Kosmologie des Mittelalters

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Eine mystische Vision des Weltalls mit der Erde im Mittelpunkt. Hildegardis-Codex um 1165.

Die Kosmologie des Mittelalters ist ein Bild der Welt und ihres Aufbaus. Die Grundlagen waren aus der Antike, insbesondere den Werken von Platon, später auch Aristoteles und Ptolemäus übernommen und blieben bis zum Ende des Mittelalters im Wesentlichen unverändert. In dieser Kosmologie stand die Erdkugel (nicht etwa eine flache Erde) unbeweglich im Mittelpunkt des Kosmos. Um die Erde und die drei darauf folgenden sublunaren Sphären der Elemente waren die Himmelssphären angeordnet, die die Planeten trugen, bis hin zur äußersten, nicht mehr sichtbaren Sphäre, in der der Sitz Gottes angenommen wurde.

Der mittelalterliche Kosmos war prinzipiell geteilt zwischen der sublunaren Welt und den darüberliegenden Himmelssphären. Die Himmelssphären wurden bis auf ihre Bewegungen als vollkommen und unveränderlich verstanden. Wandel, Fehler, Imperfektion und Ähnliches waren dagegen auf die sublunare Welt beschränkt, die ihrerseits aus vier Elementsphären aufgebaut war. Die Erde selbst wurde nach dem Modell des Krates von Mallos in vier Bereiche aufgeteilt, wovon nur einer, die Ökumene, als besiedelt angenommen wurde. Europa, Afrika und Asien waren Teil des ökumenischen Großkontinents.

Die kratetische Geographie wurde ab dem 15. Jahrhundert durch die Erkenntnisse der portugiesischen Seefahrer, die Entdeckungen eines weiteren Kontinents durch Kolumbus und die Weltumsegelung durch Magellan zunehmend in Frage gestellt und schließlich endgültig umgestoßen. Der Erste, der Zweifel an der Begrenztheit der Himmelssphären öffentlich machte, war Giordano Bruno am Ende des 16. Jahrhunderts, der die Sonne als Stern unter vielen und die Fixsterne als Sonnen mit ihrerseits bewohnten Welten begriff, wohingegen beispielsweise sein Zeitgenosse Johannes Kepler noch von der prinzipiellen Richtigkeit des sphärischen Weltbildes überzeugt war. Das mittelalterliche Bild des Kosmos hat noch weit über seine Zeit hinaus gewirkt, etwa indem Astronomie noch bis ins späte 19. Jahrhundert wesentlich als Lehre von der Geometrie und Kinematik des Weltalls verstanden wurde. Dies drückt sich auch in der Benennung der sphärischen Astronomie aus. Die Beschäftigung mit der Physik der Himmelskörper wurde von konservativen Astronomen noch um 1900 als weit weniger wichtig erachtet.

Quellen des mittelalterlichen Weltbildes

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Die Grundlagen des ursprünglich aus den Schriften Platons hergeleiteten Weltbilds wurden über das gesamte Mittelalter – auch in der islamischen Welt – akzeptiert. Platons Werk war im frühen Mittelalter durch den Zwischenschritt der römischen Übersetzung bekannt. Für das Weltbild von besonderer Bedeutung war Calcidius’ spätantike Übersetzung von Platons Timaios. Daneben war bereits im Frühmittelalter das Werk des Macrobius bekannt, der Ciceros Somnium Scipionis, den Traum Scipios vom Aufbau des Kosmos, und die Erdbeschreibungen des stoischen Philosophen Krates von Mallos überlieferte und kommentierte. Seit der Spätantike wurde das Weltbild im Abendland darüber hinaus heilsgeschichtlich interpretiert und an den Aussagen der heiligen Schrift orientiert. Isidor von Sevilla fasste diese Quellen in seiner Enzyklopädie zusammen, die zu einem Standardwerk des Früh- und Hochmittelalters wurde.

Infolge einer großen Übersetzungsbewegung von byzantinischen und islamischen Handschriften im 12. und 13. Jahrhundert gelangten zusätzliche Werke, insbesondere des Aristoteles und Ptolemäus, in das Bewusstsein des lateinischen Westens. Da sich diese Werke in ihren Details gegenseitig widersprechen, folgte den Übersetzungen eine philosophisch-wissenschaftliche Diskussion, die aber die Grundlage des Weltbildes, den sphärischen Aufbau, unangetastet ließ. Wichtige Teilnehmer dieser Diskussion, die sowohl die himmlischen Sphären als auch die sublunare Welt umfasste, waren Johannes de Sacrobosco, Roger Bacon, Albertus Magnus, Thomas von Aquin und Robert Grosseteste. In dieser Diskussion wird die Kosmologie zunehmend aus naturphilosophischen Argumenten rational hergeleitet, also dass etwa die Abfolge der sublunaren Elementsphären aus der Natur der Elemente folge, von Gott also implizit, nicht explizit eingerichtet sei.

