Visio Tnugdali

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Tundalus und der Engel vor dem Rachen eines Höllenmonsters (Illustration von Simon Marmion)

Die Visio Tnugdali (lateinisch für Vision des Tnugdalus) ist ein religiöser Text aus dem 12. Jahrhundert, der von der Jenseitsvision des irischen Ritters Tnugdalus (später vereinfacht „Tundalus“ oder „Tondolus“) berichtet.

Kurz nach 1149 schrieb der irische Wandermönch Bruder Marcus im Schottenkloster zu Regensburg in lateinischer Prosa den Visionsbericht nieder. Die Jahresangabe nennt er selbst als den Zeitpunkt der Entrückung des Tundalus. Marcus gibt an, auf Bitten einer Regensburger Äbtissin die Erlebnisse des Tundalus, die er von ihm selbst gehört haben will, aus dem Irischen übersetzt und aufgeschrieben zu haben.

Die Legendenerzählung berichtet, wie der stolze und leichtlebige Ritter plötzlich in Katalepsie fällt und drei Tage lang wie tot da liegt. In dieser Zeit wird seine Seele von einem Engel durch die Hölle und den Himmel geführt und muss einige Höllenstrafen selbst erleiden. Schließlich erteilt ihm der Engel den Auftrag, sich das Gesehene gut zu merken und seinen Mitmenschen zu verkünden. Daraufhin wird die Seele wieder in ihren Körper zurückgeschickt. Durch das Erlebnis dieser Jenseitswanderung ist Tundalus bekehrt und wendet sich von seinem unchristlichen Verhalten ab, um ein frommes Leben zu führen.

Die Visio zeigt dabei auch eine bemerkenswerte Einschätzung der Mythen Irlands: Die beiden Sagenhelden Conall Cernach und Fergus mac Róich müssen hier in der „Hölle der Gierigen“ dem seelenfressenden Ungeheuer Acharon für alle Ewigkeiten als Kiefersperren in seinem riesigen Maul dienen.[1]

Die Visio Tnugdali mit ihrem Interesse an der Topographie des Jenseits steht in einer breiten Tradition phantastischer irischer Jenseitsreise-Erzählungen (Imrama) auf der einen Seite; die bekannteste dürfte die Navigatio Sancti Brendani des heiligen Brandan sein, eine bereits christianisierte Ausprägung des Imrama-Erzähltyps (Reise in die Anderswelt). Auf der anderen Seite findet sich die Tradition christlicher Jenseitsvisionen, die wiederum von vorchristlichen Jenseitsvorstellungen beeinflusst ist. Bedeutende Texte aus dieser Tradition sind neben der Visio Tnugdali etwa die Visio Thurkilli, die Visio Godeschalci oder der Tractatus de Purgatorio Sancti Patricii.

Rezeptionsgeschichte

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Frühdruck von Johann und Konrad Hist in Speyer (1483): Tundalus und sein Schutzengel schauen über eine der Mauern, die die Himmelsregionen gliedern

Der lateinische Tundalus fand schnell weite handschriftliche Verbreitung; bislang sind 172 Manuskripte entdeckt worden. Der Text war auch Vorlage für mittelnieder- und mittelhochdeutsche Bearbeitungen; noch aus dem 12. Jahrhundert stammen die gereimte Fassung des Tundalus von Alber vom Kloster Windberg (um 1190)[2] oder die Niederrheinischen Tundalus-Bruchstücke (um 1180/90). Beide mittelhochdeutsche Übertragungen scheinen aber keine große Resonanz gefunden zu haben; sie sind jeweils nur in einer einzigen Handschrift (bzw. in Fragmenten einer Handschrift) überliefert.

In der frühen Neuzeit wurde die Vorlage von Marcus mehrfach ins Deutsche übersetzt und gedruckt. Die 40 erhaltenen Handschriften und 27 Frühdrucke zeigen, dass die Visio Tnugdali mindestens zwölfmal ins Deutsche bzw. Niederländische übersetzt wurde.[3]

Illustriert wurde die Vision eher selten. Von den Handschriften enthält nur eine Illustrationen (Simon Marmion, 1474), in den Frühdrucken finden sich aber einige Holzschnitte.

Ausgaben und Übersetzungen

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  • Nigel F. Palmer: Visio Tnugdali. The German and Dutch translations and their circulation in the later Middle Ages (= Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters. Band 76). Artemis, München/Zürich 1982, ISBN 3-7608-3376-4 (zugleich: Oxford, Univ., Dissertation, 1975).
  • Brigitte Pfeil: Die ‚Vision des Tnugdalus‘ Albers von Windberg. Literatur- und Frömmigkeitsgeschichte im ausgehenden 12. Jahrhundert. Mit einer Edition der lateinischen ‚Visio Tnugdali‘ aus Clm 22254 (= Mikrokosmos. Band 54). Peter Lang, Frankfurt a. M./Berlin u. a. 1999, ISBN 3-631-33817-1 (zugleich: Mainz, Univ., Dissertation, 1997).
  • Herrad Spilling: Die Visio Tnugdali. Eigenart und Stellung in der mittelalterlichen Visionsliteratur bis zum Ende des 12. Jahrhunderts (= Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung. Band 21). Arbeo-Gesellschaft, München 1975, ISBN 3-920128-22-1 (zugleich: Freiburg i. Br., Univ., Dissertation).
Commons: Visio Tnugdali – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Onlineausgaben:

Einzelnachweise

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  1. Helmut Birkhan: Nachantike Keltenrezeption. Projektionen keltischer Kultur. Praesens Verlag, Wien 2009, ISBN 978-3-7069-0541-1, S. 71 f.
  2. Um 1300 im Codex Vindobonensis 2696 aufgezeichnet.
  3. Peter Dinzelbacher: Visio Tnugdali. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA). Band 8. LexMA-Verlag, München 1997, ISBN 3-89659-908-9, Sp. 1734 (Zusammenfassung der Ergebnisse Nigel F. Palmers).