Tollwutimpfstoff

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Ein Tollwutimpfstoff (Syn. Tollwutvakzine) ist ein Impfstoff gegen das Tollwutvirus.

Tollwut-freie Länder und Inseln (grün) im Jahr 2012, Fledermäuse ausgenommen

Die ersten Impfversuche mit ungeschwächten Tollwutviren hatte ab 1881 der französische Veterinär Pierre Victor Galtier vorgenommen.[1] Louis Pasteur experimentierte ab 1884 an Hunden mit einem attenuierten Lebendimpfstoff,[2] ab dem folgenden Jahr wurde er nach einer publikumswirksamen Demonstration an einem deutschen Patienten[3] auch bei Menschen angewendet.[4] Dieser Impfstoff wurde aus dem Nervengewebe infizierter Versuchstiere gewonnen.[5] Ab 1907 wurden Tollwutviren für partiell Phenol-inaktivierte Tollwutimpfstoffe verwendet.[5] Ab 1913 wurden vollständig Phenol-inaktivierte Tollwutimpfstoffe verwendet.[5] Ab dem Jahr 1954 wurden die Tollwutimpfstoffe aus Gehirnen von infizierten Mäuseembryonen gewonnen.[5] Da diese aus Nervengewebe gewonnenen Impfstoffe jedoch gelegentliche Nebenwirkungen wie eine Demyelinisation von peripheren und zentralen Nerven und Todesfälle besaßen, wurde die Herstellung ab 1957 auf nicht-neuronale Zellkulturen umgestellt.[5] Ab 1965 wurden humane diploide Zelllinien zur Anzucht der Viren verwendet (englisch human diploid cell vaccine, HDCV).[5] Im Jahr 1986 kamen weitere Produktionsmethoden wie die Anzucht auf embryonalen Hühnerzellen (englisch purified chick embryo cell, PCEC) oder auf Vero-Zellen hinzu.[5] Seit der Jahrtausendwende wird auch an Impfstoffen auf mRNA-Basis geforscht, die bereits erste positive Ergebnisse liefern konnten.[6]

Die orale Impfung von Füchsen mit dem attenuierten Impfstoff hat zu einer Eradikation des Tollwutvirus in weiten Teilen Europas geführt, da mit der Impfung der Haupt-Reservoirwirte des Tollwutvirus die Infektkette unterbrochen wurde.[7]

Tollwutimpfstoffe für den Menschen

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Die heute verwendeten Tollwutimpfstoffe sind inaktivierte Totimpfstoffe. Beim Menschen werden sie meistens nach einer Exposition mit dem Tollwutvirus verabreicht (Postexpositionsprophylaxe).[8] Eine präventive Impfung mit Tollwutimpfstoffen ist weiterhin für Personen mit erhöhtem Risiko einer Exposition empfohlen, z. B. Tierärzte, Jäger, Forstpersonal u. a. Personen mit Umgang mit Tieren in Gebieten mit neu aufgetretener Wildtiertollwut, Personen mit beruflichem oder sonstigem engen Kontakt zu Fledermäusen, Laborpersonal mit Expositionsrisiko gegenüber Tollwutviren und Reisende in Regionen mit hoher Tollwutgefährdung.[9]

Tollwutimpfstoffe befinden sich auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation.[10]

Der Impfstoff wird im Zuge einer Postexpositionsprophylaxe meistens viermal innerhalb von vierzehn Tagen verabreicht.[11] Daneben wird meistens eine passive Immunisierung durch Infusion von Anti-Tollwutvirus-Antikörpern durchgeführt. Nach einer vierfachen Impfung entstehen neutralisierende Antikörper gegen das G-Protein des Tollwutvirus.[12] Ein Titer für neutralisierende Antikörper gegen das G-Protein von über 0,5 IU/ml vermittelt eine Immunität.[13] In Einzelfällen sind nach Jahren noch neutralisierende Antikörper über 0,5 IU/ml messbar.[9] Das Impfschema der WHO-Postexpositionsprophylaxe für die intramuskuläre Injektion sieht Impfungen an den Tagen 0, 3, 7, 14 und 30 vor.[14] Für die verkürzte intramuskuläre Impfung werden dagegen zwei Impfungen an unterschiedlichen Körperstellen an Tag 0 durchgeführt, gefolgt von je einer Dosis an den Tagen 7 und 21.[14] Die intradermale Injektion wird mit dem Impfschema 2-2-2-0-1-1 verabreicht, wobei 2 für zwei Dosen an unterschiedlichen Körperstellen kennzeichnet.[14]

