Haus der Jugend Melle
Das ehemalige Haus der Jugend Melle, auch Hermann-Göring-Heim Melle, später Jugendherberge Melle mit Feierhalle Grönenburg, ist ein unter Denkmalschutz stehendes Gebäude in der niedersächsischen Stadt Melle im Landkreis Osnabrück, Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße 1.[1] Es wurde 1937 im Heimatschutzstil als Heim der Hitlerjugend mit Feierhalle sowie als Jugendherberge fertiggestellt. Geplant ist ein Umbau zur Kindertagesstätte.
Lage
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Gebäude steht am nordwestlichen Rand des Stadtgebietes, in der Nähe des Wellenbads, zahlreicher Sportplätze und der ehemaligen Burg Grönenberg im Grönenbergpark. Im Park ist die Landesturnschule Melle in Fachwerkgebäuden (ebenfalls im Heimatschutzstil) untergebracht. Das Grönegaumuseum befindet sich dort in translozierten historischen Gebäuden. Der Verlauf der Else trennt den gesamten Bereich von landwirtschaftlich genutzten Flächen.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einweihung des Hermann-Göring-Heims 1937
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Am 8. März 1936 beschloss der Rat der Stadt Melle die Errichtung des Gebäudes als „Haus der Jugend“[2] (Heim der Hitlerjugend mit Jugendherberge)[3]. Am 31. Oktober 1937 wurde es als Hermann-Göring-Heim Melle im Rahmen einer nationalsozialistischen Großveranstaltung mit mehr als 10.000 Menschen eröffnet. Als ranghohe Gäste waren Gauleiter Carl Röver und Reichsjugendführer Baldur von Schirach anwesend. Sie wurden im Anschluss an die Veranstaltung im Rathaus der Stadt zu Ehrenbürgern von Melle ernannt. Hermann Göring wurde in Abwesenheit ebenso geehrt.[4]
Das Gebäude wurde für regelmäßige Treffen der Hitlerjugend und des Bundes Deutscher Mädel (BDM) genutzt, außerdem als überörtliche Gebietsführerschule sowie als Veranstaltungsort für Lesungen und Konzerte. Im Saal fanden Festveranstaltungen statt. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschlagnahmte die Besatzungsmacht das Gebäude bis 1949.[4]
Die später wiedereröffnete Jugendherberge verfügte über 83 Betten in 21 Schlafräumen mit Zwei- bis Siebenbettzimmern und war ganzjährig geöffnet.[5] Als der Betrieb unwirtschaftlich geworden war, wurde sie 2013 geschlossen.[6]
Nach der Aufgabe der Jugendherberge gab es Überlegungen, dort eine Berufsakademie der Fachrichtung Holz unterzubringen.[7] In einer Zwischennutzung diente das Gebäude als Verwaltungsgebäude und Mensa der Grönenbergschule.[8] Schließlich wurde die Umnutzung zu einer Kindertagesstätte beschlossen. Drei Gruppenräume und ein Spielflur sollen im Erdgeschoss der ehemaligen Feierhalle entstehen. Geplant ist weiter ein Zwischengeschoss mit einem Bewegungsraum, einem Speiseraum für die Kindertagesstätte, zwei Speiseräumen für die Kinderkrippe sowie Personal- und Funktionsräumen. Im Sommer 2023 erwartete man nach Bauzeitverzögerungen infolge statischer Probleme und vorher unbekannter Schadstoffbelastungen die Eröffnung für Herbst 2025.[9][10]
Gestaltung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Entwicklung des Bautyps
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Soziale Kontrolle in der Jugendbildungsarbeit wurde in der Zeit des Nationalsozialismus auch über die Architektur ausgeübt. Mit Neubauten für HJ-Heime und NS-Jugendherbergen sollte die Jugendbewegung der 1920er Jahre neu gelenkt werden.[11] 1936 erfolgte innerhalb der Reichsjugendführung die Gründung des Arbeitsausschusses für die HJ-Heimbeschaffung, dem Baldur von Schirach den Bau von HJ-Heimen und HJ-Führerschulen im gesamten Gebiet des Reichs übertrug. Der Ausschuss sollte jedoch nicht wie ein Planungsbüro selbst planen und bauen, sondern nationalsozialistisch gesinnte, freiberuflich tätige Architekten beauftragen. Der Arbeitsausschuss entwickelte Gestaltungsgrundsätze, schulte die Architekten und veröffentlichte 1937 und 1938 die zweibändigen Werkhefte für den Heimbau der Hitlerjugend. In Form eines Bauhandbuchs wurden darin als vorbildhaft angesehene Planungsbeispiele in Wort und Bild präsentiert. Die Baugestaltung griff auch auf ältere Theorien des Deutschen Bundes Heimatschutz zurück. Die Bauten sollten sich in die Landschaft einfügen, über eine einfache und klare Architektursprache verfügen und die regionale, handwerklich orientierte Baukunst in zeitgemäßer Form aufgreifen. Typische Bauformen regionaler Bauernhäuser galten als Vorbilder für die HJ-Heime. Während der Planung und nach der Ausführung wurde das von Hanns Dustmann mit Robert Braun entworfene Haus der Jugend in Melle vielfach als vorbildlicher Musterbau veröffentlicht.[3]
Raumprogramm
