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Institutionentransfer zwischen Deutschland und Frankreich
Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich sind geprägt von einem Transfer der Institutionen, d.h., dass bestimmte Einrichtungen mit gewissen Anpassungen von einem Land in das andere übertragen wurden. Dies gilt für die Systeme in der Verwaltung, im Bildungswesen und in der Gerichtsbarkeit, wobei die Transfers zumeist lediglich mehr oder weniger vollständig stattfanden. Im Folgenden werden diese Übertragungen zwischen beiden Ländern bis zum Jahre 1945 untersucht. Dabei sei zunächst darauf hingewiesen, dass wichtige politische Persönlichkeiten, die ins andere Land auswanderten, großen Einfluss auf diese Transfers hatten. Graf Maximilian Karl Josef von Montgelas ist hierfür ein gutes Beispiel: Von savoyardischer Herkunft und französisch erzogen, Studienkollege und Anhänger der Ideen Metternichs, gilt er als der Begründer des modernen Bayern. Er bekleidete mehrere Ministerien und hatte die Aufgabe, Bayern dem napoleonischen System anzupassen. Zu den umfangreichen, von ihm auf den Weg gebrachten Reformen gehören 1880 die Abschaffung von Leibeigenschaft, Sonderrechten des Adels und örtlicher Abgaben wie die Einführung der Gleichbehandlung bei der Besteuerung. Er übernahm damit bestimmte Reformen der Französischen Revolution. Tatsächlich strahlt das napoleonische Modell bis 1812 auf ganz Europa aus und diese Vormachtstellung findet Niederschlag in den juristischen Vorschriften der mit dem Kaiserreichs verbündeten Länder, v.a. in jenen des Rheinbundes. So übersetzt Heinrich Gottfried Wilhelm Daniels das französische Gesetzbuch (Code civil oder Code Napoleon) ins Deutsche und ist, unter dem Aspekt der deutsch-französischen Beziehungen, ein wichtiger Jurist der napoleonischen Epoche. Im Königreich Westfalen wird unter der Herrschaft von Jérôme Bonaparte 1808 ein angepasster Code civil in deutscher Fassung eingeführt. Dabei handelt es sich allerdings nur um eine teilweise Übertragung, denn die meisten dieser Staaten behalten ihre Lehensrechte bei.
Im Herzogtum Berg wird der Code civil 1809 eingeführt und tritt 1810 durch Erlass in Kraft, nachdem eine Kommission einen „Code Napoleon mit Zusätzen und Handelsgesetzen als Landrecht für das Großherzogtum Baden“ erarbeitet hatte. Dieser wird auch nach der Eingliederung des Großherzogtums nach Preußen 1814 beibehalten: Die Versuche, den preußischen Code einzuführen, scheitern an den Ersuchen des Rheinischen Provinziallandtags und dementsprechend wird das französische Recht bis 1870, teilweise sogar bis 1900, beibehalten. In Frankfurt wird der Code, mit einzelnen Ausnahmen, ab 1811 angewandt, z.B. was Scheidungen betrifft. Im Großherzogtum Baden wird 1809 ein dem französischen Code civil angeglichenes Badisches Landrecht veröffentlicht. Andere Staaten wie Preußen setzten das französische Vorbild einer stark zentralisierten Verwaltung, welche mit einer Beamtenklasse und einer unabhängigen Justiz ausgestattet wird, um. Die Fürsten und hohen Beamten dieser Staaten schließen aus den Niederlagen von Austerlitz und Jena, dass die Wiederherstellung der Staatsmacht dem französischen Modell folgen müsse. Der Code civil steht somit für das neue europäische Recht und wird als ein Instrument der Freiheit, welches die alten Lehenssysteme zerschlägt, begrüßt. Auch die Universität ist bereits vor 1945 ein Ort des Transfers zwischen Deutschland und Frankreich. Die französische Universität des 19. Jahrhunderts ist nach napoleonischem Modell organisiert, doch nach der Niederlage von 1870 interessieren sich französische Intellektuelle und Entscheidungsträger zunehmend für die deutsche Universitätslandschaft: Die Direktoren für Hochschulbildung im französischen Erziehungsministerium, unter ihnen Louis Liard, fördern Verbindungen zwischen französischen und deutschen Akademikern und zahlreiche Intellektuelle, welche Studienaufenthalte in Deutschland verbringen, kehren mit Reform-Vorschlägen zurück.
