Severin von Noricum

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Darstellung des Heiligen am Severinaltar in Neapel (um 1470)

Severin von Noricum (Severinus; * um 410; † 8. Januar 482 in Favianis, vermutlich dem heutigen Mautern an der Donau) war ein spätantiker Heiliger, Missionar und Klostergründer in Noricum. Über sein Leben berichtet Eugippius in einer „Gedenkschrift“ (Commemoratorium), die unter dem Titel Vita sancti Severini („Das Leben des heiligen Severin“) bekannt ist.

Die Porta Sancti Severini (Westpforte) der St.-Laurenz-Basilika in Lorch mit Darstellungen aus der Severinslegende (nach einem Entwurf von Peter Dimmel, Linz)

Das heutige Wissen über das Leben Severins und über die sozialen und kirchlichen Verhältnisse in seinem Tätigkeitsbereich stammt aus der Lebensbeschreibung des Heiligen, die Eugippius, der Abt eines seiner Klöster, im Jahr 511 verfasste. Diese Heiligen-Biografie – immer wieder geht es um Wunder wie Prophezeiungen, Heilungen[1] oder eine Ölvermehrung[2] – ist die einzige erzählende Quelle aus der Zeit der untergehenden Römerherrschaft in Bayern und dem späteren Österreich. Sie liefert wertvolle sozialgeschichtliche Informationen, doch wird ihre Glaubwürdigkeit in der Forschung teilweise skeptisch beurteilt. Die Angaben über den Rückzug der Römer aus dem Noricum dürften übertrieben sein; man geht heute nicht mehr davon aus, dass es – wie man früher aufgrund der Darstellung des Eugippius annahm – zu einem vollständigen Abzug der Provinzialbevölkerung kam.

Über Severins Abstammung ist wenig bekannt. Wie Eugippius berichtet, erwies ihn seine Sprache als einen „ganz und gar lateinischen Menschen“.[3] Daraus und aus weiteren Indizien lässt sich folgern, dass Severin aus Italien stammte und dass seine Familie einer vornehmen, gebildeten Schicht angehörte. Vielleicht war er senatorischer Herkunft. Da er Auskunft über seine Abstammung aus Bescheidenheit verweigerte, ist davon auszugehen, dass er der politischen Führungsschicht entstammte.[4] Seine Ausbildung als Mönch erhielt er im Osten des Reichs bei den in der Wüste lebenden Einsiedlern.[5] Nach dem Tod des Hunnenkönigs Attila im Jahr 453 kam er von Pannonien nach Ufernoricum (der römischen Provinz nördlich der Ostalpen), die zu jener Zeit bereits durch den Zerfall des Weströmischen Reiches infolge der Völkerwanderung bedroht war (siehe auch Limes Noricus).[6] Severin hielt sich hauptsächlich im Donauland zwischen Carnuntum im Wiener Becken und der Gegend von Passau auf.

Der Historiker Friedrich Lotter hat in zahlreichen Aufsätzen[7] und in seiner Severin gewidmeten Habilitationsschrift von 1976 die Hypothese vertreten, der heilige Severin sei identisch mit einem inlustrissimus vir Severinus, den Ennodius in seiner Lebensbeschreibung des Mönchs Antonius von Lérins als dessen Erzieher erwähnt. Der Heilige sei auch mit dem 461 von Kaiser Majorian ernannten Konsul Flavius Severinus gleichzusetzen. Er sei zwischen 454 und 461 im Donauraum als Provinzgouverneur tätig gewesen und habe auch noch später, als er schon Mönch war, in offiziöser Funktion wie ein Amtsträger des Reichs in der Verwaltung von Ufernoricum gehandelt. Diese teils sehr spekulativen Annahmen haben sich in der Forschung nicht allgemein durchgesetzt. An der sehr vornehmen Abstammung Severins (ein Ergebnis der Forschungen Lotters) wird nicht gezweifelt, aber die Gleichsetzung des Heiligen mit dem Konsul von 461 wird heute weitgehend,[8] wenngleich keineswegs ausschließlich,[9] abgelehnt. Herwig Wolfram bezeichnete die gegensätzlichen Strömungen als „Maximal-Severin“ (Lotter) und als „Minimal-Severin“.[10]

