Die Divergenz eines Vektorfeldes ist ein Skalarfeld, das an jedem Punkt angibt, wie sehr die Vektoren in einer kleinen Umgebung des Punktes auseinanderstreben (lateinischdivergere). Interpretiert man das Vektorfeld als Strömungsfeld einer Größe, für die die Kontinuitätsgleichung gilt, dann ist die Divergenz die Quelldichte. Senken haben negative Divergenz. Ist die Divergenz überall gleich null, so bezeichnet man das Feld als quellenfrei.
In der Physik wird die Divergenz zum Beispiel bei der Formulierung der Maxwell-Gleichungen oder der verschiedenen Kontinuitätsgleichungen verwendet. Im Ricci-Kalkül wird die mit Hilfe der kovarianten Ableitung gebildete Größe manchmal etwas ungenau als Divergenz eines Tensors bezeichnet (für diese Größe gilt auf gekrümmten Mannigfaltigkeiten zum Beispiel nicht der Gaußsche Integralsatz).
Man betrachtet zum Beispiel eine ruhige Wasseroberfläche, auf die ein dünner Strahl Öl trifft. Die Bewegung des Öls auf der Oberfläche kann durch ein zweidimensionales (zeitabhängiges) Vektorfeld beschrieben werden: An jedem Punkt ist zu jedem beliebigen Zeitpunkt die Fließgeschwindigkeit des Öls in Form eines Vektors gegeben. Die Stelle, an der der Strahl auf die Wasseroberfläche trifft, ist eine „Ölquelle“, da von dort Öl wegfließt, ohne dass es einen Zufluss auf der Oberfläche geben würde. Die Divergenz an dieser Stelle ist positiv. Im Gegensatz dazu bezeichnet man eine Stelle, an der das Öl beispielsweise am Rand aus dem Wasserbecken abfließt, als Senke. Die Divergenz an dieser Stelle ist negativ.
Bei der Divergenz handelt es sich um einen Operator auf einem Vektorfeld, der in einem skalaren Feld resultiert:
Für den Fall eines dreidimensionalen Vektorfeldes ist die Divergenz in kartesischen Koordinaten definiert als
.
Bei der Schreibweise ist es wichtig, den Multiplikationspunkt zwischen und dem Vektorfeld zu schreiben, da der -Operator sonst als Gradient der Vektorkomponenten (geschrieben ) zu verstehen wäre.
Interpretiert man ein Vektorfeld als Strömungsfeld, so beschreibt dessen totales Differenzial ein Beschleunigungsfeld. Ist in einem Punkt die Beschleunigungsmatrix diagonalisierbar, so beschreibt jeder Eigenwert die Beschleunigung in Richtung des zugehörigen Eigenvektors. Jeder positive Eigenwert beschreibt also die Intensität einer gerichteten Quelle und jeder negative Eigenwert die gerichtete Intensität einer Senke. Addiert man diese Eigenwerte, so erhält man die resultierende Intensität einer Quelle bzw. Senke. Da die Summe der Eigenwerte gerade die Spur der Beschleunigungsmatrix ist, wird die Quellenintensität durch
gemessen.
Die Divergenz kann in diesem Sinne als „Quellendichte“ interpretiert werden.
Für die Interpretation der Divergenz als „Quellendichte“ ist die folgende koordinatenfreie Definition in der Form einer Volumenableitung wichtig (hier für den Fall n=3)
Dabei ist ein beliebiges Volumen, zum Beispiel eine Kugel oder ein Parallelepiped; ist sein Inhalt. Es wird über den Rand dieses Volumenelements integriert, ist die nach außen gerichtete Normale und das zugehörige Flächenelement. Man findet hierzu auch die Schreibweise mit .
Für n > 3 kann diese Aussage leicht verallgemeinert werden, indem man n-dimensionale Volumina und ihre (n-1)-dimensionalen Randflächen betrachtet. Bei Spezialisierung auf infinitesimale Würfel oder Quader erhält man die bekannte Darstellung in kartesischen Koordinaten
wobei die Punkte am Ende weitere Terme beinhalten, die durch fortgesetzte zyklische Permutationen, erzeugt nach dem Schema usw., aus dem angeschriebenen folgen.
Der Divergenz-Operator kommutiert mit räumlichen Drehungen und Verschiebungen eines Vektorfeldes, d. h. die Reihenfolge dieser
Operationen macht keinen Unterschied.
Begründung: Wenn das Vektorfeld im Raum gedreht oder (parallel)verschoben wird, braucht man in der oben
gegebenen koordinatenunabhängigen Darstellung nur die Flächen- und Volumenelemente in derselben Weise zu drehen, um wieder auf
denselben skalaren Ausdruck zu kommen. Das Skalarfeld dreht und verschiebt sich also in gleicher Weise wie das Vektorfeld .
