Masernparty

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Masernparty bezeichnet die bewusste Zusammenführung gesunder, nicht gegen Masern geimpfter Kinder mit Kindern, die akut an Masern erkrankt sind. Ziel ist die Ansteckung der ungeimpften Kinder mit Masernviren, damit diese die Krankheit durchmachen und in der Folge eine Immunität gegen Masern entwickeln.

Sogenannte German measles parties, zu Deutsch ‚Rötelnpartys‘, waren in den 1950er und 1960er Jahren im angelsächsischen Raum vor der Einführung der Impfung gegen Röteln üblich.[1] Die genaue Entstehungsgeschichte der Masernpartys ist unbekannt und geht möglicherweise auf ein Missverständnis zurück (englisch „German Measles“ vs. „Measles“, zu Deutsch „Röteln“ vs. „Masern“). Masernpartys erlebten Anfang der 2000er Jahre einen Aufschwung, insbesondere in Großbritannien, als die Masern-Mumps-Röteln-Impfung (MMR) fälschlicherweise mit Autismus in Zusammenhang gebracht wurde.[2] Diese Vermutung konnte eindeutig widerlegt werden. Näheres dazu unter Der Fall Wakefield.

Entsprechende Treffen werden auch bei anderen Erkrankungen berichtet, etwa den Windpocken („Pockenparty“).[3]

Gegenüberstellung der Komplikationen von Erkrankung mit Masern und nach Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR).[4][5][6][7]
Symptom/Erkrankung Komplikationsrate
bei Masern-Erkrankung
Komplikationsrate
nach MMR-Impfung
Exanthem 98 % 5 %, abgeschwächt
Fieber 98 %, meist hoch 3 % bis 5 %, sehr selten hoch
Fieberkrämpfe 7 bis 8 % ≤ 1 %
Abfall der Blutplättchen 1/3.000 1/30.000 bis 1/50.000
Enzephalitis 1/1.000 bis 1/10.000 0[8]
Letalität 1/500 bis 3/1.000 0

Sogenannte Impfgegner begründen Masernpartys damit, dass Masern eine „harmlose“ Kinderkrankheit seien und dass eine als „natürlich“ bezeichnete Infektion mit „Wildviren“ Vorteile gegenüber der Impfung aufweise. Die Masernerkrankung ist jedoch deutlich riskanter als die Masernimpfung, da nicht selten schwere bleibende Schäden und auch tödliche Verläufe auftreten. Zur Sterblichkeit bei Maserninfektionen gibt es unterschiedliche Angaben. Sie schwanken von 1:1000 (Robert Koch-Institut, Deutschland)[9] über 1:500 (Centers for Disease Control, Vereinigte Staaten)[10] und 3:1000 (ECDC, Europäische Union)[11][12] bis zu 28 % in Entwicklungsländern.[12] Die häufigste Todesursache sind Lungenentzündungen, die in durchschnittlich 6 % der Krankheitsfälle als Komplikation auftreten.[13] Bei 0,1 % der Infizierten kommt es zu einer Hirnentzündung, die bei ca. 40 % der daran Erkrankten bleibende Hirnschäden zur Folge hat.[9] Ferner kann die infaust verlaufende subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) bei Jugendlichen und Kindern auftreten, wenn sie vor ihrem zweiten Lebensjahr an Masern erkranken. Beispielsweise ist im Juni 2013 ein vierzehnjähriger Junge an dieser Spätkomplikation gestorben, da er als Säugling im Wartezimmer eines Kinderarztes durch einen elfjährigen masernerkrankten Jungen infiziert wurde, dessen Eltern die Masernimpfung ihres Sohnes abgelehnt hatten.[14]

Rechtliche Aspekte

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Nach deutschem Recht erfüllt das vorsätzliche Beibringen von Krankheitserregern – also auch von Masernviren – den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung „durch Beibringung von gesundheitsschädlichen Stoffen“ (§ 224 Absatz 1 Nr. 1 Variante 2 StGB) oder der versuchten gefährlichen Körperverletzung;[15] treten durch Komplikationen bleibende Schäden ein, kann es sich um schwere Körperverletzung handeln. Tritt der Tod ein, ist eine fahrlässige Tötung, insbesondere aufgrund der bekannten Gefährlichkeit von Masernpartys, anzunehmen, eventuell auch eine Körperverletzung mit Todesfolge.

