Der St.-Paulus-Dom zu Münster in Westfalen verfügt über drei Orgeln: Die Hauptorgel befindet sich im Johanneschor. Sie ist verbunden mit einem Turmwerk (Auxiliarwerk), welches in einer Kapellenkammer im Nordturm untergebracht ist und insbesondere der Beschallung des rückwärtigen Kirchenraumes (Westwerkes) dient. Im Westchor befindet sich ein mobiles Orgelpositiv aus dem 17. Jahrhundert, das der Begleitung der gesungenen Vesper dient.[1]
Die Geschichte der Orgeln im Dom zu Münster reicht zurück in das 12. Jahrhundert: In das Jahr 1181 fällt die erstmalige Erwähnung eines Organisten im „Alten Dom“, und um 1250 findet sich die Darstellung eines Orgelspielers im Rankenwerk der Vorhalle des Doms. Zunächst standen im Dom kleinere, tragbare Instrumente. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts gab es wohl zwei Orgeln, die während der Wiedertäuferzeit zerstört wurden – die eine stand im Stephanuschor, die andere im Johanneschor.[2]
Im Jahre 1588 wurde durch Arndt Lampeler van Mill aus Herzogenbusch eine Orgel mit 28 Registern als Schwalbennestorgel am nördlichen Mittelpfeiler des Langhauses gegenüber der Kanzel erbaut und von seinen Söhnen Reinhard und Dietrich Lampeler vollendet.[3] Die dreimanualige Orgel besaß ein angehängtes Pedal. Ihren Namen „Katharinenorgel“ führte sie von ihrer Position gegenüber der Statue der heiligen Katharina.
Dieses Instrument wurde 1610–1612 durch den Kölner Orgelbauer Daniel Bader auf die im Alten Chor neu errichtete Orgelempore versetzt und dabei, wie der erhaltene Dispositionsentwurf ausweist, unter Übernahme des Pfeifenmaterials auf 43 Register erweitert.[4]
Außerdem stand auf dem ehemaligen Lettner ein kleines Orgelpositiv, das als Generalbassinstrument für die Begleitung der Chöre bzw. Domkapelle diente, die von der Lettnerbühne aus musizierte. Dieses Instrument steht heute im Westchor.
In den Jahren 1752–1755 wurde die Katharinenorgel durch eine neue, größere Orgel ersetzt, die von Johann Patroclus Möller erbaut wurde. Die Möller-Orgel besaß 53 Register auf drei Manualen und Pedal.[5]
Anlässlich der Fertigstellung der Münsteraner Domorgel verfasste der Hannoveraner Orgelbauer Christian Vater am 31. Oktober 1755 ein weitgehend ironisch gehaltenes Gutachten, wobei namentlich die Verwendung der inzwischen als altmodisch angesehenen Springlade anstelle der moderneren Form der Schleiflade (in betracht er vielleicht nie mahl Schleüffladen gesehen noch verfertiget, dahero auch den vorteil und nutzen nicht wißen kann), das Fehlen des Tremulanten (daß ein guter Dohm organiste den tremulanten an den fingern mit in die Kirchen bringen müste) oder die Größe der Blasebälge (solche ungeheüre Püsters so 12 fuß lang und 7 fuß breit sind mir noch nicht vorkommen) moniert wird.[6]
Disposition der Möller-Orgel von 1755
I Hauptwerk C–d3
01.
Prinzipal
16′
02.
Rohrflöte
16′
03.
Octave
08′
04.
Quintadena
08′
05.
Gemshorn
08′
06.
Viola di Gamba
08′
07.
Quint
06′
08.
Flûte douce
04′
09.
Octave
04′
10.
Octave
02′
11.
Mixtur V
12.
Sesquialter III
13.
Zimbel IV
14.
Trompete
08′
15.
Trompete
04′
II Rückpositiv/Unterwerk C–d3
16.
Großgedackt
16′
17.
Prinzipal
08′
18.
Rohrflöte
08′
19.
Flauto traverso 0
08′
20.
Octave
04′
21.
Rohlflöte
04′
22.
