Fernsehpitaval

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Pitaval des Kaiserreiches)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Fernsehserie
Titel Weimarer Pitaval
Fernsehpitaval
Bonner Pitaval
Pitaval des Kaiserreiches
Produktionsland DDR
Originalsprache Deutsch
Genre Kriminalfilm
Erscheinungsjahre 1958–1978
Episoden 41 (Fernsehen)
Idee Friedrich Karl Kaul
Erstausstrahlung 25. Nov. 1958 auf Fernsehen der DDR

Der Fernsehpitaval ist eine von 1958 bis 1978 produzierte und im Fernsehen der DDR ausgestrahlte Kriminalfilmreihe. Sie war die erste derartige Reihe im DDR-Fernsehen und wird deshalb häufig auch als der eigentliche Beginn des Kriminalfilms in der DDR angesehen.[1] Eine Besonderheit ist, dass der Reihentitel – je nach thematischer Einordnung des dargestellten Falles – variiert wurde und so zeitweise auch mehrere Reihentitel parallel existierten. So startete die Reihe als Weimarer Pitaval, später liefen Episoden auch unter den Reihentiteln Bonner Pitaval und Pitaval des Kaiserreiches. Verbindendes Element war dabei die Bezeichnung Pitaval, die auf die von François Gayot de Pitaval begründete Literaturform des Pitaval, einer Sammlung authentischer Kriminalfälle, zurückgeht.

Die Szenarien wurden von Friedrich Karl Kaul (auch unter dem Namen Friedrich Karl Hartmann) und Walter Jupé verfasst. Produziert wurden die Sendungen vom Fernsehen selbst oder vom DEFA-Studio für Spielfilme im Auftrag des Fernsehens. Der reale Kriminalfall, der der jeweiligen Episode zugrunde liegt, wurde szenisch dargestellt. Häufig wurden die Spielhandlungen durch einleitende und abschließende Worte von Friedrich Karl Kaul eingerahmt.

Die Handlung umfasste dabei neben dem Kriminalfall selbst häufig auch dessen Vorgeschichte sowie die anschließenden Ermittlungen und – sofern im realen Fall durchgeführt – das Strafverfahren. Die Fälle deckten eine große Spannbreite an Kriminalität ab. So wurde sowohl der Serienmörder Karl Denke (Der Fall Denke) oder die Die Affäre Heyde-Sawade um den Wiedereinstieg eines SS-Mediziners unter falschem Namen in der Bundesrepublik (1963) gezeigt. Das Geschehen wurde von Kaul kommentiert, der auch am Ende den Fall zusammenfasste und damit den Zuschauer in die gewünschte Richtung lenkte. Das Format wies so eine publizistisch-dramatische Mischform[2] auf. Die Sendung umfasste mehrere Komplexe wie den Pitaval des Kaiserreichs, den Weimarer Pitaval, den Bonner Pitaval sowie Fälle aus der Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus. Propagandistisches Ziel war es, angebliche oder tatsächliche Kontinuitäten der westdeutschen Justiz zu der Justiz der Vorgängerregierungen herauszuarbeiten, Kritik am bürgerlichen Rechts- und Justizsystem zu üben und deren Klassencharakter aus marxistischer Sicht aufzuzeigen.[3] Die durch die Fernsehserie vermittelte Sicht der Kriminalität ist vor dem ideologischen Hintergrund vor allem der frühen sozialistischen Kriminalistikauffassung zu sehen. Nach dieser sollte die Kriminalität mit der zunehmenden Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft aussterben, da mit freier Bildung und der Versorgung der Bürger der Anlass für kriminelles Verhalten entfallen sollte, Kriminalität sei vor allem ein Überrest der bürgerlichen Klassengesellschaft.[4] Erst mit Der Staatsanwalt hat das Wort ab 1965 und Polizeiruf 110 ab 1971 sollte die Kriminalität in der DDR thematisiert werden.[2]

Die erste Sendung (Weimarer Pitaval – Der Fall Saffran) wurde am 25. November 1958 ausgestrahlt, insgesamt wurden bis zur letzten Folge (Mordsache Dora Lemke, ausgestrahlt am 4. Juni 1978) 41 Folgen gesendet.[2] Neben dem Fernsehpitaval wurden einige ähnlich geartete Fernsehspiele produziert, wie der fünfteilige Film über den ersten Auschwitzprozess (Auschwitz–Prozeß. Impressionen aus der Hauptverhandlung, 1964).[2]