Zunächst trat Severin offenbar im Gebiet Niederösterreichs in Erscheinung, in Asturis (vielleicht Klosterneuburg), Comagena (Tulln), und Favianis (Mautern), wo der Rugierkönig Flaccitheus am gegenüberliegenden Ufer der Donau residierte, der Severin angeblich um Rat bat.[11] Seine Lebensbeschreibung handelt dann von Cucullis (Kuchl bei Salzburg) und Iuvavum (Juvao, Salzburg).[12] Ein weiterer Abschnitt beschreibt sein Wirken an der Donau bei Passau.[13] Dort geht es um die Kastelle und Siedlungen Quintanis (Künzing, oberhalb der Vils), Batavis (Passau links des Inn, beide gehörten zur Nachbarprovinz Raetia secunda), Boiotro (Bojotro, Passau rechts des Inn, ein Grenzkastell Noricums) und Joviaco (vermutlich Aschach, einige Kilometer flussabwärts in Ufernoricum). Er unterstützte und bestärkte demnach zunächst deren romanische Bevölkerung angesichts der ständigen germanischen Überfälle, organisierte dann aber ihre Evakuierung nach Lauriacum (Lorch) an der Enns,[14] bald wegen anhaltender Bedrohungen weiter zurück in die niederösterreichische Nachbarschaft seines früheren Wirkungsorts Favianis, dies auf Druck des Rugierkönigs Feletheus.[15] Hier verbrachte Severin offenbar seinen Lebensabend.

Severin bekleidete selbst kein Amt, sondern scheint auch nach der Konventsgründung weiter als Anachoret gelebt zu haben.[16] Er betätigte sich als Mahner, Helfer und Seelsorger, setzte sich für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein und organisierte Lebensmittel- und Kleiderlieferungen. In den Jahren 469/470 erlangte er vom alamannischen König Gibuld, den er im Gebiet von Passau traf, die Freilassung römischer Kriegsgefangener.[17] Sein entschiedenes Auftreten im Umgang mit Herrschern zeugt von seiner außergewöhnlichen persönlichen Autorität.

Historisierende Darstellung des Abzugs der römischen Provinzialen mit der Leiche des Hl. Severin, aus Moritz Smets: Geschichte der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. 1878

Severin starb 482 in Favianis. Eugippius nennt den 8. Januar als Todestag.[18] Den eigenen Todestag wie auch die Entvölkerung von Ufernoricum durch Abzug der Einwohner soll er vorausgesagt haben.[19] Der von ihm gegründete Konvent schloss sich dann einem Zug über die Alpen an, den Hunulf 488 im Auftrag seines Bruders Odoaker durchführte, und siedelte samt den Gebeinen Severins nach Italien über. Zu diesem Zweck wurden die Gebeine des Severin geborgen. Eugippius schreibt, der Leichnam sei sechs Jahre nach seiner ersten Beisetzung unverwest und vollkommen erhalten gewesen und habe geduftet, obwohl er nicht einbalsamiert war.[20]

Neuer Standort der Gemeinschaft wurde Castellum Lucullanum bei Neapel. Der Konvent dürfte zu dieser Zeit von Lucillus geführt worden sein, dem später Marcianus folgte.[21] Die Gebeine des Severin scheinen bis nach der Konventsgründung in Neapel gelagert worden zu sein. Nach Eugippius musste man erst einen Platz für die Bestattung finden. Boden und Grabbau wurden schließlich von einer vornehmen Dame (illustris femina) namens Barbaria gestiftet. Die Hypothese, es habe sich bei Barbaria um die Witwe des Orestes und die Mutter des Romulus Augustulus gehandelt, ist spekulativ. Die Translation von Neapel nach Lucullanum fand, wie Eugippius berichtet, mit Erlaubnis des Papstes Gelasius I. statt. Die Beisetzung wurde von Bischof Viktor I. von Neapel (ca. 492–496) vollzogen.[22]
Die Reliquien des heiligen Severinus wurden seit dem Jahr 902 in der Kirche des bedeutenden Benediktinerklosters Santi Severino e Sossio in Neapel aufbewahrt,[23] von wo sie 1807 in die Pfarrkirche von Frattamaggiore in Kampanien überführt wurden, wo sie bis heute liegen (Stand 2018).

Gedenktag und Verehrung

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Der Heilige wird predigend oder an einem Grabmal betend dargestellt. Attribute sind Buch und/oder Abtstab, in der rechten Hand ein Kruzifix.[24]

