Frithjof Bergmann

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Frithjof Bergmann, 2009

Frithjof Harold Bergmann (* 24. Dezember 1930 in Weickelsdorf,[1] Landkreis Weißenfels, Provinz Sachsen, Preußen; † 23. Mai 2021 in Ann Arbor, MI[2]) war ein österreichisch-US-amerikanischer[3][4] Sozialphilosoph und Anthropologe[5][6] sowie Begründer der „New-Work“-Bewegung.

Frithjof Bergmann war der zweite Sohn von Helmut Bergmann, einem evangelischen Pfarrer, und dessen Frau Else, geborene Graf.[2] Er wuchs mit zwei Brüdern und zwei Schwestern auf. Um dem Aufstieg der Nationalsozialisten auszuweichen, übersiedelte die Familie um 1935/36[7] nach Hallstatt in Österreich. In Gmunden besuchte er das Gymnasium, wo er maturierte.[6]

Die Familie wurde auf Grund der jüdischen Herkunft der Mutter ab 1938 schwer benachteiligt.Schließlich konnte seine Mutter nach vorgetäuschtem Selbstmord, bis zum Kriegsende ohne jeglichen Kontakt zu ihrer Familie, 1945 verkleidet als Krankenschwester der Deportation in ein Konzentrationslager entgehen.

Da auch der Vater in Gefangenschaft geraten und schwer erkrankt war, war der Junge früh auf sich allein gestellt und arbeitete die meiste Zeit als Bauer auf dem Land. Diese Erfahrung inspirierte später auch die von ihm ersonnene Philosophie der Neuen Arbeit. Die Erfahrungen mit Faschismus und Krieg hatten in ihm Kampfgeist geweckt, und er überlegte früh, wie man die Welt besser machen könnte. Er hatte den Wunsch, das postfaschistische Europa zu verlassen, und gewann 1949, kurz vor der Matura, mit seinem Aufsatz Welt, in der wir leben wollen einen Wettbewerb der US-Botschaft in Österreich und damit ein Studienjahr in Oregon (USA).[8][9]

Bergmann blieb nach dem Studienaufenthalt in den USA und arbeitete vorübergehend auch als Tellerwäscher, Preisboxer, Fließband- und Hafenarbeiter. Später schrieb er Theaterstücke und lebte fast zwei Jahre lang in Selbstversorgung auf dem Land bei New Hampshire. Er studierte Philosophie an der Universität Princeton, promovierte hier mit einer Arbeit über Hegel und erhielt Lehraufträge dort sowie an der Stanford-Universität, der University of Chicago und der University of Berkeley.

Ab 1958 war er an der University of Michigan in Ann Arbor tätig, wo er den Lehrstuhl für Philosophie innehatte, später auch den für Kulturanthropologie. 1999 wurde er emeritiert.[5]

Bergmann verfasste Publikationen über ökonomische, politische und kulturelle Themen und beriet Regierungen, Firmen, Gewerkschaften und Kommunen sowie auch Jugendliche und Obdachlose in Fragen der Zukunft der Arbeit und der Innovationsfreudigkeit. Ein großer Teil seiner Arbeit befasste sich mit Kindern und Jugendlichen. Seine Ansätze vertrat er in den USA und Europa, aber auch in den Ländern des globalen Südens.

Frithjof Bergmann starb im Mai 2021 im Alter von 90 Jahren und hinterließ zwei Töchter und einen Sohn.[2]

In den Jahren 1976 bis 1979 unternahm Frithjof Bergmann Reisen in die damaligen Ostblockstaaten. Dort begann durch die Erkenntnis, der real existierende Sozialismus[10] habe keine Zukunft mehr, seine weitergehende Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus. Dies führte ihn zu der Idee, ein Gegenmodell zu entwickeln, die Bewegung der „Neuen Arbeit“ (englisch New Work). 1981[5] oder 1984[8][11] gründete er in der Automobilstadt Flint in Michigan das Center for New Work (deutsch: Zentrum für Neue Arbeit) und beriet dort General Motors.[12] Seitdem sind einige solcher Zentren in verschiedenen Ländern entstanden und New Work wurde zur Lebensaufgabe Frithjof Bergmanns.

