Syssomonas multiformis

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Syssomonas multiformis

REM-Aufnahme von S. multiformis (Flagellenstadium);
ac = Acronem,[A. 1] fl = Flagellum (Geißel)

Systematik
ohne Rang: Pluriformea
Klasse: Corallochytrea
Ordnung: Corallochytrida
Familie: Syssomonadidae
Gattung: Syssomonas
Art: Syssomonas multiformis
Wissenschaftlicher Name der Familie
Syssomonadidae
Cavalier-Smith 2021
Wissenschaftlicher Name der Gattung
Syssomonas
Tikhonenkov et al. 2017[1]
Wissenschaftlicher Name der Art
Syssomonas multiformis
Tikhonenkov et al. 2017[1][2]

Syssomonas ist eine monotypische Gattung einzelliger, geißeltragender Protisten mit der (einzigen) Spezies (Art) Syssomonas multiformis (früher provisorisch als „Opisthokonta sp. DVT-2017c“ be­zeich­net[3]). Sie gehört zu den Pluriformea innerhalb der Klade der Holozoa, einer Gruppe, die Tiere und ihre engsten Verwandten unter den Protisten enthält. S. multiformis lebt in Süßwasser-Habitaten. Die Art hat einen komplexen Lebenszyklus, der je nach Wachstumsmedium und Ernährungszustand einzellige amöboide und begeißelte Phasen sowie mehrzellige Aggregate umfasst.

Stadien im Lebenszyklus

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Syssomonas multiformis ist eine Art einzelliger Protisten mit nackten Zellen (ohne Schale oder Schuppen – Testa bzw. Theca), die während ihres komplexen Lebenszyklus eine Vielzahl von Lebensformen auf­wei­sen. Zu diesen Formen gehören:

Sie können auch Cluster aus mehreren Zellen bilden.[1][2]

Einzellige Stadien: geißeltragend, amoeboid und als Zyste

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Morphologie und Lebensformen von S. multiformis: A-C: Schwim­mende begeißelte Zellen. D: Amoeboflagellat (lb = Lobopodien). E-F: Amöboide Zellen (fp = Filopodien). G: Zyste. H: Palintomische Zell­teilung innerhalb einer Zyste. I: Zyste mit Vesikeln. J: Angeheftete Geißelzelle.

Im schwimmend beweglichen Flagellatenstadium (dem häufigsten Stadium im Lebens­zyklus) ähneln die Zellen von S. multiformis einer typischen Opistho­konta-Zelle, die an Spermien der Tiere oder Zoosporen der Töpfchenpilze (Chytrid-Pilze) erinnert. Es gibt eine glatte Geißel, die aus einem mittleren Punkt an der Seite der Zelle austritt, sich zurückdreht und beim Schwimmen nach hinten gerichtet ist. Beim Schwimmen kann das schnelle Schlagen der Geißel den Anschein von zwei Geißeln erwecken. Die schwim­menden Zellen rotieren und können plötzlich anhalten und die Bewegungsrichtung än­dern. Die solitären Zellen können sich mit dem vorderen Teil des Zellkörpers vor­über­gehend an ein Substrat heften und durch schnelles Schlagen der Geißeln einen Wasser­strom erzeugen, ähnlich wie bei Kolonien der Choanoflagellaten oder den Choano­zyten der Schwämme. Die schwim­menden Zellen bewegen sich nach unten und verwandeln sich in Amoeboflagellaten, indem sie Scheinfüßchen (breite Lobo­podien und dünne, kurze Filopodien) ausbilden und die Geißelschläge ver­lang­samen. Die Amoeboflagellaten können auch mit ihren vorderen Lobopodien auf dem Substrat entlangkriechen.[2]

Die Amoeboflagellaten-Stadien von Syssomonas können ihre Geißel (Flagellum) auf drei verschiedene Arten verlieren:

  • durch abruptes Abwerfen,
  • durch Zurückziehen in die Zelle, wenn sie sich strecken, oder
  • indem diese winden sich unter der Zelle und ziehen sich dann spiralförmig in die Zelle zurück.