Quintflöte
03′
23.
Quinte
03′
24.
Superoctave
02′
25.
Mixtur IV
26.
Zimbel III
27.
Fagott
16′
28.
Vox Humana
08′
III Brustpositiv/Oberwerk C–d3
29.
Gedackt
08′
30.
Salzional
08′
31.
Prinzipal
04′
32.
Nachthorn
04′
33.
Echo Salzional
04′
34.
Spitzflöte
02′
35.
Octave
02′
36.
Sifflöte
011⁄2′
37.
Kornett III
38.
Sesquialter II 0
39.
Mixtur IV
40.
Rankett
16′
41.
Krummhorn
08′
Pedalwerk C–d1
42.
Prinzipal-Bass
16′
43.
Subbass
16′
44.
Octavbass
08′
45.
Quintbass
06′
46.
Octave
04′
47.
Flöte
01′
48.
Mixtur VII
49.
Contraposaune 0
32′
50.
Posaune
16′
51.
Trompete
08′
52.
Trompete
04′
53.
Schalmei
02′
Nach einer 1852 erfolgten ersten Reparatur der Möller-Orgel durch Caspar Melchior Kersting verlegte dieser sie 1859 bis 1862 in eine neu eingerichtete Orgelkammer über dem Kapitelsaal, d. h. oberhalb des Stephanschores im nördlichen Querschiff. Dabei wurde sie entschieden umgestaltet und um neue, zeittypische Register erweitert.[7] Im Zweiten Weltkrieg wurde das Instrument zerstört.[8]
Die Hauptorgel steht im südlichen Querhaus. Sie geht zurück auf ein Instrument, welches im Jahre 1956 von dem Orgelbauer Hans Klais (Bonn) erbaut wurde. Bis 1987 war die Orgel im Stephanuschor untergebracht; das Instrument befand sich in einer zum Chor- und Altarraum offenen Orgelnische über dem Kapitelsaal.
Im Zuge der Renovierung des Doms im Jahre 1987 wurde das Instrument von der Orgelbaufirma Klais (Bonn) in einem neuen Gehäuse vor dem Südfenster des östlichen Querschiffs, im Johanneschor, auf einem Steinpodest mit Treppenstufen aufgestellt. Das Gehäuse war von den Kölner Bildhauern Elmar Hillebrand und Theo Heiermann entworfen worden, es setzt in seiner Form einen Kontrast zum dahinter eingesetzten Spitzbogenfenster und exponiert an den Schleierbrettern eine Blumenmotivik.[9] Während der Pfeifenbestand weitgehend unverändert in die neue Orgel übernommen wurde (Disposition: Ekkehard Stier und Hans Gerd Klais), hat man die gesamte Spieltechnik neu angefertigt. Die kupfernen Prospektpfeifen wurden für den neuen Standort in einem speziellen Verfahren mit Zinn plattiert.[9] In den äußeren Pfeifentürmen und an der Rückwand des Instruments sind die Pedalpfeifen untergebracht. Im dreitürmigen Mittelbau befindet sich oben das Hauptwerk, und darunter das Positiv. Zwischen den Pedaltürmen und dem Mittelbau sind das Recit (rechts) und das Schwellwerk (links) untergebracht. Die Spielanlage befindet sich im Fuß des Orgelgehäuses – der Organist sitzt mit dem Rücken zum Altarraum. In Anlehnung an Orgeln des Orgelbauers Aristide Cavaillé-Coll wurden die Register- und Koppelzüge des Spieltisches terrassenartig im Halbrund angeordnet. Von einem kleinen, fahrbaren Spieltisch mit elektronischen Trakturen lässt sich das Positiv (1. Manualwerk) ansteuern.[1]
Im Jahre 2002 wurde die Orgel renoviert und deren Disposition geringfügig modifiziert und ergänzt. Außerdem hat man die zehn Glocken der Astronomischen Uhr (Tonfolge des1–f2) vom 1. Manual aus spielbar gemacht; bis dato waren sie über eine behelfsmäßige elektronische Anlage auf einem separaten kleinen Keyboard anspielbar. Die Registerzüge des Auxiliarwerks im Westwerk wurden auf einem separaten Registertableau links des Spieltisches untergebracht.
