Magnetische Struktur

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Eine sehr einfache, prototypische ferromagnetische Struktur
Eine sehr einfache, prototypische antiferromagnetische Struktur
Eine weitere einfache antiferromagnetische Anordnung in 2D

Der Begriff magnetische Struktur eines Materials beschreibt die geordnete Struktur deren magnetischer Momente, typischerweise in einem geordneten Kristallgitter. Die Untersuchung magnetischer Strukturen ist ein Teilgebiet der Festkörperphysik.

Magnetische Strukturen

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Viele Materialien sind unter Normalbedingungen nicht-magnetisch[1], was bedeutet, sie weisen keine magnetische Struktur auf. In diesem Fall können die Spins der Elektronen als nicht miteinander wechselwirkend angenommen werden. Das bedeutet auch, dass die Ausrichtung der magnetischen Momente in alle Richtungen symmetrisch, also unabhängig von der Richtung, ist. Solche Materialien weisen wegen der fehlenden Ordnung typischerweise nur noch einfachere magnetische Eigenschaften auf, zum Beispiel im Form von Diamagnetismus oder Pauli-Paramagnetismus.[2][3]

Ein interessanterer Fall tritt ein, wenn die Elektronen eines Materials spontan die oben erläuterte Symmetrie brechen. Im Ferromagnetismus liegt im Grundzustand eine globale gemeinsame Spinquantisierungsachse vor, zudem hat sich ein globales Ungleichgewicht der Elektronen bezüglich ihrer Spinquantenzahl eingestellt, eine Magnetisierung[4]: Die Elektronenspins zeigen mehrheitlich in eine Richtung als ihr entgegen (typischerweise wird dies als nach oben definiert). Im einfachsten (kollinearen) Fall des Antiferromagnetismus gibt es immer noch eine gemeinsame Quantisierungsachse, aber die Ausrichtung der Spins entlang dieser Achse ist abwechselnd nach oben und unten, was wiederum zu einer verschwindenden makroskopischen Magnetisierung führt[4]. Allerdings können – insbesondere im Fall von konkurrierenden (frustrierten) Wechselwirkungen – die resultierenden Strukturen viel komplizierter werden, unter anderem wegen der Dreidimensionalität der Spinausrichtung. Der Ferrimagnetismus (prototypisch vertreten in Magnetit) kann in gewissem Sinne als Hybrid verstanden werden: Die Magnetisierung ist makroskopisch nicht null wie im Ferromagnetismus, wobei die lokalen magnetischen Momente in entgegengesetzte Richtungen zeigen.[4]

Die obige Diskussion betrifft nur den Grundzustand eines magnetischen Systems. Bei endlichen Temperaturen () ist die Spinkonfiguration teilweise angeregt. Dabei können zwei Extremfälle gegenübergestellt werden: Im Stoner-Modell (Bandmagnetismus)[2][5] sind die Elektronen delokalisiert und ihre Wechselwirkung mit dem Molekularfeld kann zum Symmetriebruch führen. In diesem Bild verringert sich die lokale Magnetisierung gleichmäßig mit steigender Temperatur, weil einzelne delokalisierte Elektronenspins zwischen den beiden Ausrichtungen verschoben werden. Im anderen Extremfall werden alle magnetischen Momente als vollständig lokalisiert (auf bestimmten Atomen) angenommen, sie wechselwirken nur kurzreichweitig. Dies wird typischerweise im Rahmen des Heisenberg-Modells beschrieben. Hierbei führt eine erhöhte Temperatur zu einer Abweichung der Spinorientierung vom energetisch günstigsten Fall, also sinkt die Magnetisierung eines Ferromagneten.[4]

Im Bild des lokalisierten Magnetismus können magnetische Strukturen mit magnetischen Raumgruppen beschrieben werden[6], diese berücksichtigen alle möglichen Symmetrieoperationen der Ausrichtung der magnetischen Momente (zum Beispiel oben/unten) im Kristall.

