Kim (Roman)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Kim (Buch))
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Kim ist ein Roman des britischen Schriftstellers Rudyard Kipling aus dem Jahr 1901.[1] Der Roman gilt als sein „wahrscheinlich bestes Werk“[2] und „Kiplings Meisterwerk der erzählenden Literatur“.[3] Der Titelheld Kim (Kimball O’Hara) ist ein gewitzter irischer Waisenjunge, der im Slum von Lahore zur Zeit der britischen Herrschaft über Indien aufwächst und als Schüler eines tibetischen Lama durch den Norden Indiens zieht. Nach Aufdeckung seiner Herkunft wird er zunächst an einer britischen Schule in Lucknow, Indien, ausgebildet und soll dann nach dem Willen seiner Mentoren in den britischen Geheimdienst eintreten. Nebenbei hilft Kim seinem geliebten Lama dabei, Erleuchtung zu erlangen.

Historischer Hintergrund der Geschichte ist die Kolonialzeit in Britisch-Indien um 1880 sowie der Konflikt zwischen Russland und Großbritannien um die Vorherrschaft in Zentralasien, das sogenannte Great Game. In Kim kann Kipling auf Erinnerungen an seine Kindheit in Britisch-Indien Ende des 19. Jahrhunderts zurückgreifen.[4] Der Roman ist heute vor allem als Jugendbuch beliebt und Ursprung des Kim-Spiels. In postkolonialer Perspektive wird dem Roman eine Legitimierung des britischen Imperialismus vorgeworfen.

"Eine Straße in Lahore", Farblithografie von Alexis Soltykoff, März 1842

Der Waisenjunge Kim, eigentlich Kimball O’Hara, lebt zur Zeit der britischen Herrschaft über Indien im Slum von Lahore. Der gewitzte Knabe verdient seinen Lebensunterhalt mit Betteln und kleinen Botendiensten, darunter gelegentlich für Mahbub Ali, den Kim als Pferdehändler am Markt von Lahore kennt, der aber auch für den britischen Geheimdienst arbeitet.

Kim stammt von einem irischen Ehepaar, das verarmt in Indien starb. Obwohl von Geburt Ire, wird Kim von einer Hindufrau großgezogen und ist so sehr in die indische Kultur integriert, dass er Hindustani besser spricht als Englisch. Kims Geburtsurkunde befindet sich in seinem Halsamulett, ohne dass dem Kind dessen Bedeutung klar ist. Sein Vater hat ihm im Opiumrausch geweissagt, dass sich sein Schicksal eines Tages mit Hilfe eines geheimnisvollen roten Stiers auf grüner Wiese zum Guten wenden wird.

Kims Leben ändert sich grundlegend, als er vor dem Museum von Lahore einen reisenden tibetischen Lama kennenlernt, der auf der Suche nach einem legendären Fluss ist, dessen Wasser vom Kreislauf der Wiedergeburten, dem Rad des Lebens, befreit. Kim schließt sich dem Lama als sein Chela (Schüler) an und geht mit ihm auf Wanderung. Bevor die beiden Lahore verlassen, nimmt Kim noch einen Botengang für Mahbub Ali an, die Übergabe eines Briefes an einen britischen Offizier in Umballa. Kim ahnt, dass es sich nicht, wie behauptet, um den Stammbaum eines Pferdes, sondern um eine wichtige Botschaft handelt.

Der Lama und Kim stoßen auf der Grand Trunk Road auf ein irisches Regiment, dessen Fahne einen roten Stier auf grünem Grund zeigt. Zwei Priester des Regiments finden in Kims Amulett seine Geburtsurkunde und ein Papier, das die Zugehörigkeit seines Vaters zum Regiment belegt. Das Regiment beschließt, Kim auf eine englische Schule zu schicken.

Kim und Lama wandern auf dem nördlichen Zweig der Grand Trunk Road

Kim lernt auf der Schule nicht nur Schreiben und Rechnen, sondern auch die Grundlagen des Vermessungswesens. Er soll nach seiner Ausbildung Landvermesser im National Survey werden, was er für eine spätere Tätigkeit im britischen Geheimdienst benötigt. Während der dreijährigen Ausbildung trifft Kim den Lama in den Ferien. Der Juwelenhändler Lurgan in Simla bringt ihm für seine Geheimdiensttätigkeit einige Techniken wie z. B. das Verkleiden bei. Unter anderem spielt Kim bei Lurgan auch ein Gedächtnisspiel, bei dem er sich die Größe und Farbe von Edelsteinen merken muss, das heute noch unter dem Namen Kims Spiel bekannt ist.

Nach drei Jahren verlässt Kim die Schule und mit dem Spion Hurree Babu, übernimmt er den Auftrag, in den Bergen des Himalayas nach zwei russischen Spionen zu suchen. Kim kann deren Papiere an sich nehmen, doch während dieser Aktion wird der Lama verletzt und krank. Mit der Hilfe eines Stammes aus den Bergen gelingt es, den Lama wieder in die Ebene Indiens zu befördern, wo sie sich im Haus einer Gönnerin erholen. Hurree Babu und Mahbub Ali treffen dort ebenfalls ein und nehmen die Papiere der russischen Spione an sich. Das Buch endet damit, dass der Lama in der Nähe in einen Fluss steigt, sich als befreit und erleuchtet betrachtet und hofft, dass auch Kim den Pfad der Erleuchtung einschlägt.

  • Kimball „Kim“ O’Hara – Hauptfigur des Romans, Waise in den Straßen von Lahore, Sohn eines irischen Soldaten in Indien
  • Teshoo Lama – tibetischer Lama aus dem Kloster Such-zen im Himalaya, zurzeit auf einer spirituellen Suche nach der Quelle eines Flusses, der durch einen Pfeil Buddhas entsprang
  • Mahbub Ali – paschtunischer Pferdehändler im Punjab und Spion für den britischen Geheimdienst
  • Colonel Creighton – britischer Offizier, Spion und Hobby-Ethnologe
  • Lurgan Sahib – Juwelenhändler in Simla und britischer Spion
  • Hurree Babu – bengalischer Spion für den britischen Geheimdienst und Kims direkter Vorgesetzter
  • Sahiba – alte adlige Dame aus den Rajput-Dynastien mit Anwesen in der Nähe von Saharanpur, Gönnerin und Anhängerin des Lamas
  • Lispeth – alte Frau in Shamlegh im Himalaya, die Kim und seinem Lama hilft, den russischen Spionen zu entkommen und den Himalaya wieder zu verlassen
  • Reverend Arthur Bennett – Priester der anglikanischen Kirche, Kaplan der Mavericks, dem irischen Regiment, dem Kims Vater angehörte
  • Vater Victor – der römisch-katholische Kaplan der Mavericks, der Kim zur Ausbildung in die katholische Schule St. Xavier in Lucknow schickt

Der Roman gliedert die Handlung in 15 zeitungsgerecht kurze Kapitel von meist um die zwanzig Druckseiten[5] und in drei Teile zu je etwa fünf Kapiteln: Die ersten fünf schildern Kims Erlebnisse in Begleitung seines Lamas auf der Grand Trunk Road, gefolgt von fünf Kapiteln, in denen Kims Ausbildung in einer britischen Schule in Lucknow und durch den Geheimdienst in den Schulferien beschrieben wird. Die letzten fünf Kapitel befassen sich mit Kims Pilgerfahrt an der Seite seines Lamas im Himalaya, wo Kim auch seinen ersten Geheimdienstauftrag ausführt. Die auktoriale Erzählstimme nimmt meist Kims Perspektive ein und beschreibt sowohl die äußeren Ereignisse als auch die Gedanken der Hauptfiguren. Die erzählte Zeit umfasst das Leben Kims von seinem dreizehnten bis in sein siebzehntes Lebensjahr und entspricht der historischen Zeit am Ende der 1870er Jahre.[6] Während die ersten sechs Kapitel die ersten zehn Tagesabläufe der gemeinsamen Wanderung von Kim und Lama und damit die Verknüpfung ihrer Moral und Ethik beschreiben, nimmt das Erzähltempo nach der Aufnahme Kims in die englische Schule mit dem siebten Kapitel in größeren Sprüngen zu: Zunächst werden Tage zusammengefasst, dann verliert die Erzählung die nachvollziehbare Ordnung nach Tagen, dann nach Monaten oder Jahren; zugleich vergrößert sich der Radius ihrer Erkundungen.

Alle fünfzehn Kapitel werden von Versen aus Gedichten Kiplings eingeleitet, die als Motti auf zentrale Aspekte der kommenden Handlung vorausdeuten: Respekt gegenüber anderen Menschen, Tieren und Religionen (Kapitel I), Ablehnung von Stolz (II), Wichtigkeit des moralischen Strebens (III), die zivilisatorische Armut von Kims neuen, englischen Schulkameraden (VI), die Hilflosigkeit des Individuums in den Wirren des Planeten Erde (VII), die Freude Kims über seine doppelte Identität (VIII), die alle weltliche Macht überwindende Wahrheit (XV) usw.

Die Verknüpfung der Ereignisse ist weder kausal noch korrelativ, sondern rein chronologisch: „Zentrales Thema des aus lose aneinandergereihten Episoden bestehenden und vom Autor selbst als ‚handlungslos‘ bezeichneten Romans ist die Freundschaft zwischen dem schlauen, wirklichkeitsnahen Kim und dem weltentrückten Lama, der nur noch den Wunsch nach Vergeistigung kennt.“[7] Kim ist „eine episch-breite, kunterbunte und vergnügte Reisephantasie aus unzähligen Episoden.“[8] Die narrative Funktion dieser „road novel“,[9] dieses episodischen Überblicks der Gegensätze Indiens in den Ebenen und den Bergen, ist, die Lebensmöglichkeiten des Landes dem kritischen Blicken Kims und des Lamas auszusetzen.[10] „Die Gesamtdarstellungen laufen jedoch immer wieder auf eines hinaus, was J. H. Millar in Blackwood’s Magazin (Dez. 1901) bereits formulierte: ‚Aber der Zauber von Kim liegt nicht in der Geschichte (so aufregend und einfallsreich dieses auch ist) noch in der Darstellung von Charakteren (so kunstfertig und überzeugend sie auch ist). Das Geheimnis liegt in dem wunderbaren Panorama des Lebens auf der großen Halbinsel.‘“[11][12]

Vornehme Reisegesellschaft (Buchillustration von 1873)

Die mit vielen Ornamenten erzählten Höhepunkte sind für Kim die Erlebnisse auf den Straßen, vor allem auf der „Große[n] Heerstraße, die das Rückgrat ist von ganz Hind. […] Alle Arten und Kasten tummeln sich hier […] – ein Strom von Leben. […] Dies hieß in Wahrheit die Welt sehen; das war Leben, wie es ihm gefiel.“[13] Aus der großen Verkehrsdichte auf der alten, von England aus strategischen Gründen ausgebauten Fernstraße wird, scheinbar in eurozentristischer Perspektive, „das glückliche asiatische Durcheinander, das, wenn man nur warten kann, alles bringt, was ein einfacher Mensch braucht.“[14] Aber diese Romantisierung der Exotik, die man als Einstellung des noch naiven Dreizehnjährigen auffassen kann, wird durch den Erzähler schnell konterkariert, der einerseits vom Zwang einer niederen Kaste zur Benutzung der ihr bestimmten Straßenseite berichtet und andererseits die nur den Brahmanen ausweichenden „halbköniglichen Prozession“ der alten Dame aus Kulu von hohem Rang beobachtet, der Witwe eines Raja, der sich der Lama und Kim anschließen – die Oberfläche ist brüchig und das erfahrene Auge entdeckt die Klassenstrukturen schon in der Art der Bewegung.[15]