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Es wurde grundsätzlich zwischen dörflichen Kleinheimen und kleinstädtischen Heimen in Orten mit über 3.000 Einwohnern unterschieden.[3] Das Standard-Raumprogramm eines HJ-Heims umfasste sogenannte Scharräume (Gruppenräume) mit langgezogenen Tischen und Sitzgelegenheiten für 40 Jungen und Mädchen, einen Schrank mit sechs Schließfächern, Spinde für Sportgeräte und Bücher sowie eine Sitzecke (Raumgröße je 50–60 qm). Ein Führerzimmer mit Schreibtisch, Schrank und Besprechungsecke war auch für kleine Heime gefordert. Eingangshalle oder Flur sollten großzügig bemessen werden, damit auch Appelle stattfinden konnten. Dort sollten Fahnen und Wimpel aufbewahrt werden. Zum erweiterten Raumprogramm gehörten ein Werkraum für Mädchen und Jungen, der Fahrradabstellraum sowie Umkleiden und Duschen für die Sportbereiche im Freien. Sportplätze, Turnhallen, Badeanstalten etc. sollten in weiteren Bauabschnitten ergänzt werden.[12]
Für Jugendherbergen waren fünf Raumgruppen vorzusehen: Die erste umfasste Tagesräume, Schulungsräume, Selbstversorgerküche und Nebenräume. Zur zweiten gehörten Schlafräume und Nebenräume. Die Wohnung für Herbergseltern bildeten die Raumgruppe drei. Der Wirtschaftsbereich mit Küche / Essensausgabe, Spüle, Speisekammer und Nebenräumen wurde als Wirkungsort der Herbergsmutter angesehen. Raumbereich fünf war die Anmeldung als Wirkungsort des Herbergsvaters. Die Herbergen sollten strikt von den HJ-Heimen getrennt werden.[12]
Äußere Gestaltungselemente
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Haus in Melle nimmt mit seinem langgezogenen Grundriss, dem großen und bis auf die Erdgeschossfenster heruntergezogenen Satteldach, dem Sichtfachwerk und dem niedrigen Steinsockel die Bauform des Niederdeutschen Hallenhauses auf. Es gleicht auf den ersten Blick regionalen Bauernhäusern. Entsprechend den Leitsätzen der NS-Bautypen wurden gleichzeitig Architekturelemente verwendet, die nicht der Tradition entsprachen. Der zweigeschossige Dacherker mit dem Eingang zur Jugendherberge ist für regionale Hallenhäuser untypisch. Da die Dächer der Bauernhäuser früher als Erntespeicher dienten, gab es dort üblicherweise auch keine Dachgauben. Fensterbänder, wie sie zur Belichtung des nationalsozialistischen Festsaals dienten, sind ein modernes Bauelement. Das traditionelle Tor zur Diele, durch das auch Fuhrwerke ins landwirtschaftliche Gebäude fahren konnten, fehlt am Dustmann-Bau. Der angewinkelte Grundriss des HJ-Heims fasst den davor liegenden Appellplatz und entspricht ebenfalls nicht der Bauform eines Hallenhauses.[3]
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Ehemaliges Hermann-Göring-Heim Melle (Foto 1979) mit winkelförmigem Grundriss, zweigeschossigem Dacherker, Gauben, Fensterband sowie Giebelgliederung
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Gebäudeform: Traditionelles Hallenhaus (Heimathof Emsbüren) auf Rechteckgrundriss mit ungegliedertem Dach und traditionellem Giebel
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Fassadengliederung: Historischer Giebel (Bauernhof Ostercappeln) mit Dielentor
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Traditionelle Gebäudeform und Fassadengliederung: Höfe in Schreyahn (Foto 1904) mit Rechteckgrundriss und ungegliedertem Dach sowie traditionellem Giebel mit großem Dielentor und wenigen, kleinen Fensteröffnungen
Bauzeitlicher Innenausbau
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Beleuchtungskörper sowie die Beschläge der Fenster, Türen und Schränke wurden laut der Beschreibungen in den Werkheften von Hand geschmiedet. Auch die Möbel der Scharräume wurden individuell entworfen und handwerklich gefertigt. Wohnstubenartig wirkten die Sitzecken und die Fenstervorhänge aus bedrucktem Halbleinen.[3]
Die Feierhalle des HJ-Heims
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Beabsichtigt war, mit der Gestaltung der Feierhalle die pseudoreligiöse Überhöhung der nationalsozialistischen Kulte zu stützen. Eine Entwurfsskizze zum HJ-Heim Melle zeigt einen zweigeschossigen Raum mit imposanten, aus mehreren Hölzern zusammengefügten Stützen. Dahinter liegen beidseitig eingeschossige Seitenschiffe. An der Giebelwand gibt es eine Empore für den Fanfarenzug oder Chöre.[13] Ausgeführt wurde ein stützenloser Raum mit einer Binderkonstruktion, die sichtbar im Raum lag. Bei dem scheunenartigen Gebälk handelte es sich nicht um Scheinkonstruktionen, sondern um statisch wirksame Tragwerke. Der Feierraum wurde giebelseitig in der Mittelachse betreten. Gegenüber dem Eingang lag eine symmetrische Treppe mit zwei spiegelbildlich angeordneten Treppenläufen. Das Treppenpodest diente als Rednerpult. Dahinter lag ein kleiner Flur, in dem vermutlich eine Hitlerbüste platziert wurde.[14]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Die Kunst im Dritten Reich, Illustrierte Monatsschrift für freie und angewandte Kunst, 1. Jahrgang 1937, Heft 12 (Dezember 1937).
