Jörg Litwinschuh-Barthel

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Jörg Litwinschuh)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Jörg Litwinschuh-Barthel (2024)

Jörg Litwinschuh-Barthel (* 12. August 1968 in Weiskirchen/Saar) ist ein deutscher Medienwissenschaftler und Diskriminierungsexperte mit dem Schwerpunkt LGBT-Personen. Er setzt sich seit Mitte der 1990er Jahre für die Sichtbarkeit und Gleichstellung von Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierungen und Geschlechtsidentitäten ein. Von 2011 bis 2021 war Litwinschuh-Barthel hauptamtlicher, geschäftsführender Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.

Litwinschuh-Barthel verbrachte seine Kindheit im Landkreis Merzig-Wadern im Saarland und legte 1988 sein Abitur am Hochwald-Gymnasium in Wadern ab. 1995 schloss er den Studiengang Medienmanagement an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover ab.[1] Es folgten berufliche Stationen in den Bereichen Handel, E-Commerce-Consulting und im Ticketing/Live Entertainment in jeweils leitenden Positionen.[2] Von 2002 bis 2005 war er Geschäftsführer des LSVD Landesverband Berlin-Brandenburg und übernahm die Leitung dessen Zentrums für Migranten MILES.[3] 2005 begründete Litwinschuh-Barthel gemeinsam mit Jan Feddersen die Initiative Queer Nations e.V. mit dem Ziel, das von Magnus Hirschfeld gegründete Institut für Sexualwissenschaft in zeitgemäßer Form wieder zu errichten.[4][5] 2007 wurde er Fundraiser und Pressesprecher der Deutschen Aidshilfe.

Nach einer Tätigkeit als Unternehmensberater mit den Schwerpunkten Public Health und Antidiskriminierung ernannte die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Litwinschuh-Barthel am 10. November 2011 zum Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.[6][7][8] Litwinschuh-Barthel brachte sein 2009 gegründetes Projekt „Fußball gegen Homophobie“ in die Stiftung ein, wo es gemeinsam mit Martin Schweer von der Universität Vechta als Projekt „Fußball für Vielfalt – Fußball gegen Homofeindlichkeit und gegen Sexismus“ weiterentwickelt wurde.[9][10][11] Zum 10-jährigen Bestehen der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld erfuhr Litwinschuh-Barthels langjährige Arbeit als Vorstand eine breite mediale Würdigung.[12] Für eine dritte Amtszeit bewarb er sich nicht und schied im November 2021 nach zwei Amtszeiten aus der Stiftung aus.[13] Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), die Vorsitzende des Kuratoriums ist, setzte laut dem Magazin queer.de die Ausschreibung der Vorstandsstelle persönlich durch.[14][15]

Für sein langjähriges Engagement für LGBTI-Rechte wurde Jörg Liwinschuh-Barthel im Oktober 2022 mit der Goldenen Ehrennadel des Völklinger Kreises ausgezeichnet.[16]

Seit 2022 ist Litwinschuh-Barthel in der Bestattungsbranche tätig.[17][18] Seit 2023 ist er Mitglied des Vorstands der Schachtsiek Familien Stiftung, die Kulturprojekte in den Bereichen LSBTIQ und Musiktheater fördert.[19]

Litwinschuh-Barthel ist langjährig ehrenamtlich engagiert in der Evangelischen Kirche und Mitglied im Kreiskirchenrat (KKR) Berlin Stadtmitte.[20] Er ist verheiratet und lebt mit seinem Mann in Berlin.[21]

Haltungen und Kontroversen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Geschäftsführer des LSVD Landesverband Berlin-Brandenburg und Pressesprecher der Deutschen Aidshilfe äußerte sich Litwinschuh-Barthel regelmäßig zu kontrovers diskutierten Themen. 2002 erstattete er Strafanzeige gegen Norbert Geis aufgrund dessen Äußerungen gegenüber Homosexuellen.[22] Über viele Jahre kritisierte Litwinschuh-Barthel Haltungen der Katholischen Kirche – insbesondere deren Sexualmoral.[23][24][25][26]

