Brüder vom gemeinsamen Leben

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Georgius Macropedius in der Tracht der Brüder vom gemeinsamen Leben

Die Brüder vom gemeinsamen Leben, Ordenskürzel CRVC für Canonici Regulares Sancti Augustini Fratrum a Vita Communi, ursprünglich niederländisch Broeders des gemeenen levens, auch Fraterherren (von lateinisch frater „Bruder“) genannt, waren eine am Ende des 14. Jahrhunderts entstandene Ordensgemeinschaft. Regional verbreitet waren die Bezeichnungen Kogel- oder Kugelherren beziehungsweise Kugelhaus für ihre Stiftsgebäude. Diese Bezeichnungen waren höchstwahrscheinlich von ihrer „Gugel“ genannten Kopfbedeckung abgeleitet. In Magdeburg wurden sie Nullbrüder bzw. Lullbrüder[1] genannt. Das weibliche Gegenstück waren die Schwestern vom gemeinsamen Leben.

Die Brüderschaft war eine am Ende des 14. Jahrhunderts in Deventer um Geert Groote entstandene religiöse Gruppe, deren Mitglieder keine Mönchsgelübde ablegten, sich aber in kleinen klosterähnlichen Gemeinschaften oder sogenannten Brüder- oder Fraterhäusern zusammenschlossen. Aus der Gemeinschaft der ersten Brüder vom gemeinsamen Leben entstand auf Wunsch Gert Grootes auch eine Gemeinschaft, die nach einer Ordensregel zusammenlebte. Nachdem Gert Groote nämlich den bedeutenden Mystiker Jan van Ruysbroek kennengelernt hatte, der selber Augustiner-Chorherr war, wünschte er sich, dass die Mitbrüder, die so leben wollten, nach der Augustinusregel, wie Augustiner-Chorherren zusammenleben sollten. So entstand kurz nach Grootes Tod 1384 das Kloster Windesheim bei Zwolle und dadurch die Kongregation der Windesheimer Chorherren[2].

Die erste Niederlassung der Fraterherren in Deutschland war das Fraterhaus Springborn in Münster (Westfalen).[3]

Sie predigten eine praktische Frömmigkeit und galten als die wichtigsten Vertreter der geistlichen Reformbewegung der Devotio moderna. Ihr Einfluss auf das Geistesleben in den Niederlanden und Nordwestdeutschland war bis zur Reformation bedeutend. Diesen Einfluss übten sie u. a. durch ihre umfangreiche Buchherstellung[4] aus, mit der sie auch einen Teil ihres Lebensunterhalts bestritten. Sie trugen dabei zunächst zur Verbreitung von Handschriften bei, die sie in großer Zahl kopierten, um dann sehr früh auch den Buchdruck zu nutzen. 1468 richteten sie im Kloster Marienthal in Geisenheim die erste Klosterdruckerei überhaupt ein. Sie wurden daher im Volksmund auch Brüder von der Feder genannt. Das Fraterhaus in Rostock, auch als Michaeliskloster bekannt, unterhielt eine der wichtigsten Buchdruckereien im Ostseeraum.

Heinrich von Ahaus hat zur Gründung verschiedener Brüder- und Schwesterngemeinschaften insbesondere im niederdeutschen Raum beigetragen. Ein bedeutender Bruder vom gemeinsamen Leben war Georgius Macropedius. Auch der geistliche Schriftsteller und Theologe Thomas von Kempen (Thomas a Kempis) kann zu dieser Gruppe gerechnet werden, da er einer der ersten Augustiner-Chorherren des neuen Klosters in Windesheim war. Sein Buch die „Nachfolge Christi“ brachte die Devotio Moderna zur Blüte und großen Bekanntheit. Gabriel Biel, Domprediger in Mainz und später Rektor der Universität Tübingen, war Vorsteher des Brüderhauses in Butzbach und veranlasste die Gründung des Kugelherren-Stifts Königstein im Taunus 1446, das bis 1540 bestand.[5]

Niederlassungen

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Zu den nachweislich zeitweise existenten Frater-Häusern gehörten (Tochtergründungen in Klammern):[6]