- Reichsjugendführung der NSDAP (Hrsg.): Werkhefte für den Heimbau der Hitlerjugend. Band I und Band II, Verlag Erwin Skacel, Leipzig 1937/1938.
- Heinrich Hartmann: Bauten der Hitler-Jugend. Ergebnisse des ersten Baujahres. In: Deutsche Bauzeitung, 72. Jahrgang 1938, Heft 2 (Februar 1938), S. 48–57. (Digitalisat auf delibra.bg.polsl.pl)
- Zentralblatt der Bauverwaltung (vereinigt mit Zeitschrift für Bauwesen), 59. Jahrgang 1939, Nr. 17 (vom 26. April 1939), S. 1059–1073.
- Joachim Petsch: Baukunst und Stadtplanung im Dritten Reich. Herleitung, Bestandsaufnahme, Entwicklung, Nachfolge. Carl Hanser Verlag, München / Wien 1976, ISBN 3-446-12279-6, S. 128 f., Abb. 73.
- Hartmut Wippermann (Hrsg.): Melle. Bilder aus der Vergangenheit. Band 5, Verlagshaus Fromm, Osnabrück 2000.
- Eva-Maria Krausse-Jünemann: Hanns Dustmann (1902–1979). Kontinuität und Wandel im Werk eines Architekten von der Weimarer Republik bis Ende der fünfziger Jahre. (Dissertation, 2001) Selbstverlag, Kiel 2002, ISBN 3-00-009126-2, S. 62–74 und S. 92–94.
- André Postert: Die Hitlerjugend. Geschichte einer überforderten Massenorganisation. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2021, ISBN 978-3-647-36098-0, S. 234–249.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Fritz-Gerd Mittelstädt: Ansprache zum Tag des offenen Denkmals 2020, (Ehemaliges Haus der Jugend Melle/Hermann-Göring-Heim ab 22:20 Min.)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Grönenburg im Denkmalatlas Niedersachsen, zuletzt abgerufen am 30. Oktober 2023
- ↑ Fritz-Gerd Mittelstädt: Gedanken zur neuen Nutzung. Darf ein Meller Nazi-Gebäude jetzt eine Kita werden? In: Meller Kreisblatt vom 27. August 2021, abgerufen am 2. September 2023.
- ↑ a b c d e Eva-Maria Krausse-Jünemann: Hanns Dustmann (1902–1979). S. 62–74 (vergleiche Literatur)
- ↑ a b Uwe Plaß: Ehemaliges Hermann-Göring-Heim. Fachwerkbau in Melle mit dunkler Vergangenheit. In: Meller Kreisblatt vom 15. März 2018, abgerufen am 2. September 2023.
- ↑ Jugendherberge Melle. Haus und Lage. Archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 11. Oktober 2007; abgerufen am 9. September 2023.
- ↑ Christoph Franken: Meller Jugendherberge wird geschlossen. In: Meller Kreisblatt vom 3. März 2012, abgerufen am 10. September 2023.
- ↑ Ausflugstips in Melle. Jugendherberge. Abgerufen am 9. September 2023.
- ↑ Die Asphaltfläche reicht bis zur Jugendherberge, unserem Verwaltungs- und Mensagebäude. (14.10.2015), Webseite der Grönenbergschule, abgerufen am 10. September 2023.
- ↑ Simone Grawe: Schadstoffe in der Dämmung Kita Jugendherberge in Melle. Böse Überraschungen beim Umbau verzögern Eröffnung. In: Meller Kreisblatt vom 19. Juli 2023, abgerufen am 9. September 2023.
- ↑ Simone Grawe: Neue Pläne, höhere Kosten. So schick wird die neue Kita in der Meller Jugendherberge. In: Meller Kreisblatt vom 27. August 2021, abgerufen am 9. September 2023.
- ↑ Joachim Petsch: Baukunst und Stadtplanung im Dritten Reich. S. 128. (vergleiche Literatur)
- ↑ a b Heinrich Hartmann: Bauten der Hitler-Jugend. S. 48–57 (vergleiche Literatur)
- ↑ Reichsjugendführung der NSDAP (Hrsg.): Heime für die HJ. Beispielbericht. Heimbeschaffungsausgabe „Unsere Fahne“, Gebiet Sachsen, Westfalen-Verlag, Dortmund 1937, S. 26 f.
- ↑ Eva-Maria Krausse-Jünemann: Hanns Dustmann (1902–1979). S. 92–94 (vergleiche Literatur)
Koordinaten: 52° 12′ 12,3″ N, 8° 19′ 38,5″ O