Der Roman wird oft als Abenteuerroman für Jugendliche verstanden,[16] einige Kritiker betrachten Kim als eine kuriose, aber um so erfolgreichere Mischung aus den Genres Abenteuerroman, Bildungsroman, Heldenreise und Spionagethriller.[17] Dabei steckt in ihm weit mehr als das: „Angus Wilson zieht in The Strange Ride of Rudyard Kipling (London 1977) Parallelen zu Don Quijote, den Pickwick Papers, Pilgrim’s Progress und den Canterbury Tales, […] um die literarische Höhe anzudeuten, auf der wir uns in diesem seltsamen Werk bewegen.“[18] Denn mit seiner Hintergründigkeit kann er ebenso als Vexierbild gelesen werden, das dem aufmerksamen Betrachter mehr als nur eine abenteuerliche Oberfläche zeigt: „Die Zahl der von Kipling entwickelten Erzählstrukturen ist fast so groß wie die seiner Erzählungen, da er die Arbeit immer am Material ausrichtete. […] In anderen Erzählungen impliziert die Oberflächengeschichte mehrere Bedeutungsebenen.“[19]

Das Kim-Konzept

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Freund aller Welt

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die erst in seinem dreizehnten Lebensjahr für Kim sich auswirkende zweite kulturelle Zugehörigkeit rückt das Thema der Identität und nationalen Loyalität in den Mittelpunkt der Erzählung. Die dem kleinen Kim von seinem Vater mitgegebene Prophezeiung, er werde einen roten Stier auf grünem Felde und einen Oberst zu Pferd treffen, erfüllt sich in der Begegnung mit dem früheren Regiment seines längst verstorbenen Vaters und mit Oberst Creighton.[20] Was aber von der britischen Seite als schicksalhaftes Einverständnis in die Anglisierung interpretiert wird, ist für Kim der Beginn einer Herausforderung seiner Anschauungen: Kim ist nicht nur kein Brite, sondern ein Kind irischer Eltern und damit selbst Sprössling der ersten englischen Kolonie.[21] Kim, der mit der rund vierzig Mal wiederholten Formel „Freund aller Welt“ angesprochen wird, bekam die Apposition seines Namens von seinen Freunden aus den verschiedenen Vierteln und Kasten von Lahore verliehen:[22] Mal ist er der „kleine Freund aller Welt“, mal der „Allerweltsfreund“, mal der „Freund der ganzen Welt“.[23] Diese alle Angehörigen der verschiedenen Ethnien, Kasten, Religionen und Nationen einschließende, also inklusive Identität ist mit einer im historischen Kontext nur alternativ und nur exklusiv erwarteten Loyalität sowohl für seine Freunde als auch für seine Vorgesetzten nicht zu vereinbaren. Kim vertritt zwar „eine Versöhnung der Gegensätze: Zwischen Orient und Okzident, Hindus und Moslems, Christen und Buddhisten, niederen und hohen Kasten“,[24] aber eben eine, die implizit die Überwindung von Kastensystem und Kolonialismus erfordert.[25] „In dieser Weise ist Kim nicht weniger als ein wandelnder Widerstand gegen jegliches Identitätskommando, ein Einspruch zugleich gegen alle Zumutungen fixer Selbstzuordnung wie sie uns just heutzutage überall begegnen.“[8] In der Permanenz der Wiederholung wird der erweiterte Eigenname der titelgebenden Figur zum Leitmotiv und Programm der Erzählung.[26]

Kim als Name eines Programms

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kim hat weder eine nachvollziehbare Geschichte noch eine charakterliche Entwicklung noch gelebte familiäre Beziehungen noch ein spezifisches Gefühl der Zugehörigkeit,[27] wenn man von Kims väterlichen Freunden, vom Lama, von Oberst Creighton und seinen Mitspionen absieht. Dennoch zeigt er in fast allen Situationen enormes Selbstvertrauen und Resilienz und fühlt sich allen Herausforderungen gewachsen.[28] Mehr oder weniger fertig, ein Wesen einer anderen Dimension, tritt er, „Kind der Mutter Indien“,[29] in das Handlungsgeflecht ein, eben ein „Kobold“ oder „Dämon“, wie er mehrfach von verschiedenen Mitspielern genannt wird.[30] In vielen Details wird daher die Fremdheit der Figur markiert. Die Kim-Figur, die nicht als handelndes Subjekt, als "Person" imaginiert wird, sondern als ein Programm und organisierendes Zentrum des Narrativs, erzwingt mehrere Konsequenzen für die Zuschreibung bestimmter Eigenschaften:

Als starkes moralisches Korrektiv in der erzählten Zeit muss Kim ihr zunächst in voller Reife gegenübertreten. Eine Kindheit hat die Hauptfigur daher bis auf wenige Hinweise nicht gehabt – Kim wird dreizehn und dann nur noch älter, Kim hat Erlebnisse, aber eben keine Entwicklung: „Der Titelheld [durchläuft] keine eigentliche Charakterentwicklung.“[31] Daran ändern auch die vielen Verkleidungen Kims nichts, die in der Verwandlung das bleibende Substrat betonen.

Die von ihm in der erzählten Zeit übernommenen Rollen (Chela, Schüler, Spion) entfalten nur das von vornherein Angelegte, wie Mahbub Ali zum Lama sagt: „‘Ich kenne den Knaben – wie ich schon sagte.‘ ‚Und besaß er immer schon alle diese Vorzüge?‘ ‚Einige davon – aber einen Rothut-Zauber [Ethik des Lamas], um ihn übermäßig wahrheitsliebend zu machen, habe ich bis jetzt nicht gefunden.‘“[32] Die sonst Entwicklung auslösenden Konflikte eines jugendlichen Helden, die Kipling beispielsweise in Captains Courageous erzählt, sind in Kim transformiert in den Gegensatz einer inklusiven, universalistischen und einer exklusiven, diskriminierenden Lebensweise, in der das Kastensystem und der Kolonialismus nur Varianten der Unterdrückung sind: Kim „weist die ihn auf die Exklusivität einer Religion oder Rasse festlegende koloniale Vorstellung zurück; stattdessen umarmt er alle Menschen dieser Welt.“[33]

Darüber hinaus kann er als Wesen ohne eigene Geschichte und ohne Entwicklung logisch nur im Modus der Wiederholung handeln: So kommentiert der Lama erstmals am dritten Tag ihrer gemeinsamen Wanderung Kims immer wieder für Momente auftretenden Stolz, vielleicht ein Erbe seiner weißen Abstammung, deren Kritik er bis zum Ende der Erzählung wiederholen wird: „‘Stolz‘, sprach der Lama nach einer Pause, ‚Stolz gibt es nicht bei denen, die dem mittleren Pfad folgen.‘“[34] Der Aspekt der apriorischen Festlegung und Wiederholung des Figurenhandelns zeigt sich in der nur episodischen Ereignisverknüpfung, in der sich die Hauptfigur von Station zu Station kaum verändert. Auch das Motiv, dass die für Kim lebensverändernde Botschaft in seinem Amulett versteckt ist, wiederholt sich darin, dass die erste und letzte geheimdienstliche Aufgabe Kims die Übergabe einer unauffällig verpackten hochpolitischen Botschaft ist.[35] Liest man Kim als Abenteuerroman, liest man über seine Textur der Konterbanden hinweg.

Der gottlos-heilige Lama

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Programm, das Kim, der „Freund aller Welt“, als Figur inkorporiert, repräsentiert der Lama, einst Abt des Klosters von Such-zen, mit tibetisch-buddhistischen Anklängen auf einer ethischen Ebene. Er verknüpft das naiv-universalistische Konzept der Kim-Figur mit einer vor allem in Asien verbreiteten historischen Tradition und verwandelt so die alltagspraktische Klugheit Kims[36] in eine humanistisch-pazifistische Vision – gegen Fehden, Gewalt, Totschlag und Krieg,[37] gegen die Trennung der Menschen durch hoch und niedrig, durch Kasten und Religionen,[38] gegen den Stolz und die Verachtung anderer,[39] gegen Zorn und die Lust der Vergeltung,[40] gegen die Gier des weißen Mannes und das Begehren des Körpers[41] – und gegen die Eitelkeit eines alten Lamas.[42]

Es gehört zur Strategie der Verstellung, die sozial aufrührerischen Prinzipien in einem religiösen Mantel zu präsentieren: Der Lama erläutert Kim das buddhistische Lebensrad, das mit seinen sechsunddreißig Erwähnungen dem universalistischen Kim-Konzept im Roman nahezu gleichgestellt wird. Im Zentrum seiner bildlichen Darstellung stehen die drei Symbole des Schweins (für die Dummheit), der Tauben (für Gier und Wollust) und der Schlange (für Zorn und Hass), Schwächen, die der Lama immer wieder am Verhalten Kims und anderer Figuren kritisiert.[43] Diese Hauptlaster, die denen des Christentums ähneln,[44] werden vom Lama aber nicht als Verletzung religiöser Gebote, sondern als weltliche Kräfte der Unordnung und eines verfehlten Lebens gesehen: „Kipling stellt Religion von einem weltlichen Standpunkt aus dar; sie ist nichts als eine kulturelle Eigenart.“[45] Daher betet der Lama „niemanden an“ und er „sucht keinen Gott, von dem ich Kenntnis habe,“ wie der Priester eines Dorfes erstaunt bemerkt, der den Lama weder dem Buddhismus noch dem Hinduismus oder Islam zuordnen kann.[46] Die Vision des Kim-Konzepts hat in einem multireligiösen historischen Kosmos nur in Verbindung mit einer rein weltlichen Ethik den Hauch einer Chance auf Akzeptanz – eine konsistente buddhistische Orientierung wäre eine Einschränkung von Kims Universalismus. „Ein Ungläubiger und ein Götzendiener bist du“, sagt ihm Mahbub Ali ins Gesicht. „Sonderbar, dass der alte Herr selbst aller Religiosität bar ist. Er nimmt es nicht im Geringsten genau. […] Er ist rein agnostisch gesinnt,“ charakterisiert Hurree Chunder Mookerjee den Lama.[47] Der Lama – ein gottloser Heiliger? Dieses Oxymoron verweist auf den Doppelcharakter der Figur wie auch auf den des ganzen Kim, der nur an der Oberfläche eine Abenteuergeschichte für Jungen erzählt, eigentlich aber eine Vision der Befreiung des indischen Kontinents von aller Diskriminierung ist.

