Leoninischer Hexameter
Der leoninische Hexameter (auch leoninischer Vers oder Leoniner; lateinisch versus leoninus) ist eine vor allem in der mittellateinischen Dichtung verbreitete Versform mit sechs Hebungen (meist Hexameter, seltener Pentameter) und Zäsurreim, das heißt, Penthemimeres und Versende sind durch (häufig zweisilbige) Reime miteinander verbunden. Beispiele:
- einsilbig (Waltharius, Vers 27):
- Nobilis hoc Hagano / fuerat sub tempore tiro
- mehrsilbig (Archipoeta, Heimkehr von Salerno):
- En habeo versus / te praecipiente reversus
- sit tibi fons laeta / versus recitante poeta
Beispiele zäsurgereimter Pentameter gibt es bereits in der Antike, etwa bei Ovid (Ars amatoria)[1], dann in der spätlateinischen (Sedulius) und der frühmittelalterlichen lateinischen Dichtung, vor allem verbreitet im 10. und 11. Jahrhundert (Waltharius, Ecbasis captivi, Ruodlieb). Eine neuzeitliche Nachahmung ist das Vaticinium Lehninense. In der deutschen Dichtung sind leoninische Verse selten. Beispiele finden sich bei Eberhard von Cersne (Der Minne Regel), Johannes Rothe (Von den Ämtern der Städte und Rathgeber der Fürsten) und im Barock bei Johann Fischart.
Die Herkunft der Bezeichnung bleibt unklar. Erdmann hat sie auf Papst Leo und den in dessen Briefen besonders gepflegten rhythmischen Satzschluss (cursus und von daher cursus leoninus) zurückgeführt, alternativ wurde ein sonst unbekannter Dichter des 12. Jahrhunderts namens Leo oder Leoninus als Namensgeber angenommen.
Ein aus leoninischem Hexameter und Pentameter gebildetes elegisches Distichon wird als leoninisches Distichon bezeichnet.[2]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- T.V.F. Brogan: Leonine Rhyme, Verse. In: Roland Greene, Stephen Cushman et al. (Hrsg.): The Princeton Encyclopedia of Poetry and Poetics. 4. Auflage. Princeton University Press, Princeton 2012, ISBN 978-0-691-13334-8, S. 796 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Dieter Burdorf, Christoph Fasbender, Burkhard Moennighoff (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3. Auflage. Metzler, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-476-01612-6, S. 429 f.
- C. Erdmann: Leonitas. In: Corona Quernea: Festgabe Karl Strecker zum 80. Geburtstage dargebracht. Hiersemann, Stuttgart 1941.
- Otto Knörrich: Lexikon lyrischer Formen (= Kröners Taschenausgabe. Band 479). 2., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-47902-8, S. 132.
- K. Strecker: Leoninische Hexameter und Pentameter im 9. Jahrhundert. In: Neues Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde. Bd. 44 (1922), S. 213 ff.
- Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. 8. Auflage. Kröner, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-520-84601-3, S. 460.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Ars amatoria 1.59: quot caelum stellas, / tot habet tua Roma puellas.
- ↑ Burkhard Moennighoff: Distichon. In: Klaus Weimar (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 1. De Gruyter, Berlin 1997, ISBN 3-11-010896-8, S. 379 f.