Zur Frage, ob sich die Erziehungsberechtigten eines Kindes strafbar machen, wenn sie ihr Kind absichtlich mit Masern infizieren, um es zu immunisieren („Kindeswohlgefährdung[16]), existieren bisher keine veröffentlichten Gerichtsentscheidungen.

In einer in der Literatur vertretenen Meinung machen sich die Eltern in diesem Fall nach §§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StGB strafbar.[17] Ob darüber hinaus eine Strafbarkeit wegen § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (lebensgefährdende Behandlung) vorliegt, ist umstritten, da es möglicherweise am Vorsatz scheitert, was jedoch im Hinblick auf die hohe Wahrscheinlichkeit von Komplikationen fragwürdig ist. Eine Einwilligung der Eltern im Hinblick auf das Personensorgerecht (§§ 1626, 1629 Abs. 1 BGB) ist unwirksam, da es um Entscheidungen geht, die existentieller Natur sind, und damit unvertretbar.[18] Im Übrigen ist hierbei zu berücksichtigen, dass eine solche Einwilligung sittenwidrig wäre, da Masernimpfungen kaum Risiken mit sich bringen, während mit einer Masernerkrankung die Gefahr des Todes einhergeht. Neben der gefährlichen Körperverletzung kommt je nach Verlauf darüber hinaus eine Bestrafung wegen schwerer Körperverletzung (§ 226 StGB) und im Falle des Todes eine Bestrafung wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) in Frage.[19] Eine Strafbarkeit wegen Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht würde möglicherweise an der fehlenden böswilligen Vernachlässigung der Fürsorgepflicht scheitern,[20] falls Eltern eine solche Maßnahme gutheißen, weil sie diese aus Uninformiertheit irrtümlich für die schonendste halten. Eine solche Strafbarkeit würde jedoch wieder aufleben, wenn Eltern die Risiken kennen oder sie trotz intensiver Symptomatiken nach einer Ansteckung keinen Arzt konsultierten. Der Nachweis der Viren, der Verdacht auf eine Erkrankung, eine tatsächliche Infektion und der Tod durch Masern sind in Deutschland nach § 6 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe h des Infektionsschutzgesetzes meldepflichtig. In der medizinischen Literatur wird vertreten, dass Masernpartys deshalb für Behandler nach den §§ 74, 75 IfSG strafbar sein könnten,[21][22][23] mit den gleichen Gesetzen wird in der juristischen Literatur die Strafbarkeit des Arztes begründet.[24]

In Österreich kommt für eine absichtliche Herbeiführung einer Infektion eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher (allenfalls absichtlicher) schwerer Körperverletzung gem. §§ 83–87 StGB, sowie wegen vorsätzlicher Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten nach § 178 StGB in Betracht. Dies gilt sowohl für jene Eltern, welche ihr masernkrankes Kind als Ansteckungsquelle zur Verfügung stellen, als auch für jene Eltern, die ihr gesundes Kind zur Masernparty bringen.[25]

Nach dem Schweizerischen Strafgesetzbuch kommt eine Strafbarkeit nach Körperverletzung,[26] Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht[27] und Verbreiten menschlicher Krankheiten,[28] wobei letzteres allerdings ein Handeln „aus gemeiner Gesinnung“ voraussetzt, in Betracht.

  • Cohen: Die Strafbarkeit von Masernpartys. Manz, Wien 2020, ISBN 978-3-214-10200-5
  • Christopher Leander Roth: Die Strafbarkeit von Masernpartys. Gießener Schriften zum Strafrecht und zur Kriminologie, Nomos Verlag, Baden-Baden 2013, ISBN 978-3-8487-0378-4
  • Esser, Beckert: Masernparty. JA 2012, S. 590–596.
  • Wedlich, ZJS 6/2013, S. 559–566.