Mit Kims symbolischen Kanonenritt auf der gigantischen "Zam-Zammah" beginnt der Roman. Die Kanone wurde 1757 in Lahore während der Herrschaft des afghanischen Königs Ahmad Schah Durrani gegossen, dessen Macht sich auch auf den Nordwesten Indiens erstreckte. (Foto mit Kanonenreiter von 1921.)

Schon mit dem einleitenden Satz der Erzählung wird Kims neue Art von Identität, seine suchende Querköpfigkeit deutlich: „Er saß, allen behördlichen Vorschriften zum Trotz, rittlings auf der Kanone Zam-Zammah.“ Dieses riesige Geschütz, Relikt der feudalen Hybris indischer Fürsten und ihrer Kriege um das Vorrecht der Ausbeutung von Afghanen durch Afghanen, hat als narratives Symbol eine Schlüsselfunktion:[48] Das Bild des Kanonenritts ist eine mehrdimensionale symbolische Überwindung von Macht, der Macht seiner Spielkameraden,[49] der Macht der gegeneinander konkurrierenden Hindus und Moslems, der Macht der Eliten des Kastenwesens und damit auch der des Kolonialsystems, das sich auf die Kasten stützt. Dass Kim auf der Kanone reitend den Lama und dieser ihn oben auf dem Monstrum erblickt, ist für den Lama ein Wink des Schicksals, an den er mehrfach erinnert:[50] In der Überwindung aller Macht in der Allegorie des Kanonenritts wird eine Gemeinsamkeit der Ziele deutlich, die zur Basis der tiefen emotionalen Verbindung zwischen Kim und dem Lama wird. Dessen Vermögen der sich entfaltenden Einwirkung auf Kim ist abhängig von Kims Affizierbarkeit, die dieser erste Blick ihrer Liebe signalisiert.[51]

Vom ersten Augenblick an fasziniert Kim der Lama so sehr, dass er sich ihm als Chela, als Schüler, andient: „Dieser Mann war seinem kundigen Herzen völlig neu, und er wollte ihn weiter erforschen […] ‘Niemals sah ich einen Mann wie du bist‘, flüsterte Kim, überwältigt.“[52] Dadurch scheint die Rollenverteilung von Anfang an geklärt: Kim hilft dem Mönch, der auf ihrer Wanderung sowohl beim Betteln als auch bei der Orientierung in den Städten Unterstützung dringend zu benötigen scheint. (Man könnte allerdings fragen, wie der Heilige bisher überlebt hat!) Kim lässt mit hoher Bettelkunst die Schalen füllen, verhindert Betrug und Diebstahl, überzeugt den Lama von der Möglichkeit der Benutzung von Eisenbahnen und trägt ihn, klapperdürr und altersschwach, ein Stück des Wegs aus den Bergen in die Ebene.[53]

Aber nicht nur der Lama ist auf Kim angewiesen, sondern Kim auch auf den Lama: Der scheinbar bettelarme Lama verfügt über die finanziellen Ressourcen seines fernen Klosters, mit denen er Kims Schulgeld drei Jahre pünktlich zahlt, und geräuschlos und sicher „wie eine Fledermaus“ durchstreift er vor ihrer Begegnung und während Kims Abwesenheit allein das Land.[54] Kims naive Moral wird durch die buddhistischen Interventionen des Lamas ins Ethische erweitert, die buddhistische Oberfläche liefert dem Kim-Konzept seine unterstützenden philosophischen Weihen. Gemeinsam formen sie das Programm eines ethischen Universalismus, der sich gegen Kasten und Kolonialismus richtet.[55][12]

Der Kontakt von westlichen und östlichen Philosophien regte „in allen asiatischen Zivilisationen auch universalistische Denkströmungen“ an.[56] An der Oberfläche erscheint Kim als Diener seines Herrn, eine narrative Camouflage, aber mit Blick auf die Plausibilisierung des Kim-Konzepts tauschen sie die Rollen: Der Lama wird Kims Sekundant im Duell der inklusiven Identität mit der menschenverachtenden Exklusion: „Wahrlich, ich war das Werkzeug. Du wirst meinen Fluss finden und dafür wieder das Werkzeug sein.“[57]

Spirituelle Revolution in Indien

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Visionäre Vorzeitigkeit

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Mahatma Gandhi auf dem Salzmarsch, eine der spektakulärsten Kampagnen zivilen Ungehorsams gegen das britische Salzmonopol im März/April 1930

Für den Lama ist Kim ein „Freund der Sterne“, ein „Kind meiner Seele [und] nicht von dieser Welt“, ein Kind des Schicksals mit einem Standpunkt außerhalb der sozialen Gegensätze.[58] Kim hat vor allem einem distanzierten Blick auf die durch die doppelte Ausbeutung im System des Kasten-Kolonialismus zerrissene Gesellschaft. Er wird von Mahbub Ali gefragt: „Und wer ist dein Volk, Freund aller Welt?“ Kim antwortet: „Dieses große und wundervolle Land.“[59] Aber Kims inklusive, hybride Identität ist eine historisch vorgreifende, dritte Möglichkeit im Spannungsfeld des narrativen Universums, nicht zwischen den sich ausschließenden Identitäten Indiens oder Englands, sondern über ihnen. Mehrmals verzweifelt Kim daher an seiner historisch illusionären Rolle: „Was ist Kim? […] Was bin ich? […] Wer ist Kim – Kim – Kim?“[60] Als Wesen der Zukunft beklagt Kim die Einsamkeit seiner allen nahen und daher allen fernen Situation: „In ganz Indien ist keiner so allein wie ich!“[61]

Das Hauptthema wird narrativ unterstrichen, indem Kipling die Erzählstimme zweimal im Roman aus dem situativen sprachlichen Kontext heraustreten und über die Rolle in einer für Kim fremden Begrifflichkeit reflektieren lässt: „Er grübelte über seine eigene Identität, etwas, was er noch nie zuvorgetan.“[62] Das Kim-Programm ist das einer Befreiung seines Volkes – „Kim“ ist daher weniger die Imagination einer „lebenden Figur“ als ein für das soziale Feld seiner Zeit potenziell heilendes, aber weit vorgreifendes Konzept, das auch über den inner-indischen Konflikten steht: „Er wandelt als Arzt – da seine Zeit reif ist. […] Er muss hinausgehen als ein Lehrer“, wie der Lama meint.[63]

Kipling hat die Arbeit am Roman im Jahre 1900 beendet, am Höhepunkt des viktorianischen Imperialismus. Indien hat er zuletzt 1891 besucht, sodass er in seinen Texten nur das politisch noch ruhige Indien seiner Erfahrungen zwischen etwa 1880 und 1890 beschreiben konnte. Die 1885 gegründete indischen Kongresspartei, eine der ältesten demokratischen Parteien der Welt, ging in der ersten Phase ihrer Geschichte sogar noch mit Anfragen und Bitten auf die Kolonialbehörden zu, um sich an deren Regierung zu beteiligen. Bis nach dem 1. Weltkrieg stellte die Kongresspartei das britische Kolonialsystem nicht infrage.

Erst nach 1918 wurde die Kongresspartei die führende Bewegung des indischen Unabhängigkeitskampfes. Als die russischen Revolutionäre nach 1918 eingesehen hatten, dass eine Weltrevolution zumindest in Europa unwahrscheinlich war, wandten sie sich den orientalischen und asiatischen Regionen zu und initiierten und unterstützten dort antiimperialistische Bewegungen, unter anderem den Indischen Nationalkongress.[64] Die offene Proklamation einer Verbesserung der Lage der indischen Völker hat sich demnach zur Zeit der Niederschrift von Kim auf keine politische Bewegung stützen können[65] und ein Umsturz der Verhältnisse konnte vor 1900 nur in religiöser Verhüllung imaginiert werden.[66]

Metaphorik der Befreiung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
„Grauenhaftigkeit des Lebens“ (Kipling): Während die Bewohner im indischen Dschungel noch ausreichend Nahrung finden, verhungern die Armen in den Städten und auf dem Land. (Fotos von 1897 aus einer kirchlichen Untersuchung zu indischen Hungersnöten)

In diesen Kontext der Entstehung des Kim gehört ein Brief Kiplings von 1885, in dem er „die unaussprechliche Grauenhaftigkeit des Lebens der eurasischen Unterklasse und der Eingeborenen“ erwähnt.[67] „Der Amerikaner Edmund Wilson fand, Kim hätte sich logischerweise zum Freiheitskämpfer gegen die Engländer entwickeln müssen.“[68] Zweimal erzählt der Lama die Geschichte einer Befreiung, die des durch einen eisernen Ring gefesselten alten Elefanten, der durch ein junges Tier, um das sich das alte gekümmert hat, von seiner eisernen Fessel befreit wird:[69] Das kann gelesen werden als Befreiung des Lamas vom Rad des Lebens durch Kim, ist aber auch – wie das Thema der Befreiung von Dummheit, Gier und Hass, Themen der Symbole im Zentrum des Bildes vom Rad des Lebens – eine Allegorie für die dringend notwendige Revolution der Verhältnisse in Indien, die in der Tarnung des Textes immer nur als permanente Suche nach der Befreiung vom Rad des Lebens ausgesprochen wird. So schließt der Roman gegen Ende mit den mehrdeutig-prophetischen Worten des Lamas: „Gerecht ist das Rad! Gewiss ist unsere Erlösung. Komm!“

Der Lama bindet die mythische Befreiung anfangs an einem einzigen, magischen Ort, an den „Fluss des Pfeils“. Aber die Entgrenzung von Kims Identität zu einem neuen moralischen Universalismus wird während der Wanderung der beiden schließlich vom Lama übernommen und gespiegelt in einem neuen Universalismus des Ortes, in der Entgrenzung des mythischen Flusses.[70] Erleuchtung ist nun überall möglich, wo auch immer Erleuchtung das Los der Menschen verbessert: „Wenn es sein soll, wird der Strom zu unseren Füßen aus der Erde hervorbrechen.“[71] Die „unaussprechliche Grauenhaftigkeit der Lebensverhältnisses der eurasischen Unterklasse“ (Kipling), der Kim und der Lama auf ihrer Wanderung begegnen, verwandelt den Ort der Leiden, so die Hoffnung, in den Ort der Befreiung, in den eines „hervorbrechenden Stroms“. Der Erzähler verwendet hier jene Metapher, in der auch die archaische Rhetorik grundstürzende spirituelle Umwälzungen prognostiziert: „Wenn sie durch das Tal der Tränen gehen, machen sie es zu lauter Quellen, und ihre Taten werden gesegnet werden.“[72] Dass der Lama die buddhistisch verpflichtende Ortsbindung seiner Erleuchtung so pragmatisch re-interpretiert, charakterisiert die Religion in Kim als weltanschaulichen Firnis und zeigt, dass der politische Universalismus des Kim-Konzepts das primäre, das organisierende Konzept des ganzen Textes ist.

