Raumfigur

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Begründung: Wenn man „Raumfiguren“ bei Google eingibt, erhält man quasi ausschließlich einen auch hier angegebenen Titel von Martina Löw als Suchtreffer. Es sollte deshalb im Rahmen einer LD geklärt werden, ob hier nicht Theoriefindung und Begriffsetablierung betrieben wird.--Murkus69 (Diskussion) 12:56, 12. Sep. 2024 (CEST)

Eine Raumfigur wie Ort, Territorium, Netzwerk und Bahn sind abstrakte Formen der Raumorganisation, die Handlungsmöglichkeiten von Individuen und Gruppen sowie die Verteilung von Macht, Ressourcen und Informationen strukturieren. Diese Raumfiguren stellen keine geometrischen oder bloßen physischen Strukturen dar, sondern sind konzeptionelle Räume, die gesellschaftliches Handeln ermöglichen, aber auch beschränken und sich auch materiell niederschlagen können. Sie strukturieren den Zugang zu Ressourcen, definieren Zugehörigkeiten und Ausschlüsse (Exklusion) und organisieren Bewegung, Kontrolle sowie Interaktionen im Raum.

Mit dem Bestimmungswort ‚Figur‘ (anstelle von Raumtyp oder -art) wird die räumliche Plastizität, Homöomorphie und Dynamik von Figurationen nach Norbert Elias betont.[1]

Eine Raumfigur wird in der Soziologie als eine räumliche Handlungslogik verstanden, die sich in wiederkehrenden räumlichen Anordnungen manifestiert (wie Lieferketten, Sonderwirtschaftszonen, Binnengeflüchteten-Lager etc.). Wechselseitig bedingen Raumfiguren in hohen Maßen Handlungsmöglichkeiten, Platzierungen und Vorstellungen von Menschen. Insbesondere ab den 1960er Jahren, sind Gesellschaften maßgeblich durch Wandel und Konflikten zwischen ineinandergreifenden Verräumlichungslogiken bzw. Raumkonstruktionen des Sozialen geprägt. Raumfiguren beschreiben relational verfestigte, dynamische Anordnungen zwischen Subjekten und Objektivationen. Raumfiguren sind topologisch identifizierbare Muster räumlicher Anordnungen, die als räumliche Logiken Handlungen sowie Praktiken der Akteure ausrichten. Die daraus resultierenden institutionellen Raumanordnungen schlagen sich in materiellen Objektivationen und Zirkulationen nieder. Raumfiguren sind also Abstraktionen vielzähliger möglicher relationaler Raumproduktionen an geographischen Stellen.

In der Theaterwissenschaft verwendet Gabriele Brandstetter den Begriff der Raumfigur (oder Figuren im Raum) um Bewegungen im Raum als soziale, ästhetische und performative Phänomene zu untersuchen. Brandstetter betont, dass Raum nie neutral ist, sondern durch Bewegungen und Performanzen geformt und transformiert wird. Raum betrachtet sie als dynamisch, konstruiert durch choreografische Figuren und soziale Interaktionen.[2]

Mit dem Determinans ‚Figur‘ wird also die Dynamik, räumliche Plastizität und Homöomorphie von Figurationen explizit betont. Zu den dominanten Raumfiguren der Spätmoderne gehören: Ort, Territorialraum, Netzwerkraum und Bahnenraum.[1]

Dominante Raumfiguren der Spätmoderne: Ort, Territorialraum, Netzwerkraum, Bahnenraum

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Im Rahmen gegenwärtiger globaler Veränderungsprozesse werden vier dominante topologische Raumfiguren spätmoderner Gesellschaften unterschieden. Neben diesen lassen sich eine Vielzahl weiterer räumliche Figuren beobachten (bspw. Salon, Compound, Zone, Enklave, Exklave etc.), deren Institutionalisierungsgrad und Wirkungsmacht auf auf den gesellschaftlichen Wandel (Refiguration) geringer sind.[3]

Jede Raumfigur basiert auf unterschiedlichen Logiken, die miteinander im Austausch stehen und Konflikte erzeugen können, da sie unterschiedliche Vorstellungen von Raum und Macht repräsentieren:

Raumfigur Ort

Unter Orten werden konkret benennbare, geographische Stellen bzw. Ausschnitte der Erdoberfläche verstanden, die Ziel von Platzierungen sowie Ansammlungen von Lebewesen und Objekten sind.[4][5]