Einzelnachweise

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  1. Infectious Diseases: German Measles Epidemic In: Time, 24. April 1964. Abgerufen am 21. Februar 2015 
  2. Children infected at 'measles parties', BBC News, 20. Juli 2001.
  3. Shannon Henry: A Pox on My Child: Cool! The Washington Post, 20. September 2005. Text online, abgerufen am 8. August 2011.
  4. Masern. RKI-Ratgeber Infektionskrankheiten – Merkblätter für Ärzte. Stand 07/2021
  5. David Bekhor, Jorge Barinaga, Paul Skolnik: Prevention and treatment of measles. Review, UpToDate v15.1, 2007.
  6. C. Meyer, S. Reiter: Impfgegner und Impfskeptiker – Geschichte, Hintergründe, Thesen, Umgang. In: Bundesgesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz. Band 47, 2004, S. 1182–1188, doi:10.1007/s00103-004-0953-x.
  7. R. T. Chen: Vaccine risks: real perceived and unknown. In: „Vaccine“, 17/1999, S. 41–46, PMID 10559533
  8. Carlo Di Pietrantonj et al.: Vaccines for measles, mumps, rubella, and varicella in children. In: The Cochrane Database of Systematic Reviews. Band 11, 22. November 2021, S. CD004407, doi:10.1002/14651858.CD004407.pub5, PMID 34806766, PMC 8607336 (freier Volltext).
  9. a b Masern. RKI-Ratgeber Infektionskrankheiten – Merkblätter für Ärzte. Stand 08/2010
  10. Overview of Measles Disease, Website der CDC
  11. Masern-Factsheet (Memento des Originals vom 21. März 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/ecdc.europa.eu auf der Website der European Centres for Disease Prevention and Control, abgerufen am 16. April 2012
  12. a b Robert T. Perry, Neal A. Halsey: The Clinical Significance of Measles: A Review. In: The Journal of Infectious Diseases. 189, 2004, S. S. 4–16, doi:10.1086/377712
  13. Measles. In: Epidemiology & Prevention of Vaccine-Preventable Diseases – „The Pink Book“, 9te Edition, Public Health Foundation, S. 131–144 PDF, 830 kB
  14. F.A.Z. Nr. 135 v. 14. Juni 2013, Seite 8
  15. Vgl. BGH, Urt. v. 4. November 1988 – 1 StR 262/88; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 24. Aufl. München 2001, § 224 Rn. 1a.; Wedlich ZJS 6/2013, S. 559 (560).
  16. Volker Schuster: Was wir über die Masernimpfung wissen sollten. In: Kinder- und Jugendmedizin. Band 20, Nr. 2, April 2020, S. 83–92, doi:10.1055/a-1113-3316.
  17. Jäger, Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, S. 132 mWn.
  18. Esser/Beckert, JA 2012, 593
  19. Wedlich, ZJS 2013, 562
  20. Jäger, Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, S. 132
  21. Nicole Schaenzler, Brigitte Strasser-Vogel: 300 Fragen zum Impfen. 1. Auflage. Graefe und Unzer Verlag, München 2008, S. 149. ISBN 978-3-8338-1145-6.
  22. Zylka-Menhorn: Masern Vermeintlich harmlose Viruserkrankung, Deutsches Ärzteblatt, Jg. 103, Heft 23, 9. Juni 2006, A 1586.
  23. Dorothea Habicht: Masernimpfung versus Masernparty. In: Bayerisches Ärzteblatt 11/2005, S. 760. Text online (Memento des Originals vom 10. August 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.blaek.de, abgerufen am 8. August 2011 (PDF; 117 kB)
  24. Wedlich, ZJS 6/2013, S. 559–566.
  25. Lisa Cohen: Die Strafbarkeit von Masernpartys. Manz, Wien 2020, ISBN 978-3-214-10200-5.
  26. Art. 123.2 Schweizerisches Strafgesetzbuch
  27. Art. 219 Schweizerisches Strafgesetzbuch
  28. Art. 231 Schweizerisches Strafgesetzbuch