Dadurch entsteht das amöboide Stadium, in welchem die Zelle dünne, kurze Filopodien produziert und manchmal zwei kontraktile Vakuolen aufweist. Sowohl die Amöben als auch die Amoeboflagellaten können sich wieder in Flagellaten verwandeln.[2]

Das amöboide Stadium kann seine Filopodien zurückziehen und zu einer runden Zyste werden, in der eine „palintomische“ Zellteilungen (d. h. schnelle Zellteilungen ohne zytoplasmatisches Wachstum dazwischen, ein Merkmal der embryonalen Spaltung von Tieren)[4] stattfinden kann, wobei 2, 4, 8 oder 16 Geißelzellen entstehen, die aus dem Inneren der Zyste freigesetzt werden.[2]

Aggregative Vielzell-Stadien

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K-M, O: Zelluläre Aggregate von S. multiformis in der Nähe des Bo­dens der Petrischale. N: Frei schwimmendes Aggregat aus Geißel­zellen.
Stadien im Lebens­zyklus von S. multiformis (Schema)

Die Zellen von S. multiformis können teilweise miteinander verschmelzen und vor­über­gehende Aggregate von etwa 3–10 Zellen bilden, die in der Regel formlos sind und in der Wassersäule in der Nähe des Bodens beobachtet werden.[2]

Eine andere Form der Bildung von Aggregaten entsteht, wenn sie ausschließlich be­geißel­te Zellen miteinander verbinden. Dir Geißeln sind dann nach außen gerichtet, ähnlich den rosettenartigen Kolonien der Choanoflagellaten (Salpin­goeca rosetta). Beide Formen der Aggregate lösen sich leicht auf, die Zell­mem­branen sind nicht verschmolzen.[2]

Vielkernige Stadien

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Die Bildung von Zellen mit mehreren Kernen als Ergebnis der Aggregation mehrerer Zellen (Synzytien) ist von anderen Protisten bekannt:

Der Übergang von einem amöboiden Filopodienstadium zu einem Aggregationsstadium wird auch bei einem anderen Vertreter dar Holozoa, Capsaspora owczarzaki, beobachtet. Die Bildung von Synzytien kommt auch bei Tieren vor; das Zytoplasma von Glas­schwäm­men, das Tegument (Neodermis) von Plattwürmern, sowie die Skelettmuskeln und die Plazenta von Säugetieren sind allesamt synzytische Strukturen.[2]

In festen Kulturen von Syssomonas multiformis können Einzelzellen manchmal am Bo­den der Petrischale ebenfalls vollständig zu einer vielkernigen synzytiumartigen (oder pseudoplasmodialen) Struktur ver­schmelzen (bei der die Zellkerne nicht ebenfalls mit­einander ver­schmelzen). Aus diesen Synzytien sprießen später Tochterzellen hervor. Dieses Phänomen der Knospung aus Synzytien wurde allerdings bei keinem anderen Eukaryonten beobachtet.[2]

Das Zusammenwachsen von Zellen in Syssomonas zieht (wahrscheinlich durch che­mische Signale ausgelöst) andere gleichartige Zellen in der Nähe an, die dann aktiv schwimmen und versuchen, sich an die Aggregate anzuschließen. Dies scheint die einzige Methode zu sein, durch die Aggregate wachsen, nicht etwa durch Zellteilung (gewöhnliches vegetatives Wachstm).[2]

Entdeckung und Referenzstamm

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Syssomonas multiformis wurde ursprünglich aus einem Süßwasserbecken in Vietnam isoliert.[2][1] Der Referenzstamm der ursprünglich als Opisthokonta sp. DVT-2017c bezeichneten Spezies ist Colp-12 alias MI-PR205.[A. 2][3]