Anthropologisch betrachtet sind Orte identitätsstiftend, verbindend (relational) und historisch[6]. Orte schaffen Gemeinschaft, Bindungen und Stabilität und folgen der Logik der Gleichzeitigkeit. Sie sind Gegenstand des Verweilens und Sich-Begegnens im 'Hier und Jetzt'. Orte werden als einzigartig wahrgenommen und erfahren relational zu anderen Orten an Bedeutung. Häufig sind sie Gegenstand gezielter Ortsproduktionen (Place-Making) zur Hervorhebung dieser Relevanz.[7][8]

Ein Ort kann geometrisch als ein einzelner Punkt in einem Koordinatensystem definiert werden, der sich von anderen Punkten im System unterscheidet und in Relation zu diesen beschrieben werden kann.[7]

Raumfigur Territorialraum

Territorialraum

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Ein Territorium bezeichnet ein eindeutig abgrenzbares Gebiet, das der zentralen Logik der Grenzziehung folgt.[8]

Dem Historiker Charles Maier zufolge ist Territorialität der fundamentalste sozio-politische Trend des 20. Jahrhunderts und Leitbild für die Herstellung politischer Räume (Nationalstaaten).[9] Territorien schaffen klare Grenzen nach außen (Exklusion) und beschränken die Diversität nach innen (Homogenisierung).[10] Das Leitmedium des Territorialraums ist die geographische Karte. Typischen Figurationen des Territorialraums sind bspw. Lager, Staaten, Schulhöfe usw. Territorien können also Zugänge regulieren und durch Herrschaft und Macht gekennzeichnet.

Ein Territorium lässt sich geometrisch als die zirkuläre Verknüpfung einzelner Punkte zu einer geschlossenen Form in einem Koordinatensystem definieren. Territorien verfügen stets über ein Innen und die Außenlinie kann als Grenzlinie fungieren.[7]

Raumfigur Netzwerkraum

In Netzwerken werden heterogene Elemente (bspw. Orte, Personen, Organisationen) wechselseitig funktional zueinander in Beziehung gesetzt und folgen daher der Logik des Verknüpfens.[8]

Netzwerkräume können viele verschiedene Formen annehmen, jedoch sie bestehen stets aus Verbindungen (Relationen) zwischen Knoten (Punkten). Ein Element wird nur dann in ein Netzwerk integriert, wenn es eine Funktion innerhalb dieses Netzwerks erfüllt. Die realräumlichen Distanzen zwischen Knoten spielen für die Handlungsfähigkeit des Netzwerks eine untergeordnete Rolle.[11][12][13] In den meisten Fällen sind Netzwerke nicht heterarchisch, sondern asymmetrisch: Je mehr Funktionen ein Element in einem Netzwerk erfüllt, d.h. je mehr Verbindungen (Relationen) sich in diesem Element treffen, desto wichtiger wird dieser Knoten (Punkt). Die Beziehungen eines Netzwerks bilden somit ein offenes, empirisch unterschiedlich verteiltes, aber abgrenzbares Gebilde.[8]

Ein Netzwerk in einem Koordinatensystem umfasst eine Vielzahl von geometrischen Punkten, die in unmittelbarer und mittelbarer Beziehung zueinander stehen.[7]

Raumfigur Bahnenraum

Die Raumfigur des Bahnenraums folgt der Logik der Durchquerung (Transit), Bewegung (Mobilität) und Zirkulation. Der Bahnenraum ist paradigmatisch für die Moderne (Stadt)[1][8], indem er Start- und Zielpunkte möglichst effizient (infrastrukturell) miteinander verbindet und die problemlose Zirkulation der jeweiligen Elemente sicherstellt. Der Bahnenraum ist gekennzeichnet von Mobilität sowie der materiellen Ermöglichung von Mobilität. Ein Bahnenraum entsteht bspw. aus der Autobahn und den rollenden Fahrzeugen, aus den Warenketten und den zu transportierenden Gütern oder aus der Ader und dem darin fließenden Blut.[8][14]

Der Bahnenraum ist neben dem Territorialraum eine der konfliktreicheren Raumfiguren. Gerhard Vinken vertritt die These, dass die ‚Unwirtlichkeit der Städte‘ in ihrer Dynamik „unmittelbar auf das Eindringen des Bahnenraumes in die dichten Kernräume der Stadt zurückzuführen ist“.[14] Mit der "Unwirtlichkeit unserer Städte" kritisiert Alexander Mitscherlich 1945 die zunehmende funktionalräumliche Entdifferenzierung und den Zerfall des städtischen Öffentlichen.[15] Die Logik des Verweilens, der Begegnung und des Zusammenkommens in den Stadtzentren als Versammlungsorte wird durch Bahnenräume gestört. Nach Vinken gibt es in der Logik der Bahn nur Ziele und Hindernisse (Barrieren), jedoch keine Praxis des Verbleibens.[14]