Tollwutimpfstoffe für Tiere

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Tollwutimpfstoffe sind für nahezu alle Haussäugetiere verfügbar. Sie werden nur als Schutzimpfung eingesetzt und subkutan verabreicht. Die Anwendung zur Postexpositionsprophylaxe ist nicht zugelassen.

Die Verordnung (EU) Nr. 576/2013 erlaubt den Einsatz eines inaktivierten Impfstoffs mit einem Wirkungsgrad von mindestens einer Antigeneinheit je Dosis (WHO-Empfehlung) oder eines rekombinanten Impfstoffs, der das immunisierende Glykoprotein des Tollwutvirus in einem Lebendvirusvektor exprimiert.[15] Impfungen sind für Hunde, Katzen und Frettchen nach dieser Verordnung sowohl im grenzüberschreitenden Verkehr innerhalb der EU als auch außerhalb der EU gesetzlich vorgeschrieben und müssen im EU-Heimtierausweis dokumentiert sein. Bei Aufenthalt in Staaten oder Durchreise durch solche, die weder der EU noch den EU-Staaten gleichgesetzten sogenannten Drittstaaten angehören, ist zudem eine Antikörper-Bestimmung im Serum in einem zugelassenen Labor notwendig, wobei ein Titer von mindestens 0,5 IE/ml vorhanden sein muss.

Ausgelegter Köder mit Tollwutimpfstoff

Für die Impfung von Füchsen werden in Köder verpackte Impfstoffe verwendet. Es gibt drei attenuierte Virusstämme sowie einen rekombinanten Impfstoff (Vakzinia-Rabies-Glykoprotein).[16] Die attenuierten Lebendvakzinen leiten sich vom SAD-Virusstamm (Street Alabama Dufferin) ab, welcher 1935 aus einem an Tollwut erkrankten Hund in Alabama isoliert wurde. Der Impfstoff ist in einem Blister eingeschlossen, welcher in eine Ködermasse eingebettet ist. Durch Zerbeißen des Blisters tritt er mit den Gaumenmandeln in Kontakt, wodurch eine Immunreaktion ausgelöst wird. Unzerkaut geschluckte Köder sind unwirksam. Bis 1998 wurde den Ködern Tetracyclin beigesetzt, da sich dieses Antibiotikum einfach in Hartsubstanzen (Knochen, Zähne) nachweisen lässt.[17] Tollwutköder wurden in Deutschland ab 1983 ausgelegt. Die Anwendung dieser Impfstoffe bei Haustieren ist verboten, sie würde bei Hunden auch keinen ausreichenden Impfschutz erzeugen.[17]

Die Tollwutimpfstoffe für Füchse gelten als sehr sicher, aber nicht als vollständig ungefährlich (apathogen). Eine gewisse krankheitsauslösende Potenz ist bei Nagern vorhanden, obwohl bislang kein durch Köder infiziertes Nagetier aufgefunden wurde. Für den Menschen wird ein sehr geringes Restrisiko nicht ausgeschlossen, obwohl deren Anwendung bei Menschenaffen nie zu einer Tollwutinfektion führte. Wenn die Impfflüssigkeit mit Wunden oder Schleimhäuten in Kontakt kommt, wird daher eine Postexpositionsprophylaxe durchgeführt.[17]

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen bei Tollwutimpfstoffen umfassen Schmerzen, Rötung und Schwellung an der Einstichstelle, gelegentlich auch Fieber, Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen und allergische Reaktionen auf Bestandteile des Impfstoffs.

Humanmedizin

HDC, Imovax, Rabies vero, Rabipur, Rabivac, TRC Verorab, RabAvert, Abhayrab, Speeda und Verorab.

