Richtlinie (EU)

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Im Europarecht sind Richtlinien (Direktiven nach der englischen Bezeichnung directive, allgemeinsprachlich auch EU-Richtlinien) Rechtsakte der Europäischen Union und als solche Teil des sekundären Unionsrechts.[1] Im Gegensatz zu Verordnungen gelten sie gemäß Art. 288 Absatz 3 des AEUV nicht unmittelbar, sondern müssen erst von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgewandelt werden.[2]

Richtlinien, die Gesetzgebungsakte sind, werden in der Regel auf Vorschlag der Europäischen Kommission vom Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gemeinsam erlassen. In bestimmten Fällen sind jedoch besondere Gesetzgebungsverfahren vorgesehen. Sie werden im Amtsblatt der Europäischen Union publiziert und sind online im Rechtsinformationssystem EUR-Lex verfügbar.

Die Richtlinien erhalten eine Nummerierung, die sich aus dem Wort Richtlinie, dem Jahr, einer laufenden Nummer sowie der Kennzeichnung „EU“ zusammensetzt. Ab 2015 wird die Kennzeichnung „EU“ in Klammern vor die Jahreszahl gesetzt (also z. B. Richtlinie 2010/75/EU für Richtlinien vor 2015 und Richtlinie (EU) 2016/943 für Richtlinie ab 2015). Ältere Richtlinien aus der Zeit der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft tragen weiter die entsprechende Kennzeichnung EG oder EWG, sie werden auch als EG-Richtlinien bzw. EWG-Richtlinien bezeichnet. Hier findet sich die Jahreszahl in zweistelliger Form wieder, wie z. B. Richtlinie 93/42/EWG für die Medizinprodukterichtlinie von 1993.

Im Gegensatz zu EU-Verordnungen sind EU-Richtlinien nicht unmittelbar wirksam und verbindlich, sondern sie müssen durch nationale Rechtsakte umgesetzt werden, um wirksam zu werden.[3] Es bleibt den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen, wie sie die Richtlinien umsetzen. Sie haben also bei der Umsetzung der Richtlinie einen gewissen Spielraum. Wenn die Richtlinie allerdings die Einführung konkreter Berechtigungen oder Verpflichtungen verlangt, muss das nationalstaatliche Recht, das ihrer Umsetzung dient, entsprechend konkrete Berechtigungen oder Verpflichtungen begründen. Nach deutschem Recht ist deswegen zur Umsetzung in der Regel ein förmliches Gesetz oder eine Verordnung erforderlich. Richtlinien setzen regelmäßig eine Frist, innerhalb derer sie in innerstaatliches Recht umgesetzt werden müssen. Mit der Umsetzung wird der Richtlinieninhalt Teil der nationalen Rechtsordnung und gilt somit für alle, die vom Umsetzungsakt (z. B. ein Gesetz) betroffen sind.

Wird eine Richtlinie nicht fristgerecht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt, kann sie dennoch unmittelbar wirken und von Behörden angewendet werden. Dazu muss die Richtlinienbestimmung inhaltlich so genau und konkret gefasst sein, dass sie sich zu einer unmittelbaren Anwendung eignet und sie darf keine unmittelbare Verpflichtung für einen Einzelnen beinhalten. Daher ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien unter Privaten (horizontale Direktwirkung) nicht möglich. Erleidet ein Einzelner nach Ablauf der Umsetzungsfrist infolge der fehlenden oder mangelhaften Umsetzung einen Nachteil, kann er unter Umständen den Mitgliedstaat im Wege der Staatshaftung auf Schadensersatz in Anspruch nehmen. Aus der Nicht-Umsetzung der Richtlinie soll nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) − insbesondere nach den in der Francovich-Entscheidung vom 19. November 1991 (C-6/90 und C-9/90) formulierten Grundsätzen − dem Bürger kein Schaden erwachsen.

Bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist haben aber Richtlinien insoweit Rechtswirkung (sog. Vorwirkung), dass die nationalen Rechtsnormen im Wege einer „europarechtskonformen Auslegung“ soweit möglich unter Beachtung der Vorgaben der Richtlinie zu interpretieren sind, um Kollisionen zwischen europarechtlichen Vorgaben und innerstaatlichem Recht zu vermeiden (vergleiche Kollisionsregel).[4]

Umsetzungen durch Verwaltungsvorschriften

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Die Richtlinien müssen so in nationales Recht umgesetzt werden, dass etwaige hierdurch begründete Rechte für den Einzelnen erkennbar sind und er sie geltend machen kann. Der EuGH verneinte deshalb, dass diese Anforderungen durch Umsetzung einer Richtlinie in der TA Luft erfüllt seien, obwohl diese eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift darstellt. Erforderlich seien vielmehr Rechtsnormen im materiellen Sinn. Andererseits ist es zulässig, in deutschen Verordnungen auf eine EU-Richtlinie zu verweisen und deren Text in der Bundesrepublik für gültig zu erklären.

Schadensersatz bei nicht rechtzeitiger Umsetzung

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Im Fall nicht rechtzeitiger Umsetzung von Richtlinien kann sich ein Land schadensersatzpflichtig machen.

