Yin und Yang (Symbol)

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Taiji, das Symbol für Yin und Yang

Das Yin-Yang-Symbol, chinesisch Taijitu (chinesisch 太極圖 / 太极图, Pinyin Tàijí Tú, wörtlich „Symbol des sehr großen Äußersten/Höchsten“), ist ein im chinesischen Daoismus und auch Neukonfuzianismus verwendetes Zeichen (chinesisch tu, Symbol oder Diagramm) für das als Ursprung der Welt aufgefasste Taiji („sehr große Äußerste“). Das Bildmuster ist zudem bei den Kelten,[1] Etruskern[2] und Römern[3] verbreitet.

Geometrische Figur

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Natürlich verwachsener Baumstamm

Das Yin-Yang-Symbol ist ein Bildmuster, dessen zahlreiche Variationen meist aus kreisförmigen Linien bestehen, die in Bewegung zu sein scheinen. Das klassische daoistische Symbol lässt sich mit Hilfe eines Zirkels und eines Lineals zeichnen: man schlägt auf dem Durchmesser eines Kreises zwei sich nicht überschneidende Kreise, deren Durchmesser jeweils dem Radius des äußeren Kreises entspricht; man behält nur die Linie, die ein „S“ beschreibt, und entfernt die andere.[4] Auf diese Weise entsteht eine Spiralform, die daoistische Texte mit einem Paar Fische vergleichen, das Kopf und Schwanz aneinander schmiegt.[5] Dieses Grundmuster ist nicht nur ein Produkt der menschlichen Vorstellungskraft, sondern findet sich auch – weniger geometrisch genau – in der Natur wieder (siehe Bild). Im Taiji enthalten die beiden unterschiedlich gefärbten Hälften jeweils zusätzlich einen Punkt entgegengesetzter Farbe.[5]

Europäische Zeichen

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Keltisches Yin-Yang-Motiv auf einer emaillierten Bronzeplatte (Mitte des 1. Jh. n. Chr.)

In der keltischen Kunst lässt sich das Motiv zweier verschränkter Kommata, die um die eigene Achse zu kreisen scheinen, bis ins späte 5. Jahrhundert v. Chr. zurückverfolgen.[6] Kunsthistoriker der La-Tène-Kultur verwenden für diese Form unter Bezugnahme auf das viel jüngere chinesische Zeichen den anachronistischen Begriff „Yin und Yang“.[1]

Die frühesten keltischen Yin und Yangs treten normalerweise nicht als eigenständige Zeichen auf, sondern innerhalb größerer Blumen- oder Tiermuster, wo sie wirbelnde Blätter am Fuße einer Palmette oder stilisierte Schwänze von Seepferdchen darstellen.[6] Ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. entwickelt sich ein abstrakterer Stil, in dem das Yin-und-Yang-Symbol nun auch als Hauptmotiv in der Ornamentik auftritt.[6] Zwar lässt sich nicht genau feststellen, ob die Kelten dem Zeichen einen besonderen symbolischen Wert beigemessen haben, aber in solchen Fällen, wo es durch eine hervorgehobene Platzierung betont wird, wie etwa am oberen Ende einer Schwertscheide, scheint sein Gebrauch in der Tat apotropäisch (dafür da um Dämonen abzuwehren) gewesen zu sein.[7]

Keltischer Dreierwirbel

Im Unterschied zum klassischen daoistischen Emblem fehlt es den keltischen Yin und Yangs am Element der gegenseitigen Durchdringung; auch die beiden Hälften sind nicht immer in verschiedenen Farben gehalten.[8] Im Einklang mit der dynamischen Natur der keltischen Symbolik, die sich durch eine ausgeprägte Vorliebe für kurvenförmige Linienführung auszeichnet, sind die Kreise oft nicht ganz geschlossen, so dass der Eindruck von endlos um die eigene Achse wirbelnder Blätterpaare entsteht.[7] Auf einigen Metallobjekten heben sich die Yin-Yang-Ornamente auch plastisch vom Hintergrund ab.[7]