Die Bahn (Route) lässt sich geometrisch als eine endliche lineare Verknüpfung unterschiedlicher Punkte in einem Koordinatensystem beschreiben, die über einen Start- und Endpunkt verfügt.[7]

Interdependenzen von Raumfiguren

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Elementar für die Veränderung von Raumkonstruktionen (Refiguration von Räumen) sind die Gleichzeitigkeit und Relationalität der Raumfiguren im Alltagshandeln.[16] Idealtypische, eindeutig identifizierbare Raumfiguren sind praktisch im Alltagshandeln nicht vorhanden. Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels der Spätmoderne folgen aus den Verschränkungen und Komplexitätssteigerungen der Raumfiguren zahlreiche Konflikte. Die Differenzierungen der Gesellschaften (Alter, Geschlecht, Herkunft etc.) resultieren in veränderten (kommunikativen) Handlungen sowie in spezifischen Figurationen (in Form von Raumfiguren mit spezifischen Logiken). Als Folge der gesellschaftlichen Differenzierung kommt zur Zunahme von Spannungen. Die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, welche aus den Spannungen sich überlagernder Raumfiguren ergeben, werden als Refiguration bezeichnet.

Beispiel Airbnb in Metropolen

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Die Plattform Airbnb bietet Nutzenden die Möglichkeit ‚authentische‘ Übernachtungserfahrungen bei lokalen ‚Hosts’ zu buchen und positioniert sich als Alternative zum kommodifizierten Hotel- und Pensionsgewerbe. Vorwiegend bei Personen aus Metropolen beliebt, buchen Gäste aus aller Welt, auf der Suche nach kultureller Authentizität, Übernachtungen und bewegen sich entlang der Bahnenräume der Flugrouten der Fluggesellschaften. Mit zunehmender Professionalisierung der Angebote wird der Einfluss von Kurzzeitvermietungen auf lokale Wohnungsmärkte und Nachbarschaften in Metropolen diskutiert. Im Zuge der Einbettung in das internationale Netzwerk von Airbnb ergeben sich so vor Ort zahlreiche Konflikte.[7]

Beispiel Sonderwirtschaftszone

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Sonderwirtschaftszonen stellen eine neue Form des Territoriums dar: Sonderwirtschaftszonen sind lokal räumlich begrenzt, aber nur wirkmächtig, sofern sie als Plattform für internationale Zirkulation in globalen Handlungs- und Finanznetzwerken dienen und ihre möglichst viele Handelsbeziehung vereinen.[17]

Beispiel Warenketten

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Globalisierte Warenketten erzeugen eine Vielzahl räumlicher Konflikte zwischen verschiedenen Raumfiguren wie dem Territorium (Nachbarschaften), dem Bahnenraum (Warenketten) sowie Orten (Aufenthalts- & Erwerbsorte). Insbesondere (Raum-)Wissen bspw. in Form exakter Vertriebswege trägt wesentlich zum Erhalt der Zirkulation entlang der Warenketten bei, wohingegen Nicht-Wissen bspw. über die Herstellungsbedingungen eines vertriebenen Produkts eine zentrale Strategie darstellt, um räumliche Konflikte im Alltag zu lösen.[18]

Beispiel Place Making vs. Transitroute: Waco, Texas, USA

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Die Räumlichkeit der texanischen Stadt Waco (USA) ist geprägt durch das Spannungsfeld zwischen dem überregionalen Bahnenraum der Interstate 35, einer zentralen Verkehrsachse, die von der mexikanischen bis zur kanadischen Grenze reicht, und dem typischen Bild einer um Sichtbarkeit und Relevanz bemühten Small Town[19], deren Praktiken des Place-Making durch Sport, Sentimentalität und populärer Religion gekennzeichnet sind.[8]