Für n=3-dimensionale Vektorfelder , die im ganzen Raum mindestens zweimal stetig differenzierbar sind und im Unendlichen hinreichend rasch gegen null gehen, gilt, dass sie in einen wirbelfreien Teil und einen quellenfreien Teil zerfallen, . Für den wirbelfreien Teil gilt, dass er durch seine Quellendichte wie folgt dargestellt werden kann:
, mit
.
Für den quellenfreien Teil, , gilt analoges, wenn man das skalare Potential durch ein sog. Vektorpotential ersetzt und zugleich die Ausdrücke bzw. (=Quellendichte von ) durch die Operationen bzw. (=Wirbeldichte von ) substituiert.
Die Divergenz des Vektorfeldes entspricht in beliebigen Koordinaten der Spur der kovarianten Ableitung von , das heißt, es gilt . Diese Darstellung ist koordinateninvariant, da die Spur einer linearen Abbildung invariant gegenüber einem Basiswechsel ist.
Eine wichtige Rolle spielt die Divergenz in der Aussage des Gaußschen Integralsatzes. Er besagt, dass der Durchfluss durch eine geschlossene Oberfläche gleich dem Integral über die Divergenz des Vektorfeldes im Inneren dieses Volumens ist, und erlaubt damit die Umwandlung eines
Volumenintegrals in ein Oberflächenintegral:
wobei der Normalenvektor der Oberfläche ist. Anschaulich beschreibt er damit für den Fall einer Strömung den Zusammenhang zwischen dem Durchfluss durch diese Fläche und den Strömungsquellen und -senken innerhalb des zugehörigen Volumens.
Setzt man im Gaußschen Integralsatz das coulombartige Feld
ein und wählt man als Integrationsfläche eine Kugelfläche mit Radius um den Ursprung,
so ist und der Integrand wird konstant gleich . Weil die Oberfläche der Kugel
ist, folgt
Somit liefert der Integralsatz eine Information über , die im Gegensatz zu den
Ableitungsausdrücken (Produktregel oder Kugelkoordinaten) auch den Punkt einschließt: Das Volumenintegral von ist . Dies lässt sich mit dem Ergebnis der Ableitungsrechnung zu einer Distributionsgleichung zusammenfassen:
Letztere Formel kann ohne Differentiation von Basisvektoren hergeleitet werden: Man führt eine Testfunktion ein und schreibt ein Volumenintegral einmal in kartesischen und einmal in Kugelkoordinaten. Mit bekannten Ausdrücken für Gradient und Volumenelement ergibt das nach Ausmultiplizieren der Basisvektoren
Die Ableitungen von werden partiell integriert, wobei Randterme verschwinden. Auf der rechten Seite
muss das Volumenelement mitdifferenziert und danach in zwei Termen wiederhergestellt werden (Erweitern). Das ergibt
Aus der Gleichheit der Integrale für alle Testfunktionen folgt, dass die Ausdrücke für die Divergenz gleich sind.
Nach dem Poincaré-Lemma existiert zu jedem Skalarfeld ein Vektorfeld, dessen Divergenz es ist. Dieses Vektorfeld ist nicht eindeutig bestimmt, denn es kann ein örtlich konstanter Vektor hinzuaddiert werden, ohne die Divergenz und damit das Skalarfeld zu verändern.
Unter gewissen Voraussetzungen existiert ein Rechts- oder Linksinverses der Divergenz. So gibt es für ein offenes und beschränktes Gebiet mit lipschitzstetigem Rand einen Operator , so dass für jedes mit
gilt, wobei den entsprechenden Sobolew-Raum für und bezeichnet. heißt Bogowskii-Operator.[L 1]
Im Abschnitt Eigenschaften wurde bereits gesagt, dass die Divergenz mit Hilfe der Spur der Jacobimatrix ausgedrückt werden kann und dass diese Darstellung koordinateninvariant ist. Aus diesem Grund verwendet man diese Eigenschaft, um die Divergenz auf riemannschen Mannigfaltigkeiten zu definieren. Mit Hilfe dieser Definition kann man zum Beispiel den Laplace-Operator auf riemannschen Mannigfaltigkeiten koordinatenfrei definieren. Dieser heißt dann Laplace-Beltrami-Operator.
