Freiraum (Landschaftsplanung)
Freiraum ist ein in den Gebiets- und Bauplanungen (Landschaftsplanung, Landschaftsarchitektur, Städtebau, Stadtplanung, Architektur) verwendeter Begriff. Er beschreibt alle nicht durch Gebäude bebauten Flächen und umfasst sowohl Gärten, Straßen, Plätze, Parkanlagen und Friedhöfe als auch Gewässer, Wälder und Felder. In diesem allgemeinen Sinn wird der Begriff vielfach noch in der Landespflege und im Naturschutz gebraucht.
Entwicklung, Definition und Rolle
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In den 1970er Jahren wurde mit der professionellen Neuorientierung der Landespflege bzw. Landschaftsplanung, die vor allem an den entsprechenden Fachbereichen der Universitäten in Hannover (sozialwissenschaftliche Freiraumplanung[1]) und Kassel (gebrauchsorientierte Freiraumplanung) vorangetrieben wurde, die Grünplanung in Freiraumplanung umbenannt.[2] Damit erlangte der Begriff „Freiraum“ eine zentrale Bedeutung im Selbstverständnis der Landschaftsplanung. Freiraum gilt seither als nutzbarer Ort, der von Menschen selbstbestimmt angeeignet werden kann. Ein Freiraum ist ein Ort, der für vielfältige Handlungen offensteht und für andere Handlungsoptionen als die aktuell praktizierten generell Platz lässt. Als Gegenbegriff zum Freiraum gilt die Abstandsfläche (Grünfläche), die in unterschiedlichen Varianten auftritt (zum Beispiel Abstandsgrün) und auf der Nutzungen ausgegrenzt oder stark reglementiert werden.[3]
Gewöhnlich wird zwischen öffentlichen und privaten Freiräumen unterschieden, eine Unterteilung, die um die Kategorie der kommunen[5] Freiräume ergänzt wird (vgl. Allmende, Genossenschaft, Kommune (Mittelalter)). Der öffentliche Freiraum ist für jedermann uneingeschränkt zugänglich und umfasst in der Regel Straßen, Plätze, Parkanlagen, Friedhöfe, und Wälder. Diese Freiräume stehen zumeist unter öffentlicher Verwaltung. Der kommune Freiraum ist ebenfalls für jedermann zugänglich, insofern also auch öffentlich, wird aber durch konkrete Nutzergruppen und Anlieger geprägt und beaufsichtigt. Er fällt also nicht allein oder primär in die administrative Zuständigkeit. Ein typisches Beispiel ist die Dorf- oder städtische Straße als Freiraum, die grundsätzlich für alle nutzbar ist, deren Nutzbarkeit aber von den Anwohnern und den Menschen, die dort gewöhnlich unterwegs sind mitbestimmt wird. Wesentliches Element des kommunen Freiraumes ist die soziale Kontrolle.[6] Der private Freiraum fällt in den Besitz von bestimmten Gruppen (zum Beispiel Familien, Haus- und Grundstücksbesitzern), die ihn nutzen und über ihn bestimmen können. Private Freiräume wie Gärten oder Höfe sind grundsätzlich parzelliert und gewöhnlich umfriedet.
Freiräume stehen häufig in einem funktionalen Bezug zu Gebäuden und umfassen deren Zugänge, Höfe, Gärten und Stellplätze.[8] Diese Zuordnungen und funktionalen Bezüge werden in Freiraumtypologien dargestellt zum Beispiel Formen von Haus und Hof; Zuordnungen von Haus, Vorgarten und Straße; Zonierungen von Gehweg, Bordstein, Parkstreifen und Fahrweg.[9] Die Freiraumfunktionen weisen eine bauliche und eine soziale Seite auf. Beispielsweise legt sich über das Material, aus dem eine Straße gebaut wird, und ihre Zonierung ein Geflecht sozialer Beziehungen, das die Nutzer in Gesprächen und Handlungen herstellen.[10] Insofern sind Freiräume von der Verfügbarkeit, Nutzbarkeit und Interpretierbarkeit abhängig.[11] Entsprechend ihrer Funktionsbindung werden dysfunktionale Freiräume von funktionalen Freiräumen unterschieden, wobei die Funktionsbindung von vielfältig nutzbaren bis zu funktional festgeschriebenen Einrichtungen (Funktionalisierung) reicht.[12] Stark funktionalisierte Einrichtungen werden nicht mehr als Freiraum bezeichnet, weil sie nicht frei nutzbar bzw. interpretierbar sind.
