Wikipedia:WikiProjekt Psychologie/Artikelwerkstatt:Abschnitt Bindungstheorie und Psychopathologie

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Bindungstheorie, Psychopathologie und Interaktionsverhalten

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Bowlby ging schon früh davon aus, dass längerdauernde Trennungen von einer Bindungsperson einen Trauerprozess auslösen, im Zuge dessen die Trennung mehr oder weniger gut verwunden wird und der in mehreren Phasen verläuft. Ziel des Trauerprozesses ist es, die Abwesenheit der Bindungsperson zu akzeptieren. So erklärte er sich, dass beispielsweise Kinder, die längere Zeit von der Bezugsperson getrennt waren, keinen Ausdruck der Freude beim Wiedersehen zeigten.

Einer oder mehrere Beziehungsabbrüche können bei Kindern dazu führen, generell keine engere Beziehung mehr aufzunehmen. Bowlbys therapeutischer Ansatz für Erwachsene, den er deutlich von der klassischen Psychoanalyse abhob, bestand darin, diesen Trauerprozess mit den auftauchenden ambivalenten Gefühlen im Beisein eines verständnisvollen Psychotherapeuten erneut zu durchleben. Bowlby sah auch den Therapeuten dabei als Bindungsperson. Bei Kindern sah er es als bedeutende präventive Maßnahme an, sie in der frühen bis mittleren Kindheit möglichst nicht lange von den Eltern zu trennen. Sollte eine solche Trennung unvermeidlich sein, solle den Kindern ein möglichst stabiles Umfeld geboten werden.

Auf Bowlbys Bindungstheorie geht u. a. auch das heute in westlich orientierten Ländern zum Standard der Kindermedizin gehörende Rooming-in zurück.

Nachdem Bowlby und Ainsworth zunächst nur das Bindungsverhalten von "normalen" Kindern untersuchten, konzentrierte sich die Forschung seit Mitte der 1980er Jahre auch auf die Untersuchung von Risikogruppen. Dazu gehörten z.B. die Kinder von schizophrenen oder depressiven Müttern. Auch wurden Eltern-Kind-Paare untersucht, in denen es nachweislich zu Misshandlungen oder Vernachlässigungen gekommen war [1].

Sämtliche Arbeiten stimmen dahingehend überein, dass misshandelte Kinder wesentlich häufiger unsicher gebunden sind als Kinder einer vergleichbaren Kontrollgruppe [2]<.

Nachdem die desorganisierte "D"- (nach Main) oder ambivalent-vermeidende "A/C"-Bindung (nach Ainsworth) als Klassifizierung eingeführt wurde, konnten noch deutlichere und genauere Vorhersagen über das Bindungsverhalten gemacht werden. Vor der Einführung des neuen Bindungsstils waren viel mehr Kinder, die merkwürdige Bindungsreaktionen zeigten als sicher gebunden Klassifiziert worden.

Daraufhin konnte beispielsweise festgestellt stellten fest, dass Jungen bei gleich schwerer Misshandlung häufiger in die stärker gestörte ambivalent-vermeidende (A/C)-Gruppe klassifiziert werden mussten als Mädchen.

Bindungsforscher fand außerhalb der Fremde-Situation in der Beobachtung normaler Pflege- und Spielinteraktionen heraus, dass vernachlässigende Mütter ihre Kinder wenig stimulierten und wenig auf ihre Signale reagierten, d. h. sie traten nicht in eine normale Beziehungsinteraktion mit ihnen. Misshandelnde Mütter hingegen gaben sich meist große Mühe, während sie zugleich die frustriertesten Kinder hatten. Das Interaktionsverhalten wirkte kontrollierend und gelegentlich irritierend auf die Kinder. Mütter die ihre Kinder adäquat versorgten und auch nicht wegen Vernachlässigung oder Misshandlung aufgefallen waren, wurden als überwiegend sensitiv und flexibel eingeschätzt.

Eine Forschungsgruppe fand heraus, dass als vernachlässigend eingeschätzte Mütter weniger variabel und weniger "echt" interagierten als normale. Auch sprachen sie weniger im Baby-talk. Mütter die als ablehnend eingeschätzt wurden, interagierten restriktiver und weniger zärtlich.

Dass die Säuglinge in den ersten drei Monaten noch als normal in ihrer Interaktion eingeschätzt wurden, widerspricht der Ansicht, dass insbesondere schwierige Säuglinge Opfer von Misshandlungen würden. Spätere Verhaltensauffälligkeiten müssten so als Folge und nicht als Ursache der Misshandlung betrachtet werden. Misshandelte Kinder werden so überwiegend zu schwierigen, vernachlässigte Kinder werden überwiegend zu schwierigen oder passiven Interaktionspartnern.