Das Symbol erfreute sich bei den Kelten einiger Beliebtheit und zierte eine Vielzahl von Kunst- und Alltagsgegenständen, darunter etwa Schnabelkannen, Helme, Vasen, Schalen, Halsbänder, Anstecknadeln, Broschen und Messerschneiden.[9] Während der keltische Zeichenschatz auf dem Kontinent durch die römische Kunst verdrängt wurde, konnte er sich auf Irland halten und lebte in der nachrömischen Epoche in Britannien sogar wieder auf (siehe insulare Buchmalerei); so finden sich Dreierwirbel als Bestandteile von Triskelen im 7. Jahrhundert im berühmten Book of Durrow (folio 3v) wieder.[10]

In der etruskischen Kunst tritt das Yin-und-Yang-Motiv erstmals am Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. in Erscheinung, womöglich durch den zunehmenden Kontakt mit den über die Alpen eindringenden Kelten; es findet sich in einem Faliskergrab großformatig auf dem Bauch zweier Oinochoen, wo das für das keltische Yin und Yang nun typische geometrische Muster eine Verbindung mit etruskischer Floralornamentik eingeht.[2]

Yin-Yang-Motiv aus Sousse
Schildwappen der weströmischen Infanterieeinheit armigeri defensores seniores (um 430 n. Chr.)[3]

Ein Mosaik aus einer römischen Villa in Sousse (Tunesien) zeigt die durch eine „S“-Linie getrennten Hälften, allerdings ohne die Punkte.[8]

Das klassische Yin-und-Yang-Muster ☯ ist – zum ersten Mal[3] – abgebildet in der spätantiken Notitia Dignitatum, einer Auflistung von Schildwappen der römischen Armee aus der Zeit um 430 n. Chr.[11] Die Zeichnungen sind in drei Handschriften überliefert:[12][13][14] Das Symbol einer Infanterieeinheit, der armigeri defensores seniores („Schildträger“), entspricht bis auf die Farbwahl dem klassischen fernöstlichen Yin und Yang.[15] Eine andere Abteilung aus dem weströmischen Fußvolk, die Pseudocomitatenses Mauri Osismiaci, führte ein Wappen mit denselben „fischartigen“ Umrissen im Schild; hier besitzen die beiden Punkte die gleiche Farbe.[15] Ein drittes Infanterieregiment, die Thebaei, hatte ein Muster, das der statischen Variante des ostasiatischen Taiji vergleichbar ist: drei konzentrische Kreise, die durch einen senkrechten Strich in der Mitte so voneinander getrennt sind, so dass auf jeder Seite die Farbabfolge sich in umgekehrter Ordnung zur anderen Hälfte bewegt.[15] Die römischen Yin-und-Yang-gleichen Symbole gehen den späteren, daoistischen Varianten um mehrere Jahrhunderte voraus:

„Was das erstmalige Auftreten der Ikonographie des Yin-Yang im Zeitverlauf anbelangt, so wird berichtet, dass die frühesten Darstellungen des Yin-Yang in China, zumindest solche, die auf uns gekommen sind, bis ins 11. Jh. n. Chr. zurückreichen, obgleich von diesen beiden Prinzipien bereits im 4. oder 5. Jh. v. Chr. gesprochen wurde. Mit der Notitia Dignitatum befinden wir uns dagegen im 4. oder 5. Jh. n. Chr., also in ikonographischer Hinsicht beinahe sieben Jahrhunderte früher als die ältesten Beispiele aus China.[16]

Im Zeichencodierungsstandard Unicode ist dem Yin-und-Yang-Symbol der Codepunkt U+262F (dezimal 9775) im Unicode-Block Verschiedene Symbole zugewiesen. In HTML wird es mit ☯ codiert. Das Zeichen erscheint als ☯.