Kolonialismus in Kim

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das politische Feld

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der Maharaja von Rewah, ein Prototyp des indigenen Kollaborateurs (Distrikt in Zentralindien, Foto etwa 1877)

Der britische Imperialismus hat im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die eingespielte indigene Ausbeutungsmaschine des indischen Kastensystems als eine weitere Schicht ökonomisch und militärisch überformt: Britisch-Indien bekam eine koloniale Herrschaftsstruktur über einer noch traditionell legitimierten „indigenen Kollaborationselite“.[73] Diese besaß einen zum Teil erheblichem Handlungsspielraum, wenn auch im Auftrag der britischen Oberhoheit, die die Form der „indirekten Herrschaft“ annahm.[74] Der lokale Adel bildete zusammen mit der Kastenelite das „interface zwischen kolonialem Staat und kolonisierter Gesellschaft“, sie waren Herrschaftsvermittler und Moderatoren zugleich.[75] „Koloniale Kollaboration setzt ein Tauschgeschäft voraus“: Sicherung wenigstens eines Teils der Macht der traditionellen Eliten gegen Herrschaftserleichterung für die Kolonialmacht, ein „fundamentale[r] Widerspruch jeder Kollaborationsbeziehung“, der in der einen oder anderen Richtung zum Legitimationsverlust führt.[76]

Trotz der britischen Annexionspolitik mit der Doctrine of Lapse, wodurch sich die Britische Ostindien-Kompanie bis Mitte des 19. Jahrhunderts etwa die Hälfte Indiens angeeignet hatte, wurde der Alltag weitgehend vom lokalen Adel bestimmt:[77] Den meisten Indern trat die militärische Oberherrschaft Englands nicht mit seinen bis Ende des 19. Jahrhunderts nur etwa 1.500 Kolonialbeamten[78] und ihrer Armee entgegen, sondern durch das alte, von den Engländern instrumentalisierte Kastensystem und den ausbeutenden, mit den Briten kollaborierenden indigenen Adel: „Ich sah Radschas und Elefanten mit Gold- und Silbergeschirr“, erzählt Kim.[79]

Empfang des deutschen Kronprinzen durch den Hof des Maharajas des Distrikts von Lahore am 15. Januar 1911

Die Großgrundbesitzer trieben über Mittelsmänner die Steuern in Britisch-Indien ein, oft durch Erpressung, Zwangsvollstreckung, aber auch häufig Gewalt; zahlreiche Aufstände gegen die Steuereintreiber, aber ohne antikoloniale Stoßrichtung wurden im 19. Jahrhundert blutig niedergeschlagen. Zwischen 1793 und 1872 stiegen die Steuern um das Siebenfache an, aber nur etwas mehr als das Doppelte der früheren Einnahmen wurde den Briten abgeliefert. Die koloniale Ausbeutung war nur die Spitze der rücksichtslosen Auspressung der Bevölkerung durch die indischen Eliten.[80]

Nach dem Sepoy-Aufstand von 1857/58 praktizierten die Briten eine Art Nichteinmischung in die abhängigen Fürstentümer, die die Spitzen des Kastensystems nicht zur wenigstens moderaten Modernisierung,[81] sondern zur weiteren Bereicherung nutzten – die indische Gesellschaft erlebte eine lange Phase des Stillstands oder, wie Klein es formuliert, „die Entwicklung der Unterentwicklung.“[82]

Kims soziale Perspektive

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Eine Gruppe von Maharajas in Kapurthala in der Nähe von Lahore, Nordwestindien, dem ersten Schauplatz des Romans (Foto von 1927, aufgenommen von Albert Kahn)

Dieses System des Kasten-Kolonialismus-Komplotts, der Verabredung zu den Verbrechen der Ausbeutung der zahlreichen Völker Indiens,[83] lehnen die beiden Protagonisten wiederholt in toto ab. So der Lama: „‘Von niederer Kaste habe ich nicht gesprochen, denn wie kann das sein, was nicht ist? […] Für die, die dem Pfad folgen, gibt es weder Schwarz noch Weiß, weder Hind noch Bhotiyal.‘“ […] „‘Und wir‘, sagte Kim […]‚ sind erhaben über alle Kasten‘.“[84] Daher werden die kooperierenden Ausbeutungsstrukturen von Kastensystem und Kolonialismus an keiner Stelle differenziert. Dennoch erscheint das soziale Gefälle der Gesellschaft in Kim beispielsweise eindrücklich darin, dass die armen Verwandten der alten Dame aus Kulu, Gebieterin über zwanzig Dörfer,[85] die die beiden Wanderer zeitweise in ihr Haus aufnimmt, „Haushunde“ genannt werden, die aber nicht ermüden, „die Mildtätigkeit ihrer Schutzherrin auszuposaunen.“[86] Auch die Diskriminierung der Frauen wird nicht verschwiegen, da selbst die alte Adlige beklagt, dass Frauen in Indien in die Unsichtbarkeit gedrängt würden: „Wir armen Frauen gelten nichts und sind stumm.“[87] Bis auf die Magierin, die Frau aus Shamlegh, die alte Dame aus Kulu sowie Prostituierte, die den schönen Jüngling auf sich aufmerksam machen, spielen Frauen im Roman keine große Rolle: „Kim ist ein Roman über eine Männerfreundschaft.“[88] Armut wird sowohl im Schicksal von Kims Vater angesprochen, der im Opiumnebel „starb, wie eben arme Weiße im Indien sterben“, als auch mit der Bemerkung, dass Gefangene der Regierung besser gefüttert würden, „als die meisten ehrlichen Leute sich selber zu füttern vermögen“, sowie in der Beschreibung der „Dörfer des Bergvolkes – Erd- und Lehmhüttten, Gebälk hie und da, roh mit der Axt behauen.“[89] Der Blick des Erzählers auf Ausbeutung und Diskriminierung in Indien reicht viel weiter, als sich nur auf den Kolonialismus zu fokussieren.

Die Akteure im Großen Spiel

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ferner noch als dem durchschnittlichen Inder die persönliche Begegnung mit britischen Kolonialbeamten war ihm das Große Spiel, die globale Konkurrenz des russisch-zaristischen und des konstitutionell-monarchischen Imperialismus Englands um die Hegemonie im Vorderen Orient[90] und in Asien, die im Roman den Hintergrund der Ausbildung Kims für seine Tätigkeit im Geheimdienst bildet.[91] Kim, der schrittweise auf die Arbeit im britischen Geheimdienst vorbereitet wird, entscheidet sich zeitweilig für die Tätigkeit als Spion und damit für die Stabilisierung der britischen Oberherrschaft über sein Land, aber „die recht melodramatische Spionagehandlung fällt dabei wenig ins Gewicht.“[92] Das Ende des Romans legt eher eine Zukunft als Lehrer seiner Philosophie nahe: „Ja, ich lasse mir‘s sogar gefallen, dass unser Freund aller Welt seine Hand zuerst in deine legt. Behandle ihn gut und dulde, dass er als ein Lehrer in die Welt zurückkehrt“, sagt Mahbub Ali zum Lama.[93]

Sikh-Offiziere des britischen 15. Punjab Infanterie-Regiments (Foto von 1858 kurz nach dem Sepoy-Aufstand)

Neben der Auseinandersetzung mit den russischen Spionen ist auch die Darstellung des Sepoy-Aufstands gegen die Briten[94] eine Loyalitätsbezeugung Kiplings zum britischen Kolonialismus. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ereignisse wegen ihres Umfangs heute zwar als „Volksaufstand“ verstanden werden, aber die Deutung als „erster indischer Unabhängigkeitskrieg“ sich nur bei einem kleinen Teil der Historiker durchgesetzt hat.[95] Denn die Ziele der Beteiligten am Aufstand von 1857/58 waren sehr heterogen: Indische Soldaten meuterten gegen britische Offiziere, arme Teile der Bevölkerung bereicherten sich durch Plünderungen, indisch-nationale Kräfte massakrierten eurasische Ausländer, indische Fürsten erhoben sich zur Wiederherstellung ihrer feudalen Macht.[96]

Die Loyalität des Erzählers muss daher im Kontext dieser historischen Abwägung und des humanistischen Programms der ganzen Erzählung bewertet werden:[97] Schon zur Zeit der Niederschrift und auch aus heutiger Perspektive wäre der zaristische Imperialismus oder ein Rückfall in die Konflikte der Feudalherren des sich auflösenden Mogul-Reiches keine bessere Alternative für die indischen Völker gewesen. Trotz seiner Niederwerfung markiert der Aufstand eine Zäsur, dem ein fragiler Frieden mit unterschwelligem Protest und immer wieder lokalen Aktionen folgte.[98] Aber eine Bewegung für nationale Unabhängigkeit entstand erst nach dem 1. Weltkrieg, unterstützt von den sich nach Osten orientierenden russischen Revolutionären, die vergeblich auf die Weltrevolution in Europa gewartet hatten.[99]

Stereotype des Alltags

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die multiethnische und heterodoxe Bevölkerung nutzt in dieser Vielfalt kulturalistische und rassistische Stereotype, auf denen von Anfang an das autochthone Kastensystem basiert.[100] Weniger die Erzählstimme, wohl aber seine Figuren verwenden diese Muster als alltägliche Hilfsmittel der Orientierung in der Vielfalt der indischen Ethnien[101] immer wieder: „‘Und außerdem bin ich Bengale – ein furchtsamer Mann.‘ - ‘Gott schuf den Hasen und den Bengalen. Was ist dabei?‘ sagte Kim, das Sprichwort zitierend“, zu Hurree Chunder Mookerjee.[102] Im kleinen Spiel des Alltags wird der Gruppenzusammenhalt und damit die Konstruktion von Identitäten durch die Zuschreibung und den Ausschluss von auch äußerlichen Merkmalen gefestigt. Die Vergewisserung der eigenen Identität erfolgt durch ethnische Abgrenzung: „Die anderen sind nicht so wie wir!“ oder: „Wir sind besser als die anderen!“ Solche Stereotype, eine alltägliche omnis determinatio est negatio,[103] sind das spontane Hilfsmittel zur vorläufigen Ordnung der Welt. Wie diese Stereotype den Alltag beim Aufeinandertreffen der sozial und regional differenzierten Gruppen strukturieren, schildert der Erzähler seitenlang plastisch am Beispiel der Prozession der alten Adligen aus Kulu auf der Großen Heerstraße: „Hinter den ruckenden Gardinen hervor kam ein Hagel von Schimpfworten. Er hielt nicht lange an, aber an Art und Inhalt, an giftiger, beißender Treffsicherheit übertraf er alles, was selbst Kim bisher gehört hatte.“[104]

Aus den von Kipling den Figuren in den Mund gelegten Stereotypen fallen nur die von Engländern und für sie verwendeten aus dem Rahmen. Sie bilden die verachtungsvollsten im ganzen Text: Kaplan Bennet, Angehöriger der anglikanischen Staatskirche Englands, blickte auf Kim „mit der dreifach gepanzerten Teilnahmslosigkeit jenes Bekenntnisses, das neun Zehntel der Welt als ‚Heiden‘ in einen Topf wirft.“[105] Für Kims Mitschüler in der englischen Schule, den späteren Kolonialbeamten, sind alle Inder „Nigger. […] sinnlose Schimpfworte, die zwei Drittel des Wortschatzes weißer Männer zu bilden schienen. Kim kannte und verachtete sie alle längst“, wie er auch den Engländer an sich „für schmutzig hält.“[106] Für Kim „kennen [die Briten] das Land nicht“ und selbst Oberst Creighton räumt ein, das Verhalten von Indern nicht vorhersagen zu können. Das Verständnis der Herrschenden für die Beherrschten scheint daher nicht weit entwickelt zu sein, obgleich „es mit ihnen ist, wie mit allen Menschen – in manchen Dingen sind sie weise, in anderen sehr töricht. […] Die Torheit der Sahibs hat weder Deckel noch Boden“, fasst Mahbub Ali zusammen.[107] Die reisende Witwe, der sich der Lama und Kim zeitweilig anschließen, äußert sich scharf über die Briten: „Die frisch von Europa kommen, von weißen Frauen gesäugt sind und unsere Sprache nur aus Büchern kennen, sind schlimmer als Pestilenz.“[108] Kim nennt seit seiner Schulzeit Mahbub Ali gelegentlich einen „Pathan“, einen „schwarzen Mann“, was beide nach Mahbubs erster Irritation als ironisches Spiel genießen.[109] Aber es ist Oberst Creighton, der den wieder einmal hochmütigen Kim ermahnt, sich nie verleiten zu lassen, „den farbigen Mann gering zu schätzen.“ Und es ist wieder Creighton, der Oberspion im Dienst ihrer Majestät, der den Lama einen „Gentleman“ nennt.[110] Eine prinzipielle Abwertung der indigenen gegenüber den britischen Romanfiguren gibt es in Kim nicht, eher ist das Gegenteil der Fall.