Den Begriff der Freiheit kritisierend verstand Bergmann darunter nicht nur Entscheidungsfreiheit zwischen Alternativen, sondern Handlungsfreiheit. Da das „Job-System“ an seinem Ende sei, habe die Menschheit die Chance, sich von der Knechtschaft der Lohnarbeit zu befreien. Zentrale Werte der „Neuen Arbeit“ seien Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an Gemeinschaft. Diese solle aus drei etwa gleichen Teilen bestehen: Erwerbsarbeit, „smart consumption“ und „High-Tech-Self-Providing“ (Selbstversorgung auf höchstem technischem Niveau) sowie „Arbeit, die man wirklich, wirklich will“:

  • Dagegen solle die durch fortschreitende Automatisierung in allen Wirtschaftsbereichen abnehmende Erwerbsarbeit der Industriegesellschaft für jeden gekürzt und die finanzielle Basis für Dinge geschaffen werden, die nicht durch Eigenarbeit oder nachbarschaftliche Netzwerke produzierbar sind.
  • Doch könnten in naher Zukunft kooperativ betriebene Fabber die Eigenproduktion von Gütern übernehmen. Außerdem sollten sich die Menschen Gedanken darüber machen, was sie brauchen. So seien viele Produkte wenig sinnvoll, da ihr Gebrauch eher mehr Arbeit mache als einspare, etwa viele Knoblauchpressen, deren Reinigungsaufwand ihren Nutzen aufwiege.
  • Wenn ein revolutionärer Prozess abgelehnt werde, könne die Veränderung nur nach und nach durch Menschen erfolgen, die sich an dem orientieren, „was sie wirklich, wirklich wollen“, und sich so allmählich unabhängiger machen. In so genannten Zentren für Neue Arbeit sollen Menschen gemeinsam mit den Mentoren ihre „Selbstunkenntnis“ überwinden und auf die Suche nach einer Arbeit in Übereinstimmung mit eigenen Wünschen, Hoffnungen, Träumen und Begabungen begeben. Diese soll schließlich das eigene Leben so verändern, dass man sich „lebendig(er)“ fühle.

Der Psychologe Markus Väth entwickelte Bergmanns Theorie später arbeitswissenschaftlich fort und formulierte in seiner New Work Charta fünf Prinzipien von New Work für Organisationen:

  1. Freiheit (Schaffen von Experimentierräumen, Schaffen einer Kultur der Angstfreiheit, starke Vernetzung innerhalb der Organisation)
  2. Selbstverantwortung (Etablieren von Modellen der Selbstorganisation, Erweitern der Budget-Autorität, Etablieren von Beteiligungsmodellen)
  3. Sinn („Arbeit, die man wirklich, wirklich will“, Erweitern des Wertschöpfungsbegriffs, Überprüfen von Strukturen und Prozessen)
  4. Entwicklung (Etablieren kollektiver Lernstrukturen, Selbstreflexion der Organisation, Etablieren kollektiver Entscheidungsstrukturen)
  5. Soziale Verantwortung (Ökologische und soziale Nachhaltigkeit, Regionales Engagement, Prinzip des Ehrbaren Kaufmanns)

Die New Work Charta wurde bislang von 600 Persönlichkeiten unterzeichnet, davon nicht wenige aus der internationalen Forschungsgemeinde, und von Vertretern aus der Politik (z. B. vom badenwürttembergischen Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) und vom ehemaligen Parlamentarischen Staatssekrätar für Bildung und Forschung, Thomas Sattelberger (FDP)). Damit wurde eine Prinzipienlandschaft entwickelt, die sich 1. klar auf Bergmann bezieht und sich als dessen konzeptionellen Nachfolger sieht; 2. auf der seriösen, psychologischen Empowerment-Theorie aufsetzt, diese jedoch gleichzeitig erweitert und 3. das erste New-Work-Modell darstellt, welches für Mensch, Organisation und Gesellschaft gleichzeitig Gültigkeit postuliert.

Taimer & Weckmüller (2020)[13] ordnen die New Work Charta dem „mitarbeiterorientierten Humanisierungsdiskurs“ zu (neben dem „originären Sinndiskurs“ und dem „businessorientierten Management-Diskurs“).

Schneider (2020)[14] kommt hinsichtlich der fünf Prinzipien zum Schluss: „Diese Kategorisierungen werden […] zwar nicht wissenschaftlich, jedoch aus Ableitungen von Bergmann begründet. Anders als vorrangig auf strukturelles Empowerment […] im Sinne „agiler“ Arbeitsweisen ausgerichtete (und i. d. R. entsprechend aus Microsofts „Manifest für ein neues Arbeiten“ abgeleitete) Konzepte, stellen diese Prinzipien damit ein universelles Modell zur Umsetzung eines Grundgerüsts in Anlehnung an Bergmanns Überlegungen dar, ohne sich gleichzeitig auf ein Prozess-, Struktur- oder Managementmodell festzulegen.“

Das New Work Barometer 2022[15] identifiziert die New Work Charta als eines von vier Modellen, die in Deutschland am meisten mit New Work assoziiert werden.