Tiermedizin

Enduracell T, Nobivac T, Purevax Rabies, Rabisin, Rhabdomun, Vanguard R, Virbagen Tollwutimpfstoff

Darüber hinaus gibt es für Hunde und Katzen zahlreiche Kombinationsimpfstoffe mit Komponenten gegen andere Infektionskrankheiten.
Impfstoffe für Füchse
  • Lebendvakzinen: Fuchsoral, Rabifox, Sanafox, SAG-2
  • rekombinantes Vakzinia-Rabies-Glykoprotein: Raboral V-RG
  • D. M. Knipe, Peter M. Howley, D. E. Griffin (Hrsg.): Fields Virology. 5. Auflage, Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia 2007, ISBN 978-0-7817-6060-7.
  • D. W. Dreesen: A global review of rabies vaccines for human use. In: Vaccine. Band 15 Suppl, 1997, S. S2–S6, PMID 9218283.
Commons: Tollwutimpfstoff – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. V. Galtier: Les injections de virus rabique dans le torrent circulatoire ne provoquent pas l’éclosion de la rage et semblent conférer l’immunité. La rage peut être transmise par l’ingestion de la matière rabique. In: Comptes rendus de l’Académie des sciences. Band 93, 1881, S. 284 f.
  2. Rapport présenté au ministre de l’instruction publique et de beaux-arts par la commission chargée de contrôler les expériences de M. Pasteur sur la prophylaxie de la rage. In: Pasteur Vallery-Radot (Hrsg.): Œuvres de Pasteur. Band 6: Maladies virulentes, virus-vaccins et prophylaxie de la rage. Masson, Paris 1933, S. 753–758. Ursprünglich veröffentlicht in Journal officiel de la République française. Nr. 216, 1884, S. 4228–4230.
  3. Gundolf Keil: Robert Koch (1843–1910). Ein Essai. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 36/37, 2017/2018 (2021), S. 73–109, hier: S. 75.
  4. Hervé Bazin: L’Histoire des vaccinations. John Libbey Eurotext, Paris 2008. ISBN 9782742007059. S. 264–266.
  5. a b c d e f g J. P. McGettigan: Experimental rabies vaccines for humans. In: Expert Rev Vaccines (2010), Band 9, Heft 10, S. 1177–1186. doi:10.1586/erv.10.105. PMID 20923268. PMC 3072237 (freier Volltext).
  6. Tollwut: Neuer RNA-Impfstoff besteht ersten klinischen Test. In: aerzteblatt.de. 27. Juli 2017, abgerufen am 18. Februar 2024.
  7. Robert Koch-Institut: Tollwut (Rabies, Lyssa), RKI-Ratgeber für Ärzte. Abgerufen am 6. Juni 2015.
  8. Centers for Disease Control and Prevention: Rabies Vaccination (Memento vom 2. Mai 2015 im Internet Archive). Abgerufen am 6. Juni 2015.
  9. a b Robert Koch-Institut: Schutzimpfung gegen Tollwut: Häufig gestellte Fragen und Antworten (Memento vom 10. Juni 2015 im Internet Archive). Abgerufen am 6. Juni 2015.
  10. WHO Model List of EssentialMedicines. In: World Health Organization. Oktober 2013, abgerufen am 22. April 2014.
  11. Centers for Disease Control and Prevention: Rabies - When should I seek medical attention?. Abgerufen am 6. Juni 2015.
  12. Weltgesundheitsorganisation: Weekly epidemiological record: Rabies Vaccines: WHO Position Paper (2010). Abgerufen am 6. Juni 2015.
  13. I. J. Amanna, M. K. Slifka: Contributions of humoral and cellular immunity to vaccine-induced protection in humans. In: Virology (2011), Band 411, Heft 2, S. 206–215. doi:10.1016/j.virol.2010.12.016. PMID 21216425. PMC 3238379 (freier Volltext).
  14. a b c Weltgesundheitsorganisation: Rabies – Guide for post-exposure prophylaxis. Abgerufen am 7. Juni 2015.
  15. Verordnung (EU) Nr. 576/2013 (PDF)
  16. Hartmut Krauss: Zoonosen: von Tier zu Mensch übertragbare Infektionskrankheiten. Deutscher Ärzteverlag, 2004, ISBN 978-3-7691-0406-6, S. 145.
  17. a b c Kontakte mit Tollwutimpfködern für Füchse: Risikobewertung und Behandlung