Demagogie

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Volksverführer)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Demagogie (altgriechisch δῆμος dēmosVolk“ und ἄγειν agein „führen“; ursprünglich „Volksführung“, dysphemistisch: „Volksverführung“) bezeichnet im abwertenden Sinn ideologische Hetze, besonders im politischen Bereich.

Ursprünglich war der Begriff in der Regel positiv konnotiert. Der antike Demagoge war ein angesehener Redner und Führer des Volkes bei politischen Entscheidungen. Für Perikles war es ein Ehrentitel, auf Kleon wurde der Begriff von Thukydides jedoch abwertend angewandt.[1]

Im Zeitalter des Absolutismus galt Demagogie im Sinne von Aufhetzung des Volkes als Gefahr für die Stabilität der Staatsform: Ein Verbot der positiven Berichterstattung über die Englische Revolution und Oliver Cromwell, das die deutschen Fürsten 1653/54 beschlossen, wurde damit begründet, dass sie „sich zu demagogis gebrauchen lassen“ und „auf eine vitiosam Democratiam oder gar Anarchiam hinaußlaufe“.[2]

Noch Anfang des 19. Jahrhunderts erfuhren begabte Redner Wertschätzung als „Demagogen“. Die Karlsbader Beschlüsse 1819 brachten aber die Durchsetzung eines Demagogiebegriffs mit deutlich negativer Nebenbedeutung. Die politische Reaktion brandmarkte ihre Gegner als Demagogen und leitete zahlreiche Zwangsmaßnahmen (Zensur, Lehrverbote etc.) gegen sie ein. Unter dem Namen Demagogenverfolgung gingen Vertreter des Deutschen Bundes gegen deutsch-nationale und liberale Gruppen und Einzelpersonen vor, die man der Subversion und des Aufruhrs beschuldigte. Nach der Julirevolution 1830 wurden die Maßnahmen gegen die „demagogischen Umtriebe“ erneuert und trafen besonders die Burschenschafter, zum Beispiel Fritz Reuter oder Friedrich Ludwig Jahn.

Im 20. Jahrhundert erfuhr die Demagogie als Mittel der Ideologisierung der Massen die weiteste Verbreitung, wobei der Fortschritt im Medienbereich eine wesentliche Rolle spielte. Zugleich wurde der Begriff der Demagogie vollständig negativiert. Das Eigenschaftswort demagogisch gehörte nunmehr zu den abwertenden Vokabeln. Heute beschreibt der Ausdruck demagogisch eine Methode, durch Schüren verbreiteter Emotionen und Vorurteile schließlich selbst Macht zu gewinnen.

Ideologen des Faschismus und Nationalsozialismus nannten ihre Methode politische Propaganda, die Vertreter sozialistischer beziehungsweise kommunistischer Ideologien nannten sie hauptsächlich Agitation.

Heutige Definition

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Demagogie wird heute unter anderem so definiert:

„Demagogie betreibt, wer bei günstiger Gelegenheit öffentlich für ein politisches Ziel wirbt, indem er der Masse schmeichelt, an ihre Gefühle, Instinkte und Vorurteile appelliert, ferner sich der Hetze und Lüge schuldig macht, Wahres übertrieben oder grob vereinfacht darstellt, die Sache, die er durchsetzen will, für die Sache aller Gutgesinnten ausgibt, und die Art und Weise, wie er sie durchsetzt oder durchzusetzen vorschlägt, als die einzig mögliche hinstellt.“

Martin Morlock 1977[3]

Der Sprachphilosoph und Politikwissenschaftler Paul Sailer-Wlasits forscht zu aktuellen sprachphilosophischen Phänomenen im Kontext von Sprache und Gewalt, Hassrede und Demagogie. In seinen Publikationen unterscheidet er Populismus von Demagogie: „Ein zentraler Aspekt, durch den sich Populismus und Demagogie unterscheiden, ist, dass Demagogen in der Politik über hohe systemische und damit demokratiegefährdende Mobilisierungsmacht verfügen.“ Ein untrügliches Zeichen für Demagogie sei in der politischen Praxis auch, wenn „[…] Person, Partei und politisches Programm miteinander verschmelzen, um sich als Überidentifikation und Überpersonalisierung in einer Leitfigur zu materialisieren.[4]

Strafrechtlich kann durch Demagogie im Sinne einer verwerflichen Aufwiegelung oder Volksverführung der Straftatbestand der Volksverhetzung verwirklicht sein.

  • Paul Sailer-Wlasits: Demagogie. Sozialphilosophie des sprachlich Radikalbösen. Ein Brevier. Königshausen & Neumann, Würzburg 2024, ISBN 978-3-8260-8777-6.
  • Christian Mann: Die Demagogen und das Volk. Zur politischen Kommunikation im Athen des 5. Jahrhunderts v. Chr. (= Klio. Beiträge zur Alten Geschichte. Beihefte Neue Folge Band 13). Akademie Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-05-004351-7.
  • Paul Sailer-Wlasits: Populismus: Zwischen Sprachmissbrauch, Hybridität und Demagogie. In: Ders.: Minimale Moral: Streitschrift zu Politik, Gesellschaft und Sprache. 2. Aufl., Königshausen & Neumann, Würzburg 2023, ISBN 978-3-8260-7908-5, S. 43–55.
  • Paul Sailer-Wlasits: Die Sprachkatastrophe des Nationalsozialismus und ihre Folgen. In: Ders.: Verbalradikalismus: Kritische Geistesgeschichte eines soziopolitisch-sprachphilosophischen Phänomens. 1. Aufl. Wien 2012; 2. Aufl. Königshausen & Neumann, Würzburg 2021, ISBN 978-3-8260-7436-3, S. 209–240.
Wiktionary: Demagogie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. „Der ‚Demagoge‘ ist seit dem Verfassungsstaat und vollends seit der Demokratie der Typus des führenden Politikers im Okzident. Der unangenehme Beigeschmack des Wortes darf nicht vergessen lassen, daß nicht Kleon, sondern Perikles der erste war, der diesen Namen trug.“ (Max Weber: Politik als Beruf. München/Leipzig 1919, S. 25–26. Max-Weber-Gesamtausgabe. Band I/17. Herausgegeben von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schluchter, Tübingen 1992, S. 191.)
  2. Zitiert nach Holger Böning: Zeitung und Aufklärung. In: Martin Welke, Jürgen Wilke (Hrsg.): 400 Jahre Zeitung. Die Entwicklung der Tagespresse im internationalen Kontext. Bremen 2008, ISBN 978-3-934686-37-3, S. 287–310, hier S. 297.
  3. Martin Morlock: Hohe Schule der Verführung. Ein Handbuch der Demagogie. Econ Verlag, Wien/Düsseldorf 1977, ISBN 3-430-16823-6, S. 24.
  4. Paul Sailer-Wlasits: Von Wählern und Verantwortung: Wie Populismus und Demagogie die Demokratie untergraben. In: Telepolis. 14. Januar 2024, abgerufen am 3. Februar 2024.