Papierfabrik Josef Wirth
Die Papierfabrik Josef Wirth (auch Papier-, Pappen- und Wellpappenfabrik Josef Wirth bzw. Papiermühle Josef Wirth) war eine Papiermühle im Ortsteil Kleinlappen der Gemeinde Freimann, heute Teil von München. Die Papierfabrik wurde 1895 von Josef Wirth (1850–1913) gegründet. Kurz vor Kriegsende sollte hier die Mitgliederkartei der NSDAP vernichtet werden, was jedoch unterblieb. Stattdessen gelangten die Unterlagen zu Millionen von NSDAP-Mitgliedern in die Hände der amerikanischen Besatzungstruppen und trugen zur Bestrafung von Kriegsverbrechern und der Entnazifizierung Deutschlands bei.
Gründer und Unternehmen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Gründer der Papierfabrik Josef Wirth wurde am 28. Februar 1850 in Dachau geboren. Er gründete 1895 die Josef Wirth Papier-, Pappen- und Wellpappenfabrik in Freimann.[1] Die Fabrik befand sich auf Höhe des Gutes Kleinlappen, östlich der heutigen Freisinger Landstraße.[2] In der Fabrik liefen anfänglich zwei Pappmaschinen, die mit der Wasserkraft des nahen Garchinger Mühlbachs angetrieben wurden. 1921 waren dort 25 Mitarbeiter beschäftigt.[3][4]
Neben seiner Tätigkeit als Unternehmer war Wirth ein Förderer öffentlicher und kultureller Einrichtungen der Gemeinde Freimann. Am 3. März 1913 starb Wirth in Freimann. In Erinnerung an sein Wirken benannte die Stadt München 1964 einen Weg im Stadtteil Freimann (1931 eingemeindet) nach ihm.[5][6] Am Josef-Wirth-Weg befindet sich heute eine Wohnanlage des Studentenwerks München.[7] Auch seine Heimatstadt Dachau benannte eine Straße nach ihm.[8]
NSDAP-Kartei
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Frühjahr 1945 standen die amerikanischen Truppen schon in Bayern, die Einnahme Münchens erfolgte jedoch erst am 30. April 1945. Die Papierfabrik Josef Wirth konnte mangels Versorgung mit Kohlen nicht mit voller Kapazität arbeiten, mit 40 Mitarbeitern war nur die Hälfte der Belegschaft an der Arbeit. Am 15. April 1945 kam ein Mitglied der Reichsleitung der NSDAP zum kaufmännischen Leiter der Fabrik, Hanns Huber[9], und beauftragte ihn mit der dringenden Vernichtung von Altpapier. Vom 18. bis 27. April 1945 kamen in der Fabrik zwanzig Lastzüge mit acht Millionen Karteikarten an, die man in Körben aus der Reichsleitung der NSDAP im Braunen Haus in München herbeigeschafft hatte. Die Zentralkartei der NSDAP enthielt das vollständige Verzeichnis der Parteimitglieder. Hanns Huber verzögerte die Vernichtung der Unterlagen bis zum Eintreffen der Amerikaner, indem er seine Arbeiter anwies, die Karteikarten unter anderem Altpapier zu verstecken.[10]
Nach dem Eintreffen der US-Army machte Huber Michel Thomas auf die in der Fabrik noch lagernden 68 Tonnen an Nazidokumenten aufmerksam. Thomas war Mitglied des Counter Intelligence Corps der 45. Infanterie-Division und hatte an der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau teilgenommen.[11] Erst im Oktober 1945 wurde die Bedeutung der Unterlagen erkannt und die Dokumente gesichert, die schließlich in die Bestände des Berlin Document Center überführt wurden.[12][13][14][15][16][17]
Seit 1994 befindet sich die Kartei im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde. Die Umstände der gescheiterten Vernichtung der Nazikartei erscheinen in einer Erzählung von Stefan Heym.[18]
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Der heimliche Held der Papierfabrik, Beitrag aus Zwischen Spessart und Karwendel von Sandra Wiest, Erstausstrahlung am 9. Mai 2020, inzwischen nur noch auf Youtube zu sehen.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Adreßbuch der Papier-, Pappen-, Holzstoff-, Zellulose- und Strohstoff-Fabriken des Deutschen Reichs, Dänemarks, Elsaß-Lothringens, Hollands, Oesterreichs, Polens, der Schweiz und der Tschechoslowakei, Bd. 21, Güntter-Staib Verl.-Ges., Biberach, Riß 1925, S. 32; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
- ↑ Vergleiche Bewilligungsverfahren für den Neubau und Betrieb einer Wasserkraftanlage am Garchinger Mühlbach auf dem Gelände der ehemaligen Papierfabrik Josef Wirth (WKA Freimann), Freisinger Landstraße 72 vom 9. Januar 20009. In: Amtsblatt der Landeshauptstadt München, Nr. 1/2009, S. 12.
- ↑ Marion Maurer: Freimann – eine Gemeinde im Schatten der Großstadt. Buchendorfer Verlag, München 1985, S. 17–19, 39.
- ↑ Brigitte Fingerle-Trischler: Freimann im Münchner Norden. Volk Verlag, München 2018, ISBN 978-3-86222-274-2, S. 39–40, 62.
- ↑ Josef-Wirth-Weg, in: Münchner Stadtadreßbuch, Band 122, Adressbuchverlag München, S. 193; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
- ↑ Hans Dollinger: Die Münchner Strassennamen, Ludwig, München 1995, S. 144; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
- ↑ Wohnanlage Josef-Wirth-Weg, studentenwerk-muenchen.de, abgerufen am 13. Juli 2022
- ↑ Dachauer Straßennamen, Website der Stadt Dachau, abgerufen am 13. Juli 2022
- ↑ Adressbuch der Papierindustrie Europas 1934. Birkner, Darmstadt 1934, S. 17.
- ↑ Wolfgang Brenner: Zwischen Ende und Anfang: Nachkriegsjahre in Deutschland. dtv, München 2016, ISBN 9783423430715, S. 235 f.
- ↑ Discovery of Party Documents in the Josef Wirth paper mill in Freimann by 45th CIC Detachment, 20 May 1945. Weekly Counterintelligence Report #16. In: Seventh Army, Western Military District, Annex No 2, Part 4 of 8, CIC Reports/Reporting Section G-2, period 20 May-20 June 1945. NARA (englisch).
- ↑ NSDAP-Mitgliedsliste aufgefunden, Die Neue Zeitung, 18. Oktober 1945
- ↑ Gesamtliste der NSDAP gefunden, Allgemeine Zeitung, Berlin, 19. Oktober 1945
- ↑ Gwyn Lewis: What the Complete Records of the Nazi Party Show — Amazing Story of How They Were Found: The Man Who Held Them Hated the Nazis, Sunday Express, 21. Oktober 1945.
- ↑ Victor Sebestyen: 1946. The Making of the Modern World. Pan Macmillan UK 2014, ISBN 978-1-4472-5050-0, Anm. S. 250. Vgl. [1].
- ↑ Ein Papiermüller rettet die Kartei der NSDAP, Kalenderblatt des BR vom 15. April 2015, abgerufen am 18. Januar 2016
- ↑ Malte Herwig: Die Flakhelfer: Wie aus Hitlers jüngsten Parteimitgliedern Deutschlands führende Demokraten wurden. DVA, München 2013, ISBN 978-3-641-09116-3, Kap. 1.
- ↑ Stefan Heym: Eine wahre Geschichte. In: Stefan Heym: Die Kannibalen und andere Erzählungen. Leipzig 1953, S. 51–76.