Rezeption und Kritik

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literaturgeschichte

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zur Zeit der Veröffentlichung von Kim waren Abenteuererzählungen en vogue, deren Autoren die imperialistische Grundhaltung zur Überlegenheit speziell der Briten gegenüber kolonialisierten Völkern mitbrachten; als Beispiel solch eher stereotyper Kolonialliteratur wird Rider Haggards King Solomons Mines (1886) genannt. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war Kipling ein populärer englischer Schriftsteller mit dem Sujet der Kolonialpolitik und Kim ein erfolgreicher Roman. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm Kiplings Popularität und literarischer Erfolg stark ab. Kipling galt unter anderem wegen seines Gedichts The White Man’s Burden als Propagandist des britischen Imperialismus.[111][112] Kiplings Ruf als seriöser Schriftsteller wurde unter anderem durch T.S. Eliots Essay über Kiplings lyrisches Werk wiederhergestellt, wobei jedoch nicht alle Kritiker Eliots Wertschätzung für Kiplings Werke teilen.[113]

Der Roman Kim wird heute aufgrund seiner detaillierten, facettenreichen Darstellung der Geografie und Gesellschaft (Nord-)Indiens als Klassiker der britisch-indischen Literatur betrachtet und gehört zum Kanon der englischen Literaturgeschichte. Der Kritiker Nirad C. Chaudhuri bezeichnet Kim als „den besten Roman in der englischen Sprache mit einem indischen Thema, aber auch einer der großartigsten englischen Romane trotz seines Themas“.[114] Kiplings Kim wird gemeinsam mit Romanen wie A Passage to India von E. M. Forster zur sogenannten anglo-indischen Literatur gezählt, d. h. zur Literatur britischer Schriftsteller über Indien, und Kipling als deren Begründer.[115]

Das Motiv der Suche nach Identität wurde von nachfolgenden indischen Autoren weiterentwickelt und zu einem der zentralen Themen der indischen Literatur, von G.V. Desanis All About H. Hatterr (1948) bis zu Salman Rushdies Midnight Children (1982).[116] Kipling war auch einer der ersten englischsprachigen Autoren, der versuchte, indische Worte und Phrasen zu einem sprachlichen Ganzen zu verschmelzen, das zu den Charakteren, der Handlung und der Lokalität passt. Dieser Stil eines Englisch mit einem großzügigen Anteil an Indianismen wurde von einigen der wichtigsten englischsprachigen Autoren der indischen Literatur später auch genutzt, so z. B. von Mulk Raj Anand, G.V. Desani oder Salman Rushdie.[117]

Postkolonialismus

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Lektüre jedes literarischen Werkes mehr als einhundert Jahre nach seinem Erscheinen stellt den Leser vor besondere Schwierigkeiten. Oft sind weder die Einstellungen und im Kulturkreis des Autors damals üblichen Entscheidungsmöglichkeiten noch die Präferenzen eines Autors hinreichend bekannt. Ist außerdem – wie in diesem Fall – das Sujet, der Handlungsrahmen, dem Leser mehr oder weniger fremd, stützt sich das Werturteil vielleicht auf eine intuitive, statt auf eine detaillierte historische Analyse. So besteht Pierre Bourdieu in Die Regeln der Kunst darauf, dass nur durch eine historisch-soziologische Analyse verstanden werden könne, wie ein Künstler sich auf die zu seiner Zeit, in seinem Umfeld gegebenen Festlegungen bezieht und sich in seiner „Befreiungsarbeit“ als schöpferisch Wirkender erst von seinem zeitgenössischen literarischen Mainstream distanziert.[118] Die mehr oder weniger intensive Auseinandersetzung mit dem britischen Kolonialismus in Indien prägt die aktuelle Debatte um Kipling und seinen Kim. Als Werk eines der bekanntesten anglo-indischen Intellektuellen stellt sich die Frage, wie Kipling die britische Herrschaft in ihrer wichtigsten Kolonie bewertet.

„Der erste Ministerpräsident Indiens, Jawaharlal Nehru, bezeichnete Kim als sein Lieblingsbuch.“[24] Offenbar ermöglichte historische Nähe und Vertrautheit mit dem Sujet eine positive Einstellung. Aber „obgleich der Roman seine Popularität nie verloren hat, wird er mit dem Aufschwung postkolonialer Studien zunehmend kritisiert.“[119] Heute gehen die Meinungen über Kiplings Haltung zum britischen Imperialismus weit auseinander: Für die einen ist Kipling „grotesker missverstanden, verzerrt und folglich verleumdet worden als jeder andere bekannte Schriftsteller“,[120] wofür Gründe genannt würden, „die literarisch sämtlich irrelevant sind.“[121] Für andere zeigt sich im „Kim […] Kiplings positive Einstellung zum britischen Imperialismus weniger deutlich als in anderen Werken.“[122] Für Dritte offenbart sich Kipling dagegen im Kim in der imperialistischen Sichtweise seiner englischen Zeitgenossen befangen.[123] Die Schärfe der Verurteilung Kiplings korrespondiere in postkolonialen und dekolonialen Theorien mit dem Konzept eines „dämonisierten Kolonialismus“, der die angebliche Allmacht der Kolonialherren für alle Fehlentwicklungen verantwortlich mache – in der Regel werde daher in diesen Theorien die „indigene Kollaboration“ (s. o.) beschwiegen.[124]

Der Literatur- und Postkolonialismus-Theoretiker Edward Said, der ein Vorwort zu Kim verfasst hat, bezeichnete den Roman als „Meisterwerk des Imperialismus“,[125] einerseits seine Wertschätzung der literarischen Qualitäten ausdrückend, andererseits auch seine Kritik an der zugrunde liegenden Position Kiplings: Wie auch andere kolonialistische Schriftsteller seiner Zeit bestehe Kipling auf der überlegenen Position des britischen Empires, der die Unterlegenheit anderer Völker korrespondiere. Mit seiner Kritik an der Ideologie des Orientalismus gibt Said auch den Ton für die aktuelle Detailkritik an Kim vor. Beispielsweise für Ryan Thomas,[126] der Kipling mehrere Formen der Unterstützung des britischen Imperialismus vorwirft:

  • Kipling erwähne mehrmals eine von den Briten vorangetriebene Modernisierung (Eisenbahnen, Medizin, systematische Wissenschaft), und vermittle dadurch implizit und subtil, dass Indien sich nicht selbst hätte modernisieren können.
  • Kim und der Lama benutzen auch Eisenbahnen auf ihrer Reise, deren Einführung durch die Briten Kipling zwar erwähne, ohne aber auf die Opfer an Menschenleben in der Bauphase und auf den strategischen Zweck der Etablierung einer kolonialen Ausbeutungswirtschaft in den verschiedenen Wirtschaftszweigen einzugehen – Kolonisierung werde so implizit mit Zivilisierung gleichgesetzt.
  • Trotz großer Armut und Hunger der Bevölkerung vermittle Kims immer erfolgreiche Bettelei um Nahrung subtil den Eindruck, für die Armen gäbe es immer genug zu essen, wenn sie es nur richtig anstellten.
  • In der Verunglimpfung des russischen und des französischen Spions als dumm, armselig und grausam werde ex negativo implizit und subtil die Klugheit und Fürsorge der britischen Spione für Indien und die Unterstützung der Bevölkerung für die Briten betont und dadurch die britische Herrschaft und Abwehr äußerer Feinde gerechtfertigt. J. Chakrabarty ergänzt, dass Indien so als das passive Schlachtfeld für den Konflikt der Großmächte und der englische Imperialismus als nur durch äußere Feinde gefährdet dargestellt würde.[127]
  • Die britische Herrschaft sei längst nicht so effektiv gewesen, wie von Kipling unterstellt: Ohne die traditionell stark hierarchisierte Gesellschaft, ohne die breite Kooperation der indischen Eliten als Herrschaftsvertretung der Briten („indirect rulers“) hätten die Briten mit ihren 1500 Kolonialbeamten das Land nicht ausbeuten können.[128]

Diese Kritik am Kim wird auch von Ian Mackean geteilt.[9] Für ihn ist Kipling „ein Imperialist und Kim personifiziert Haltungen zur britischen Herrschaft in Indien, die heute völlig unakzeptabel sind.“ Insbesondere bei jeder Erwähnung britisch initiierter Modernisierungen in Indien werde implizit, unvermeidbar und subtil die Überlegenheit des Westens gegenüber dem Osten dargestellt. So erniedrige beispielsweise auch der Kurator des Museums von Lahore den hoch geschätzten Lama, indem er diesem seine nicht zerkratzte Brille aus härterem Glas anbiete. Und auch bei der deutlichen Kritik Kims an Engländern in Indien habe er den Verdacht, dass sich in dieser Kritik subtil Arroganz und Patronisierung verstecke.