Zum Welt-AIDS-Tag äußert sich Litwinschuh-Barthel regelmäßig zur Sichtbarkeit des Lebens mit HIV/Aids und fordert Solidarität mit den Betroffenen ein. So stellte er 2020 Bildung und Teilhabe als wirksamste Form der Prävention in den Mittelpunkt.[27] Die Verhaftung der Sängerin Nadja Benaissa und den Umgang der Behörden mit ihrer HIV-Infektion bezeichnete er 2009 als „moderne Form der Hexenjagd“.[28]

Als Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld war Litwinschuh-Barthel auch Kritik von rechts ausgesetzt: So griffen im Oktober 2016 Politiker der AfD von der Stiftung geförderte sexualpädagogische Workshops in Thüringen an.[29] Litwinschuh-Barthel entgegnete, die Rechtspopulisten würden versuchen, Vielfaltspädagogik und Anti-Diskriminierungsarbeit durch haltlose Vorwürfe zu diskreditieren.[30][31] Im Sommer 2018 traf Litwinschuh-Barthel den rechtspopulistischen und damaligen US-amerikanischen Botschafter Richard Grenell auf dessen CSD-Empfang in seiner privaten Residenz in Berlin-Dahlem.[32] Daraufhin kam es zu einer vor allem in Social-Media-Kanälen ausgetragenen Kontroverse, als Litwinschuh-Barthel ein gemeinsames Foto mit Grenell, veröffentlichte.[33] Hierfür entschuldigte sich Litwinschuh-Barthel einen Tag später mit dem Hinweis, dass er dennoch im Dialog mit dem US-Botschafter bleiben werde.[34][35]

Litwinschuh-Barthel ist ein „flammender Befürworter der Ehe für alle“ (Saarbrücker Zeitung).[36] Gemeinsam mit der damaligen Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes Christine Lüders engagierte er sich für die Aufhebung der Urteile nach § 175 StGB und die Rehabilitierung sowie Entschädigung der Opfer.[37][38][39] 2019 setzte sich Litwinschuh-Barthel maßgeblich als Projektleiter der wissenschaftlichen Bestandsaufnahme zu Konversionsbehandlungen gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für das geplante gesetzliche Verbot sogenannter „Konversionstherapien“ ein.[40][41] Während der Coronakrise 2020 machte Litwinschuh-Barthel auf die erschwerte Situation von LGBT-Personen in den Zeiten der Pandemie aufmerksam und warnte vor gravierenden Folgen für die Community.[42][43] Gemeinsam mit mehr als 100 Organisationen und Prominenten forderte Litwinschuh-Barthel im Februar 2021 in der Initiative „Grundgesetz für alle“ die Ergänzung des Art. 3 GG um den Schutz von LGBT-Personen vor Diskriminierung.[44]

Anlässlich des islamistischen Messerangriffs am 4. Oktober 2020 auf zwei schwule Touristen in Dresden forderte Litwinschuh-Barthel die Polizeibehörden auf, homofeindliche Hasskriminalität zu benennen und bundesweit statistisch zu erfassen. Außerdem forderte er den Islam in Deutschland auf, sich wie die christlichen Kirchen mit Homofeindlichkeit auseinanderzusetzen.[45][46][47][48] Im Mai 2021 plädierte Litwinschuh-Barthel als Botschafter der Akzeptanzkampagne „Liebe ist halal“ für einen „religiösen Brückenschlag“ zwischen Islam und LSBTIQ und eine zeitgemäße Interpretation der Heiligen Schrift des Koran durch Imame in Deutschland.[49]

Veröffentlichungen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Geleitwort zur S3-Trans*-Leitlinie. In: Nieder, Strauß (Hg.): Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit. Psychosozial, Berlin 2021.[50]
  • Hirschfeld antworten – für Emanzipation und Teilhabe von LSBTTIQ. In: Liebe und Gerechtigkeit. Sonderausgabe der Hirschfeld Lectures zum 150. Geburtstag von Magnus Hirschfeld. Wallstein, Göttingen 2020.
  • Wissen fordern – Gerechtigkeit stärken. Zu Geschichte, Gründung und Aufgaben der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. In: Jahrbuch Sexualitäten. Wallstein, Göttingen 2018.
  • Der Hirschfeld kommt! In: Siegessäule. Mai 2018 (PDF auf docdroid.net).
  • mit Janine Dieckmann: Die interdisziplinäre Zusammenführung der LSBTI*-Forschung als Experiment – eine Einführung in dieses Buch. In: Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (Hg.): Forschung im Queerformat. Aktuelle Beiträge der LSBTI*-, Queer- und Geschlechterforschung. transcript, Bielefeld 2014, ISBN 978-3-8394-2702-6
  • Diversity Barometer. Gmünder, Berlin 2011.[51]