Durch die Richtlinie 90/314/EWG vom 13. Juni 1990 wurde festgelegt, dass die Mitgliedsstaaten spätestens bis zum 31. Dezember 1992 Maßnahmen treffen müssen, um sicherzustellen, dass Pauschalreisende gegen eine Pleite ihres Reiseveranstalters abgesichert sind.[5] Das Justizministerium im Kabinett Kohl IV unter Sabine Leutheusser-Schnarrenberger versäumte die rechtzeitige Umsetzung, was im Jahr 1993 noch nicht auffiel. Im Frühjahr und Sommer 1994 gab es jedoch zahlreiche deutsche Touristen, die im Ausland strandeten, weil deren Reiseveranstalter bankrottgingen, bevor sie das Geld für den Rückflug an die Fluggesellschaft weitergeleitet hatten. Infolgedessen wurde eilig ein Gesetz erarbeitet, mit dem § 651k (jetzt § 651r) ins BGB eingefügt wurde. Damit werden Reiseveranstalter verpflichtet, sich gegen ihre eigene Pleite abzusichern und dem Reisenden einen Sicherungsschein darüber auszuhändigen.

Auf eine entsprechende Klage vor dem Landgericht Bonn setzte dieses das Verfahren aus und legte den Fall dem EuGH vor. Dieser entschied 1996, dass die Bundesrepublik Deutschland diejenigen Reisenden, die durch die nicht rechtzeitige Umsetzung der Richtlinie einen Schaden erlitten hatten, entschädigen muss.[6] Auf eine kleine Anfrage der Grünen hin teilte die Bundesregierung am 13. November 1996 mit, dass sie den auszugleichenden Schaden auf 20 Mio. DM schätze.[7]

Richtlinien nach dem Neuen Konzept

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Das Neue Konzept sieht vor, dass die Richtlinien für bestimmte Produkte grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen auf hohem Schutzniveau festlegen. Die technischen Details zur Konkretisierung dieser grundlegenden Anforderungen werden von den Europäischen Normungsorganisationen CEN, CENELEC bzw. ETSI in Form Europäischer Normen erarbeitet.

Ziel des Neuen Konzeptes ist unter anderem:

  • Abbau technischer Handelshemmnisse durch die europaweite Harmonisierung technischer Normen
  • Richtlinien legen nur grundlegende (Sicherheits-)Ziele fest, diese sind verbindlich; technische Details werden durch sog. Harmonisierte Europäische Normen referenziert (Anwendung freiwillig, aber mit Vermutungswirkung)
  • Entlastung des Staates (Nicht Beamte, sondern Fachleute erarbeiten mit den Normen die technischen Details)
  • stets aktuelle Detailregelungen, da Normen turnusmäßig aktualisiert werden und dem Stand der Technik entsprechen.

Bisher sind 26 Europäische Richtlinien nach dem Neuen Konzept verabschiedet worden, die zu ihrer Ausfüllung Europäische Normen benötigen. 22 davon sehen die CE-Kennzeichnung vor, vier davon sehen keine CE-Kennzeichnung vor.

Vor dem Vertrag von Lissabon wurden Richtlinien nur von den Europäischen Gemeinschaften im Rahmen der 1. Säule erlassen. Auch wenn oft von EU-Richtlinien gesprochen wurde, war diese Formulierung juristisch nicht korrekt, da diese Richtlinien (aber auch EG-Verordnungen) von einer der Europäischen Gemeinschaften und nicht von der Europäischen Union erlassen wurden. Der deutschsprachige Titel dieser früheren Richtlinien beginnt so jeweils mit „Richtlinie NNNN/NN/EG“ (oder einem Hinweis auf die jeweilige Gemeinschaft). Für die seit dem Vertrag von Lissabon erlassenen Richtlinien beginnt der Titel mit „Richtlinie NNNN/NN/EU“ oder „Richtlinie NNNN/NN/EURATOM“. Seit 2015 beginnen die Bezeichnungen mit „Richtlinie (EU) JJJJ/NN“.[8]

Beispiele erlassener Richtlinien

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Rahmenrichtlinien

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Spezifische Richtlinien

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Einzelnachweise

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  1. Alexander Deja, Die Richtlinienkonforme Auslegung im europäischen Rechtssystem, abgerufen am 21. Dezember 2021
  2. Haufe, Richtlinienkonforme Auslegung, abgerufen am 21. Dezember 2021
  3. Roman Götze, „Vorwirkung“ von Richtlinien vor deren Inkrafttreten?, abgerufen am 20. Dezember 2021
  4. Andreas Fisahn, Tobias Mushoff: Vorwirkung und unmittelbare Wirkung Europäischer Richtlinien. In: Europarecht. Heft 2. Nomos, 2005, ZDB-ID 2280572-2, S. 222 f. (nomos.de [PDF]).
  5. Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen
  6. EuGH, 8. Oktober 1996 – C-178/94
  7. BT-Drs. 13/6081
  8. Harmonisierung der Nummerierung von EU-Rechtsakten. In: EUR-Lex. Abgerufen am 12. April 2020.