Das Taijitu ist in China erst im 11. Jahrhundert bezeugt. Es entstand in einem daoistischen Milieu, wobei den Angaben der Quellen zufolge das erstmals im 10. Jahrhundert auftauchende daoistische Wujitu („Symbol desjenigen, das kein Äußerstes/Höchstes hat“) den Ausgangspunkt bildete. In den ersten Jahrhunderten seiner Verwendung hatte das Taijitu unterschiedliche Formen; die ältesten weisen noch keinerlei Ähnlichkeit mit der später gebräuchlichen „fischartigen“ Form ☯ auf. Es waren oft konzentrische schwarze und weiße oder halb schwarze, halb weiße Kreise. Die innerste Kreisfläche war stets weiß. Die weiße Farbe stand für das Prinzip Yang, die schwarze für das Prinzip Yin. Die heute allgemein gebräuchliche „fischartige“ Form entstand erst in der Zeit der Ming-Dynastie, die 1368 an die Macht kam.[5]

Der neokonfuzianische Philosoph Zhou Dunyi (1017–1073) verfasste eine Abhandlung „Taiji Tu Shuo“ (chinesisch 太極圖說 / 太极图说, Pinyin Tàijí Tú Shuō – „Erklärung des Taijitu“), mit der die neukonfuzianische Rezeption des Taijitu begann. Der im 12. Jahrhundert lebende Neokonfuzianer Zhu Xi verschaffte dem Taiji Tu Shuo allgemeine Anerkennung in neokonfuzianischen Kreisen.

Europäische Zeichen

  • Dieter Ahrens (Hrsg.): Θίασος των Μουσών. Studien zu Antike und Christentum. Festschrift für Josef Fink zum 70. Geburtstag (= Archiv für Kulturgeschichte. Beihefte. 20). Böhlau, Köln u. a. 1984, ISBN 3-412-05083-0.
  • Franz Altheim: Attila und die Hunnen. Verlag für Kunst und Wissenschaft, Baden-Baden 1951.
  • Alain de Benoist: Communisme et nazisme. 25 réflexions sur le totalitarisme au XXe siècle (1917–1989). Labyrinthe, Paris 1998, ISBN 2-86980-028-2.
  • Paul-Marie Duval: Die Kelten. C. H. Beck, München 1978, ISBN 3-406-03025-4.
  • Denys W. Harding: The Archaeology of Celtic Art. Routledge, New York NY u. a. 2007, ISBN 978-0-203-69853-2.
  • Howard E. Kilbride-Jones: Celtic Craftsmanship in Bronze. Croom Helm, London 1980, ISBN 0-7099-0387-1.
  • Lloyd Laing: Celtic Britain (= Britain before the Conquest. 2). Routledge & Kegan Paul, London u. a. 1979, ISBN 0-7100-0131-2.
  • Lloyd Laing: Later Celtic Art in Britain and Ireland (= Shire Archaeology. 48). Shire Publications, Princes Risborough 1987, ISBN 0-85263-874-4.
  • Edward T. Leeds: Celtic Ornament in the British Isles down to A.D. 700. Dover Publications, Mineola NY 2002, ISBN 0-486-42085-X.
  • Ruth Megaw, Vicent Megaw: Early Celtic Art in Britain and Ireland. (= Shire Archaeology. 38). 2nd edition, with new text, revised, updated. Shire Publications, Princes Risborough 2005, ISBN 0-7478-0613-6.
  • Giovanni Monastra: The „Yin-Yang“ among the Insignia of the Roman Empire? In: Sophia. Bd. 6, Nr. 2, 2000.
  • John Meirion Morris: The Celtic Vision. Y Lolfa, Talybont 2003, ISBN 0-86243-635-4.
  • Harry Mountain: The Celtic Encyclopedia. Band 5. Universal Publishers, Parkland FL 1998, ISBN 1-58112-894-0.
  • Helmut Nickel: The Dragon and the Pearl. In: Metropolitan Museum Journal. Bd. 26, 1991, ISSN 0077-8958, S. 139–146, doi:10.2307/1512907.
  • Christian Peyre: Y a-t'il un contexte italique au style de Waldalgesheim? In: Paul-Marie Duval, Venceslas Kruta (Hrsg.): L'art celtique de la période d'expansion, IVe et IIIe siècles avant notre ère (= Centre de Recherches d’Histoire et de Philologie de la IVe Section de l’Ecole Pratique des Hautes Etudes. 3: Hautes études du monde gréco-romain. Bd. 13, ZDB-ID 2554087-7). Librairie Droz, Paris 1982, ISBN 2-600-03342-4, S. 51–82, hier S. 62–64, 82.
  • Leonardo Sacco: Aspetti storico-religiosi del Taoismo. (Parte seconda). In: Studi e materiali di storia delle religioni. Bd. 69 = NS Bd. 27, Nr. 1, 2003, ISSN 0081-6175, S. 5–93.
  • Stéphane Verger: Une tombe à char oubliée dans l’ancienne collection Poinchy de Richebourg. In: Mélanges de l'école française de Rome. Antiquité. Bd. 108, Nr. 2, 1996, ISSN 0223-5102, S. 641–691, Digitalisat.
  • Nancy van Deusen (Hrsg.): The Medieval West Meets the Rest of the World (= Institute of Mediaeval Music. Wissenschaftliche Abhandlungen. Bd. 62, 2). Institute of Mediaeval Music, Ottawa 1995, ISBN 0-931902-94-0.