Nick Scott, ebenfalls Edward Said folgend, konstatiert eine große Zahl von negativen Stereotypen über den Orient und die in Kim auftretenden indigenen Figuren, die den Eindruck der europäischen Überlegenheit vermittelten und damit die Hegemonie des Westens rechtfertigten. Insbesondere Bemerkungen, die die indische Bevölkerung mit Lügen, Feigheit, Dehnung von Zeitstrukturen, Ineffizienz und z. B. unsystematisiertem Wissen verknüpfen, würden mit positiven Merkmalen der britischen Zivilisation subtil kontrastiert. Im Rahmen der westlichen Ideologie des Orientalismus werde Indien darüber hinaus auch als „statisches Objekt“ ohne eigene Entwicklung, eigene Dynamik oder Widerstand gegen den Kolonialismus dargestellt – in Kim gebe es daher keine Alternative zum Kolonialismus und dadurch eine subtile Rechtfertigung der Fortdauer britischer Herrschaft über Indien.[129]

Der Vorwurf, Kipling habe jeglichen antikolonialen Widerstand verschwiegen und die Opposition gegen den Kolonialismus auf eine mythisch-symbolische Ebene verschoben, kann mit einer Bemerkung Jawaharlal Nehrus besser in den historischen Kontext eingeordnet werden: Nehru äußerte in einem Prozess 1922, dass er vor weniger als zehn Jahren mit all den Vorurteilen von Harrow und Cambridge mehr als Engländer denn als Inder gedacht habe und dass er erst seitdem zum Rebell geworden sei. Aus Sicht des aktuellen Postkolonialismus wäre der spätere erste Ministerpräsident Indiens dann nicht weniger ein Imperialist gewesen als Kipling, der seinen Kim in den 1890er Jahren, eine ganze Generation früher, niedergeschrieben hat.[130]

Kim ist 1950 unter dem Titel Kim – Geheimdienst in Indien verfilmt worden. Regie führte Victor Saville, Darsteller waren Dean Stockwell (Kim), Errol Flynn (Mahbub Ali). Des Weiteren wurde der Stoff 1984 nochmals fürs Fernsehen verfilmt, unter anderem mit Ravi Sheth als Kim, Peter O’Toole als Lama, Bryan Brown als Mahbub Ali und John Rhys-Davies als Babu.

Englische Originalausgaben

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Rudyard Kipling: Kim. Macmillan, London 1901. (Erstausgabe)
  • Rudyard Kipling: Kim. Mit einer Einleitung und Anmerkungen von Edward Said. Penguin, Harmondsworth 1987, ISBN 0-14-018352-3.
  • Rudyard Kipling: Kim. W. W. Norton & Company, New York 2002, ISBN 0-393-96650-X. (Moderne Ausgabe mit ausführlichen Anmerkungen, Essays, Karten und Literaturverweisen)

Sekundärliteratur

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Jaydeep Chakrabarty: Re-reading Rudyard Kipling's "Kim". A Postcolonial Approach, Copyright, 2015, ISBN 978-3-656-94449-2
  • Maria Couto: Rudyard Kipling. In: Arvind Krishna Mehrotra (Hrsg.): A History of Indian Literature in English. Columbia University Press, New York 2003, ISBN 0-231-12810-X, S. 70–81
  • Peter Frankopan, Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt. Aus dem Englischen von Michael Bayer und Norbert Juraschitz, 5. Auflage Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2018, ISBN 978-3-499-63167-2
  • G. Haefs: Anhang, in: R. Kipling: Kim, Frankfurt: Fischer 2021 / Rudyard Kipling: Kim. Aus dem Englischen von Gisbert Haefs, 3. Aufl. Frankfurt a. Main: Fischer ISBN 978-3-596-90526-3
  • G. Haefs: Nachwort, in: R. Kipling: Über Bord, Frankfurt a. M.: Gutenberg 2015, / Rudyard Kipling: Über Bord, herausgegeben und übersetzt von Gisbert Haefs. Illustriert von Christian Schneider, Büchergilde Gutenberg: Frankfurt a. M. 2015, ISBN 978-3-7632-6731-6
  • Jürgen Osterhammel, Jan C. Jansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, 9., vollst. überarb. und aktual. Auflage, München: Beck 2021, Sonderausgabe für die Landeszentralen für politische Bildung
  • Sayyed Rahim Moosavinia: Untold Stories about India: Rudyard Kipling and E.M. Forster. Sarup Book Publishers, New Delhi 2009, ISBN 978-81-7625-909-5.
  • Robert F. Moss: Rudyard Kipling and the Fiction of Adolescence. Macmillan, London/Basingstoke 1982, ISBN 0-333-30087-4
  • M.K. Naik: Studies in Anglo-Indian Fiction. Imperial Embrace. Abhinav Publications, New Delhi 2008, ISBN 81-7017-481-3.
  • Thomas Richards: The imperial archive. Knowledge and the fantasy of empire, London u. a. (Verso) 1993. ISBN 0-86091-400-3. ISBN 0-86091-605-7
  • Edward Said: Culture and Imperialism. Chatto & Windus, London 1993, ISBN 0-679-75054-1
  • Nick Scott: The Representation of the Orient in Rudyard Kipling´s "Kim", in: AAA – Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik Band 29 (2014), Tübingen: Günter Narr Verlag, Heft 2, S. 175–184
  • Rudolf Sühnel: Rudyard Kipling: Kim. In: Rudolf Sühnel: Quintessenz. Essays zur englischen und amerikanischen Literatur, hrsg. von Hiltrud und Erwin Poell. Mattes Verlag, Heidelberg 2013, ISBN 978-3-86809-078-9, S. 233–244
  • Peter Zimmermann: Auf der Suche nach Indien und Südostasien. Englische Belletristik in Zeitalter des Kolonialimperialismus, Berlin: Akademie-Verlag 1981, S. 49–108
  • Zohreh T. Sullivan: Narratives of Empire. The Fictions of Rudyard Kipling. Cambridge University Press, Cambridge 1993, ISBN 978-0-521-06313-5
Commons: Kim – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Kim – englische Textfassung (englisch)

