Verfassung vom 3. Mai 1791

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Verabschiedung der Mai-Verfassung am 3. Mai 1791, zur Zeit des Vierjährigen Sejms im Warschauer Königsschloss (Gemälde von 1806)
Polen-Litauen 1789–1792 nach Beendigung des russischen Protektorats in den Grenzen nach der Ersten Teilung Polens 1772
Titelblatt des Erstdrucks der Maiverfassung von Piotr Dufour aus dem Jahre 1791
Verfassung vom 3. Mai 1791“, Gemälde von Jan Matejko, 1891

Die Verfassung vom 3. Mai 1791 (polnisch Konstytucja trzeciego maja, litauisch Gegužės trečiosios konstitucija) wurde am 3. Mai 1791 vom Sejm, der parlamentarischen Versammlung von Polen-Litauen (siehe auch Rzeczpospolita), im Warschauer Königsschloss verabschiedet. Laut Norman Davies gilt sie als „erste [Verfassung] ihrer Art in Europa“, die von einem Parlament verabschiedet wurde.[1] Andere Quellen bezeichnen sie als zweitälteste moderne Verfassung Europas nach der bereits 1755 veröffentlichten Verfassung von Korsika oder als drittälteste moderne Verfassung der westlichen Welt nach der am 17. September 1787 verabschiedeten Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika.[A 1][2][3]

Inhaltlich orientierte man sich bei der Verfassung an den Ideen der Aufklärung, der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte sowie den seit dem 16. Jahrhundert in Polen selbst stattfindenden Reformdiskursen. In Erinnerung an die Verfassung und ihre historische Bedeutung ist der 3. Mai neben dem 11. November, dem Unabhängigkeitstag zum Gedenken an die Wiedererlangung der staatlichen Souveränität 1918, der wichtigste Nationalfeiertag in Polen.

Nach einer langen Zeit der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Blüte war Polen-Litauen ab dem 17. Jahrhundert in mehrere sowohl politische als auch militärische Auseinandersetzungen mit seinen expansionistischen Nachbarstaaten verwickelt worden, gegen die es zahlreiche zermürbende Verteidigungskriege führen musste. Die Niederlagen und Verwüstungen sowie innerpolitische Konflikte zwischen den politischen Strömungen und Institutionen trieben das Land an den Rand des Ruins. Zu diesen Auseinandersetzungen gehörten:

Vor allem in Folge der Kriege hatte Polen-Litauen seine Vormachtstellung in Mittelosteuropa eingebüßt. Diese war an Russland unter den Romanow und an Brandenburg-Preußen unter den Hohenzollern übergegangen.

Die Wahlmonarchie Polen-Litauen wurde zunehmend ein Spielball unterschiedlicher Interessen sowohl von außen wie auch im Innern und verfiel langsam der Dekadenz, Agonie und politischen Anarchie. Die Zeichen des allgemeinen Verfalls äußerten sich durch die dauerhafte Blockade des Parlaments mittels des Liberum Veto, der Bildung von adligen Bündnissen (sogenannten Konföderationen) gegen die Interessen des Staates und des Königs, wenn zum Beispiel die Magnaten ihre Rechte der Goldenen Freiheit durch den König beschnitten sahen.

Vorsichtige Reformbemühungen von König Stanisław August Poniatowski, der 1764 nach dem Tod Augusts III. zum König gewählt wurde, führten zur Intervention Russlands, der sich Stanisław August beugte, wogegen sich die Konföderation von Bar, ein Streitbund oppositioneller Landadliger sowohl gegen den König als auch gegen Russland, formte.

Deren militärische Niederlage mündete 1772 in der Ersten Teilung Polens. Diese Ereignisse führten im geschrumpften Staat letztlich zu einer Stärkung des Reformlagers um die Aufklärer Hugo Kołłątaj, Stanisław Staszic und Ignacy Potocki, so dass ernsthafte innere Reformen möglich wurden.

Verfassungsentstehung

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Im Vierjährigen Sejm (1788–1792) setzten sich die Gegner einer engen Anlehnung an Russland durch. Dadurch entstand eine tragfähige Mehrheit, um durch innenpolitische Reformen die Handlungsfähigkeit des Staates wieder durchzusetzen. Außenpolitisch positiv war die wohlwollende Haltung Preußens. Durch die innen- und außenpolitischen Konstellationen wurden Reformen möglich, die in der Ausarbeitung und Verabschiedung der Verfassung durch den Sejm gipfelten. Auch die Französische Revolution war ein Faktor, der die Entstehung der Verfassung begünstigte. Die Ereignisse in Paris stärkten die polnischen Republikaner, so dass König Stanisław August Poniatowski mit der Verfassung einen Ausgleich zwischen republikanischen Reformern und konservativem Landadel herstellen konnte.[4] Verkündet wurde sie am 3. Mai 1791 durch den König.