Nr. Reihe Titel Dauer in Minu­ten Erst­aus­strahlung Regie Fall
1 Weimarer Pitaval Der Fall Saffran 074:00 25.11.1958 Wolfgang Luderer
2 Weimarer Pitaval Der Fall Böhme 091:00 18.12.1958 Wolfgang Luderer
3 Weimarer Pitaval Der Fall Jörns 028:00 15.01.1959 Wolfgang Luderer Remake als Kinofilm: Der Mord, der nie verjährt (1968)
4 Weimarer Pitaval Der Fall Wandt 064:00 19.02.1959 Wolfgang Luderer Heinrich Wandt
5 Weimarer Pitaval Der Fall Marloh 020:00 19.03.1959 Wolfgang Luderer
6 Weimarer Pitaval Der Fall Harry Domela 086:00 04.06.1959 Wolfgang Luderer Harry Domela
7 Fernsehpitaval Der Fall Jakubowski 093:00 29.12.1959 Wolfgang Luderer Josef Jakubowski
8 Fernsehpitaval Der Fall René Levacher alias… 063:00 07.02.1960 Wolfgang Luderer Hans-Konrad Schmeißer und Der Spiegel
9 Fernsehpitaval Der Fall Haarmann 066:00 06.03.1960 Wolfgang Luderer Fritz Haarmann
10 Fernsehpitaval Der Fall Hugo Stinnes jr. 098:00 24.04.1960 Wolfgang Luderer Hugo Hermann Stinnes
11 Fernsehpitaval Der Fall Hoefle 100:00 19.06.1960 Wolfgang Luderer Anton Hoefle
12 Fernsehpitaval Der Fall Annemarie Haller * 12.07.1960
13 Fernsehpitaval Der Fall Dibelius – Schnoor 087:00 29.12.1960 Wolfgang Luderer
14 Fernsehpitaval Der Fall Denke 079:00 05.03.1961 Wolfgang Luderer Der Massenmörder Karl Denke
15 Fernsehpitaval Der Fall Frieders * 02.05.1961 Fall Kurt Frieders
16 Fernsehpitaval Der Fall Sklarek * 03.09.1961
17 Fernsehpitaval Auf der Flucht erschossen 099:00 25.03.1962 Wolfgang Luderer Die Morde von Mechterstädt
18 Weimarer Pitaval Der Fall Hellseher Drost 044:25 03.05.1962 Wolfgang Luderer
19 Wohl dem, der lügt 076:00 27.09.1962 Wolfgang Luderer Wurde zwar in der Reihe gedreht, aber nur als normales Fernsehspiel ausgestrahlt
20 Bonner Pitaval Die Affäre Heyde-Sawade 096:00 03.06.1963 Wolfgang Luderer Werner Heyde Euthanasieverbrechen
21 Bonner Pitaval Die Affäre Meincke * 03.09.1963
22 Bonner Pitaval Die Affäre Kuflik * 12.11.1963
23 Pitaval des Kaiserreiches Die Ermordung des Rittmeisters von Krosigk 105:00 06.02.1966 Wolfgang Luderer
24 Pitaval des Kaiserreiches Der Prozeß gegen die Gräfin Kwilecki 104:00 06.03.1966 Wolfgang Luderer Familie Kwilecki
25 Pitaval des Kaiserreiches Die Synagoge brennt 077:00 10.04.1966 Wolfgang Luderer, Hans-Hartmut Krüger Neustettiner Synagogenbrand
26 Pitaval des Kaiserreiches Der Skandal um Herrn Leberecht von Kotze 064:00 15.05.1966 Wolfgang Luderer, Hans-Hartmut Krüger Kotze-Affäre
27 Pitaval des Kaiserreiches Justizmord in Elberfeld 085:00 19.06.1966 Wolfgang Luderer Albert Ziethen, zu Unrecht verurteilt
28 Fernsehpitaval Der Fall der Ulmer Reichswehroffiziere 096:00 26.11.1967 Wolfgang Luderer Ulmer Reichswehrprozess
29 Fernsehpitaval Sprechen Sie zur Sache, Angeklagte 083:00 27.03.1970 Wolfgang Luderer Prozess gegen Rosa Luxemburg, 1914
30 Fernsehpitaval Der Fall des Prinzen Arenberg 065:00 16.04.1972 Manfred Mosblech Prinz Karl Prosper von Arenberg beging 1899 einen Mord
31 Fernsehpitaval Der Fall Deckers 105:00 17.10.1972 Wolfgang Luderer
32 Fernsehpitaval Um den Tod eines Justizobersekretärs * 28.11.1972 Mord an Justizobersekretär Eduard Kleinschmidt im Rahmen des NS-Euthanasieprogramms
33 Fernsehpitaval Als entlastet eingestuft. Der Fall des Staatsanwalts Meerstrom 090:00 18.04.1973 Wolfgang Luderer
34 Fernsehpitaval Verein zur Vermögensumverteilung * 19.12.1973
35 Fernsehpitaval Das Geständnis 094:00 20.01.1974 Wolfgang Luderer
36 Fernsehpitaval Die Aktfotos 101:00 16.06.1974 Wolfgang Luderer Affäre Jaccoud
37 Fernsehpitaval Watergate (1): Der Einbruch beim Psychiater 050:26 14.01.1975 Wolfgang Luderer, Marika Weiße Watergate-Affäre
38 Fernsehpitaval Watergate (2): Die Lawine rollt 085:15 15.01.1975 Wolfgang Luderer, Marika Weiße
39 Fernsehpitaval Der Fall Berthold Jacob Salomon 075:34 18.03.1976 Ursula Bonhoff Berthold Jacob, Opfer des Nationalsozialismus
40 Fernsehpitaval Der Weg ins Nichts 091:00 21.11.1976 Hubert Hoelzke
41 Fernsehpitaval Der Ring 055:26 04.01.1977 Werner Roewekamp
42 Fernsehpitaval Mordsache Dora Lemke 076:11 04.06.1978 Werner Roewekamp