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Der Roman erschien in Fortsetzungen in McClure's Magazine vom Dezember 1900 bis Oktober 1901 und in Cassell's Magazine von Januar bis November 1901, bevor ihn 1901 Macmillan & Co. Ltd. als Buch veröffentlichte.
  2. „Probably his best prose work.“ G. Sampson, Concise Cambridge History of English Literature, 3. Edition 1975, S. 739.
  3. „Kim is acknowledged as Kipling´s masterpeace in fiction.“ Stapleton, Cambridge Guide to English Literature, 1983, S. 488. So auch Sayyed Rahim Moosavinia: Untold Stories about India: Rudyard Kipling and E.M. Forster. Sarup Book Publishers, New Delhi 2009, ISBN 978-81-7625-909-5, S. 11.
  4. Zohreh T. Sullivan: Narratives of Empire. The Fictions of Rudyard Kipling. Cambridge University Press, Cambridge 1993, ISBN 978-0-521-06313-5, S. 148.
  5. Die Unabhängigkeit der Kapitel (keine Rück- oder Vorgriffe) war dadurch erforderlich, dass der Roman 1900 und 1901 zuerst in Fortsetzungen in zwei Zeitungen erschien und erst 1901 als Buch. Abweichend hiervon: „Die relativ starke Selbständigkeit der Kapitel zeugt noch davon, dass der Roman zunächst wohl als Kurzgeschichtensammlung konzipiert war.“ Getabstract.com
  6. Siehe Jaydeep Chakrabarty: Re-reading Rudyard Kipling's "Kim". A Postcolonial Approach.
  7. Kindlers Neues Literaturlexikon, Ka-La, Bd. 9, S. 406.
  8. a b Tobias Döring: Wir sind, was wir von uns erzählen, FAZ, 12. Mai 2015
  9. a b Ian Mackean: Kim, by Rudyard Kipling
  10. "Basically, while jouneying from Lahore to the northern border, Kim and the lama serve an inspection eye of the setting which draws an interpretative diagram of several cultures blended in India where Hindu, Buddhist, Sikh and Muslim positively live and interact.” Alaa Abbas Ghadban: Rereading Rudyard Kipling's Kim in the Light of the Notion 'Dialogue of Civilizations': A Multicultural Perspective
  11. G. Haefs: Anhang, in: R. Kipling: Kim, Frankfurt: Fischer 2021, S. 383.
  12. a b Siehe auch Sharad Keskar: Kim – an Introduction
  13. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 67, 85.
  14. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 75.
  15. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 71, 87.
  16. ”Kim has the characteristic features of a boy’s story, the lovable boy involved in a quest filled with adventure and intrigue.” Ian Mackean: Kim, by Rudyard Kipling
  17. Zohreh T. Sullivan: Narratives of Empire. The Fictions of Rudyard Kipling. Cambridge University Press, Cambridge 1993, ISBN 978-0-521-06313-5, S. 148.
  18. G. Haefs: Anhang, in: R. Kipling: Kim, Frankfurt: Fischer 2021, S. 384.
  19. G. Haefs: Nachwort, in: R. Kipling: Über Bord, Frankfurt a. M.: Gutenberg 2015, S. 301.
  20. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 6, 92 ff., 124 ff.
  21. “Kim’s malleability of character and transferability through and across boundaries is predicated by the fact that he is not British; he is not native; he is Irish, the curious (post)colonial case, as Ireland’s colonial relationship with England posits a particularly problematic instance within the discourse of postcoloniality. […] What I want to emphasize is how the space that Kim inhabits is the nexus of the postcolonial and the quintessential modernist, and that perhaps Joyce’s modernism could not have been conceived without Kim.” Daniel S. Parker, Phenomenology of Space and TIme in Rudyard Kipling's Kim: Understanding Identity in the Chronotope, Thesis, Georgia State University, 2012, S. 71 f. doi:10.57709/2776719 Die Codierung der englischen Agenten mit Ziffern zur Umgehung der Klarnamen habe Kipling z. B. vom irischen Untergrund übernommen . Nick Scott: The Representation of the Orient in Rudyard Kipling´s "Kim", in: AAA – Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik Band 29 (2014), Tübingen: Günter Narr Verlag, Heft 2, S. 180.
  22. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 7, 123 f., 146.
  23. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 41, 46, 48, 54, 57, ff.
  24. a b Getabstract.com
  25. Im Gegensatz zu dieser Lesart sieht Nick Scott gerade in der "hybriden Identität" Kims eine besonders raffinierte Stabilisierung britischer Herrschaft. Scott folgt hier Edward Said, der Kim als intermediäre Kraft der Herschaftsstabilisierung wertet. (Nick Scott: The Representation of the Orient in Rudyard Kipling´s "Kim", in: AAA – Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik Band 29 (2014), Tübingen: Günter Narr Verlag, Heft 2, S. 179 ff.) Die intermediären Rollen der kollaborierenden Fürsten und die der Angestellten, Bediensteten und Domestiken des Kolonialsystems haben dagegen unterschiedliches Gewicht: „Deshalb geht es zu weit, den indischen Sepoy-Soldaten in britischem Sold oder den senegalesischen Telegraphisten als Kollaborateure zu bezeichnen.“ (Osterhammel, Jansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München: 2021, S. 60; 92.)
  26. „Der Roman vermittelt das Gefühl einer unbegrenzten Vertrautheit der Mitglieder verschiedenster Gruppen, die eines gemeinsam haben: einen verantwortlichen Humanismus.“ (The novel exposes a touch of limitless intimacy of various members who share one setting linked by a responsible humanism. […] Kipling affirms the human identity as a pivotal criterion to blend all human groups. Kipling assumes the idea that the diverse human groups and individuals can rather embed coexistence and correlation than conflict.) Alaa Abbas Ghadban: Rereading Rudyard Kipling's Kim in the Light of the Notion 'Dialogue of Civilizations': A Multicultural Perspective
  27. „Kim and the Lama have in common that neither has any real family ties or sense of belonging.“ Ian Mackean: Kim, by Rudyard Kipling
  28. „In fact one of the remarkable aspects of Kim’s personality is that he has always felt comfortable and secure […] cheerful, confident and resilient, like that of a well-looked-after child.“ Ian Mackean: Kim, by Rudyard Kipling
  29. „One might speculate that on one level, throughout the novel as a whole, India itself has been his mother.“ Ian Mackean: Kim, by Rudyard Kipling
  30. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 71, 82, 110, 126, 164, 180, 316.
  31. Kindlers Neues Literaturlexikon, Ka-La, Bd. 9, S. 406.
  32. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 322.
  33. "He rejects the colonial notion that imprisons him to one particular exclusive religion or race; he instead embraces alle people of the world.” Alaa Abbas Ghadban: Rereading Rudyard Kipling's Kim in the Light of the Notion 'Dialogue of Civilizations': A Multicultural Perspective
  34. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 51: ebenso 78, 87, 153, 168, 182 f., 188, 215, 226, 234, 238, 246 ff.
  35. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 26 ff., 306, 312, 316.
  36. Mit der schnellen Auffassung einer Situation und seiner Schlagfertigkeit übertrifft Kim seine Altersgenossen. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 5, 12, 19, 27, 33 f., 35, 37, 58, 70 f, 76 ff., 122, 146 f., 151.
  37. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 14, 61, 277, 286, 295.
  38. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 26, 51, 75, 224, 242, 307.
  39. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 51, 78, 87, 101, 153, 168, 182 f., 188, 215, 226, 234, 238, 246 ff.
  40. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 286 f., 295 f.
  41. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 106 f., 308 f., 323 f.
  42. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 296 f.
  43. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 218 f.
  44. Vergleiche beispielsweise Faulheit (Acedia), Wollust (Luxuria) und Zorn (Ira).
  45. "Kipling depicts religion from a secular point of view; it is depicted as a cultural idiosyncrasy.” Alaa Abbas Ghadban: Rereading Rudyard Kipling's Kim in the Light of the Notion 'Dialogue of Civilizations': A Multicultural Perspective
  46. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 18, 53.
  47. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 59, 206, 322.
  48. Kims Ritt auf der Kanone wird in postkolonialer Verdächtigung als Demonstration weißer Dominanz und als Rechtfertigung des Imperialismus interpretiert: „Kim´s sitting astride the gun Zam-Zammah in the opening scene of the novel, for instance, is couched in terms of victory and conquering of India.” (Jaydeep Chakrabarty: Re-reading Rudyard Kipling's "Kim". A Postcolonial Approach.) Allerdings hat das Geschütz historisch überhaupt nichts mit "weißer Eroberung" zu tun. (Vergleiche die Bildunterschrift im Obertext.) Außerdem unterscheiden die postkolonialen Kritiker Kiplings nicht zwischen Übernahme der Macht in Indien und der Überwindung aller Herrschaft. Ein Beispiele solch oberflächlicher Interpretation: ”Inwardly his attitudes are already at least partly those of a white ruler.“ Ian Mackean: Kim, by Rudyard Kipling
  49. Im kurzen Dialog mit seinen Spielkameraden wird deutlich, dass sie die Gegensätze der indischen Gesellschaft personifizieren: die zwischen Muslimen und Hindus („Die Hindus sind auch von Zum-Zammah heruntergefallen. Die Muselmänner stießen sie herunter.“) und die der extremen sozialen Schere zwischen oben und unten („´Lass mich rauf!´, kreischte der kleine Chota Lal [kursiv im Original] unter seiner goldbestickten [!] Mütze. Sein Vater war vielleicht eine halbe Million Sterling [!] wert; aber Indien ist das einzige demokratische Land der Welt,“ wie der Erzähler ironisch den wohlhabenden Mittelstand kommentiert) – diese erste Szene der Erzählung enthält schon in nuce das ganze Programm. Kim, München: dtv 1995, S. 8.
  50. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 25, 41.
  51. Zur gegenseitigen platonischen Liebe von Kim und Lama siehe R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 118, 126, 138 ff., 308. Die Beschreibung dieser Schlüsselsituation folgt dem aristotelischen Gesetz der Veränderung: Wenn ein Vermögen sich zu verwirklichen begehrt und das Affizierbare in seiner Nähe ist und sich auf eine bestimmte Weise verhält, dann wird das Vermögen etwas bewirken; in der Vollendung des Vermögens, in der Bewirkung, realisiert es die Idee in der Diesseitigkeit. Aristoteles, Metaphysik, 9. Buch, 1048a ff.
  52. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 17, 52.
  53. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 18 ff., 33 ff., 58, 306 ff.
  54. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 108, 118 ff., 242; 189.
  55. „They sustain each other, the Lama providing Kim with emotional and spiritual support, while sustaining himself by drawing on Kim’s youthful energy.“ Ian Mackean: Kim, by Rudyard Kipling
  56. Osterhammel, Jansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München: 2021, S. 104.
  57. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 261.
  58. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 41 ff., 309.
  59. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 154.
  60. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 134, 162, 211.; 321.
  61. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 211.
  62. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 134. Ähnlich S. 211.
  63. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 227, 323.
  64. Peter Frankopan, Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt. Aus dem Englischen von Michael Bayer und Norbert Juraschitz, 5. Auflage Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2018, S. 490 ff. Der ebenfalls Anglo-indische Schriftsteller E. M. Forster hat noch zwanzig Jahre später ein ruhiges Indien erlebt: „Bei Forsters erstem Besuch Indiens [1912] war es politisch ein ruhiges Land. […] 1921 kam er zurück in ein politisch verstörtes Land.“ (Politically, India was a quiescent place at the time [1912] of Forstes first visit. […] In 1921 […] he returned to a politically disturbed India.) Pankaj Mishra: Introduction, in: E. M. Forster: A passage to India, London: Penguin Classics 2005, ISBN 978-0-241-54042-8, S. XII, XV.
  65. Nach dem Sepoy-Aufstand von 1857/58 entstand ein fragiler Frieden mit unterschwelligem Protest und Aktionen, die sich gegen die lokalen Obrigkeiten richteten. Gegen historische Fakten und gegen den Text unterstellt J. Chakrabarty, dass in Kim schon ein damals greifbarer nationaler Widerstand gegen das Kolonialsystem verschwiegen würde; er wirft Kipling außerdem vor, die Notwendigkeit des Widerstands gegen die Verhältnisse nicht anerkannt zu haben: „The novel does not seem to recognize the existence or emergency of resistance to the raj.“ Jaydeep Chakrabarty: Re-reading Rudyard Kipling's "Kim". A Postcolonial Approach.
  66. Das Aufbegehren gegen den Kolonialismus habe im gesamten Empire erst nach 1918 – auch unter dem Einfluss der russischen Revolution – eine fast unaufhaltbare Stoßkraft entwickelt. Die gesteigerte Präsenz britischer Beamter in den abhängigen Gebieten sei daher auch eine Antwort auf die neue Gefahr der Abschüttelung des kolonialen Jochs gewesen. Nicht nur in Indien stützten die Briten ihre Herrschaft auf die lokalen und regionalen indigenen Kollaborationseliten, was zu wachsender Unzufriedenheit führte. (Peter Frankopan, Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt. Aus dem Englischen von Michael Bayer und Norbert Juraschitz, 5. Auflage Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2018, S. 490 ff., 501 f.)
  67. G. Haefs: Anhang, in: R. Kipling: Kim, Frankfurt: Fischer 2021, S. 381.
  68. G. Haefs: Anhang, in: R. Kipling: Kim, Frankfurt: Fischer 2021, S. 383.
  69. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 187 f., 220.
  70. Auch der Buddhismus hat eigentlich seine durch die Aufenthalte seines Stifters geheiligten Orte wie den Lumbini-Hain, Buddh-Gaya mit dem Bodhi-Baum, Sarnath bei Benares und Kasia, den Ort von Buddhas Tod. Vergleiche G. Haefs: Anhang, in: R. Kipling: Kim, Frankfurt: Fischer 2021, S. 389.
  71. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 220, 225.