Im Sommer 2014 hat man die Orgel grundlegend gereinigt und neuintoniert. Anlässlich der Erweiterung des Auxiliarwerkes im Nordturm des Domes wurde der Spieltisch der Hauptorgel reorganisiert, wobei die Registerzüge des jetzigen Turmwerkes in die Anlage am Spieltisch einbezogen werden. Die bisherigen Manubrien wurden durch Registerwippen ersetzt.[10]
Das Schleifladen-Instrument hat 74 Register (5.889 Pfeifen) auf vier Manualen (zwei Schwellwerke) und Pedal. Die Spieltrakturen sind mechanisch, die Registertrakturen elektrisch.
Der Standort der Hauptorgel im südlichen Querschiff erwies sich als unbefriedigend, da der hintere Bereich des Doms kaum beschallt wurde. Manchmal wird die Orgel daher spöttisch als das größte Harmonium der Welt bezeichnet. Eine Veränderung ihres Standortes, d. h. eine Verlegung in das Westwerk, kam wohl maßgeblich aus statischen Gründen nicht in Betracht. Gegen eine Verlegung dorthin sprach wohl auch, dass sich im Westwerk die Bischofsgruften befinden.
Zur Verbesserung der Beschallung des hinteren Bereichs des Doms wurde 2002 in der oberen Turmkapelle im Nordturm des Doms ein Auxiliarwerk mit 14 Registern eingerichtet. Dieses Hilfswerk wurde ebenfalls von der Orgelbaufirma Klais erbaut; es verfügt über keine eigene Spielanlage, sondern wird vom Spieltisch der Domorgel im Johannischor aus angesteuert. Äußerlich ist das Instrument schlicht gestaltet; es hat eine Art Freipfeifenprospekt, bestehend aus dem Prinzipal 8' (Register Nr. 1). Technisch gesehen bestand das Auxiliarwerk aus dem „eigentlichen“ Hilfswerk, das ähnlich einem Hauptwerk disponiert war/ist (mit Pedalregistern), und einem Hochdruckwerk (Tuba episcopalis) in 8'-Lage, mit Extensionen in 16'- und 4'-Lage.
Im Sommer 2014 baute die Orgelbaufirma Klais das Auxiliarwerk zu einem Turmwerk aus bzw. um. Das Instrument verfügt nun über 3 Manualwerke, die jeweils unabhängig voneinander an die Manualwerke I, II und III und das Pedal der Hauptorgel angekoppelt werden können. Zusätzlich zu dem Hauptwerk und dem Tubenwerk wurde ein schwellbares Solowerk mit 5 Registern (drei Pfeifenreihen mit Extensionen) eingerichtet. Die Register des Hochdruckwerkes (Tuba episcopalis) wurden ebenfalls in dem Schwellwerk untergebracht, sind aber nach wie vor als Tubenwerk selbständig. Die Orgelanlage wuchs damit auf insgesamt 93 Register an. Im Zuge dieser Ergänzung wurde der Spieltisch der Orgel im Johanneschor umgebaut.[10]
Im Westchor steht ein Orgelpositiv, das um 1650 erbaut wurde. Der Erbauer ist unbekannt. Das Instrument stand lange auf dem Lettner des Doms. Nach dessen Abbau erhielt es neue Standorte. Heute wird es zur Begleitung der gesungenen Vesper eingesetzt, die an Werktagen im Westchor stattfindet.
Das Positiv ist ringsherum mit (Gitter-)Füllungen verschlossen und besitzt keinen Pfeifenprospekt. Auf der dem Spieler abgewandten Seite kann eine Gehäusefüllung geöffnet werden, um eine bessere Klangabstrahlung zu ermöglichen.