  • Münster/Westf. 1400/1408–1772 (Osnabrück 1417, Wesel 1435, Rostock 1462, Marburg 1477)
  • Osterberg [Lotte/Westfalen] 1410–1427
  • Köln 1416–1802 (Marienthal 1464, Königstein im Taunus 1467)
  • Osnabrück 1417–vor 1426 (Herford 1427)
  • Herford 1427–1802 (Hildesheim 1440)
  • Wesel 1436–1808
  • Hildesheim 1440–1604 (Kassel 1455, Magdeburg 1482, Berlikum/Friesland 1483)
  • Kassel 1454–1527
  • Michaeliskloster, Rostock 1462–1559[7]
  • Marienthal [Geisenheim] 1464/1465–1554 (Butzbach 1468, Wolf 1478)
  • Königstein im Taunus 1467–1540
  • Emmerich 1467–1811 (gegründet von Deventer aus)
  • Butzbach 1469–1555 (Urach 1477, Wolf 1478)
  • Marburg 1476–1527
  • Kulm [Culm a. d. Weichsel, polnisch Chełmno] 1473–1554 (gegründet von Zwolle aus)
  • Urach 1477–1517[8] (Herrenberg 1481, Tübingen 1482, Dettingen 1482)
  • Wolf [Traben-Trarbach] 1478–1560 (Trier 1499)
  • Herrenberg 1481–1517
  • Tübingen 1482–1517
  • Dettingen a. d. Erms 1482–1517
  • Magdeburg 1482–1535
  • Tachenhausen [Oberboihingen] 1486–1517
  • Einsiedel [Kirchentellinsfurt, St. Peter im Schönbuch] 1491–1538
  • Trier 1499–1569
  • Merseburg 1503–1544

Niedergang im 16. Jahrhundert

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Im Laufe der Reformation und endgültig dann im 17. Jahrhundert starben diese Gemeinschaften aus. Eine einzigartige Sonderentwicklung nahm das Fraterhaus Herford durch direktes Eingreifen Martin Luthers.

In Marburg ist noch der umfangreiche Komplex der Kugelherren aus spätgotischem Kugelhaus, das heute die Völkerkundliche Sammlung der Universität enthält, und der Kugelkirche erhalten. Einen Altar in dem zugehörigen Krankenhaus (infirmaria) weihte um 1500 der Erfurter Weihbischof Johannes Bonemilch von Laasphe. 1527 ging das Haus, in dem auch eine Lateinschule untergebracht war, an die Universität Marburg über, nachdem Landgraf Philipp die Niederlassung und die Schule, in der er selbst Schüler gewesen war, aufgelöst hatte.

In Rostock ist das ehemalige Fraterhaus unter dem Namen Michaeliskloster erhalten. Der Chor des Gebäudes ist heute eine evangelisch-methodistische Kirche. Im Hauptteil des Gebäudes, in dem die Brüder seit 1476 die erste Druckerei Rostock betrieben, befinden sich heute die Fachbibliothek Theologie/Philosophie und die Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Rostock.

Klosterpforte in Waghäusel

Die Beschäftigung mit dem Lebensstil dieser Laienkommunitäten war Anfang des 20. Jahrhunderts wegweisend für Entstehung einer gleichnamigen Bruderschaft vom gemeinsamen Leben in der Schweiz, die erste der neuen Kommunitäten, die in den Kirchen der Reformation klösterliche Lebensformen wiederbelebten. Gründer waren Gotthilf Haug (1875–1951), Jakob Schelker-Kellenberger (1868–1954) und Lina Schelker (1861–1936).

Seit 1975 gibt es in Deutschland wieder eine Kongregation Brüder vom Gemeinsamen Leben, die Mitglied der Konföderation der Augustiner-Chorherren (CRVC) ist. Generalsuperior der Gemeinschaft, die ihren Hauptsitz im Kloster Maria Bronnen im Landkreis Waldshut hat, ist Richard Lehmann-Dronke. Seit 2000 wirkt die Gemeinschaft im Marienwallfahrtsort Waghäusel in Nordbaden.[9]