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Alumnus Jörg Litwinschuh-Barthel. (PDF) 1. Juni 2021, abgerufen am 22. Juni 2021.
  2. CTS Eventim: Litwinschuh leitet Marketingkommunikation. In: Manager Magazin online. Abgerufen am 13. Februar 2019.
  3. LSVD-Rundbrief Oktober 2002, Teil 3. Abgerufen am 9. Januar 2019.
  4. Initiative Queer Nations begrüßt Bundestagsentscheidung: Über 10 Mio. EUR für Magnus-Hirschfeld-Stiftung. Abgerufen am 9. Januar 2019.
  5. Peter-Philipp Schmitt: Magnus-Hirschfeld-Institut: „Es war seiner Zeit um Jahrzehnte voraus“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 26. Januar 2006 (faz.net).
  6. Hans-Hermann Kotte: Magnus Hirschfeld-Stiftung: Der schwule Netzwerker. 29. Februar 2012, abgerufen am 13. Februar 2019.
  7. Saarbrücker Zeitung Verlag und Druckerei GmbH: Ein Saarländer kämpft für Schwulen-Rechte Bundesjustizministerin ernennt Saarländer zum Stiftungschef. Abgerufen am 9. Januar 2019.
  8. Fördern unterm Regenbogen. Abgerufen am 13. Februar 2019.
  9. Fußball für Vielfalt - Fußball gegen Homophobie. AB Pädagogische Psychologie der Universität Vechta, 18. Mai 2020, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 22. Januar 2021; abgerufen am 26. Februar 2024.
  10. Presseinformation: Ex-Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger setzt sich für die Bildungs- und Forschungsinitiative „Fußball für Vielfalt“ ein. In: Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. 7. Mai 2014, abgerufen am 3. Mai 2019.
  11. Gay City News: The Einstein of Sex at 150. 10. Mai 2018, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 7. Juni 2019; abgerufen am 26. Februar 2024.
  12. Abschied von Jörg Litwinschuh-Barthel. Abgerufen am 11. April 2022.
  13. Kevin Hanschke: Hier fördert der Staat die „andere Erinnerung“. 23. Juli 2021, abgerufen am 11. August 2021.
  14. Wollte die Ministerin den Vorstandswechsel? In: DIE STIFTUNG. 29. Juni 2021, abgerufen am 11. April 2022.
  15. Micha Schulze: Führt eine Frau demnächst die Hirschfeld-Stiftung? Abgerufen am 11. April 2022.
  16. Goldene Ehrennadel für Litwinschuh-Barthel. Abgerufen am 10. Oktober 2022.
  17. Jörg Litwinschuh-Barthel wirbt ab sofort für die "Reerdigung". Abgerufen am 11. April 2022.
  18. Litwinschuh-Barthel ist Senior Manager PA & Communications bei Circulum Vitae. Abgerufen am 14. April 2022.
  19. Micha Schulze: Was macht die Schachtsiek Familien Stiftung? Abgerufen am 24. Juli 2024.
  20. Kreiskirchenrat. Abgerufen am 21. September 2020.
  21. Ja-Wort im Leuchtturm. 7. Juni 2019, abgerufen am 8. Juni 2019.
  22. Skandalöse Diskriminierung der Lesben und Schwulen durch die Union. Abgerufen am 13. Februar 2019.
  23. Sylke Heun: Wer heiratet, fliegt raus - Schwule demonstrieren gegen katholische Kirche. 22. August 2002, abgerufen am 3. Mai 2019.
  24. Empörte Reaktionen auf Papst-Äußerung. 18. März 2009, abgerufen am 3. Mai 2019.
  25. Kondom-Streit überschattet Reise des Papstes. 18. März 2009, abgerufen am 3. Mai 2019.
  26. Kritik an "autoritärer Rhetorik" der katholischen Kirche. 4. Februar 2013, abgerufen am 3. Mai 2019.
