 im Internet Archive) 3sat.de, kulturzeit, 27. Mai 2014
  6. Dorothea Redepenning: Galina Ustwolskajas Œuvre im sowjetischen Kontext, in: Musik-Konzepte 143: Galina Ustwolskaja, edition text + kritik, München 2009, S. 9
  7. Olga Gladkowa: Galina Ustwolskaja – Musik als magische Kraft (Studia slavica musicologica Band 19). Berlin 2001. S. 17
  8. Olga Gladkowa: Galina Ustwolskaja – Musik als magische Kraft (Studia slavica musicologica Band 19). Berlin 2001, S. 23
  9. Olga Gladkowa: Galina Ustwolskaja – Musik als magische Kraft (Studia slavica musicologica Band 19). Berlin 2001, S. 50f.
  10. Zitiert nach: Olga Gladkowa: Galina Ustwolskaja – Musik als magische Kraft (Studia slavica musicologica Band 19). Berlin 2001, S. 23.
  11. Zitiert nach: Olga Gladkowa: Galina Ustwolskaja – Musik als magische Kraft (Studia slavica musicologica Band 19). Berlin 2001, S. 32.
  12. Olga Gladkowa: Galina Ustwolskaja – Musik als magische Kraft (Studia slavica musicologica Band 19). Berlin 2001, S. 21.
  13. Olga Gladkowa: Galina Ustwolskaja – Musik als magische Kraft (Studia slavica musicologica Band 19). Berlin 2001, S. 18.
  14. Patricia Kopatchinskaja in conversation with Paolo Mendes, Berliner Philharmoniker, 11. Februar 2017. Abgerufen am 15. Juli 2017 
  15. Dorothea Redepenning: Galina Ustwolskajas Œuvre im sowjetischen Kontext, in: Musik-Konzepte 143: Galina Ustwolskaja, edition text + kritik, München 2009, S. 6
  16. Theo Hirsbrunner: Verjüngender Nonkonformismus, in: Bökklet zur CD Ustwolskaja: Compositions I, II, III, Philips Classics Productions 1995. Vgl. Olga Gladkowa: Galina Ustwolskaja – Musik als magische Kraft (Studia slavica musicologica Band 19). Berlin 2001, S. 59
  17. Michael Zink: Zu Galina Ustwolskajas Sinfonien 2 bis 5, in: Musik-Konzepte 143: Galina Ustwolskaja, edition text + kritik, München 2009, S. 72f.
  18. Olga Gladkowa: Galina Ustwolskaja – Musik als magische Kraft (Studia slavica musicologica Band 19). Berlin 2001, S. 22.
  19. Olga Gladkowa: Galina Ustwolskaja – Musik als magische Kraft (Studia slavica musicologica Band 19). Berlin 2001, S. 107.
  20. a b Stefan Weiss: Auf der Suche nach dem Bauhüttengeheimnis der Gotikerin von St. Petersburg. In: Musik-Konzepte 143: Galina Ustwolskaja, edition text + kritik, München 2009. S. 21.
  21. Galina Ustwolskaja zum 100. Geburtstag. In: Bayerischer Rundfunk. 17. Oktober 2019, abgerufen am 21. November 2019.
  22. Previous festivals. Abgerufen am 23. August 2022 (amerikanisches Englisch).
  23. Dorothea Redepenning: Galina Ustwolskajas Œuvre im sowjetischen Kontext, in: Musik-Konzepte 143: Galina Ustwolskaja, edition text + kritik, München 2009, S. 7, Anmerkungen 14 und 16.