Löffel-Theorie

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die Löffel-Theorie ist ein Gedankenexperiment über die Lebensrealität von vielen chronisch kranken und behinderten Menschen. Sie beschreibt eine limitierte Menge körperlicher, geistiger und emotionaler Energie, die chronisch kranken und behinderten Menschen im Alltag zur Verfügung steht sowie die Art und Weise, wie sich Aktivitäten auf den individuellen Energievorrat auswirken.

Bezugnehmend auf die Löffel-Theorie ist „Spoonies“ (von englisch spoon theory ‚Löffel-Theorie‘) eine häufige Selbstbezeichnung von chronisch kranken und behinderten Menschen.[1][2]

Entsprechend der Löffel-Theorie steht vielen chronisch kranken und/oder behinderten Menschen täglich eine bestimmte Anzahl an Löffeln zur Verfügung. Die Löffel visualisieren die Menge an Energie, auf die höchstens zurückgegriffen werden kann. Jede Aktivität (körperlich, geistig oder emotional) verbraucht eine individuelle Menge an Energie. Dieser Verbrauch wird in Löffeln angegeben, wobei unterschiedliche Aktivitäten eine unterschiedliche Anzahl an Löffeln abziehen. Ziel ist es, Aktivität nachzugehen, ohne den Energievorrat der vorhandenen Löffel zu übergehen.[3][4][5]

Beispiele:[4]

  • Um morgens aufzustehen muss eine chronisch kranke Person bereits einen Löffel investieren.
  • Im Internet zu recherchieren erfordert zwei Löffel.
  • Für eine zurückgelegte Strecke mit dem Auto werden drei Löffel abgezogen.
  • Ein Termin bei einer Ärztin bzw. einem Arzt kostet vier Löffel.

Die Löffel-Theorie ist nicht als wissenschaftliche Theorie zu verstehen, sondern stellt einen bildlichen Ausdruck dar.[5] Auch bilden Löffel keine feststehende, sondern eine willkürliche Einheit.[5] Die Löffel-Theorie geht davon aus, dass chronisch kranken und behinderten Menschen weniger Energie als gesunden und nicht-behinderten Menschen zur Verfügung steht und dass Aktivitäten mehr Energie von ihnen einfordern, etwa durch fehlende Barrierefreiheit.[3] Dementsprechend müssen chronisch kranke und behinderte Menschen sich ständig zwischen Alltagsaktivitäten entscheiden.[1][6]

Die Löffel-Theorie wurde 2003 von der US-amerikanischen Bloggerin Christine Miserandino in dem Essay „The Spoon Theory“ zur Beschreibung ihrer eigenen Erfahrung mit der chronischen Erkrankung Lupus erythematodes verwendet.[7][3] Seitdem wird die Metapher vor allem von chronisch kranken und behinderten Menschen und ihren Interessenvertretungen genutzt[3] sowie von Medien aufgegriffen.[8][9][10] Sie ist aber auch in Fachliteratur, so z. B. in der Physiotherapie,[4] oder in inklusionspädagogischen Kontexten[5] gebräuchlich. Teilweise wird die Löffel-Theorie neben Krankheit und Behinderung auf andere Marginalisierungserfahrungen ausgeweitet.[5]

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b Marina Weisband: Chronisch krank. In: Sebastian Pertsch (Hrsg.): Vielfalt. Das andere Wörterbuch. Dudenverlag, Berlin 2023, ISBN 978-3-411-75601-8, S. 67.
  2. Manuela Heim: Gespräch mit Marina Weisband. „Ich habe einen kaputten Akku“. In: Taz. 5. Dezember 2021, abgerufen am 10. November 2024.
  3. a b c d Raúl Aguayo-Krauthausen, Martin Kulik: Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden. Rowohlt Verlag, Hamburg 2023, ISBN 978-3-644-01466-4 (E-Book).
  4. a b c Susanne Mayrhofer, Beate Krenek (Hrsg.): Fallbuch Physiotherapie: Innere Medizin mit Schwerpunkt Kardiologie/Pulmologie. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München 2023, ISBN 978-3-437-05467-9, S. 268.
  5. a b c d e Eva-Maria Rottlaender (Hrsg.): Diversität und Inklusion in der sozial- und geisteswissenschaftlichen Lehrpraxis. wbv Publikation, Bielefeld 2023, ISBN 978-3-8252-6021-7, S. 158 ff.
  6. Hanns Lohmann: ME/CFS durch Long Covid. Was Sie über das chronische Fatigue-Syndrom wissen müssen. In: SWR 1. 16. Oktober 2023, abgerufen am 10. November 2024.
  7. Christine Miserandino: The Spoon Theory. www.butyoudontlooksick.com, 2003, abgerufen am 10. November 2024 (englisch).
  8. Franziska Nixdorf: Löffel-Theorie: Das steckt dahinter. In: Focus Online. 4. September 2023, abgerufen am 10. November 2024.
  9. Fortesa Latifi: Spoon theory: What it is and how I use it to manage chronic illness. In: The Washington Post. 14. Januar 2023, abgerufen am 10. November 2024 (englisch).
  10. Emily Band: How the spoon theory helps those suffering chronic pain and fatigue. In: The Guardian. 24. September 2012, abgerufen am 10. November 2024 (englisch).