Das Instrument wurde im Laufe der Zeit mehrfach umgebaut und teilweise gravierend verändert. Im Jahr 2009 wurde es durch den Orgelbaumeister Johannes Rohlf restauriert bzw. erneuert: Die historische Substanz (Orgelgehäuse, Manualklaviatur) sowie die beiden historischen Holzregister wurden restauriert, die Windversorgung und die Traktur wurden erneuert.[11]
Das Positiv hat 7 Register auf einem Manual. Der Keilbalg und das Gebläse sind in das Gehäuse integriert; sie befinden sich unterhalb der Windlade. Alle Register sind zwischen den Tönen h0 und c1 geteilt (Schleifenteilung). Der Winddruck beträgt 54 mmWS; das Positiv ist nach Andreas Werckmeister (1691) gestimmt.
In der Marienkapelle des Domes steht ein Orgelpositiv des Orgelbauers Breil (Dorsten). Es hat drei Register (Gedackt 8', Rohrflöte 4', Gemshorn 2') auf einem Manual.
Bernd Haunfelder, Edda Baußmann, Axel Schollmeier: „Ein wunderherrliches Werk“. Die Feierlichkeiten zum Wiederaufbau des Domes in Münster 1956. Aschendorff, Münster 2006 (ISBN 978-3-402-00428-9)
Domkapitel der Kathedralkirche zu Münster: Den Dom zu Münster virtuell erleben, 1200 Jahre Glaubensgeschichte in Bauwerken, in Kunstschätzen, in Gottesdiensten – DVD mit 8-seitigem Beiheft, Dialogverlag Münster 2005 (ISBN 3-937961-07-0)
Simone Epking, Christoph Hellbrügge, Uwe Lobbedey, Juliane Moser, Kristin Püttmann-Engel, Ulrike Rülander, Ulrich Schäfer und Peter Schmitt: Der Dom zu Münster 793-1945-1993. Die Ausstattung (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen Bd. 26, 2), Mainz 2004 (ISBN 3-8053-3416-8)
Uwe Lobbedey: Der Dom zu Münster 793-1945-1993. Der Bau (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen Bd. 26, 1), Bonn 1993 (ISBN 3-7749-2571-2)
Max Geisberg: Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Band 41: Die Stadt Münster Teil 5: Der Dom. Münster 1977 (ISBN 3-402-05094-3)
↑ abOrgeln. In: paulusdom.de. Domverwaltng Münster, abgerufen am 16. August 2019.
↑Rudolf Reuter: Orgeln in Westfalen. Inventar historischer Orgeln in Westfalen und Lippe. (Veröffentlichungen der Orgelwissenschaftlichen Forschungsstelle, Band 1), Kassel 1965, S. 261–265.
↑Vera Lüpkes: Die Orgellandschaft in Westfalen und angrenzenden Regionen im 16. Jh. auf der Website www.westfalen-regional.de
↑Hugo Wohnfurter: Die Orgelbauerfamilie Bader 1600–1742. (Veröffentlichungen der Orgelwissenschaftlichen Forschungsstelle. Band 2). Bärenreiter, Kassel 1967, S. 14–19.
↑Joseph Anthony: Über die Domorgel zu Münster in Westfalen. In: Geschichtliche Darstellung der Entstehung und Vervollkommnung der Orgel. 1. Februar 1832, S. 185, abgerufen am 16. August 2019.
↑Ulrich Wulfhorst: Der westfälische Orgelbauer Johann Patroclus Möller. (Veröffentlichungen der Orgelwissenschaftlichen Forschungsstelle. Band 2). Bärenreiter, Kassel 1967, Teil 2: Die Quellen.
↑Wolf Kalipp: Die westfälische Orgelbauerfamilie Vorenweg-Kersting (1784–1879). (Veröffentlichungen der orgelwissenschaftlichen Forschungsstelle im Musikwissenschaftlichen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität, Band 12). Bärenreiter, Kassel 1984, S. 129–150, ISBN 3-7618-0725-2
↑Tobias Schrörs: Der Lettner im Dom zu Münster. (PDF; 4,5 MB) In: Forschungen zur Volkskunde, Jeft 50. 9. Februar 2005, S. 63f., abgerufen am 16. August 2019.