Daoistischer Symbolismus

  • Isabelle Robinet: Taiji tu. Diagram of the Great Ultimate. In: Fabrizio Pregadio (Hrsg.): The Encyclopedia of Taoism. A–Z. Band 2. Routledge, London u. a. 2008, ISBN 978-0-7007-1200-7, S. 934–936.
Commons: Yin und Yang (Symbol) – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b Peyre 1982, S. 62–64, 82 (pl. VI); Harding 2007, S. 68f., 70f., 76, 79, 84, 121, 155, 232, 239, 241f., 248, 253, 259; Duval 1978, S. 282; Kilbride-Jones 1980, S. 127 (Abb. 34.1), 128; Laing 1979, S. 79; Verger 1996, S. 664; Laing 1997, S. 8; Mountain 1997, S. 1282; Leeds 2002, S. 38; Morris 2003, S. 69; Megaw 2005, S. 13.
  2. a b Peyre 1982, S. 62–64.
  3. a b c Monastra 2000; Nickel 1991, S. 146, Fn. 5; White, Van Deusen 1995, S. 12, 32; Robinet 2008, S. 934.
  4. Peyre 1982, S. 62f.
  5. a b c Robinet 2008, S. 934.
  6. a b c Peyre 1982, S. 62–64, 82 (pl. VI)
  7. a b c Duval 1978, S. 282.
  8. a b Duval 1978, S. 282; Monastra 2000
  9. Harding 2007, S. 70f., 76, 79, 155, 232, 241f., 248, 259; Kilbride-Jones 1980, S. 128.
  10. Harding 2007, S. 253.
  11. Altheim 1951, S. 82; Fink, Ahrens 1984, S. 104; Benoist 1998, S. 116; Sacco 2003, S. 18.
  12. Bodleian Library: Late Roman Shield Patterns. Notitia Dignitatum: Magister Peditum
  13. Bayerische Staatsbibliothek, Clm 10291 (I): Mauri Osismiaci; Armigeri; Thebei
  14. Bayerische Staatsbibliothek, Clm 10291 (II): Mauri Osismiaci; Armigeri; Thebei
  15. a b c d e f Monastra 2000
  16. Monastra 2000:

    „As for the appearance of the iconography of the "yin-yang" in the course of time, it was recorded that in China the first representations of the yin-yang, at least the ones that have reached us, go back to the eleventh century AD, even though these two principles were spoken of in the fourth or fifth century BC. With the Notitia Dignitatum we are instead in the fourth or fifth century AD, therefore from the iconographic point of view, almost seven hundred years earlier than the date of its appearance in China.“