1885 sendet die französische Regierung Emile Durkheim nach Deutschland, um die Organisation der deutschen Universität zu erkunden. Auch Henri Saint-Marc (1855 – 1896), ein Jurist aus Bordeaux, kämpft dafür, in Frankreich das deutsche Modell der Lehre einzuführen und Fächer wie politische Ökonomie zu fördern. Nach zahlreichen Besuchen an deutschen Universitäten schildert er in seinen Berichten die Unterschiede zwischen Inhalt und Methoden der akademischen Lehre in Deutschland und Frankreich: In Deutschland ist nicht das Dienstalter, sondern allein der Verdienst für den akademischen Aufstieg ausschlaggebend. Angeregt von diesen Beobachtungen richtet Saint-Marc 1888 in Bordeaux einen kostenlosen Kurs für Finanzwissenschaften ein und gibt damit den Anstoß für die ersten Statistikvorlesungen. Beneidete man die deutsche Universität noch in den 1890er Jahren v.a. um ihre vergleichsmäßig große Unabhängigkeit und um den wissenschaftlichen Wettbewerb, so hatte diese Sicht nicht lange Bestand. Die französischen Universitäten nehmen zunehmend Abstand vom deutschen Modell und dieses wird stärker kritisiert, z.B. durch den französischen Soziologen Célestin Bouglé nach einer „Erkundungsreise“ im Jahre 1896. Das deutsche Modell gilt nicht mehr als nachahmenswert und der Erste Weltkrieg wie der Aufruf der 93 deutschen Wissenschaftler und Künstler (1914), welche im Namen der Werte der deutschen Kultur den Einmarsch in Belgien rechtfertigten, schmälern das Ansehen der deutschen Universitäten zusätzlich. Dennoch und trotz der gewandelten Wahrnehmung der Wissenschaftler setzt sich das Modell der deutschen Universität durch und die Gründung der Universität Straßburg erfolgt 1919 im Geist der großen deutschen Universitäten der Jahre 1872 bis 1918. Deren Gründer hoffen, Elsass-Lothringen mit dieser Universität in den französischen Staat einzugliedern und zugleich die französische Kulturhoheit in Europa zu stärken. Einer von ihnen, Christian Pfister, nennt die Ziele dieser Universität ganz offen: „In Straßburg muss Frankreich besser sein als Deutschland; es geht dabei um die nationale Ehre. Vom Erfolg der Universität Straßburg wird ein Teil des Ansehens und der Ausstrahlung Frankreichs in der Welt abhängen“.
Der Institutionentransfer ist somit Teil des Wettbewerbs der beiden Länder, wobei durch das Erziehungssystem die besten Eliten hervorgebracht werden sollten. Andere teilweise Übertragungen betreffen politische Einrichtungen, v.a. die Funktionsweise des politischen Systems: Die Juristen, welche 1958 an der Verfassung der V. Republik mitwirken, übernehmen Teile der Verfassung der Weimarer Republik, z.B. die Möglichkeit eines Volksentscheids, welcher die Mängel des repräsentativen Systems und das Risiko einer parlamentarischen Blockade korrigieren sollte (Raymond Carré de Malberg, „Considérations théoriques sur la question de la combinaison du référendum avec le parlementarisme“, Revue de droit public, 1931). Laut Raymond Carré de Malberg stellten die Institutionen der Weimarer Republik ein Gleichgewicht zwischen Regierung (Exekutive) und Parlament (Legislative) her, das als Beispiel dienen könne. René Capitant, Schüler und Freund von Raymond Carré de Malberg, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Straßburg, hielt sich in den 1930er Jahren häufig in Deutschland auf und verfasste darüber rechtsvergleichende Arbeiten wie Le Président du Reich (1932) und Régimes parlementaires (Mélanges Raymond Carré de Malberg, 1933). Er kritisiert das parlamentarische System, kämpft im Widerstand, berät später Charles de Gaulle in Verfassungsfragen und fordert neue Formen der Beteiligung der Bürger am politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leben. Die Idee einer starken, verantwortlichen Exekutive, die mit Einflussrechten der Bürger einhergeht, beeinflusst das Modell der politischen Institutionen der V. Republik. Nur in den seltensten Fällen jedoch ist der Transfer vollständig, die institutionellen Elemente werden vielmehr verändert oder nur teilweise übernommen. Die unterschiedlichen Typen des Transfers können somit in zwei Kategorien eingeteilt werden: In Deutschland werden Institutionen übernommen, die v.a. mit der Verbreitung der Prinzipien der Französischen Revolution in Zusammenhang stehen, während die Institutionentransfers nach Frankreich häufig Ergebnis eines nationalen Reformwillens sind, der mit externen Gründen gerechtfertigt wird.
- Carré de Malberg Raymond, 1984, La loi, expression de la volonté générale, Paris: Editions Economica.
- Craig John E., 1973, A Mission for German Learning: The University of Strasbourg and Alsatian Society, 1870-1918, Stanford University.
- Craig John E., 1979, „Maurice Halbwachs à Strasbourg“, in: Revue Française de Sociologie, vol. 20, S. 273-292.
- Espagne Michel / Greiling Werner, 1996, Frankreichfreunde. Mittler des deutschfranzösischen Kulturtransfers 1750-1850, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag.
- Schultheis Franz, 2000, „Un inconscient universitaire fait homme: le Privatdozent“, Actes de la Recherche en Sciences Sociales, n°135, S. 58-62.
- Voss Jürgen, 1983, Deutschland und die Französische Revolution, München: Artemis Verlag.