Der Gattungsname Syssomonas leitet sich ab von altgriechisch συσ sus, deutsch ‚zusammen‘ (vgl. altgriechisch συσσωρεύω syssorévo, deutsch ‚akkumulieren‘), und spätlateinisch monas ‚Einheit‘, ‚Monade‘, ‚Einzeller‘ (von gr. ‚mono‘). Er bedeutet also „aggregative Monade/Einzeller“.[10][2] Das Art-Epitheton multiformis kommt von lateinisch multus ‚viel‘ und lateinisch fōrmis ‚-förmig‘ (‚Formen habend‘), verweist alsu auf die vielen Stadien im Lebenszyklus dieser Spezies.[2]

Syssomonas multiformis kann Temperaturen zwischen 5 und 36 °C überleben. Er ernährt sich vom Zytoplasma anderer Eukaryoten ähnlicher Größe, was bei einzelligen Holozoa ungewöhnlich ist. Bei der Beute handelt es sich insbesondere um heterotrophen Chrysomonaden (Goldbraune Algen wie Spumella) und Metakinetoplastina (ehem. Bodonida, wie Parabodo caudatus)[2] Es können wie Choanoflagellaten auch Bakterien und kleinere Teile sich zersetzender organischer Substanz (Debris) verschlungen werden.[1]

Im Gegensatz zu vielen anderen eukaryotischen Protisten besitzen Syssomonas-Zellen keine Ausstülpungsorganellen (englisch extruding organelles) für die Jagd. Stattdessen heften sie sich an die Beutezelle und saugen deren Zytoplasma aus, ohne die Zellmembran zu verschlucken. Sie wachsen besser von inaktiven, langsamen oder toten Zellen wie etwa Zysten. Nachdem sich eine Zelle an die Beute angeheftet hat, werden (wahrscheinlich ebenfalls durch chemische Signale) viele andere Syssomonas-Zellen von der gleichen Beute angezogen und versuchen, sich an sie anzuheften. Mehrere Zellen können gemeinsam das Zytoplasma der gleichen Beutezelle aussaugen.[2] Für die Jagd auf Bakteriencluster werden allerdings doch kurze Pseudopodien benutzt. Nach dem Verschlingen dieser Beute bildet sich am hinteren Zellende eine große Nahrungsvakuole. Bakterien allein sind jedoch keine ausreichende Nahrung für Syssomonas, ganz ohne eukaryotische Beute sterben ihre Zellen ab oder bilden Ruhezysten.[2]

Phylogenie und Evolution

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Als ein Vertreter der Holozoa ist Syssomonas eine von vielen Protistengattungen, die eng mit Tieren (Metazoa) verwandt sind. S. multiformis ist daher ein Forschungsgegenstand bei der Suche nach dem Ursprung der tierischen Vielzelligkeit. Die ersten phylogenomischen Analysen, die Syssomonas einschlossen, stellten die Gattung als Schwestertaxon von Corallochytrium fest. Zusammen bilden sie die Klade Pluriformea, die als Schwestertaxon der Filozoa identifiziert wurde.[1] Eine alternative Hypothese platziert Pluriformea als Schwestergruppe von Ichthyosporea in einer Klade, die als Teretosporea bekannt ist (Teretosporea -Hypothese).[2]

Das folgende Kladogramm zeigt die Position von Syssomonas unter den Opisthokonta, entsprechend der ersten Hypothese:

 Opisthokonta 
 Holozoa 
  
 Filozoa 
 Choanozoa 

Metazoa


   

Choanoflagellata



 Filasterea 
  

Pigoraptor


   

Capsaspora owczarzaki



   

Ministeria vibrans




 Pluriformea 

Syssomonas multiformis


   

Corallochytrium limacisporum




   

Ichthyosporea



   

Holomycota



Vorlage:Klade/Wartung/Style
  1. Acronem: Der schlanke Abschnitt einer Geißel (Wiktionary: acronemeenglisch).
  2. Deposited in the Marine Invertebrate Collection, Beaty Biodiversity Museum, University of British Columbia