  • Eugippius: Vita Sancti Severini. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Theodor Nüsslein. Reclam, Stuttgart 1999, ISBN 3-15-008285-4.
  • Leben des heiligen Severin, übersetzt von Carl Rodenberg. Duncker, Leipzig 1878.
  • Severin. Zwischen Römerzeit und Völkerwanderung. Hrsg. von Dietmar Straub. Linz 1982.
  • Harald Dickerhof: De institutio sancti Severini. Zur Genese der Klostergemeinschaft des Heiligen Severin. In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 46, 1983, S. 3–36.
  • Johanna Haberl: Wien ist älter. Der heilige Severin und die Frühgeschichte Wiens. Amalthea, Wien u. a. 1981, ISBN 3-85002-136-X.
  • Friedrich LotterVita Severini. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 32, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2006, ISBN 3-11-018387-0, S. 458–460.
  • Friedrich Lotter: Severinus von Noricum, Legende und historische Wirklichkeit: Untersuchungen zur Phase des Übergangs von spätantiken zu mittelalterlichen Denk- und Lebensformen. Hiersemann, Stuttgart 1976.
  • Dieter von der Nahmer: Severinus von Noricum. In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 7, 1995, Sp. 1805–1806.
  • Walter Pohl (Hrsg.): Eugippius und Severin. Der Autor, der Text und der Heilige. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2001, ISBN 3-7001-3019-8.
  • Hartmut Wolff: Kritische Bemerkungen zum säkularen Severin. In: Ostbairische Grenzmarken 24, 1982, S. 24–51.
  • Hartmut Wolff: Ein Konsular und hoher Reichsbeamter im Mönchsgewand? Nachtrag zu Friedrich Lotters Severinsbild. In: Ostbairische Grenzmarken 25, 1983, S. 298–318.
  • Rudolf Zinnhobler: Woher stammte der heilige Severin?. In: Jahrbuch Kollegium Petrinum 76, 1979/80, S. 29–36.
  • Rudolf Zinnhobler: Sankt Severin in Lorch. In: Rudolf Zinnhobler (Hrsg.): Lorch in der Geschichte. Duschl, Linz 1981, S. 128–144.
  • Rudolf Zinnhobler: Zum gegenwärtigen Stand der Severin-Forschung. In: Oberösterreichische Heimatblätter 36, 1982, S. 5–15 (ooegeschichte.at [PDF]).
  • Rudolf Zinnhobler: Der heilige Severin. Sein Leben und seine Verehrung. Duschl, Linz 2002, ISBN 3-933047-71-4.
Commons: Severin von Noricum – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  1. Vita sancti Severini 38.
  2. Vita sancti Severini 28.
  3. Eugippius: Epistola ad Paschasium 10: Loquela tamen ipsius manifestabat hominem omnino Latinum.
  4. Eugippius: Epistola ad Paschasium 9; siehe dazu Friedrich Prinz: Frühes Mönchtum im Frankenreich, 2. Auflage, München 1988, S. 323f.
  5. Eugippius: Epistola ad Paschasium 10.
  6. Siehe auch Edward A. Thompson: Romans and Barbarians. Madison 1982, S. 113ff. (The End of Noricum).
  7. Friedrich Lotter: Severinus und die Endzeit römischer Herrschaft an der oberen Donau. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 24, 1968, S. 309–338; Inlustrissimus vir Severinus. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 26, 1970, S. 200–207; Antonius von Lérins und der Untergang Ufernorikums. In: Historische Zeitschrift 212, 1970, S. 265–315; Die historischen Daten zur Endphase römischer Präsenz in Ufernorikum. In: Joachim Werner und Eugen Ewig (Hrsg.): Von der Spätantike zum frühen Mittelalter, Sigmaringen 1979, S. 27–90; Severin von Noricum, Staatsmann und Heiliger. In: Theologisch-praktische Quartalschrift 130, 1982, S. 110–124; Inlustrissimus vir oder einfacher Mönch? Zur Kontroverse um den heiligen Severin. In: Ostbairische Grenzmarken 25, 1983, S. 281–297; Zur Interpretation hagiographischer Quellen. Das Beispiel der „vita Severini“ des Eugippius. In: Mittellateinisches Jahrbuch 19, 1984, S. 36–62.
  8. Prinz (1988) S. 654; von der Nahmer (1995) Sp. 1806; Hartmut Wolff: Über die Rolle der christlichen Kirche in den administrationsfernen Gebieten von Noricum im 5. Jahrhundert nach Christus. In: Werner Eck (Hrsg.): Religion und Gesellschaft in der römischen Kaiserzeit, Köln 1989, S. 270.
  9. Überblick (zustimmend und ablehnend) etwa bei Max Spindler (Hrsg.): Handbuch der bayerischen Geschichte Band I: Das Alte Bayern. 2. Auflage, München 1981, S. 180, Anmerkung 15. Durchaus wohlwollend in jüngerer Zeit Herwig Wolfram: Grenzen und Räume. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung. Wien 1995, S. 46f. und Theodor Nüsslein (Nachwort in: Eugippius. Vita Sancti Severini. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Theodor Nüsslein. Stuttgart 1999, S. 147f.).
  10. Herwig Wolfram: Grenzen und Räume. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung. Wien 1995, S. 388, Anmerkung 164.
  11. Vita sancti Severini 1–11.
  12. Vita sancti Severini, 11–14.
  13. Vita sancti Severini, 15ff.
  14. Vita sancti Severini 27.
  15. Vita sancti Severini 31.
  16. Vita sancti Severini 39, 1.
  17. Vita sancti Severini 19.
  18. Vita sancti Severini 43,9.
  19. Vita sancti Severini 40, 1; 40, 4-6; 41; 42, 1.
  20. Vita sancti Severini 44,5f.
  21. Vita sancti Severini 37, 1.
  22. Vita sancti Severini 46.
  23. Informationen über Santi Severino e Sossio auf der Website „napoligrafia“, gesehen am 11. November 2018
  24. Erna und Hans Melchers, Das große Buch der Heiligen. Geschichte und Legende im Jahreslauf, Südwest Verlag, München 1978, S. 27.