* Ohne Filmüberlieferung im deutschen Rundfunkarchiv, nur Drehbuch vorhanden

Fernsehspiele verwandten Inhalts

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Der blaue Aktendeckel (87 Min., 13. September 1957) Regie: Wilhelm Gröhl, Buch: Friedrich Karl Kaul
  • Das Loch in der Mauer (77 Min., 1. Juni 1958) Regie: Robert Trösch, Buch: Friedrich Karl Hartmann, Walter Jupé
  • Alles beim Alten (26. April 1959) Regie: Heinz Seibert, Buch: Friedrich Karl Hartmann, Walter Jupé
  • Auschwitz–Prozeß – Impressionen aus der Hauptverhandlung (96 Min., 5 Teile, 19. August bis 2. September 1964) Regie: Klaus Grabowsky, Buch: Walter Jupé, Friedrich Karl Kaul
  • Der Zeuge bleibt unbeeidigt (17. November 1968) Buch: Walter Jupé, Friedrich Karl Kaul
  • Zum Beispiel Flick (über Friedrich Flick) (31. Juli 1975) Buch: Friedrich Karl Kaul

Hörfunkprogramme über den Fernsehpitaval

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • bit – Das Wissenschaftsmagazin des Berliner Rundfunks (8 Min., 21. Oktober 1986)
  • Berliner Pitaval (Dokumentation, 14. Mai 1987) von Wolfgang Schüler
  • François Gayot de Pitaval: Martin Guerre – Die Wahrhaften Geschichten des alten Pitaval (28 Min.) 18. Januar 1989

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Anwalt Kaul war der Entdecker der Krimiserie fürs Ost-Fernsehen. In: Berliner Kurier, 1. Juni 1996
  2. a b c d Andrea Guder: Das Kriminalgenre im Fernsehen der DDR: Aktueller Forschungsstand und Auswahlbibliographie. (Memento vom 10. Juni 2007 im Internet Archive) (PDF) S. 8, 20
  3. Jörg-Uwe Fischer: Fernsehpitaval – Fernseh-Krimireihe des Deutschen Fernsehfunks / Fernsehen der DDR 1958–1978. (Memento vom 18. Mai 2012 im Internet Archive) (PDF; 746 kB) DRA-Spezial, 9/2006, S. 3
  4. Regina Rauxloh: Goodies and Baddies: The presentation of German Police and Criminals in East and West Television Drama. (Memento vom 12. Dezember 2007 im Internet Archive) In: German Law Journal, Heft 6, 1. Juni 2005 (englisch)