Schaulustiger

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Schaulustige finden sich oft bei Verkehrsunfällen ein (hier ein frühes Beispiel von 1918)
Vor allem bei der Brandbekämpfung muss auch aus sicherer Entfernung eine Gesundheitsgefahr, etwa durch giftige Gase, ausgeschlossen sein
Čumil, der Gaffer von Bratislava

Schaulustige sind Zuschauer, die ein spektakuläres Ereignis beobachten. Bei Unglücken wie Unfällen, Naturkatastrophen oder Gewalttaten werden sie auch abwertend als Gaffer bezeichnet, insbesondere wenn sie Rettungsarbeiten oder den Verkehr behindern. Ebenfalls abwertend verwendet wird der Begriff Voyeurismus, der das Verhalten in Verbindung zu sexuellen Trieben bringt. Bei geplanten Ereignissen wie Gebäudesprengungen, Schwertransporten oder an Flughäfen und Seehäfen gibt es ebenfalls Schaulustige. Hier ist der Begriff nicht negativ, oder es wird stattdessen von Zuschauern gesprochen.

Das Phänomen des Reiseverkehrs von Schaulustigen zum Ereignisort wird als Katastrophentourismus bezeichnet.

Psychologen sehen in der Schaulust eine Mischung aus Neugier und Informationsinteresse. Hintergrund ist möglicherweise auch das Bedürfnis, „sich der eigenen Unversehrtheit zu versichern, indem man das Leid anderer miterlebt“.[1] Ähnlich bereits Lukrez (94 v. Chr. bis 53 v. Chr.):

„Wonnevoll ist’s bei wogender See, wenn der Sturm die Gewässer
Aufwühlt, ruhig vom Lande zu sehn, wie ein andrer sich abmüht,
nicht als ob es uns freute, wenn jemand Leiden erduldet,
Sondern aus Wonnegefühl, dass man selber vom Leiden befreit ist.“[2]

Soziologische Untersuchungen sprechen von „natürlicher“ Schaulust, von der rund 90 % aller Menschen betroffen sind.[3] Die Funktion der Schaulust wird von Soziologen auch als „Erlernen des Umgangs mit dem Unerträglichen“[4] beschrieben. Psychologen erkennen in der Mimik des Gaffers körperliche Merkmale von Angst oder Stress.[5]

Schaulustige sind häufig dem Vorwurf ausgesetzt, Hilfeleistungen zu verweigern. Eine Passivität von Schaulustigen kann durch die Verantwortungsdiffusion des sogenannten Zuschauereffekts unterstützt werden. Untersuchungen zeigen, dass die Hilfsbereitschaft von Schaulustigen zunimmt, je klarer sie eine Notlage erkennen.[6][7] Beklagt wird außerdem, dass Schaulustige Rettungsarbeiten (etwa durch Blockierung von Anfahrtswegen, siehe Rettungsgasse) behindern und sich selbst gefährden, oder auch ein allgemein demotivierender Einfluss auf die Einsatzkräfte.[8] Andere sehen weniger das Problem der Behinderung der Einsatzkräfte als dasjenige, dass von Schaulustigen Film- und Fotoaufnahmen gemacht werden, um diese anschließend in das Internet zu stellen oder zu verkaufen.[7] An Tatorten kann das Problem entstehen, dass durch Schaulustige Spuren verwischt werden.[9] Das Phänomen der Schaulust ist oft Ursache für Staus auf Autobahnen nach einem Unfall oder für Folgeunfälle auch auf der Gegenfahrbahn.[10]

Nach deutschen Polizeiangaben ist das Anfeuern durch Zurufe von Schaulustigen bei Suizidhandlungen nicht strafbar.[11]

Schaulustige stellen bei der Bewältigung von Unfällen und Bränden ein wiederkehrendes Problem dar, sodass das Kurfürstentum Trier und weitere Kurfürstentümer des Heiligen Römischen Reiches bereits im 18. Jahrhundert entsprechende Anordnungen erließen. In diesen Vorschriften wird ausdrücklich angewiesen, dass weil „von mancherley bey solchen Unglücke gleichgültigen Leuten statt einer Beyhülfe nur die Zeit mit Zuschauen zugebracht“ werde, die örtliche Obrigkeit und Vorsteher daher „das anwesende Volk, insofern es die Noth erfordert, zur Arbeit anzuweisen“ und „die untaugliche Personen wegzuschaffen“ seien.[12]