Einzelnachweise

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  1. a b c d e f Elisabeth Hehenberger, Denis V. Tikhonenkov, Martin Kolisko, Javier del Campo, Anton S. Esaulov, Alexander P. Mylnikov, Patrick J. Keeling: Novel Predators Reshape Holozoan Phylogeny and Reveal the Presence of a Two-Component Signaling System in the Ancestor of Animals. In: Current Biology. 27. Jahrgang, Nr. 13, 10. Juli 2017, S. 2043–2050.e6, doi:10.1016/j.cub.2017.06.006, PMID 28648822, bibcode:2017CBio...27E2043H (englisch).
  2. a b c d e f g h i j k l m n o p q Denis V. Tikhonenkov, Elisabeth Hehenberger, Anton S. Esaulov, Olga I. Belyakova, Yuri A. Mazei, Alexander P. Mylnikov & Patrick J. Keeling: Insights into the origin of metazoan multicellularity from predatory unicellular relatives of animals. In: BMC Biology. 18. Jahrgang, Nr. 1, 9. April 2020, S. 39, doi:10.1186/s12915-020-0762-1, PMID 32272915, PMC 7147346 (freier Volltext) – (englisch).
  3. a b NCBI Taxonomy Browser: Syssomonas multiformis Tikhonenkov, Hehenberger, Mylnikov et Keeling 2017, includes: Opisthokonta sp. DVT-2017c (type strain of Syssomonas multiformis: Colp-12). Dazu:
  4. Lei Chen, Shuhai Xiao, Ke Pang, Chuanming Zhou, Xunlai Yuan: Cell differentiation and germ–soma separation in Ediacaran animal embryo-like fossils. In: Nature. 516. Jahrgang, Nr. 7530, September 2014, S. 238–241, doi:10.1038/nature13766, PMID 25252979, bibcode:2014Natur.516..238C (englisch).
  5. Matthew W. Brown, Jeffrey D. Silberman, Frederick W. Spiegel: "Slime molds" among the Tubulinea (Amoebozoa): molecular systematics and taxonomy of Copromyxa. In: Protist, Band 162, Nr. 2, April 2011, S. 277–287; doi:10.1016/j.protis.2010.09.003, PMID 21112814 (englisch.
  6. Brown MW, Silberman JD, Spiegel FW: A contemporary evaluation of the acrasids (Acrasidae, Heterolobosea, Excavata). In: European Journal of Protistology. 48. Jahrgang, Nr. 2, Mai 2012, S. 103–123, doi:10.1016/j.ejop.2011.10.001, PMID 22154141 (englisch).
  7. Erica Lasek-Nesselquist, Laura A. Katz: Phylogenetic position of Sorogena stoianovitchae and relationships within the class Colpodea (Ciliophora) based on SSU rDNA sequences. In: Journal of Eukaryotic Microbiology, Band 48, Nr. 5, September–Oktober 2001, S. 604–607; doi:10.1111/j.1550-7408.2001.tb00197.x, PMID 11596926 (englisch).
  8. Matthew W. Brown, Martin Kolisko1, Jeffrey D. Silberman, Andrew J. Roger: Aggregative Multicellularity Evolved Independently in the Eukaryotic Supergroup Rhizaria. In: Current Biology. 22. Jahrgang, Nr. 12, 19. Juni 2012, S. 1123–1127, doi:10.1016/j.cub.2012.04.021, PMID 22608512, bibcode:2012CBio...22.1123B (englisch).
  9. Pauline Schaap, Thomas Winckler, Michaela Nelson, Elisa Alvarez-Curto, Barrie Elgie, Hiromitsu Hagiwara, James Cavender, Alicia Milano-Curto, Daniel E. Rozen, Theodor Dingermann, Rupert Mutzel, Sandra L. Baldauf: Molecular phylogeny and evolution of morphology in the social amoebas. In: Science. 314. Jahrgang, Nr. 5799, Oktober 2006, S. 661–663, doi:10.1126/science.1130670, PMID 17068267, PMC 2173941 (freier Volltext), bibcode:2006Sci...314..661S (englisch).
  10. Wiktionary: συσσωρεύω (englisch).