Aristoteles und Ptolemäus geben verschiedene Modelle der Planetenbewegung an. Da die Bewegung der Planeten am Himmel nicht gleichförmig ist, kann sie nicht durch eine einzige, sich unveränderlich bewegende Sphäre erklärt werden. Während Aristoteles zusätzlich bewegliche Untersphären der jeweiligen Planetensphäre annahm, ging Ptolemäus vom Epizykelmodell aus.

Die himmlischen Sphären

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Himmelssphären nach Sacrobosco, aus Peter Apian, Cosmographia, 1539

Die Details der Himmelsphären waren im Mittelalter Gegenstand der philosophischen Diskussion, daher kann kein über die Grundlagen[1] hinaus allgemein verbindliches Modell angegeben werden. Bereits Abfolge und besonders die Anzahl der Sphären waren strittig. Dies gilt erst recht nach dem 12. Jahrhundert, als weitere konkurrierende antike Modelle bekannt wurden.

Die Darstellung des frühmittelalterlichen Bildes der Planetensphären findet sich bereits bei Chalcidius in der Spätantike. Von der sublunaren Welt, d. h. der Erde aus gesehen folgte als erstes die Sphäre des Mondes und dann die der Sonne, die so genannten lichtgebenden Gestirne (translunare Welt). Darüber standen die unteren Planeten Venus und Merkur, und dann die oberen; also Mars, Jupiter und Saturn. Darauf folgte nach Platon nur noch die Fixsternsphäre, der Sitz der Sterne. Aus der Bibel folgerten die meisten Gelehrten die Existenz zweier weiterer Sphären außerhalb der Fixsternsphäre. Die Kristallsphäre wurde aus der Genesis hergeleitet, in der von „den Wassern über der Erde und den Wassern unter der Erde“ die Rede ist. Die Kristallsphäre wurde als die himmlischen Wasser gedeutet und galt als Ursprung aller Bewegung der darunterliegenden Sphären. Die Kristallsphäre galt oft als Sitz der Seligen und Heiligen. Die darauf folgende zehnte und äußerste Sphäre, das Empyreum, wurde als Sitz Gottes und der Engel verstanden.

Beda Venerabilis gibt dagegen eine deutlich andere Abfolge der „Himmel“ über der Erde an, die sich auch in ihrer Zahl, sieben, enger an biblische als an antike Vorlagen hielt. Zuerst kam Luft, dann der „Äther“. Darauf folgte ein Sphäre, die Beda Olymp nannte, und die alle Planeten enthielt. Darüber war der Raum des Feuers, das Firmament der Fixsterne, der Himmel der Engel und schließlich der Himmel der Dreifaltigkeit.

Johannes de Sacrobosco folgte dagegen der von Aristoteles favorisierten Abfolge der Sphären. In seinem um 1220 entstandenen Werk de sphaera, das zu einem Standardlehrbuch des Spätmittelalters bis ins 17. Jahrhundert wurde, nannte er zuerst den Mond, darauf Merkur, Venus und dann erst die Sonne und die oberen Planeten. Fast alle neuzeitlichen Darstellungen des sphärischen Weltbildes beruhen auf dieser Abfolge. Campanus von Novara gab, ebenfalls im 13. Jahrhundert, den Durchmesser der Saturnsphäre mit 117 Millionen Kilometern an. Dies erscheint angesichts der heutigen Zahlen für Abstände im Universum klein. Tatsächlich ist der Wert, damals wie heute, aber genauso wenig anschaulich vorstellbar oder gar erfassbar wie der Durchmesser der Milchstraße mit einigen zehntausend Lichtjahren.

Die Planetensphären stellte man sich als vollständig durchsichtige Schalen vor, die aus einem fünften Element, der Quintessenz bestanden, und an der der jeweilige Planet befestigt war. Die einzelnen Schalen bewegten sich gegeneinander ohne Reibung.

Die sublunaren Sphären

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Weltbild des Krates von Mallos

Unterhalb der Sphäre des Mondes waren nach dem antiken wie mittelalterlichen Weltbild vier weitere Sphären, die aus den vier Elementen bestanden. Diese sublunaren Elemente wurden bezeichnet als Luft, Feuer, Erde und Wasser. In einer verbreiteten Analogie wurde dieses Modell als „Weltei“ bezeichnet, das entsprechend aus Dotter, Eiweiß, Eihaut und Schale besteht. Die Elemente ordnen sich nach ihrem spezifischen Gewicht an, also zuunterst im Zentrum Erde, darüber Wasser, darüber Luft und bis zur Sphäre des Mondes das Feuer. Die Sphäre der Erde ist nicht mit dem Erdglobus nach heutigem Verständnis gleichzusetzen, es ist vielmehr eine mehr oder weniger regelmäßige Kugel, die nur aus dem Element „Erde“ besteht. Die antiken Philosophen blieben eine Erklärung schuldig, wie eine trockene Erdoberfläche auf der innersten der konzentrischen Sphären nach diesem Ablauf erklärt werden könne. Die Denker des Frühmittelalters sahen darin das Schöpfungswirken Gottes, der nach der Genesis, wie bereits weiter oben erwähnt, die Wasser teilte und die Erde dazwischensetzte. Der bekannte Bereich der Erde, die Kontinente Europa, Afrika und Asien wurden unter dem Begriff der Ökumene zusammengefasst. Oft, etwa bei Isidor von Sevilla, wurde die Ökumene als einziger Teil der Erde betrachtet, der aus den Wassern aufgetaucht war. Manche Autoren folgten daraus eine Exzentrizität der Erdsphäre gegen die Wassersphäre, während andere die Ökumene als Ausbuchtung, also eine Abweichung von der Kugelform, verstanden. Ins Zentrum der Ökumene wurde in jenen Karten, den mappa mundi, die die Ökumene insgesamt darstellten, nach christlichem Verständnis Jerusalem gesetzt, um das die Ökumene kreisförmig angeordnet war. Den Kartenzeichnern war die tatsächlich davon abweichende Gestalt der Ökumene durchaus bekannt, die eher eine mantelförmige Gestalt hat. Die Kreisform mit Jerusalem im Zentrum wurde aber aus heilsgeschichtlichen Gründen zum Standard.