Experimentelle Techniken

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Solche Ordnungen können dadurch analysiert werden, dass die magnetische Suszeptibilität in Abhängigkeit der Temperatur und/oder des angelegten magnetischen Feldes betrachtet werden. Eine wahrhaft dreidimensionale Darstellung der Spinordnung kann allerdings am besten durch (elastische) Neutronenstreuung gewonnen werden.[7] Neutronen werden dabei primär an den Atomkernen im Gitter gestreut. Bei Temperaturen oberhalb des Ordnungspunktes, zum Beispiel der ferromagnetischen Curie-Temperatur oder der antiferromagnetischen Néel-Temperatur, wenn das Material sich paramagnetisch verhält, können die Neutronen nur mit dem kristallographischen Gitter interagieren und die abbilden. Unterhalb der Ordnungstemperatur tritt auch Streuung an der magnetischen Struktur auf, da die Neutronen selber einen Spin besitzen und somit mit den magnetischen Momenten wechselwirken. Die Intensität der Bragg-Reflexionen ändert sich deshalb. Teilweise entstehen sogar gänzlich neue Reflexionen, wenn die Einheitszelle der magnetischen Struktur größer ist als die kristallographische (die des Gitters). Das kann als Superstruktur aufgefasst werden. So kann die Symmetrie der neuen Gesamtstruktur sich von der rein kristallographischen Substruktur unterscheiden. Die Gesamtstruktur wird dann über eine der 1651 magnetischen (Shubnikov) Gruppen beschrieben und nicht mehr durch die nicht-magnetischen Raumgruppen.[8]

Obwohl normale Röntgenstreuung der Spinanordnung gegenüber 'blind' ist, ist es mittlerweile möglich, mit bestimmten Röntgentechniken auch magnetische Strukturen zu untersuchen. Wenn die Wellenlänge des Röntgenlichts so gewählt ist, dass sie energetisch nah an der Absorptionskante eines der Elemente des Materials ist, so wird die Streuung anomal und diese Komponente des gestreuten Lichts reagiert auf die nicht-sphärische Form der Orbitale der Außenelektronen mit nicht gepaartem Spin. Diese Art von anomaler Röntgenstreuung (anomalous X-Ray scattering, AXS) enthält dann gewünschten Informationen.

Zuletzt werden table-top Techniken entwickelt, die es auch ohne Zugang zu Neutronen- und Röntgenquellen erlauben magnetische Strukturen zu untersuchen.[9]

Magnetische Strukturen von chemischen Elementen

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Nur drei Elemente sind unter Normalbedingungen ferromagnetisch: Eisen, Cobalt und Nickel. Ihre Curie-Temperatur ist höher als Raumtemperatur, . Gadolinium hat eine spontane Magnetisierung knapp unterhalb davon, bei und wird deshalb manchmal als viertes ferromagnetisches Element gezählt. Es wird diskutiert, ob Gadolinium eine helimagnetische Struktur besitzt[10], dies ist aber umstritten.[11]

Die beiden Elemente Dysprosium und Erbium haben beide zwei magnetische Übergänge. Sie sind paramagnetisch bei Raumtemperatur, werden helimagnetisch unterhalb ihrer jeweiligen Néel-Temperaturen und werden dann ferromagnetisch unterhalb ihrer Curie-Temperatur. Die Elemente Holmium, Terbium und Thulium weißen noch kompliziertere magnetische Strukturen auf.[12]

Einige Elemente weisen auch eine antiferromagnetische Ordnung auf, die oberhalb der Néel-Temperatur zerfällt. Chrom ist ein etwas einfacherer Antiferromagnet, hat aber auch inkommensurable Spindichtewellen neben der einfachen oben/unten-Anordnung.[13] Mangan hat (in der α-Konfiguration) eine Elementarzelle bestehend aus 29 Atomen, welche zu einer komplexen, aber kommensurablen, antiferromagnetischen Ordnung bei niedrigen Temperaturen führt (mit der magnetischen Raumgruppe P42'm').[14][15] Anders als die meisten anderen Elemente, deren magnetische Eigenschaften auf ihren Elektronen basieren, verdanken Kupfer und Silber ihren Magnetismus den viel schwächeren Kernmomenten (siehe ein Vergleich des Bohrschen Magnetons mit dem Kernmagneton), was zu Übergangstemperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt führt.[16][17]

Diejenigen Elemente, die supraleitend werden, zeigen Superdiamagnetismus unterhalb ihrer kritischen Temperatur.

