Sowjetpädagogik
Sowjetpädagogik oder Sowjeterziehung war ein in Ost- und Westdeutschland gängiger Begriff für die in der Sowjetunion entstandene und durch die sowjetische Erziehung offiziell propagierte Pädagogik. Besonders Anton Makarenko (1888–1939) galt als herausragender Pädagoge für die soziale und kollektive Erziehung. Daneben wurden die Arbeiten von Lew Wygotski (1896–1934) und Alexei Leontjew (1903–1979) zur Tätigkeitstheorie als maßgeblich eingeschätzt für die Pädagogische Psychologie in der DDR. Man kann auch die Ehefrau Lenins Nadeschda Krupskaja hinzurechnen, die im Rat der Volksbeauftragten für Bildung zuständig war. Der Theoretiker der Arbeitsschule Pawel Blonski wurde dagegen 1936 unter Stalin verurteilt und wurde erst in den 1980er Jahren wiederentdeckt.
Betont wird die gesellschaftliche Kausalität und Beeinflussbarkeit für psychisches Verhalten und Lernen, so dass gesellschaftliche Veränderungen auch auf heranwachsende Kinder einwirken. Damit stand die Sowjetpädagogik im Gegensatz zu naturalistischen Erziehungstheorien, insbesondere mit rassistischen und biologistischen Begründungen.
In der DDR wurde die Sowjetpädagogik (bzw. sozialistische Pädagogik[1]) besonders durch den 4. Pädagogischen Kongress im August 1949 favorisiert, vorangetrieben durch Hans Siebert. Damit verband sich eine Absage an die deutsche reformpädagogische Tradition der Weimarer Republik, auch wenn sie „spätbürgerlich“ auf mehr Gleichheit und Emanzipation zielte. Die deutschen pädagogischen Klassiker (z. B. Salzmann, Herder, Diesterweg) wurden aber schon auf dem 5. Pädagogischen Kongress 1956 rehabilitiert, indem nach Synthesen gesucht werden sollte. Eine strikte Ablehnung widerfuhr nach 1970 auch der antiautoritären Pädagogik, die sich vom Westen her bemerkbar machte (Summerhill). Mit der Sowjetpädagogik wurden zu weitgehende Individualisierung und Abhebung vom Kollektiv abgelehnt.
Edgar Drefenstedt gab 1977 das Standardwerk der DDR-Pädagogik Pädagogische Tätigkeit, Wesen, Ziel und Inhalt heraus, das den sowjetischen Pädagogen Boris Lichatschow (1929–1999; Theorie der kommunistischen Erziehung, Moskau 1974) übersetzte oder auf ihn bezogen war.
In der Gegenwart werden viele Ansätze der frühen „Sowjetpädagogen“ kritisch weitergeführt, auch weil sie in der DDR-Wissenschaft breite Spuren hinterlassen haben.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Walter Heim: Die Kollektiv-Erziehung : Theorie u. Praxis, Schein u. Wirklichkeit, Nöte u. Gefahren d. Sowjet-Pädagogik, mit e. Geleitw. von Otto Boelitz, Eckart, Berlin-Steglitz 1931
- Nikolaj A. Konstantinow: 30 Jahre Sowjetpädagogik, Volk und Wissen, Berlin 1948
- I. A. Kairow: Die ideologischen Grundlagen der Sowjetpädagogik, [Vortr.], Volk und Wissen, Berlin 1949
- Gerhard Möbus: Sowjetpädagogik in Deutschland. Westdeutscher Verlag, Köln 1959.
- Oskar Anweiler: Die Sowjetpädagogik in der Welt von heute. Quelle und Meyer, Heidelberg 1968.
- Oskar Anweiler: Wissenschaftliches Interesse und politische Verantwortung: Dimensionen vergleichender Bildungsforschung. Ausgewählte Aufsätze, Leske u. Budrich, 1990
- Siegfried Baske: Pädagogische Wissenschaft, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, IV/2, hrsg. von Christoph Führ, Carl-Ludwig Furck, Beck, München 1998, S. 137ff
- Christine Lost: Sowjetpädagogik: Wandlungen, Wirkungen, Wertungen in der Bildungsgeschichte der DDR, Schneider, Hohengehren 2000, ISBN 978-3896762726
- Irina Grapengeter: Pädagogische Leitbegriffe in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels in Russland (1989-2010), Diss. Augsburg 2014 https://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/3000/file/Dissertation_Grapengeter.pdf (Lebensdaten zu Ligatschow, S. 155)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Vgl. Theo Dietrich: Sozialistische Pädagogik. Ideologie ohne Wirklichkeit. 1966.