Hereford-Karte der Ökumene, um 1300

Alternativ wurde auch Krates von Mallos’ Idee der Welt diskutiert, nach der man die Erdkugel als durch zwei Ozeane viergeteilt annahm. Diese Ozeane bilden zwei sich im rechten Winkel schneidende Gürtel um die Erde. Der Äquatorialozean galt wegen der dort herrschenden Hitze als unüberwindlich. Auch der Polarozean, der im Westen mit dem Atlantik, im Osten mit dem Pazifik identifiziert wurde, wurde vielfach als nicht überquerbar angesehen. Nach dieser Auffassung gab es durchaus auch andere bewohnbare Bereiche der Welt als die Ökumene. Insbesondere die Existenz der hypothetischen Antipoden wurde diskutiert. Augustinus etwa lehnte aus heilsgeschichtlichen Gründen ab, dass die anderen Großkontinente besiedelt sein könnten. Zum einen stammten alle Menschen von Adam ab, und da die Ozeane nicht passierbar seien, hätten die anderen Kontinente nicht besiedelt werden können. Zum anderen war Christus in der Ökumene erschienen, und die Bewohner anderer Kontinente würden, wiederum wegen der Unüberquerbarkeit der Ozeane, vom christlichen Heil ausgeschlossen bleiben, was nicht im Plan Gottes sein könne.

Auch im Bereich der sublunaren Sphären wurden die Lehrmeinungen durch die Wiederentdeckung antiker Schriften im 12. Jahrhundert einer wieder auflebenden Diskussion unterworfen. Roger Bacon diskutierte in seinem Opus maius die Fragen der Weltgestalt und der Bewohnbarkeit und kommt zu dem Schluss, dass, obwohl er anerkennt, dass es kein wirklich gesichertes Wissen darüber gebe, es zwar einen schmalen Polarozean gebe, dieser aber nicht prinzipiell unüberwindbar sei. Diese Thesen wurden, durch Pierre d’Ailly zusammengefasst, von Kolumbus zur Unterstützung seines Unternehmens vor der Kommission von Talavera benutzt. Diese Kommission hatte sich also nicht nur mit der Frage des Erdumfangs zu beschäftigen, sondern auch zu erörtern, ob Erd- und Wassersphäre nun exzentrisch seien oder nicht. Letzteres hätte Kolumbus’ Plan von vorneherein zum Scheitern verurteilt, da der Umfang der Wassersphäre dann bedeutend größer als der Umfang der Erdsphäre gewesen wäre.

Sphärische Erde (Hildegard von Bingen: 'Werk Gottes', Codex Latinus 1942, 12. Jahrhundert)

Neben der geographischen Einteilung durch die Weltozeane wurde die Erde in Klimazonen aufgeteilt, worin man zwei Modellen folgte. Das erste bestand aus fünf Klimazonen vom Nord- bis zum Südpol: der unbewohnbaren Nordpolarzone, der gemäßigten Zone, der wieder unbewohnbaren Äquatorzone, erneut einer gemäßigten Zone und der Südpolarzone. Andererseits wurde oft auch nur die Ökumene in sieben oder mehr Klimazonen aufgeteilt, die in geographischer Breite gleichen Abstand hatten oder mit Hilfe astronomischer Gegebenheiten, etwa des längsten Tages des Jahres, hergeleitet wurden. Beide Modelle waren aus der Antike übernommen, wobei das geometrisch-astronomische Klimazonenmodell in der islamischen Welt üblicher war, das kratetische Fünfzonenmodell im Westen.

  • Evelyn Edson, Emilie Savage-Smith, Anna-Dorothee von den Brincken: Der mittelalterliche Kosmos. Primus, Darmstadt, ISBN 3-89678-271-1
  • Klaus Anselm Vogel: Sphaera terrae: Das mittelalterliche Bild der Erde und die kosmographische Revolution, 1995. Dissertation, Göttingen. online
  1. Vgl. B. S. Eastwood: Ordering the Heavens. Roman Astronomy and Cosmology in the Carolingian Renaissance. Leiden 2007.