Ordnungszahl. Name SprungtemperaturTc Curie-Temperatur Néel-Temperatur
3 Lithium 0,0004 K[18]
13 Aluminium 1,18 K[18]
22 Titan 0,5 K[18]
23 Vanadium 5,4 K[18]
24 Chrom 311 K[19]
25 Mangan 100 K[19]
26 Eisen 1044 K[20]
27 Cobalt 1390 K[20]
28 Nickel 630 K[20]
29 Kupfer 6·10−8 K[19]
30 Zink 0,85 K[18]
31 Gallium 1,08 K[18]
40 Zirconium 0,6 K[18]
41 Niob 9,25 K[18]
42 Molybdän 0,92 K[18]
43 Technetium 8,2 K[18]
44 Ruthenium 0,5 K[18]
45 Rhodium 0,0003 K[18]
46 Palladium 1,4 K[18]
47 Silber 5,6·10−10 K[19]
48 Cadmium 0,52 K[18]
49 Indium 3,4 K[18]
50 Zinn 3,7 K[18]
57 Lanthan 6 K[18]
58 Cer 13 K[19]
59 Praseodym 25 K[19]
60 Neodym 19,9 K[19]
62 Samarium 13,3 K[19]
63 Europium 91 K[19]
64 Gadolinium 293,4 K[20]
65 Terbium 221 K[20] 230 K[19]
66 Dysprosium 92,1 K[20] 180,2 K[19]
67 Holmium 20 K[20] 132,2 K[19]
68 Erbium 18,74 K[20] 85,7 K[19]
69 Thulium 32 K[20] 56 K[19]
71 Lutetium 0,1 K[18]
72 Hafnium 0,38 K[18]
73 Tantal 4,4 K[18]
74 Wolfram 0,01 K[18]
75 Rhenium 1,7 K[18]
76 Osmium 0,7 K[18]
77 Iridium 0,1 K[18]
80 Quecksilber 4,15 K[18]
81 Thallium 2,4 K[18]
82 Blei 7,2 K[18]
90 Thorium 1,4 K[18]
91 Protactinium 1,4 K[18]
92 Uran 1,3 K[18]
95 Americium 1 K[18]
  • Rudolf Gross, Achim Marx Festkörperphysik. 4., aktualisierte Auflage. De Gruyter, Berlin Boston 2023, ISBN 978-3-11-078234-9
  • Stephen Blundell, Magnetism in Condensed Matter. 1. Auflage. Oxford University Press, Oxford/New York 2001, ISBN 978-0-585-48360-3
  • Siegfried Hunklinger, Festkörperphysik. 5. Auflage. De Gruyter, Berlin/Boston 2018, ISBN 978-3-11-056774-8
  • J. M. D. Coey, Magnetism and Magnetic Materials. 1. Auflage. Cambridge University Press, Cambridge 2009, ISBN 978-0-521-81614-4