Rolle der Medien

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Ein Grund für eine zunehmende Anzahl von Schaulustigen wird auch in der Berichterstattung der Medien über spektakuläre Ereignisse gesehen.[3] Durch die Aktion der Bild-Zeitung, mit der Leser aufgerufen werden, Fotos gegen Honorar zur Veröffentlichung einzusenden, aber auch mit der zunehmend bedeutender gewordenen Nachrichtenfunktion der Sozialen Medien, verschwimmt die Abgrenzungsmöglichkeit zwischen Schaulustigen und Journalisten/Berichterstattern.[13] Die Medien bedienen die Schaulust ihrer Leser bzw. Zuschauer und sind damit selbst Beteiligte an den durch Schaulustige entstehenden Problemen. Kritisch gesehen werden daher auch Medienberichte, in denen Schaulustige als „Gaffer“ abgewertet werden.[14]

Wissenschaftliche Untersuchungen

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Eine Untersuchung der Bundesanstalt für Straßenwesen aus dem Jahr 1989 ergab, dass damals bei einem Verkehrsunfall im Durchschnitt zwischen 16 und 26 Schaulustige anwesend waren.[15]

Österreichische Kriminalisten empfehlen für das Aufklären von Straftaten das Fotografieren bzw. die Personalienfeststellung von Schaulustigen, da sich immer wieder Täter (z. B. Brandstifter) unter die Schaulustigen mischen.[16] Im Mai 2018 wurde vom Innenministerium eine Gesetzesvorlage zur Begutachtung geschickt, nach der Unfallvoyeure mit bis zu 500 Euro bestraft werden können.[17]

Rechtsrahmen in Deutschland

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Schaulustige stellen oft eine Störquelle für Rettungs- und Hilfsdienste dar. Die Eingriffsbefugnisse reichen bis hin zur Festnahme von Störern nach § 164, als Mindermaßnahme der Festnahme ist damit auch der Platzverweis gerechtfertigt, Landesgesetze erweitern die rechtlichen Möglichkeiten zur Erteilung von Platzverweisen.

Unter gewissen Voraussetzungen kann das Gaffen als Ordnungswidrigkeit gewertet werden. Laut § 113 OWiG handeln Personen ordnungswidrig, wenn sie eine Ansammlung bilden oder sich einer solchen anschließen und sich der mehrmaligen Aufforderung durch die Polizei oder andere Einsatzkräfte, sich zu entfernen, widersetzen. Wer Teil einer solchen unerlaubten Ansammlung ist, muss mit einer Geldbuße von bis zu 1.000 Euro rechnen.[18]

Seit 2017 wird die Behinderung von hilfeleistenden Personen mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft (§ 323c Absatz 2 StGB).

Seit 2015 ist es strafbar, Bildaufnahmen herzustellen oder zu übertragen, welche die Hilflosigkeit einer Person zur Schau stellen und den höchstpersönlichen Lebensbereich des Betroffenen verletzen;[19] seit 1. Januar 2021 gilt die Strafbarkeit auch für Bildaufnahmen, die verstorbene Personen in grob anstößiger Weise zur Schau stellen (durch die Formulierung „grob anstößig“ soll verhindert werden, dass das Fotografieren aufgebahrter Verstorbener strafbar wird[20]). § 201a StGB sieht für solche Bildaufnahmen Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe vor.