Weiterführende Literatur

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  • Martina Löw: In welchen Räumen leben wir? Eine raumsoziologisch und kommunikativ konstruktivistische Bestimmung der Raumfiguren Territorialraum, Bahnenraum, Netzwerkraum und Ort. In: Jo Reichertz (Hrsg.): Grenzen der Kommunikation. Kommunikation an den Grenzen. Velbrück Wissenschaft, 2020. S. 149–164.
  • Martina Löw, Hubert Knoblauch: Raum: Grenzen der Kommunikation. Kommunikation an den Grenzen. Velbrück Wissenschaft, 2020. S. 149–164.
  • Martina Löw u.a. (Hrsg.): Am Ende der Globalisierung. Über die Refiguration von Räumen. Transcript Verl., Bielefeld, 2021. S. 25–58. ISBN 978-3-8376-5402-8
  • Udo Kittelmann, Gabriele Knapstein (Hrsg): Katharina Grosse: It Wasn’t Us. Hatje Cantz, Ostfildern, 2020.

Einzelnachweise

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  1. a b c Löw, M. (2020). In welchen Räumen leben wir? Eine raumsoziologisch und kommunikativ konstruktivistische Bestimmung der Raumfiguren Territorialraum, Bahnenraum, Netzwerkraum und Ort. In Grenzen der Kommunikation–Kommunikation an den Grenzen. Velbrück Wissenschaft, S. 153.
  2. Brandstetter, G. (1995). Tanz-Lektüren: Körperbilder und Raumfiguren der Avantgarde.
  3. Forschungsprogramm. In: sfb1265.de. Abgerufen am 15. September 2024.
  4. Löw, M. (2013). Raumsoziologie. Suhrkamp Verlag.
  5. Löw, M. (2020). In welchen Räumen leben wir? Eine raumsoziologisch und kommunikativ konstruktivistische Bestimmung der Raumfiguren Territorialraum, Bahnenraum, Netzwerkraum und Ort. In Grenzen der Kommunikation–Kommunikation an den Grenzen. Velbrück Wissenschaft, S. 156.
  6. Augé, M. (2015). Non-lieux. Introduction à une anthropologie de la: Introduction à une anthropologie de la surmodernité. Média Diffusion.
  7. a b c d e f Hecht, C. & Kirchner, S (2023). Puzzling Spaces and Theoretical Puzzles: Working with Spatial Figures in Project C07. SFB 1265 Blog, (online, letzter Zugriff am 14.05.2024).
  8. a b c d e f g Steets. S. (2021). Fixing up Waco, Texas: populäre Religion, das Sentimentale und die Refiguration von Räumen — Working Paper No. 8, S. 29.
  9. Maier, C. S. (2000). Consigning the twentieth century to history: Alternative narratives for the modern era. The American Historical Review, 105(3), 807-831.
  10. Löw, M. (2020). In welchen Räumen leben wir? Eine raumsoziologisch und kommunikativ konstruktivistische Bestimmung der Raumfiguren Territorialraum, Bahnenraum, Netzwerkraum und Ort. In Grenzen der Kommunikation–Kommunikation an den Grenzen. Velbrück Wissenschaft: S. 154.
  11. Castells, M. (2001). Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft (Vol. 1). Leske+ Budrich.
  12. Shields, R. (2013). Places on the margin: Alternative geographies of modernity. Routledge.
  13. Mol, A., & Law, J. (1994). Regions, networks and fluids: Anaemia and social topology. Social studies of science, 24(4), 641-671.
  14. a b c Vinken, G. (2008). Ort und Bahn. Die Räume der modernen Stadt bei Le Corbusier und Rudolf Schwarz. In Jöchner, Cornelia (Hg.), Räume der Stadt. Von der Antike bis heute. Reimer, S. 147.
  15. Mitscherlich, A. (1965). Die Unwirklichkeit Unserer Städte: Anstiftung Zum Unfrieden. Suhrkamp.
  16. Löw, M. (2020). In welchen Räumen leben wir? Eine raumsoziologisch und kommunikativ konstruktivistische Bestimmung der Raumfiguren Territorialraum, Bahnenraum, Netzwerkraum und Ort. In Grenzen der Kommunikation–Kommunikation an den Grenzen. Velbrück Wissenschaft, S. 159.
  17. Spannungen / Raumkonflikte. In: sfb1265.de, Glossar. Abgerufen am 15. September 2024.
  18. Baur, N., Kulke, E., Hering, L., & Fülling, J. (2021). Dynamics of Polycontexturalization in Commodity Chains. In: Sozialraum.de. (Online, letzter Zugriff am 27. Juni 2024.
  19. Strauss, A. L. (2017). Images of the American city. Routledge.