Überprüft

Thie

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Der Thie in Niedernjesa.
Thieplatz in Rittmarshausen
Am Thie in Eberholzen
Das Thiehaus in Göttingen-Weende
Tiestein zur Erinnerung an den in den 70er-Jahren weitgehend abgerissenen Tieplatz in Bielefeld-Jöllenbeck
Altes Amtshaus am noch bestehenden Tieplatz in Bielefeld-Heepen

Thie (in wissenschaftlicher Schreibung Tie) waren in Dörfern des Mittelalters (vielleicht auch schon in germanischer Zeit) mit Mauern eingefriedete und erhöhte grasbewachsene Plätze, auf denen ein steinerner Tisch unter Linden stand. Hier wurden Versammlungen der Bauern, Bekanntmachungen, Gerichtsverhandlungen der niederen Gerichtsbarkeit und in späterer Zeit Feste der Bauern abgehalten.[1] Viele Plätze im ostniederländischen und nordwestdeutschen Raum, etwa bis zur Elbe, tragen noch heute den Namen Thieplatz oder Thiestätte.[2] Der Thie (älter: das Thie) hatte lokalen Bezug und befand sich in der Regel innerhalb von Ortslagen kleiner Siedlungen, während eine Thingstätte eher regionale und überregionale Bedeutung hatte.

Systematische Untersuchungen von Karl Janssen mittels eines Fragebogens im Jahr 1937, in dem unter anderem nach der Bezeichnung für den Versammlungsplatz im Dorf gefragt wurde, ergaben, dass sich das Verbreitungsgebiet in einem Streifen von Deventer über Münster, Bielefeld und Hannover bis hin nach Magdeburg zieht. Das dichteste Auftreten lässt sich dabei im Raum zwischen Hannover und Kassel feststellen, wobei auffällig ist, dass es in Nordhessen und Nordthüringen abrupt aufhört, was auch weitere Überprüfungen dort ergaben. Zudem ist die Südgrenze fast auf der ganzen Länge identisch mit der ich/ik-Sprachgrenze. In Sachsen-Anhalt findet sich Tie nur im Norden sowie vereinzelt im Bereich zwischen Mansfeld und Unstrut, im Harz tritt es hingegen auf der Hochfläche gar nicht auf, sondern endet abrupt an den Rändern. In Brandenburg, Mecklenburg und Ostholstein ist der Name Tie nicht nachzuweisen, vereinzelte Ausreißer (München, Friedland) erklären sich aus der Verwendung des Begriffs in der Turnerbewegung nach Jahn, der das Wort Tie in seinen Anweisungen nutzte. Ein Beispiel für einen in früherer Größe erhaltenen Thie ist der Thieplatz von Räbke.

Nicht völlig geklärt ist das Verhältnis zum Brink und zum Anger, es gab aber Orte mit Brink und Tie, bei denen Brink den außerhalb gelegenen Platz bezeichnete, Tie den innerörtlichen. Später wird dieser Name in einigen Orten auf den Platz im Ort übertragen, was sich für Brink und Anger beobachten lässt.[3]

In vorchristlicher Zeit sollen Thieplätze auch kultischen Spielen gedient haben. Der Platz war mit Bäumen bestanden, bei denen es sich meistens um Linden handelte („Thielinde[4][5]). Auch markante Steine („Thiesteine“[6][7]) lassen sich an manchen dieser Plätze nachweisen. Oft tritt der Begriff Thie oder Tie auch im Zusammenhang mit Berg auf (Thieberg[8][9][10]).

Bisher nicht geklärt ist, ob alle Dörfer einen Tie besaßen. Es wurde aber wahrscheinlich gemacht, dass die Lücken in der Erfassung nicht nur auf fehlende Nachweise zurückzuführen sind. Insbesondere in den Randgebieten gibt es Untersuchungen, die sich mit den Flurnamen eines Teilgebietes (etwa des Kreises Wanzleben in der Magdeburger Börde oder des Kreises Verden) beschäftigten und dort nur für einen Viertel oder sogar noch weniger Orte Tie-Namen nachweisen konnten. Besonders wichtig ist aber die Feststellung Klöntrups, dass im Grenzbereich Osnabrück-Westfalen nicht jede Bauernschaft auch einen Bauernrichter hatte, woraus man wohl schlussfolgern darf, dass auch nicht jeder Ort einen separaten Tie besaß.[11]

Die Schreibweise von „Thie“ kann dabei sehr unterschiedlich sein. Es kommen unter anderem auch „Tie, Ti, Tig, ty, Thy“ und „Thee“ vor.[12] Auch Lautwandlungen von „T“ zu „D“ sind häufig festzustellen (Diestedde).