Der jeweilige Gebrauch, der von Freiräumen gemacht wird, ist – neben der baulichen Organisation und Benachbarung des Freiraumes – davon abhängig, was sich die Nutzer vorstellen können, an einem Ort zu machen. Er erscheint ihnen dann nutzbar. Diese Nutzbarkeit eines Freiraums unterliegt der Interpretation der Nutzer, die ihn im Gebrauch verändern und prägen. Dabei erhält der Freiraum eine Patina des Gebrauchs, die sichtbar ist und als Nutzungsspur (Indiz) einen Teil der (aktuell und historisch) realisierten und sozial akzeptierten Handlungen an einem Ort wiedergibt.[13] Freiräume werden von den Nutzern alltagsweltlich interpretiert. Dabei ist ein Freiraum grundsätzlich lesbar, ohne die Lesart vorzuschreiben. Diese Bedeutung von Freiräumen berührt sich mit der metaphorischen Bedeutung des Freiraumbegriffs. Im übertragenen Sinne wird von „Freiräumen des Handelns und Denkens“ gesprochen, Freiraum bedeutet hier die Möglichkeit, etwas zu können und zu dürfen.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Helmut Böse: Die Aneignung städtischer Freiräume. Arbeitsberichte des Fachbereichs Stadt- und Landschaftsplanung an der Gesamthochschule Kassel, Heft 22, Kassel 1981.
- Helmut Böse, Bernd Schürmeyer 19(84)89: Die Freiräume der Straße oder die Straße als Landschaft? Anmerkungen zur Verkehrsberuhigung. (Das Gartenamt 1984). Notizbuch der Kasseler Schule 10, S. 136–161. Kassel.
- Gerhard Hard: Spuren und Spurenleser. Osnabrück 1995.
- Harald Heinz: Entwerfen im Städtebau. Bauverlag, Wiesbaden und Berlin 1983, ISBN 3-7625-2090-9.
- Georg Heinemann, Karla Pommerening: Struktur und Nutzung dysfunktionaler Freiräume. Notizbuch der Kasseler Schule 12, Kassel 1989.
- Inge Meta Hülbusch: Innenhaus und Außenhaus – Umbauter und sozialer Raum. Schriftenreihe der OE ASL Gesamthochschule Kassel 01 003; Kassel 1978.
- Karl-Heinrich Hülbusch: Grünplanung ist keine Freiraumplanung. Der große Unterschied. In: Von Gemeinen Hufen. (Siedlungs-, Haus-, Freiraumplanung), Notizbuch der Kasseler Schule 64, S. 163–194, Kassel 2003.
- Roswitha Kirsch-Stracke: Dörfliche Freiraumkultur im 19. und frühen 20. Jahrhundert, dargestellt am südlichen Sauerland. Dissertation, KOBRA Kassel 2016 (online).
- Stefan Körner: Theorie und Methodologie der Landschaftsplanung. Berlin 2001.
- Werner Nohl: Freiraumarchitektur und Emanzipation. Theoretische Überlegungen und empirische Studien zur Bedürftigkeit der Freiraumbenutzer als Grundlage einer emanzipatorisch orientierten Freiraumkultur. Peter D. Lang, Frankfurt/Main, Bern, Cirencester 1980.
- Werner Nohl: Städtischer Freiraum und Reproduktion der Arbeitskraft: Einführung in eine arbeitnehmerorientierte Freiraumplanung. München 1984.
- Jane Jacobs 1963: Tod und Elend großer amerikanischer Städte. Braunschweig 1976, ISBN 3764363568.
- Karsten Runge: Entwicklung der Landschaftsplanung in ihrer Konstitutionsphase 1935-1973. Berlin 1990.
- Klaus Selle (Hrsg.): Freiräume für Gemeinschaften in der Stadt. Dortmunder Vertrieb für Bau- und Planungsliteratur, Hannover 1993.
- Maria Spitthöver: Freiraumqualität statt Abstandsgrün. Band 1: Geschichte der Freiräume im Mietgeschosswohnungsbau. Schriftenreihe des Fachbereichs Stadtplanung, Landschaftsplanung der Universität-Gesamthochschule Kassel, Band 25, Kassel 2002.
- Christoph Theiling: Bremer Reihen. Notizbuch der Kassler Schule 44, Kassel 1997.
- Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.): Freiraum-Fibel. Wissenswertes über die selbstgemachte Stadt. Bonn 2016, ISBN 978-3-87994-177-3 (Online).
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ zum Beispiel Gerd Gröning, Werner Nohl, Maria Spitthöver.
- ↑ Siehe: Karsten Runge (1990) und Stefan Körner (2001).
- ↑ Siehe: Karl-Heinrich Hülbusch (2003).
- ↑ Böse&Schürmeyer (1989).
- ↑ lat. 'commun'; im Sinne von 'gemein', 'geteilt', allen oder vielen zugänglich; nicht 'kommunal' im Sinne der Administration.
- ↑ Jacobs 1963
- ↑ Böse&Schürmeyer (1989).
- ↑ Siehe: Inge Meta Hülbusch (1978).
- ↑ Siehe: Christoph Theiling (1997).
- ↑ Siehe: Jane Jacobs (1963).
- ↑ Siehe: Helmut Böse (1981).
- ↑ Siehe: Heinemann&Pommerening (1989).
- ↑ Siehe: Gerhard Hard (1995).