Sei eine riemannsche Mannigfaltigkeit und ein -Vektorfeld mit . Dann ist die Divergenz durch
definiert. Dabei ist ein Vektorfeld und der Operator ist der Levi-Civita-Zusammenhang, der den Nabla-Operator verallgemeinert. Wertet man an aus, so ist und man kann für alle die aus der linearen Algebra bekannte Spur bilden.[L 2]
Die Divergenz ist also die Dichte der Volumenänderungsrate bezüglich des Flusses. Die Divergenz in einem Punkt gibt an, wie schnell sich der Inhalt eines infinitesimalen Volumenelements in diesem Punkt ändert, wenn es sich mit dem Fluss bewegt. Als Folgerung ergibt sich, dass ein Vektorfeld genau dann divergenzfrei ist, wenn der erzeugte Fluss volumenerhaltend ist.
Tensoren zweiter Stufe bilden Vektoren auf Vektoren ab. Indem die vektorielle Divergenz mit der Divergenz des Tensors in Zusammenhang gebracht wird, kann die Divergenz auf Tensoren T verallgemeinert werden:[L 5]
Darin bildet das Superskript ⊤ den transponierten Tensor. Mit dem Nabla-Operator berechnet sich diese Divergenz mittels
In der Literatur insbesondere der Strömungsmechanik wird auch die transponierte Version benutzt.[L 6]
Für einen Tensor ergibt sich bezüglich der Standardbasis ê1,2,3 eines kartesischen Koordinatensystems mit x-, y- und z-Koordinaten, die gemäß dem Schema x → 1, y → 2 und z → 3 nummeriert werden:
Die transponierte Version ergibt sich hieraus durch Vertauschen von Tab durch Tba.
ergibt sich die Divergenz für Tensoren zweiter Stufe zu
Ein Index hinter einem Komma bezeichnet hier die Ableitung nach der Koordinate: . Die transponierte Version ergibt sich hieraus durch Vertauschen von Tab durch Tba.
ergibt sich die Divergenz für Tensoren zweiter Stufe zu
Ein Index hinter einem Komma bezeichnet hier die Ableitung nach der Koordinate: . Die transponierte Version ergibt sich hieraus durch Vertauschen von Tab durch Tba.
Sei eine Konstante, eine offene Teilmenge, ein skalares Feld, zwei Vektorfelder und T ein tensorielles Feld. Dann gelten folgende Regeln:
Darin ist das Frobenius-Skalarprodukt für Vektoren bzw. Tensoren und eine Ableitung nach der Koordinate xi in einem kartesischen Koordinatensystem mit Basisvektoren wird mit einem Index ,i abgekürzt, über den des Weiteren oben von eins bis drei zu summieren ist (Einsteinsche Summenkonvention).
Dieser Integralsatz wird in der Kontinuumsmechanik auch für Tensorfelder, z. B. von Spannungstensoren, benötigt:
Der vom symmetrischen Spannungstensor transformierte Normalenvektor an die Fläche ist nach dem Cauchy’schen Fundamentaltheorem der auf der Fläche wirkende Spannungsvektor (ein Vektor mit der Dimension Kraft pro Fläche). Diese Gleichung ist im Fall ihres Verschwindens bereits die Impulsbilanz deformierbarer Körper im statischen Fall in Abwesenheit einer Volumenkraft.
Die Divergenz eines Vektorfeldes lautet in diesem Formalismus:
Ist speziell das Geschwindigkeitsfeld einer Bewegung (Bildraum) von Punkten aus einem zeitunabhängigen Volumen V (Urbildraum), siehe Bild, dann ist der Gradient des Vektorfeldes der Geschwindigkeitsgradientl
denn die Volumenform im Urbildraum ist nicht von der Zeit abhängig. Wenn die Divergenz verschwindet, dann ist die Bewegung lokal volumenerhaltend. Eine positive Divergenz bedeutet Expansion, was in der Realität mit einer Abnahme der Dichte einhergeht.
↑G. P. Galdi, An introduction to the mathematical theory of the Navier-Stokes equations. Vol. I, Springer Tracts in Natural Philosophy, vol. 38, Springer-Verlag, New York, 1994, ISBN 0-387-94172-X
↑Isaac Chavel: Eigenvalues in Riemannian Geometry, Academic Press, 1984, 2. Ausgabe ISBN 978-0-12-170640-1, Seite 3.
↑Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis III. 2. Auflage. Birkhäuser, Basel 2008, ISBN 978-3-7643-8883-6, S.438 (Kapitel XII).
↑M. E. Gurtin: The Linear Theory of Elasticity. In: S. Flügge (Hrsg.): Handbuch der Physik. Band VI2/a, Bandherausgeber C. Truesdell. Springer, 1972, ISBN 3-540-05535-5, S.11.
↑Altenbach (2012), S. 43,M. Bestehorn: Hydrodynamik und Strukturbildung. Springer, Berlin, Heidelberg u. a. 2006, ISBN 978-3-540-33796-6, S.377.