Kinder- und Jugend-Alija
Die Kinder- und Jugend-Alija (hebräisch עֲלִיַּת נֹעַר ʿAlijjat Noʿar, deutsch ‚Jugend-Alija‘, von hebräisch Alija „Aufstieg“) war eine jüdische Organisation, die versuchte, möglichst viele Kinder und Jugendliche in der Zeit des Nationalsozialismus aus dem Deutschen Reich vor allem nach Palästina in Sicherheit zu bringen.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Sie wurde am 30. Januar 1933, dem Tag der Machtergreifung, in Berlin von Recha Freier, Ehefrau eines Berliner Rabbiners, und Eva Michaelis-Stern[1] gegründet. Die Idee fand auf dem 18. Zionistenkongress in Prag Unterstützung. Recha Freier leitete die Organisation in Deutschland, Henrietta Szold in Jerusalem. Auf Bitten von Henrietta Szold ging Eva Michaelis-Stern 1938 nach London, wo sie ein Jugend-Alijah-Büro eröffnete und es über den Zweiten Weltkrieg hinweg leitete.[1]
Engster Mitarbeiter von Henrietta Szold war der aus Thüringen stammende Bankier Hans Beyth,[2] der nach ihrem Tod 1945 die Leitung übernahm und im Dezember 1947 erschossen wurde, als er an der Straße von Tel Aviv nach Jerusalem bei Castel das Feuer arabischer Freischärler auf einen Bus mit Kindern erwiderte.
Tatkräftige Unterstützung erhielt die Jugend-Alijah von Georg Landauer, dem Geschäftsführer des Jerusalemer Büros des Zentralbüros der für die Ansiedlung deutscher Juden (Central Bureau for the Settlement of German Jews), der sogenannten Deutschen Abteilung der Jewish Agency for Palestine. Viele Mitglieder des jüdischen Jugendbundes Chug Chaluzi unter ihrem Leiter Jizchak Schwersenz konnten über die Kinder- und Jugend-Alija aus Berlin fliehen. Es wurden etwa 21.000 Kinder und Jugendliche gerettet.
Zu den prominenten Unterstützern der Jugend-Alijah zählte unter anderem Hannah Arendt, die in ihrem Pariser Exil für die Organisation tätig war.[3][A 1]
Nach Angaben der Organisation wurden bis heute mehr als 350.000 Kinder und Jugendliche aus über 80 Ländern betreut.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Brian Amkraut: Between Home and Homeland: Youth Aliyah from Nazi Germany. University of Alabama Press, Tuscaloosa 2006. ISBN 978-0-8173-1513-9
- Gabriele Goettle: Was ist Geld?! Lutz Kann, ein jüdischer Remigrant erzählt. In: Die tageszeitung, 29. Juli 2013, S. 16 f.
- Victoria Kumar: Land der Verheißung – Ort der Zuflucht: Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945. Studienverlag, Innsbruck, Wien und Bozen 2016 (=Schriften des Centrums für Jüdische Studien, Band 26)
- Gudrun Maierhof, Chana Schütz, Simon Hermann (Hrsg.): Aus Kindern wurden Briefe. Die Rettung jüdischer Kinder aus Nazi-Deutschland. Metropol, Berlin 2004, ISBN 3-936411-86-7 (Mit Namensregister der in diesem Buch erwähnten bzw. interviewten Ausgewanderten).
- Eva Michaelis-Stern: Erinnerungen an die Anfänge der Jugend-Alijah in Deutschland, in: Bulletin des Leo-Baeck-Instituts, 70, 1985, S. 55–66
- Ulrike Pilarczyk: Gemeinschaft in Bildern: Jüdische Jugendbewegung und zionistische Erziehungspraxis in Deutschland und Palästina/Israel. Wallstein, Göttingen 2009 (=Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, Band 35)
- Ulrike Pilarczyk, Ofer Ashkenazi, und Arne Homann (Hrsg.): Hachschara und Jugend-Alija: Wege jüdischer Jugend nach Palästina 1918-1941. Gemeinnützige Bildungs- und Kultur GmbH des Landkreises Gifhorn, Gifhorn 2006.
- Leah Rosen und Ruth Amir: Constructing National Identity: The Case of Youth Aliyah. In: Israel Studies Forum, Band 21, 2006, S. 27–51.
- Erica B Simmons: Hadassah and the Zionist Project. Rowman & Littlefield, Lanham MD 2006, ISBN 978-0-7425-4938-8
- Susanne Urban: „Rettet die Kinder!“ Die Jugend-Aliyah 1933 bis 2003: Einwanderung und Jugendarbeit in Israel. Kinder- und Jugend-Aliyah Deutschland, Frankfurt am Main 2003 (Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt, 11. Dezember 2003 – 25. April 2004).
Film
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- „Es war ein anderes Leben.“ Mit der Kinder- und Jugend-Alijah nach Palästina. Regie Hans Jan Puchstein, Kamera Katinka Zeuner, Ton und Musik Simon Theisen. Filmarche, Berlin 2008 (Enthält: historische Aufnahmen; aktuelle Interviews mit Bewohnern aus Deutschland und Österreich, die Ende der 1930er Jahre als Kinder geflüchtet waren; ihr Leben im Kibbuz Ma’agan Micha’el heute; Stimmen zu Freiers Tätigkeit), s/w 41 Min., DVD deutsch mit engl. UT, ohne EAN
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Anmerkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ In ihrem legendären ZDF-Interview mit Günter Gaus vom 16. September 1964 äußerte sich Arendt ausführlich zu ihrer Tätigkeit für die Organisation und würdigt ausdrücklich die hervorragende Rolle von Freier und Szold beim Aufbau des Hilfswerks.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b Eva Michaelis Stern. In: YIVO Encyclopedia of Jews in Eastern Europe. Abgerufen am 31. Januar 2023 (englisch).
- ↑ Cheskel Zwi Klötzel: In Memoriam Hans Beyth. In: Aufbau. Jahrgang, Nr. 14, 23. Januar 1948, S. 11, Sp. a (digitalisiertedrucke.de).
- ↑ Sebastian Dalkowski: Interview mit Hannah Arendt: Der unwahrscheinlichste Youtube-Hit. In: Rheinische Post. 30. Dezember 2017, abgerufen am 31. Januar 2023.
- Jüdische Organisation
- Emigration aus dem Deutschen Reich zur Zeit des Nationalsozialismus
- Kinderhilfswerk
- Organisation der Kinder- und Jugendhilfe
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- Hilfsorganisation (Berlin)
- Judentum im Deutschen Reich (1933–1945)