  • Ulrich von Hintzenstern (Hrsg.): Notarzt-Leitfaden. 5. Auflage. Elsevier, Urban & Fischer, München 2007, ISBN 978-3-437-22462-1, S. 93, 807.
  • Dieter Kugelmann: Polizei- und Ordnungsrecht. Springer, Berlin 2006 (= Springer-Lehrbuch), ISBN 3-540-29897-5, S. 22.
  • Arnd T. May, Reinhold Mann: Soziale Kompetenz im Notfall. Praxisanleitung nicht nur für den Rettungsdienst – ein Unterrichtskonzept. 2., überarb. und erw. Auflage. Lit Verlag, Münster 2005, ISBN 3-8258-6034-5, S. 108ff.
  • Manfred Tücke: Grundlagen der Psychologie für (zukünftige) Lehrer. Lit Verlag, Münster 2003 (= Osnabrücker Schriften zur Psychologie; Band 8), ISBN 3-8258-7190-8, S. 413 ff.
  • Jürgen Bengel (Hrsg.): Psychologie in Notfallmedizin und Rettungsdienst. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-540-61909-3, Kapitel 15: Umgang mit Zuschauern
  • Uwe Scheffler: Zur Strafbarkeit von „Gaffern“. In: Neue Juristische Wochenschrift, 1995 Heft 4, S. 232 ff. rewi.europa-uni.de (PDF; 35 kB)
Commons: Schaulustiger – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Schaulustiger – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Gaffer – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Schaulust. Lexikon der Psychologie. In: www.spektrum.de. Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, abgerufen am 20. August 2023.
  2. Lukrez, De rerum natura / Von der Natur der Dinge. 2. Buch Vers 1-4. Übersetzt von H. Diels in Christoph König: Die Lebensfahrt auf dem Meer der Welt: der Topos. Texte und Interpretation. Königshausen & Neumann 2000, ISBN 978-3-8260-1901-2, S. 27
  3. a b Lust beim Stieren. In: Der Spiegel. Nr. 13, 1998 (online).
  4. Schrecken, Sensation und Schaulust. Abgerufen am 20. August 2023.
  5. Michael Argyle: Körpersprache & Kommunikation: Nonverbaler Ausdruck und soziale Interaktion. 2013, S. 55 ff.
  6. Not macht Gaffer zu Rettern. 7. Dezember 2005, abgerufen am 8. September 2019. – Bericht über eine Studie von Peter Fischer, LMU München, in Bild der Wissenschaft vom 7. Dezember 2005
  7. a b Schaulust am Leid der anderen. Interview mit dem Sprecher des Polizeipräsidiums Südosthessen. In: www.gelnhaeuser-tageblatt.de. Gelnhäuser Tageblatt, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 2. August 2017; abgerufen am 30. Dezember 2022.
  8. Umgang mit Schaulustigen bei Einsätzen. (Memento vom 19. Juni 2016 im Internet Archive) (PDF) abgerufen am 19. Juni 2016
  9. Kriminalistische Tatortarbeit/Erster Angriff. Abgerufen am 20. August 2023.
  10. Shame on you – Polizei geht verstärkt gegen Gaffer vor. In: www.muenchen.tv. München Live TV Fernsehen GmbH & Co.KG, 30. Juli 2019, abgerufen am 10. Oktober 2024 (deutsch).
  11. Baden-Baden in Baden-Württemberg: Schaulustige feuern Suizidgefährdeten an. In: Der Spiegel. 1. August 2017, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 20. August 2023]).
  12. Franz-Josef Sehr: Brandschutz im Heimatgebiet vor 300 Jahren. In: Der Kreisausschuss des Landkreises Limburg-Weilburg (Hrsg.): Jahrbuch für den Kreis Limburg-Weilburg 2022. Limburg 2021, ISBN 3-927006-59-9, S. 223–228.
  13. Werden auch SIE zum Leser-Reporter! Bild.de, abgerufen am 2. Juli 2016 (Anwerbung von Leserreportern).
  14. „Gaffer“ sind die besseren Menschen – Betrachtungen zur Begrifflichkeit von „Gaffen“ vs. Schaulust und deren Verwendung in den Medien; abgerufen am 15. Juni 2016
  15. Alexander Grau: Schrecken, Sensation und Schaulust. (PDF; 109 kB) S. 14; abgerufen am 13. Juli 2016
  16. Serienbrandstiftungen. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 20. August 2023.
  17. news.ORF.at. Abgerufen am 20. August 2023.
  18. § 113 OWiG – Einzelnorm. Abgerufen am 30. August 2021.
  19. § 201a StGB – Einzelnorm. Abgerufen am 30. August 2021.
  20. BT-Drs. 19/17795 S. 2.