Einzelnachweise

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  1. The Magnetic Periodic Table. In: Magnetic Facts. Gruppe "Magnetism & Spin Electronics", Trinity College Dublin, 6. Mai 2022, abgerufen am 27. Dezember 2024 (englisch).
  2. a b Rudolf Gross, Achim Marx: Festkörperphysik (= De Gruyter Studium). 4., aktualisierte Auflage. De Gruyter, Berlin Boston 2023, ISBN 978-3-11-078234-9, 12 Magnetismus, S. 661 ff.
  3. Stephen Blundell: Magnetism in Condensed Matter (= Oxford Master Series in Condensed Matter Physics). 1. Auflage. Oxford University Press, Oxford/New York 2001, ISBN 0-585-48360-4, 2. Isolated magnetic moments, S. 18 ff. (englisch).
  4. a b c d Stephen Blundell: Magnetism in Condensed Matter (= Oxford Master Series in Condensed Matter Physics). 1. Auflage. Oxford University Press, Oxford/New York 2001, ISBN 0-585-48360-4, 5. Order and magnetic structures, S. 85 ff.
  5. Edmund Clifton Stoner: Collective electron ferromagnetism. In: Proceedings of the Royal Society of London. Series A. Mathematical and Physical Sciences. Band 165, Nr. 922, Januar 1997, S. 372–414, doi:10.1098/rspa.1938.0066.
  6. A. Wills: Magnetic structures and their determination using group theory. In: Le Journal de Physique IV. Band 11, PR9, 1. November 2001, S. Pr9–158, doi:10.1051/jp4:2001906.
  7. Yu. A. Izyumov, V. E. Naish, R. P. Ozerov: Neutron Diffraction of Magnetic Materials. In: SpringerLink. 1991, doi:10.1007/978-1-4615-3658-1 (englisch).
  8. Shoon K. Kim: Group Theoretical Methods and Applications to Molecules and Crystals. Cambridge University Press, Cambridge 1999, ISBN 0-521-64062-8, doi:10.1017/cbo9780511534867 (englisch).
  9. Antonio B. Mei, Isaiah Gray, Yongjian Tang, Jürgen Schubert, Don Werder, Jason Bartell, Daniel C. Ralph, Gregory D. Fuchs, Darrell G. Schlom: Local Photothermal Control of Phase Transitions for On‐Demand Room‐Temperature Rewritable Magnetic Patterning. In: Advanced Materials. Band 32, Nr. 22, Juni 2020, doi:10.1002/adma.202001080.
  10. J.M.D. Coey, V. Skumryev, K. Gallagher: Is gadolinium really ferromagnetic? In: Nature. Band 401, Nr. 6748, September 1999, S. 35–36, doi:10.1038/43363 (englisch).
  11. S. N. Kaul: Is gadolinium a helical antiferromagnet or a collinear ferromagnet? In: Pramana. Band 60, Nr. 3, 1. März 2003, S. 505–511, doi:10.1007/BF02706157 (englisch).
  12. Jens Jensen, Allan R Mackintosh: Rare Earth Magnetism. Oxford University PressOxford, 1991, ISBN 0-19-852027-1, doi:10.1093/oso/9780198520276.001.0001 (englisch).
  13. P M Marcus, S-L Qiu, V L Moruzzi: The mechanism of antiferromagnetism in chromium. In: Journal of Physics: Condensed Matter. Band 10, Nr. 29, 27. Juli 1998, ISSN 0953-8984, S. 6541–6552, doi:10.1088/0953-8984/10/29/014 (englisch).
  14. Takemi Yamada, Nobuhiko Kunitomi, Yutaka Nakai, D. E. Cox, G. Shirane: Magnetic Structure of α-Mn. In: Journal of the Physical Society of Japan. Band 28, Nr. 3, 15. März 1970, S. 615–627, doi:10.1143/JPSJ.28.615 (englisch).
  15. A. C. Lawson, Allen C. Larson, M. C. Aronson, S. Johnson, Z. Fisk, P. C. Canfield, J. D. Thompson, R. B. Von Dreele: Magnetic and crystallographic order in α‐manganese. In: Journal of Applied Physics. Band 76, Nr. 10, 15. November 1994, ISSN 0021-8979, S. 7049–7051, doi:10.1063/1.358024 (englisch).
  16. M. T. Huiku: Nuclear magnetism in copper at nanokelvin temperatures and in low external magnetic fields. In: Physica B+C. Band 126, Nr. 1, 1. November 1984, S. 51–61, doi:10.1016/0378-4363(84)90145-1 (englisch).
  17. P J Hakonen: Nuclear magnetic ordering in silver at positive and negative spin temperatures. In: Physica Scripta. T49A, 1. Januar 1993, S. 327–332, doi:10.1088/0031-8949/1993/t49a/057 (englisch).
  18. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z aa ab ac ad ae G. W. Webb, F. Marsiglio, J. E. Hirsch: Superconductivity in the elements, alloys and simple compounds. In: Physica C: Superconductivity and its Applications (= Superconducting Materials: Conventional, Unconventional and Undetermined). Band 514, 15. Juli 2015, S. 17–27, doi:10.1016/j.physc.2015.02.037 (englisch).
  19. a b c d e f g h i j k l m n Neel Point | The Elements Handbook at KnowledgeDoor. Abgerufen am 25. Dezember 2024 (englisch).
  20. a b c d e f g h i Curie Point | The Elements Handbook at KnowledgeDoor. Abgerufen am 25. Dezember 2024 (englisch).