  27. »Bildung und Teilhabe sind die beste Prävention«. 28. November 2020, abgerufen am 8. Dezember 2020.
  28. Nach Nadja Benaissas Verhaftung: Aids-Hilfe: Moderne Form der Hexenjagd. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 15. April 2009 (faz.net).
  29. Marc Röhlig (bento): So verdreht die AfD Fakten, um gegen Schwule zu hetzen. Abgerufen am 9. Januar 2019.
  30. Ulrike Fröbel (Thüringen24): Abseits vom Analsex-Workshop: Worum es bei den Hirschfeld-Tagen geht. Abgerufen am 14. März 2019.
  31. AfD-Politiker Höcke verdreht Fakten, um gegen Homosexuelle zu ätzen. 5. Oktober 2016, abgerufen am 3. Januar 2020.
  32. Litwinschuh entschuldigt sich für Grenell-Foto. In: www.siegessaeule.de. 30. Juli 2018, abgerufen am 11. April 2022.
  33. Berlins LSVD-Chef Jörg Steinert unter Beschuss. 28. Juni 2019, abgerufen am 11. April 2022.
  34. Frederik Eikmanns: Der Berliner CSD, ein Foto und die Folgen: Zu nah am US-Botschafter. In: Die Tageszeitung: taz. 31. Juli 2018, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 9. Januar 2019]).
  35. Litwinschuh entschuldigt sich. Abgerufen am 9. Januar 2019.
  36. Matthias Zimmermann: Streit bahnt sich an: Höchst unangenehm? AfD schickt Homo-Ehe-Gegnerin ins Befürworter-Gremium. Abgerufen am 3. Mai 2019.
  37. Gutachten zur §175-Rehabilitierung vorgestellt. 11. Mai 2016, abgerufen am 3. Januar 2020.
  38. Endlich Gerechtigkeit: Bundestag Bundeskabinett bringt Rehabilitierungsgesetz auf den Weg. 22. März 2017, abgerufen am 3. Januar 2020.
  39. Ein historischer Tag: Bundestag beschließt Rehabilitierungsgesetz. 22. Juni 2017, abgerufen am 3. Januar 2020.
  40. Gudula Geuther: Verbot von „Konversionstherapien“ beschlossen. 18. Dezember 2019, abgerufen am 3. Januar 2020.
  41. Markus Bernhardt: „Das geht bis zur ‚Teufelsaustreibung‘“. 18. November 2019, abgerufen am 3. Januar 2020.
  42. Warum die LGBTQ+ Community besonders von Corona betroffen ist. 3. September 2020, abgerufen am 21. September 2020.
  43. Queere Initiativen leiden massiv unter der Pandemie. 11. März 2021, abgerufen am 22. März 2021.
  44. Leonie Feuerbach: LGBTIQ-Kampagne: Gleiches Recht für alle. In: FAZ.NET. 24. Februar 2021, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 22. März 2021]).
  45. Messerattacke in Dresden – Vertrauen einmal mehr erschüttert. 29. Oktober 2010, abgerufen am 14. November 2020.
  46. Homofeindlichkeit als mögliches Tatmotiv wird verschwiegen. 31. Oktober 2010, abgerufen am 14. November 2020.
  47. Interview: „Wir müssen uns mit dem radikalen Islamismus beschäftigen“. 9. November 2010, abgerufen am 14. November 2020.
  48. „Den Finger in die Wunde legen“. 11. April 2021, abgerufen am 13. April 2021.
  49. Berliner Moschee wirbt für LGBTI-Akzeptanz im Islam. 11. Mai 2021, abgerufen am 12. Mai 2021.
  50. Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit. Eine kommentierte Dokumentation zur S3-Leitlinie. Abgerufen am 22. März 2021.
  51. Diversity Barometer: Commerzbank homofreundlichstes DAX-Unternehmen. Abgerufen am 23. November 2020.