Grundsätzlich lässt sich sogar so gut wie jede Vokalkombination nachweisen. Karl Bischoff (1971) vermutet, es handele sich dabei teilweise um ost- und westfälische Laienschreibungen, darunter Tei, Toi, Teu, Tui, Töi, Tai oder Tee, welches aber auch in anderen Regionen (etwa Ostfriesland, wo es auch Te und Thee gibt) vorkommt. Noch vielfältiger werden die Formen durch die häufige Verwendung der Dativform auf dem Tie, in die sich j und g einschieben. So finden sich up'n Täje, Teije, Tyge. Diese lassen sich aber auch im Nominativ finden. So gibt es mehrfach Tiech oder Tieg, Taig oder Tyg, wobei es sich zum Teil um Zusammensetzungen wie Tyghus oder Taigstrate handelt. Allein für Geestendorf (Bremerhaven) lassen sich Te (1684), Thee (1739), Teyland (1845) und Theeland (1849) nachweisen.[13]

Der Begriff Thie ist vermutlich verwandt mit dem altenglischen Wort tig oder tih und dem altnordischen teigr, was beides einen Hof, Platz oder ein Stück Land bezeichnete. Mit dem Wort Thing für die Gerichtsversammlung hat er demnach nichts zu tun, auch wenn dies noch in heutigen heimatkundlichen und populärwissenschaftlichen Werken gelegentlich behauptet wird.[14] Aufgrund dieser im 19. Jahrhundert öfters vermuteten Verbindung wird jedoch heute manchmal der ursprüngliche Thieplatz auch als Thingplatz bezeichnet.

  • Bischoff, Karl, Der Tie (=Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz; 9/71), Wiesbaden 1971.
  • R. Schmidt-Wiegand: Tie. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Band V, Erich Schmidt Verlag, Berlin 1991, Sp. 228 f.
  • Jürgen Udolph: Namenkundliche Studien zum Germanenproblem. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Ergänzungsbände. Band 9. Walter de Gruyter, Berlin – New York 1994.
  • Rolf Wilhelm Brednich: Tie und Anger. Historische Dorfplätze in Niedersachsen, Thüringen, Hessen und Franken. Friedland 2009.
  • Christof Spannhoff: Tie gleich Thing? Zur Konstruktion eines Geschichtsbildes. In: Nordmünsterland. Forschungen und Funde. 1, 2014, S. 249–274.
  • Karl Frölich: Alte Dorfplätze und andere Stätten bäuerlicher Rechtspflege (Arbeiten zur rechtlichen Volkskunde). Tübingen 1938
Commons: Tie – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. R. Schmidt-Wiegand: Tie. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Berlin 1991, Sp. 228 f.; Rolf Wilhelm Brednich: Tie und Anger. Historische Dorfplätze in Niedersachsen, Thüringen, Hessen und Franken. Friedland 2009.
  2. Jürgen Udolph: Namenkundliche Studien zum Germanenproblem. Walter de Gruyter, Berlin u. a. 1994, ISBN 3-11-014138-8, S. 602.
  3. Vgl. hierfür Bischoff, S. 20–34 sowie seine Verbreitungskarten.
  4. Die Thie-Linde in Großgoltern Private Homepage altebaeume.de.
  5. Barskamper Chronik (Memento vom 4. Oktober 2009 im Internet Archive): Private Homepage über den Ortsteil Barskamp.
  6. Private (?) Homepage über Isernhagen (nicht mehr verfügbar): Hagenhufendorf, „... Die Gerichtsstätte, der Thingplatz, lag vor der Marienkirche. Die beiden Thiesteine (zwei glatte Feldsteine) weisen heute noch auf die Hägegerichte hin, die die Hagenmeister bis 1907 dort unter freiem Himmel abhielten. ...
  7. Homepage der Samtgemeinde Dransfeld (Memento vom 17. Oktober 2008 im Internet Archive) (Text nicht mehr verfügbar): Wappen von Barlissen, „... Die drei grünen Lindenblätter weisen auf Barlissens altfreien Besitz (Allodium) und auf seine alt ehrwürdige, frühere Volksversammlungs- und Gerichtsstätte, den Thie, hin. Unter den ursprünglich sieben gewaltigen Linden ist noch heute der mächtige monolitische Thiestein aus hartem Quarzit zu besichtigen. ...
  8. Historisches Bochumer Ehrenfeld - Straßennamen und Ihre Bedeutung/Herkunft: Private Homepage über den Stadtteil Bochum-Ehrenfeld. Dibergstraße
  9. Wikipedia-Artikel Hamburg-Niendorf Tibarg
  10. Wikipedia-Artikel Warringholz Wappen (Theeberg)
  11. Vgl. Bischoff, S. 21 bzw. S. 27/28.
  12. Homepage der Gemeinde Bad Laer (Memento des Originals vom 27. Mai 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bad-laer.de: Der Thieplatz in Bad Laer bei Osnabrück
  13. Vgl. Bischoff, S. 13–14.
  14. Jürgen Udolph: Namenkundliche Studien zum Germanenproblem. Walter de Gruyter, Berlin u. a. 1994, ISBN 3-11-014138-8, S. 602 f. - Artikel im Göttinger Tagblatt@1@2Vorlage:Toter Link/www.goettinger-tageblatt.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Mai 2019. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (Text nicht mehr verfügbar): Tie und Anger: Unser kulturelles Erbe (über einen Vortrag des Volkskundlers Brednich): „... Der Tie, ein niederdeutsches Wort, schreibt sich ohne „Th“ und ist vor allem nicht zu verwechseln mit Thing – wie Brednich in seiner wissenschaftlichen Einführung betont: Thing nämlich ist die Bezeichnung nicht des Ortes, sondern der Versammlung von Rechtsgenossen. Der Name Tie sei Jahrhunderte älter und völlig unabhängig davon. ...“