Grundsätzliches

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Die polnische Verfassung von 1791 nahm zentrale Aspekte der französischen Aufklärung, aber auch ältere innerpolnische Reformdiskussionen auf. Auf Jean-Jacques Rousseau, der 1772 seine Betrachtungen über die Regierung Polens und über deren vorgeschlagene Reform erst nach der Ersten Teilung beendete, geht das Prinzip der Volkssouveränität zurück. Der Sejm wurde zur Verkörperung der „Allgewalt der Nation“ erklärt, unter der aber nicht das ganze Volk verstanden wurde, sondern im Sinne der traditionellen Ständeordnung der Adel, neben dem in der „Landbotenkammer“ das wohlhabende Bürgertum der Städte erstmals ein politisches Mitspracherecht erhielt. Die Bauern blieben Leibeigene und waren im Parlament nicht vertreten.[5] Von Montesquieu übernahm die Verfassung das Prinzip der Gewaltenteilung (Judikative, Exekutive und Legislative). Dabei wurde die Regierung dem Parlament unterworfen. Im Sejm selbst sollte fortan das Mehrheitsprinzip gelten. Das Liberum veto des Adels, das in der Vergangenheit häufig zur Blockade der polnischen Innen- und Außenpolitik geführt hatte, wurde auf einige wenige Fälle begrenzt. Die negativen Erfahrungen mit dem Wahlkönigtum führten zur Einführung der erblichen Monarchie unter den Wettinern (Kurfürst Friedrich August III. lehnte die Krone allerdings ab). Der Einfluss der Könige im Rahmen der parlamentarisch-konstitutionellen Monarchie[6] war eng beschränkt. Gemäß der Verfassung konzentrierten sich die Rechte des Königs auf die Repräsentation des Staates nach außen.[7]

Der römisch-katholische Glaube wurde zur Nationalreligion erklärt bei gleichzeitiger Garantie der Religionsfreiheit für andere Bekenntnisse. Übertritte zu diesen galten als Apostasie und waren verboten.

Inhalt (Auszüge)

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  • Die Herrschende Nationalreligion ist und bleibt der heilige römisch-katholische Glaube mit allen seinen Rechten, Der Übergang von dem herrschenden Glauben zu irgend einer andern Confession wird bei den Strafen der Apostasie untersagt. Da uns aber eben dieser heilige Glaube befiehlt, unsern Nächsten zu lieben; so sind wir deshalb schuldig, allen Leuten, von welchem Bekenntnisse sie immer auch seyn mögen, Ruhe in ihrem Glauben und den Schutz der Regierung angedeihen zu lassen. Deshalb sichern wir hiemit, unsern Landesbeschlüssen gemäß, die Freiheit aller religiösen Gebräuche und Bekenntnisse in den polnischen Landen. (I. Artikel)
  • Jede Gewalt in der menschlichen Gesellschaft entspringt aus dem Willen der Nation. (Beginn des V. Artikels)
  • Die vollziehende Gewalt soll keine Gesetze weder geben noch erklären, keine Abgaben und Steuern, unter welchem Namen es auch sey, auflegen, keine Staatsanleihen machen, die vom Reichstage gemachte Eintheilung der Schatzeinkünfte nicht abändern, keine Kriege erklären, keinen Frieden, keinen Tractat und keine diplomatische Acten definitiv abschließen können. Es soll ihr bloß freistehen, einstweilige Unterhandlungen mit den auswärtigen Höfen zu pflegen, ingleichen einstweiligen und gemeinen Bedürfnissen zur Sicherheit und Ruhe des Landes abzuhelfen; aber hievon ist sie verpflichtet, die nächsten Reichstagsversammlung Bericht zu erstatten. (Auszug aus dem VII. Artikel)
  • Es erscheint unserer Umsichtigkeit angezeigt, die Thronfolge auf dem polnischen Thron nach folgendem Recht zu regeln: Wir setzen demzufolge fest, dass … der … regierende Kurfürst von Sachsen in Polen als König herrschen wird. Der älteste Sohn des herrschenden Königs soll nach seinem Vater auf den Thron nachfolgen. (Auszug aus dem VII. Artikel)
  • Die richterliche Gewalt kann weder von der gesetzgebenden, noch vom Könige [Anm.: also der vollziehenden Gewalt] ausgeübt werden, sondern von den zu diesem Ende gegründeten und erwählten Magistraturen. (Beginn des VIII. Artikels)

Die obigen Übersetzungspassagen sind entnommen aus: K.H.L. Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789, 3. Bd., F.A. Brockhaus, Leipzig 1833.