Veröffentlichungen

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  • 1999: Professor Dr. Frithjof Bergmann Sozialphilosoph und Anthropologe im Gespräch mit Marion Glück-Lev. Sendung vom 25. Juni 1999 in der Reihe alpha-Forum – Prominente Persönlichkeiten im Gespräch von BR-alpha.[6]
Commons: Frithjof Bergmann – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. Frithjof Bergmann – Wir sollen nicht der Arbeit dienen, sondern die Arbeit soll uns dienen. Biografie. In: Website von NANK Co:llaboratory (Hrsg.), Wien, ohne Datum, abgerufen am 27. Mai 2021.
  2. a b c Obituary: Frithjof Harold Bergmann. December 24, 1930 – May 23, 2021. In: Dignity Memorial, 23. Mai 2021, abgerufen am 27. Mai 2021: “Frithjof Harold Bergmann was born on December 24, 1930 and passed away on May 23, 2021 in Ann Arbor, Michigan and is under the care of Muehlig Funeral Chapel.
  3. Benjamin Berend, Michaela Brohm-Badry: Was ist New Work? In: New Work: Souveränität im postdigitalen Zeitalter. essentials. Springer, Wiesbaden 2020, doi:10.1007/978-3-658-29684-1_4, S. 11–13.
  4. Prof. Dr. Frithjof Bergmann – Weichenstellung für New Work. In: Der NWXnow Videocast. New Work SE, 17. August 2020, abgerufen am 27. Mai 2021.
  5. a b c Eight University of Michigan faculty members were given the emeritus title by the U-M Regents at their Sept. 16-17 meeting. In: Michigan News. University of Michigan, 26. April 2007, abgerufen am 27. Mai 2021 (englisch).
    Frithjof Bergmann – Professor Emeritus. Personenprofil („May 31, 1999 Retirement Memoir“) am Institut für Philosophie des College of Literature, Science, and the Arts (LSA) der University of Michigan.
  6. a b c Frithjof Bergmann im Gespräch mit Marion Glück-Levi (1999). Sendungsarchiv des alpha-Forum auf der Website des Bayerischen Rundfunks, Stand 7. September 2011 (mit Download-Möglichkeit des Transkripts als PDF, 43,24 KB), abgerufen am 27. Mai 2021.
  7. Siehe Traunspiegel, 01/2021, S. 5.: „… in Weickelsdorf (Sachsen) geboren. Doch schon fünf Jahre später …“
  8. a b Verlagsinformation zu Frithjof Bergmann: Neue Arbeit, neue Kultur. Arbor, Freiburg 2004. In: Buchtipp – Frithjof Bergmann: „Neue Arbeit, neue Kultur“. Website des Buchladens Neuer Weg in Würzburg, 28. Dezember 2006, abgerufen am 27. Mai 2021.
  9. „Und dann durfte ich als 18-jähriger Gymnasiast einen Aufsatz darüber schreiben, welche Schule ich mir wünschen würde. Ich entwarf die Utopie einer Schule, welche die Heranwachsenden stärkt und in ihrer Entwicklung fördert, statt sie mit Wissen abzufüllen und ihnen Disziplin einzuprügeln. Dadurch änderte sich zwar nichts an der Schule, aber alles in meinem Leben. Ich gewann den Hauptpreis, ein einjähriges Stipendium in den USA. Nach der Matura trat ich die Reise an, und statt für ein Jahr blieb ich für den Rest meines Lebens.“ Zitiert in: Traunspiegel, 01/2021, S. 5.
  10. Frithjof Bergmann: New Work New Culture, Work We Want And A Culture That Strengthens Us. John Hunt Publishing, zero books, Winchester, Washington 2019, S. 36.
  11. Anm.: Abweichend zu 1981 in den Angaben im Personenprofil der University of Michigan, wo Bergmann lehrte und emeritiert wurde, wird oftmals 1984 als Gründungsjahr des Center for New Work genannt.
  12. „Bei General Motors haben sie versucht, aus der ‚Neuen Arbeit‘ etwas zu machen, das beinahe militärisch organisiert war. Was wir im Sinn hatten, war mehr verknüpft mit den Begriffen von Improvisation, Erfindung, Innovation.“ Zitat aus einem von mehreren Interviews mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zitiert im Nachruf in FAZ.net am 25. Mai 2021.
  13. Lars Taimer, Heiko Weckmüller: Diskursanalyse: Humanisierung der Arbeit oder effektives Managen? In: dgfp.de. Deutsche Gesellschaft für Personalführung, Oktober 2020, abgerufen am 8. Dezember 2022.
  14. Tomas Schneider: Agil, hierarchiefrei und selbstorganisiert im New Work oder überwältigt von Systemstrukturen und unterdrückten gruppendynamischen Prozessen im New Office. In: SpringerLink. 3. November 2020, abgerufen am 8. Dezember 2022.
  15. Carsten Schermuly, Matthias Meifert: New Work Barometer 2022. In: www.srh-berlin.de. SRH-Hochschule Berlin, 2022, abgerufen am 8. Dezember 2022.
  16. Gunnar Sohn: Frithjof Bergmann: Neue Arbeit, neue Kultur. Buchbesprechung. In: Politische Literatur (Archiv) des Deutschlandfunk, 3. Januar 2005, abgerufen am 27. Mai 2021.