Kindheitsforschung

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Kindheitsforschung (englisch Children and Childhood studies CCS; schwed. Barnforskning) ist ein interdisziplinäres Forschungsgebiet, dessen Aufgabe es ist, strukturelle Probleme, die in verschiedenen Kulturen die Qualität von Kindheit beeinträchtigen, zu verstehen und Ansätze zu ihrer Behebung zu finden. Die Kindheitsforschung schöpft aus den verschiedenen Disziplinen der Sozialwissenschaft (u. a. Anthropologie, Wirtschaftswissenschaft, Geschichte, Soziologie), der Geisteswissenschaft (Literaturwissenschaft, Religionswissenschaft, Kunstgeschichte) und der Verhaltenswissenschaft, besonders der Psychologie.

Die Kindheitsforschung ist eine sehr junge Forschungsdisziplin. Überlegungen zur Entwicklung dieses Forschungsgebietes finden sich u. a. in Jean und Richard W. MillsChildhood Studies: A Reader in Perspectives of Childhood (2000) und in Mary Jane Kehilys An Introduction to Childhood Studies (2004). Die ersten Projekte zur Kindheitsforschung entstanden Mitte der 1980er Jahre in Großbritannien. Diese Projekte entstanden als Forschungs-„Module“ innerhalb etablierter Forschungsbereiche wie z. B. der Erziehungswissenschaft.

Die Entstehung der Kindheitsforschung als akademischer Disziplin muss im Kontext der Entstehung anderer interdisziplinärer Forschungsgebiete wie z. B. der African American studies und der Frauenforschung beschrieben werden. All diese Disziplinen sind aus dem Bestreben heraus entstanden, die Situation solcher gesellschaftlicher Gruppen der Forschung zugänglich zu machen, die bis dahin wenig beachtet worden oder sogar aus der Wissenschaft verdrängt geblieben sind.

Kritiker der westlich dominierten Wissensproduktion über Kindheit z. B. in Indien machen geltend, dass gerade dieser einseitig an Interventionen orientierte Forschungsansatz eine verzerrte, in der Tradition des Kolonialismus stehende Sicht fortschreibe. Die Forschungsagenda werde von den Geldgebern vorgegeben.[1]

Kindheitsforschung in verschiedenen Ländern

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Großbritannien

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Wie Kehili berichtet, besteht das Studienfach „Kindheitsforschung“ erst seit kurzem. In Großbritannien bot die Open University erstmals einen solchen Studiengang an (2003). Seit 2004 hat auch die Swansea University in Wales ein Department of Childhood Studies. Weitere bestehen an der Canterbury Christ Church University (Canterbury), an der Anglia Ruskin University, an der University of Birmingham, an der Liverpool John Moores University, an der Middlesex University (bei London) und an der Northumbria University (Newcastle). In London befindet sich auch eine der bedeutendsten Forschungsbibliotheken zum Thema: das 1977 eröffnete Froebel Archive for Childhood Studies der Roehampton University.

Vereinigte Staaten

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An US-amerikanischen Hochschulen gibt es bereits Dutzende von Kindheits-„Modulen“, -Nebenfachstudiengängen und -Studienschwerpunkten, z. B. am Brooklyn College, an der Case Western Reserve University (Cleveland), an der Christopher Newport University (Newport News), an der University of Florida (Gainesville) und an der Plymouth State University (Plymouth (New Hampshire)). An der Rutgers University in Camden, New Jersey entsteht gegenwärtig das erste Studienprogramm des Landes, bei dem Kindheitsforschung auch als Hauptfach studiert werden kann (mit allen akademischen Graden vom Bachelor bis zum Ph. D.).

In Schweden gibt es Abteilungen für Kindheitsforschung an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Göteborg und an der Universität Linköping.