Einzelnachweise

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  1. Nullbrüder. In: Theologische Realenzyklopädie, Band 8, S. 614 Z. 45
  2. Thomas von Kempen (übers. von Herbert Rüssel): Das Leben Meister Gerhards. Verlagsbuchhandlung Sabat, Kulmbach 2016, ISBN 978-3-943506-35-8.
  3. Fraterherrenhaus Münster ad fontem salientem, Münster. Urkundenregesten aus dem Archiv des Fraterherrenhauses in Münster. In der / Digitalen Westfälische Urkunden-Datenbank (DWUD), abgerufen am 3. April 2016.
  4. Vgl. Wolfgang Oeser: Die Brüder des gemeinsamen Lebens in Münster als Bücherschreiber. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens. Band 5, 1964, S. 197 ff.
  5. Beate Großmann-Hofmann, Hans-Curt Köster: Königstein im Taunus. Geschichte und Kunst. Königstein i. Ts. 2010, ISBN 978-3-7845-0778-1, S. 19.
  6. Wolfgang Leesch, Ernest Persoons, Anton G. Weiler (Hrsg.): Monasticon Fratrum Vitae Communis. Band 2: Deutschland, S. 6f.
  7. Nilüfer Krüger: Die Rostocker Brüder vom Gemeinsamen Leben zu Sankt Michael. Rostock, 1999
  8. Otto Meyer: Die Brüder des gemeinsamen Lebens in Württemberg 1477–1517. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte. 1913, S. 97–138, und 1914, S. 142–160.
  9. Geschichte (Memento des Originals vom 8. August 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.waghaeusel-kloster.de, Homepage des Klosters Waghäusel, abgerufen am 4. August 2014.

Überblicksdarstellungen

  • Florian M. Lim: Die Brüder vom Gemeinsamen Leben im 15. Jahrhundert in Deutschland. Vom Münsterschen Kolloquium zum Oberdeutschen Generalkapitel: Eine kirchenrechtsgeschichtliche Untersuchung über Eingliederung und Gemeinschaftsform der süddeutschen Kanoniker. (= Vita regularis – Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter. Abhandlungen.Band 71). LIT Verlag, Berlin 2017. ISBN 978-3-643-13802-6 (Digitalisat)
  • Ulrich Hinz: Die Brüder vom Gemeinsamen Leben im Zeitalter der Reformation. Das Münstersche Kolloquium. (= Spätmittelalter und Reformation. N.R. 9), Mohr Siebeck, Tübingen 1987. (Digitalisat)
  • Ernst Barnikol: Studien zur Geschichte der Brüder vom gemeinsamen Leben. Die erste Periode der deutschen Brüderbewegung: Die Zeit Heinrichs von Ahaus. Beitrag zur Entwicklung und Organisation des religiösen Lebens auf deutschem Boden im ausgehenden Mittelalter. Tübingen, Mohr 1917 (Ergänzungs-Heft zur „Zeitschrift für Theologie und Kirche“, 1917).
  • Wolfgang Leesch, Ernest Persoons, Anton G. Weiler (Hrsg.): Monasticon Fratrum Vitae Communis, Band 2: Deutschland, Archives et Bibliothèques de Belgique, Brüssel 1979 (= Archives et Bibliothèques de Belgique / Archief- en Bibliotheekwezen in Belgie, Extranummer 19).

Einzelne Niederlassungen

  • Jochen Bepler: Die Hildesheimer Fraterherren. Notizen zu einer Neuerwerbung. In: Jochen Bepler / Thomas Scharf-Wrede (Hg.): Die Dombibliothek Hildesheim. Bücherschicksale. Hildesheim 1996, 107–125.
  • Wilhelm Brüggeboes: Die Fraterherren (Brüder des Gemeinsamen Lebens) im Lüchtenhof zu Hildesheim. (Dissertation) In: Unsere Diözese in Vergangenheit und Gegenwart. Band 13, Heft 2/4, 1939.
  • Franz-Josef Heyen: Die Brüder vom Gemeinsamen Leben in St. German. In: Neues Trierisches Jahrbuch. Verein Trierisch im Selbstverlag, 1962, S. 16.
  • Michael Matheus: Ludolf von Enschringen. Ein Humanist zwischen Trier und Rom. In: Sigrid Hirbodian/Christian Jörg/Sabine Klapp/Jörg R. Müller (Hrsg.): Pro multis beneficiis. Festschrift für Friedhelm Burgard. Forschungen zur Geschichte der Juden und des Trierer Raums, Trierer Historische Forschungen 68, Trier 2012, S. 349–368, S. 366f.
  • Otto Meyer: Die Brüder des gemeinsamen Lebens in Württemberg 1477–1517. In: „Blätter für württembergische Kirchengeschichte“, NF 17, 1913, S. 97–138 (Digitalisat) und NF 18, 1914, S. 142–160 (Digitalisat).
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