  72. Bibel, Psalm 84.7.
  73. Zum Begriff der „indigenen Kollaborationselite“ siehe Osterhammel, Jansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen,München: 2021, S. 25, 27, 58 ff.
  74. In Indien gab es „Hunderte von schein-autonomen Fürstenstaaten.“ „Die etwa 40 großen und über 500 kleinen ´Princeley States´ der Maharajas, Nizame und wie sie immer heißen mochten, waren in das Territorium Britisch-Indiens eingesprengselt.“ Osterhammel, Jansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München: 2021, S. 40, 59 Zur „Indirect rule“ siehe Osterhammel, Jansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München: 2021, S. 63 f.
  75. Wegen Kims "hybrider Identität" folgt Nick Scott Edward Said, der Kim eine intermediäre Funktion der Herrschaftsstabilisierung zuschreibt: "The function of Kim´s character in the novel is […] to mediate this intercultural encounter […]. Far from being a site of resistance, then, Kim in fact represents an enabling figure for the establishment and maintenance of Western dominance through his position as Said´s median category. […] The interpretations of critics such as Randall, who see in Kim a potential site of resistance, do not stand up to the scrutiny of close textual analysis combined with historical awareness of the period." Nick Scott: The Representation of the Orient in Rudyard Kipling´s "Kim", in: AAA – Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik Band 29 (2014), Tübingen: Günter Narr Verlag, Heft 2, S. 179 ff. Dabei wäre aber Kims Rolle als Geheimagent gegenüber der des lokalen Adels von weit geringerer Wichtigkeit – die Aufwertung von Kim als Vermittlungsinstanz lenkt ab von der Kollaboration indigener Eliten.
  76. Osterhammel, Jansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München: 2021, S. 25 ff., 58 ff.
  77. Indische Staaten mit großer innerer Autonomie „machten etwa die Hälfte des Territoriums von Britisch-Indien aus.“ G. Haefs: Anhang, in: R. Kipling: Kim, Frankfurt: Fischer 2021, S. 400 f. „Das Reich des Raj war zweigeteilt. Provinzen wie Bengalen, Bombay oder Madras standen unter der direkten britischen Verwaltung eines Gouverneurs. Daneben existierten 21 halbsouveräne Fürstentümer, die von einem Maharadscha oder einem Nizam regiert wurden. Die Herrscher dieser Vasallenstaaten […] verfügten über oft enorme Finanzmittel, befehligten eigene kleine Armeen und hatten die Rechtsprechung in der Hand. Doch sie herrschten immer ‚auf Bewährung‘. Ein politischer Agent des Empire kontrollierte ihre Aktionen und stellte sicher, dass sie treue Untertanen der Königin blieben und ihre Exzesse nicht übertrieben.“ Klaus Hillingmeier: Das Juwel in der Krone Britisch-Indien 1858 bis 1901
  78. Ryan Thomas: A Historical Analysis of Rudyard Kipling's "Kim", In den 1920er Jahren weitete England sein Personal erheblich aus, um durch eine moderne Infrastruktur die Ressourcen Indiens besser ausbeuten zu können: „Mitte der 1930er Jahre [gab es] in ganz Indien, einem Land von etwa 340 Millionen Einwohnern (die nominell autonomen Fürstenstaaten mitgerechnet), 12.000 Briten.“ Osterhammel, Jansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München: 2021, S. 57; 44, 73 f.
  79. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 147; 179.
  80. Sumit Sarkar: Modern India. 1885–1947.Macmillan, Delhi u. a. 1983, ISBN 0-333-90425-7, S. 17.
  81. Auch wenn die von den Briten initiierten Modernisierungen in erster Linie den Kolonialismus förderten und an der Masse der indischen Landbevölkerung vorbeigingen, waren sie es, die Indien an die Schwelle der Industrialisierung führten – durch den Beginn einer systematischen Landvermessung, die Abschaffung der Binnenzölle, den Ausbau der Grand Trunk Road und anderer die feudalen Grenzen überschreitender Straßen, von Kanälen, Eisenbahnen, Fabriken, die Vereinheitlichung des Münzwesens, das Verbot der Witwenverbrennung und der grausamsten islamischen Strafen (Pfählen, Verstümmeln), den Bau von Colleges und Universitäten, die Gründung von Zeitungen usw. Es gehört aber ebenfalls zum Gesamtbild, dass britische Eingriffe beispielsweise in die Textilindustrie und die Landwirtschaft eine Verelendung der dort arbeitenden Bevölkerung mitverursachten. Zur britischen Modernisierung siehe auch Osterhammel, Jansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München: 2021, S. 44, 73 f., 86 f.
  82. „[…] the development of underdevelopment“. Ira Klein: Materialism, Mutiny and Modernization in British India. In: Modern Asian Studies. 34, 3, S. 545–548.
  83. In Artikel 46 der indischen Verfassung von 1949 werden Scheduled Tribes erwähnt, indigene Völker, die Sonderrechte wie z. B. eine Selbstverwaltung besitzen; in 2011 wurden um die 700 Tribes anerkannt, die neben den Kasten, Sprachfamilien oder Einzelsprachen und Religionen die handelnden Identitäten innerhalb der indischen Nation bilden.
  84. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 51, 224, 242, 307.
  85. „Zwanzig Dörfer in der Runde kannten die Sahiba – ihre Schwächen, ihre Zunge und ihre große Mildtätigkeit. Zwanzig Dörfer betrogen sie, nach unvordenklichem Brauch, aber keiner würde innerhalb ihrer Gerichtsbarkeit auch nur das geringste gestohlen oder geraubt haben.“ R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 249.
  86. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 312 f.
  87. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 244. Zur Diskriminierung von Frauen auch S. 35, 42, 75, 91, 162, 259, 265, 299, 310 f.
  88. „Kim […] is a novel about a male friendship.“ Literature Network » Rudyard Kipling » Kim. auf online-literature.com
  89. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 5, 71, 264.
  90. Für England ging es im „Großen Spiel“ nicht nur um Indien, sondern auch um die Sicherung der erwarteten und z. T. schon bestätigten großen Erdölfelder in Persien und Mesopotamien – das Große Spiel Englands dort wurde ein wichtiger Faktor der Entwicklung der karbongestützten Industrialisierung. (Peter Frankopan, Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt. Aus dem Englischen von Michael Bayer und Norbert Juraschitz, 5. Auflage Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2018, S. 480)
  91. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 27 f., 45 f., 48 f., 61 ff., 146 f., 165, 167, 192, 199 ff., 216, 227, 229, 252 ff., 282, 291, 307, 312.
  92. Kindlers Neues Literaturlexikon, Ka-La, Bd. 9, S. 406. Mit dem Frieden von Gulistan 1813 gewann Russland die Vorherrschaft im Kaukasus „und begann nun, nach Afghanistan zu greifen.“ Getabstract.com Die im Roman beschriebene Einheit unter dem Kommando von Oberst Creighton hat in der Realität als kleine Truppe von indischen Kaufleuten, örtlichen Telegrafenbeamten und Landvermessern existiert, die heimlich in unbekannte Gebiete Afghanistans und Tibets geschickt wurden, um militärische Operationen gegen Russland vorzubereiten. Colonel Maclean baute in den 1880er Jahren diesen Indian Political Service auf. Zur Verhinderung einer möglichen russischen Invasion unternahmen britische Truppen zwischen 1878 und 1880 zwei Invasionen in Afghanistan. (Peter Frankopan, Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt. Aus dem Englischen von Michael Bayer und Norbert Juraschitz, 5. Auflage Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2018, S. 423. ISBN 978-3-499-63167-2 JulietTownsend: Little Friend of all the World, The Spectator, 28. September 1996, findarticles.com (Memento vom 3. Mai 2009 im Internet Archive)Vorlage:Webarchiv/Wartung/Linktext_fehlt)
  93. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 324. „The message conveyed at the end of the novel reaffirms the possibility to fill the gap to maintain integral interaction and positive human growth regardless race or religion.“ Alaa Abbas Ghadban: Rereading Rudyard Kipling's Kim in the Light of the Notion 'Dialogue of Civilizations': A Multicultural Perspective
  94. Nicht der Erzähler, sondern ein auf Seiten der Engländer in die Kämpfe von 1857/1858 verwickelter pensionierter indischer Soldat fasst die Ereignisse in britischer Sichtweise zusammen: „Ein Wahnsinn fraß sich ein in das ganze Heer und es wandte sich gegen seine Offiziere. […] Sie verfielen darauf, die Weiber und Kinder der Sahibs zu töten […].“ R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 55, 61 f.
  95. Astrid Erll: Prämediation – Remediation. Repräsentationen des indischen Aufstands in imperialen und post-kolonialen Medienkulturen (von 1857 bis zur Gegenwart). WVT, Trier 2007, S. 21.
  96. Lawrence James: Raj. The Making of British India. Abacus, London 1997, S. 243 ff. Andrew Ward: Our Bones are Scattered: Cawnpore Massacres and the Indian Mutiny of 1857. John Murray Publishers, London 2004, S. 170.
  97. „The tone of the novel goes against this mode of discrimination – racially and politically based – that Kipling seems to negate.“ Alaa Abbas Ghadban: Rereading Rudyard Kipling's Kim in the Light of the Notion 'Dialogue of Civilizations': A Multicultural Perspective
  98. Osterhammel, Jansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München: 2021, S. 54 f.
  99. Peter Frankopan, Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt. Aus dem Englischen von Michael Bayer und Norbert Juraschitz, 5. Auflage Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2018, S. 490 ff.
  100. Die ursprünglichen Kasten waren um so höher, je heller die Haut ihrer Angehörigen war.
  101. Die unglaubliche Vielfalt hat sich bis in die heutige Zeit tradiert: In Artikel 46 der Verfassung von 1949 werden Scheduled Tribes erwähnt, indigene Völker, die Sonderrechte wie z. B. Selbstverwaltung besitzen; in 2011 wurden um die 700 Tribes anerkannt, die neben den Kasten, Sprachfamilien oder Einzelsprachen und Religionen die handelnden Identitäten innerhalb der indischen Nation bilden.
  102. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 254.
  103. Die Definition eines So-Seins ist ohne Abgrenzung von einem anderen Sein. nicht möglich: "… vielmehr gilt auch, einem Diktum Spinozas entsprechend, daß jede qualitative Bestimmtheit Negation ist. Spinozas «omnis determinatio est negatio» (jede Determination ist Negation) ist nach Hegel sogar ein Satz «von unendlicher Wichtigkeit»." (Historisches Wörterbuch der Philosophie online, Negation der Negation)
  104. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 86.
  105. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 101.
  106. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 117, 121, 140.
  107. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 127, 149, 162, 195.
  108. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 88.
  109. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 153, 164, 191, 194.
  110. R. Kipling: Kim, München: dtv 1995, S. 127, 135.
  111. Edward Said: Culture and Imperialism. Chatto & Windus, London 1993, ISBN 0-679-75054-1, S. 196.
  112. George Orwell: Rudyard Kipling - Essay.
  113. T.S. Eliot (Hrsg.): A Choice of Kipling's Verse. Faber and Faber, London 1975.
  114. Chaudhuri zitiert in: Maria Couto: Rudyard Kipling. In: Arvind Krishna Mehrotra (Hrsg.): A History of Indian Literature in English. Columbia University Press, New York 2003, ISBN 0-231-12810-X, S. 79.
  115. Hans Ulrich Seeber (Hrsg.): Englische Literaturgeschichte, 5. Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2012, ISBN 978-3-476-02421-3, S. 332–333.
  116. Maria Couto: Rudyard Kipling. In: Arvind Krishna Mehrotra (Hrsg.): A History of Indian Literature in English. Columbia University Press, New York 2003, ISBN 0-231-12810-X, S. 80.
  117. M.K. Naik: Studies in Anglo-Indian Fiction. Imperial Embrace. Abhinav Publications, New Delhi 2008, ISBN 81-7017-481-3, S. 89–91.
  118. Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Übersetzt von Bernd Schwibs und Achim Russer, 1. Auflage, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999, S. 173. ISBN 3-518-58264-X
  119. Douglas Kerr: Rudyard Kipling, auf litencyc.com
  120. Bonamy Dobree 1967 in: G. Haefs: Nachwort, in: R. Kipling: Über Bord, Frankfurt a. M.: Gutenberg 2015, S. 298.
  121. G. Haefs: Anhang, in: R. Kipling: Kim, Frankfurt: Fischer 2021, S. 424.
  122. Kindlers Neues Literaturlexikon, Ka-La, Bd. 9, S. 406.
  123. G. Sampson, Concise Cambridge History, S. 739.
  124. Osterhammel, Jansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen,München: 2021, S. 32 f.
  125. Rudyard Kipling's Kim (1901) Penguin edition with introduction and notes by Edward Said (1989) (Memento vom 20. April 2005 im Internet Archive)
  126. Kim is not only the highest stage of Imperialism, Kim is the highest stage of Empire.“ Auch für die folgenden Punkte: Ryan Thomas: A Historical Analysis of Rudyard Kipling's "Kim"
  127. Jaydeep Chakrabarty: Re-reading Rudyard Kipling's "Kim". A Postcolonial Approach.
  128. „With such a wonderful system already in place for controlling India, there is little the British necessarily need to change.“ Ryan Thomas: A Historical Analysis of Rudyard Kipling's "Kim"
  129. Von seiner Erwartung der Notwendigkeit einer Beendigung der Herrschaft – nicht etwa des Kastensystems, sondern des Kolonialismus – ausgehend, notiert Nick Scott: "The Orient is portrayed in an ethnographic present that does not admit the possibility of change." Nick Scott: The Representation of the Orient in Rudyard Kipling´s "Kim", in: AAA – Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik Band 29 (2014), Tübingen: Günter Narr Verlag, Heft 2, S. 178.
  130. „At his trial in 1922 Nehru had stated […] that less than ten years earlier he had been ´perhaps more an Englishman than an Indian´, having imbibed most of the prejudices of Harrow and Cambridge´, but that he had since been transformed into a ´rebel´. And Forster´s Reflections in India […] enlarges on the point that ´ten or fifteen years ago [the Indian] would have welcomed attention´.“ E. M. Forster: A Passage to India. Edited by Oliver Stallybrass, Pinguin Books: London 2005, S. 371, Anm. 4. ISBN 978-0-241-54042-8