Die Verfassung vom 3. Mai wurde von den Nachbarländern Polens, insbesondere auch wegen der gleichzeitigen Vorgänge in Frankreich, als eine Bedrohung für deren absolutistische Herrschaftsform gesehen und nach der Konföderation von Targowica und der Intervention Russlands, die im Russisch-Polnischen Krieg von 1792 gipfelten, vom Königreich Preußen unter Friedrich Wilhelm II. und dem Russischen Reich unter Katharina II. im Rahmen der Zweiten Teilung Polens 1793 außer Kraft gesetzt. Anlässlich der Hundertjahrfeier zur Verfassung schuf 1891 der Historienmaler Jan Matejko das Gemälde „Die Verfassung vom 3. Mai 1791“, um den Geist der ersten modernen Verfassung Europas zu erfassen.

  • Georg-Christoph von Unruh: Die polnische Konstitution vom 3. Mai 1791 im Rahmen der Verfassungsentwicklung der europäischen Staaten. In: Der Staat. Band 13, Nr. 2, 1974, S. 185–208, JSTOR:43640585.
  • Stanisław Grodziski: Die Verfassung vom 3. Mai 1791 – das erste polnische Grundgesetz. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. (APuZ). Band 37, Nr. 30/31, 1987, S. 40–46.
  • Rudolf Jaworski (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791 (= Kieler Werkstücke, Reihe F, Bd. 2). Lang, Frankfurt/M. 1993, ISBN 3-631-45290-X.
  • Helmut Reinalter, Peter Leisching (Hrsg.): Die polnische Verfassung vom 3. Mai 1791 vor dem Hintergrund der europäischen Aufklärung (= Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1850. 23). Lang, Frankfurt am Main u. a. 1997, ISBN 3-631-30509-5.
  • Jan Kusber: Vom Projekt zum Mythos – Die polnische Maiverfassung 1791. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Band 52, Nr. 8, 2004, S. 685–699.
  • Israel Bartal: Vierjahressejm. In: Dan Diner (Hrsg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Band 6: Ta–Z. Metzler, Stuttgart u. a. 2015, ISBN 978-3-476-02506-7, S. 288–290.
Wikisource: Constitution vom 3. Mai 1791 – Quellen und Volltexte
  1. Norman Davies: Europe. A History. Oxford University Press, Oxford u. a. 1996, ISBN 0-19-820171-0, S. 699.
  2. Albert P. Blaustein: Constitutions of the world. Fred B. Rothman, Littletown CO 1993, ISBN 0-8377-0362-X, S. 15.
  3. Sandra Lapointe, Jan Wolénski, Mathieu Marion, Wioletta Miskiewicz (Hrsg.): The Golden Age of Polish Philosophy. Kazimierz Twardowski’s philosophical legacy (= Logic, epistemology, and the unity of science. 16). Springer, Dordrecht u. a. 2009, ISBN 978-90-481-2400-8, S. 4.
  4. Jörg Ganzenmüller: Vom Ständestaat zur konstitutionellen Monarchie: Der Ort der polnischen Maiverfassung von 1791 in der europäischen Geschichte. 2012, abgerufen am 20. September 2022.
  5. Barbara Stollberg-Rilinger: Die Aufklärung. Europa im 18. Jahrhundert. 5. Auflage, Reclam, Stuttgart 2021, S. 250.
  6. https://www.britannica.com/place/Poland/The-First-Partition
  7. Manfred Alexander: Kleine Geschichte Polens (= Bundeszentrale für Politische Bildung. Schriftenreihe. Bd. 537). Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2005, ISBN 3-89331-662-0, S. 158.
  1. Der Titel der „ersten“ Verfassung ist in der Fachliteratur nicht unumstritten und bedingt sich aus der Frage, wie man Verfassung letztendlich definiert. Hierbei setzen viele Autoren unterschiedliche Maßstäbe an. Ein verfassungsähnliches Dokument, welches älter ist als sowohl die amerikanische als auch die polnische Verfassung, findet sich beispielsweise in Korsika. Siehe hierzu: Dorothy Carrington: The Corsican constitution of Pasquale Paoli (1755–1769). In: The English Historical Review. Band 88, Nr. 348, 1973, S. 481–503, JSTOR:564654.