Diese nachträglich geschaffene, besondere Klassifizierung von "D"- bzw. "A/C"-Bindung bildet also häufig traumatisierende und/oder hochgradig inkonsistente Beziehungserfahrungen ab. In Normalpopulationen sind etwa 15% desorganisiert gebunden, in misshandelten etwa 82% oder mehr. Aber auch Kinder aus Multi-Problem-Familien oder von depressiven Müttern können einen dieser Bindungsstile entwickeln. Deshalb kann nicht automatisch von einer desorganisierten "D"-Bindung auf das Vorkommen von Misshandlungen geschlossen werden.

Das Entwickeln einer nicht sichere Bindung ist an sich allerdings noch keine Psychopathologie. Auch die vorhersehbaren Folgen einer unsicheren Bindung, wie weniger Phantasie im Spiel oder eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne gelten natürlich nicht als Psychopathologie. Allerdings gilt die unsichere Bindung als disponierender Faktor. Stammen unsicher gebundene Kinder aus Hoch-Risiko-Gruppen, zeigen sie sehr häufig große Schwierigkeiten in Sozialverhalten und Impulskontrolle.

Eine Ausnahme bildet hierbei die Gruppe der desorganisiert gebundenen Kinder (D). Die ICD-10 und der DSM-IV Diagnosen: Bindungsstörung, beschreibt genau diese Bindung von Kindern als pathologisch. Auch andere Diagnosen beziehen sich auf die Bindungtheorie:

Die Bindungsforschung hat sich auch mit der Gruppe misshandelter und vernachlässigter Kinder genau auseinandergesetzt. Hieraus resultierte, dass es mittlerweile als einer der empirische am besten gesicherten Befunde der Entwicklungspsychologie gelten [kann], dass misshandelte Kinder ein gestörteres, insbesondere aggressiveres Verhalten im Umgang mit Gleichaltrigen zeigen als nicht misshandelte[4]. Diese Befunde sind für die gesamte Kindheit gesichert. Vernachlässigte Kinder sind hingegen weniger aggressiv. Sie sind vielmehr passiv und zurückgezogen. Auch kann gesagt werden, dass die Folgen schlimmer sind, früher die Misshandlung beginnt.

Fortwährend misshandelte oder vernachlässigte Kinder zeigen neben der unsicheren Bindung mehr Aggression, mehr Probleme mit gleichaltrigen und dem Lehrpersonal. Mit zwei bis sechs Jahren u. a. weniger Einfühlsamkeit, reagieren auf den Kummer anderer mit Aggression, sind hypermotorisch, können sich nicht konzentrieren und sind unaufmerksam und geben schnell auf, sind distanzlos oder misstrauisch und zeigen weniger Neugier- und Explorationsverhalten und sind darum weniger intelligent. Am stärksten sind die vernachlässigten Kinder betroffen. Sie zeigen die wenigsten positiven Affekte und die geringste Impulskontrolle sowie die niedrigsten IQ-Werte.

Im Erwachsenenalter zeigen sich ähnliche Ergebnisse. Erwachsene mit unsicher/gestörten Bindungsbeziehungen fühlen sich weniger sozial akzeptiert und sind erheblich depressiver. Auch zeigen sich die Folgen von Misshandlung im Erwachsenenalter durch Gewalttätigkeit, Drogenmissbrauch, Alkoholismus, Suizidalität, Angst, Depression und die Neigung zur Somatisierung.

Bei der Befragung von Frauen beispielsweise, die in ihrer Kindheit Opfer von Inzest waren, schätzten sich nur 14% als sicher gebunden ein, wohingegen 49% der Frauen in einer Kontrollgruppe sich als sicher gebunden einschätzten.

Aus den Ergebnissen der Bindungsforschung kann also gesagt werden, das bestimmte Formen der Interaktion einen positiven wie negativen Einfluss auf die spätere Entwicklung haben kann. Besondere Formen wie Missbrauch oder Vernachlässigung haben einen besonders negativen Einfluss, der sehr häufig eine psychischen Störung auslösen kann.

Als Schutzfaktor gelten aus Sicht der Bindungstheorie und den vorhandenen Forschungsergebnissen zeigt, das stabile Bindungen in der Vergangenheit ein wichtiger Schutzfaktor für die Entwicklung einer psychischen Störung ist.

Einzelnachweise

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  1. Dornes
  2. Dornes
  3. http://www.uni-salzburg.at/pls/portal/docs/1/359491.DOC.
  4. Dornes