In Deutschland besteht an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt ein Fachgebiet Grundschulpädagogik und Kindheitsforschung. Am Institut für Pädagogik der Elementar- und Primarstufe der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt gibt es einen Lehr- und Forschungsschwerpunkt „Kindheitsforschung“. Die Hochschule Magdeburg-Stendal bietet den interdisziplinären Studiengang „Angewandte Kindheitswissenschaften“ an.[2] An der Freien Universität Berlin wird der „European Master in Childhood Studies and Children’s Rights“ als weiterführender Masterstudiengang auf Englisch angeboten.[3] Die Hochschule Koblenz bietet den berufsbegleitenden Fernstudiengang "Kindheits- und Sozialwissenschaften" mit vier verschiedenen Schwerpunkten an.[4]

Weitere Länder

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Abteilungen mit dem Forschungsschwerpunkt „Kindheitsforschung“ bestehen auch an folgenden Hochschulen:

Englischsprachig:

  • The Palgrave handbook of childhood studies, hrsg. von Jens Qvortrup, William A. Corsaro und Michael-Sebastian Honig, Basingstoke, Hampshire [u. a.] : Palgrave Macmillan, 2009
  • Vibiana Bowman (Hrsg.): Scholarly Resources for Children and Childhood Studies: A Research Guide and Annotated Bibliography. Lanham, MD: Scarecrow Press, 2007. ISBN 0810858746
  • Mary Jane Kehily: An Introduction to Childhood Studies. Oxford, UK: Open University Press, 2004. ISBN 0631233970
  • Julie Thompson Klein: Interdisciplinarity: History, Theory, and Practice. Detroit, MI: Wayne State University Press, 1990. ISBN 0814320880
  • Jean Mills, Richard W. Mills: Childhood Studies: A Reader in Perspectives of Childhood. London: Routledge, 2000. ISBN 0415214157

Deutschsprachig:

  • Georg Breidenstein, Annedore Prengel: Schulforschung und Kindheitsforschung – ein Gegensatz?, Vs-Verlag, 2005. ISBN 3810041076
  • Ingeborg Hedderich, Jeanne Reppin, Corinne Butschi: Perspektiven auf Vielfalt in der frühen Kindheit. Mit Kindern Diversität erforschen. Julius Klinkhardt Verlag, 2019, ISBN 978-3-7815-2328-9
  • Friederike Heinzel: Methoden der Kindheitsforschung, Juventa, 2000. ISBN 3779902087
  • Michael-Sebastian Honig (Hrsg.): Ordnungen der Kindheit: Problemstellungen und Perspektiven der Kindheitsforschung, Juventa, 2009, ISBN 3779915472
  • Klaus Hurrelmann, Heidrun Bründel: Einführung in die Kindheitsforschung, Beltz, 2003. ISBN 340725282X
  • Manfred Markefka, Bernhard Nauck: Handbuch der Kindheitsforschung, Luchterhand, 2001. ISBN 3472009616
  • Wiesbauer, Elisabeth: Das Kind als Objekt der Wissenschaft. Medizinische und psychologische Kinderforschung an der Wiener Universität 1800-1914. Mit einem Vorwort von Igor A. Caruso, Wien: Löcker, 1981, ISBN 3854090315

Zeitschriften

  • Childhood. A journal of global child research
  • Children and Sociology
  • Diskurs. Studien zu Kindheit, Jugend, Familie und Gesellschaft
  • Journal of the History of Childhood and Youth
  • Sociological Studies of Childhood

Einzelnachweise

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  1. „The oil crisis in the 1970s and the ensuing debt crisis in the 1980s frustrated the steps undertaken by the newly independent government of India to develop a debate on childhood and child welfare. Though studies tended to adopt the rather strict disciplinary boundaries we know in the West, there had also been debates questioning the adoption of western ideas of childhood. With the crisis, international organizations such as UNICEF, the ILO and the World Bank, and to an increasing degree government and non-government western donors, started funding research on children, but under the strict conditions that researchers conform closely to their set priorities – often laid down in great detail. The role of the Indian researcher was to be, and still is, to fill in the gaps in quantitative knowledge, not to question underlying assumptions about the problematic aspects of childhood in India.“ Olga Nieuwenhuys: Editorial: Is there an Indian childhood? In: Childhood 2009, 16, 147- 152, Zitat S. 148
  2. www.hs-magdeburg.de: Studiengang Angewandte Kindheitswissenschaften, hier online; zuletzt eingesehen am 11. Juni 2009
  3. www.fu-berlin.de: European Master in Childhood Studies and Children’s Rights, hier online; zuletzt eingesehen am 9. April 2012
  4. Startseite MAKS. In: Hochschule Koblenz. (hs-koblenz.de [abgerufen am 24. September 2017]).