Akademische Freiheit

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Die akademische Freiheit oder Wissenschaftsfreiheit ist ein Begriff, der eine Reihe von Freiheiten und die dazugehörige Verantwortung für die Hochschulen, ihre Lehrer, die Hochschulverwaltung und die Studenten umfasst. Der Begriff geht auf die Platonische Akademie der Antike zurück.

Bedeutungsgeschichte

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Die libertas scholastica im 12. bis 15. Jahrhundert bedeutete in erster Linie päpstlich bzw. kaiserlich garantierte korporative Sonderrechte der Universitäten.[1]

Während der Reformation wuchs der landesherrliche Einfluss auf die Universitäten, beispielsweise die Leucorea mit ihrer Funktion zur Ausbildung von Staatsbeamten einschließlich eines Treueids der Professoren auf König und Reich.

17. Jahrhundert

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Die aufgeklärte libertas philosophandi, vertreten etwa von Spinoza oder Pufendorf, forderte insbesondere ein freies Denken unabhängig von kirchlichen Dogmen und einer Vorherrschaft der Theologie sowie einen staatlich gewährleisteten freien Meinungsaustausch unter den Gelehrten. Beispielhaft für dieses etatistische Freiheitsideal war die Neugründung der Reformuniversität Halle 1694.

1737 eröffnete die Universität Göttingen. Die akademische Lehrfreiheit war in den Statuten der Philosophischen Fakultät niedergelegt, wonach sich „alle Professoren einer verantwortungsbewußten Freiheit der Lehre und der Überzeugung erfreuen sollen, sofern sie Abstand halten von Lehren, die die Religion, den Staat und die guten Sitten verletzen. Es soll ihnen freistehen, die Lehrbücher und Schriftsteller auszuwählen, die sie in ihren Vorlesungen erläutern wollen.“[2] Mit der freien akademischen Lehrpraxis ging in Göttingen eine Öffnung des Studienbetriebs für Studenten aller Konfessionen einher nebst Gründung einer evangelischen und einer katholischen Universitätskirche.

Einfluss der Aufklärung

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Immanuel Kant postulierte 1798 im Streit der Fakultäten für die Philosophische Fakultät eine gegenüber der medizinischen, juristischen und theologischen Fakultät besondere Unabhängigkeit von obrigkeitlichem Einfluss, die in einer Verpflichtung allein auf die Wahrheit und die Vernunft bestehen sollte. Wilhelm von Humboldt verband mit Gründung der Berliner Universität eine rein wissenschaftliche Einrichtung frei von staatlichen Eingriffen, während Hegel die wissenschaftliche Autonomie als durch den Staat gewährleistet begriff.

In der Paulskirchenverfassung von 1848 fand sich erstmals eine Bestimmung über die akademische Lehrfreiheit: Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.[3]

Siehe auch Bettina Stark-Watzinger#Versuchter Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit ("Fördergeldaffäre")

Aktuell steht die Frage der akademischen Freiheit wieder vermehrt im Blickpunkt. So wurde 2024 bekannt, dass die amtierende Bildungsminsterin Bettina Stark-Watzinger hatte prüfen lassen, ob man eine Streichung von Drittmitteln für Professoren erreichen könne, die sich in einer ihr unliebsamen Weise öffentlich geäußert hatten. Da Professoren in der Praxis von Drittmitteln des Staates stark abhängig sind, würde dies zu einer Selbstzensur im Sinne des jeweils amtierenden Ministers führen (Chilling effect) und effektiv die adakademische Freiheit beschränken.

Zudem ist weltweit eine starke Homogenisierungsbewegung in der Professorenschaft hin zu linken bzw. progressiven Ansichten zu beobachten.[4] Die fehlende Auseinandersetzung mit anderen Meinungen und Ansichten in den Universitäten, könnten ebenfalls einen Verlust an akademischer Freiheit bedeuten.

Die akademische Freiheit besteht in Deutschland in der Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes, zuvor Art. 142 der Weimarer Verfassung. Hauptsächliche Träger dieser gesetzlich garantierten Freiheiten sind Professoren und andere Hochschullehrer.

Freiheit der Forschung

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Die Freiheit der Forschung (vgl. § 4 Abs. 2 des Hochschulrahmengesetzes) besagt, dass ein Wissenschaftler frei darin ist, zu welchen Fragen er forscht, wie er methodisch vorgeht (sofern es nicht gegen Gesetze verstößt) und wie er die Forschungsergebnisse bewertet und Verarbeitet. Dies kann Fragen der Verantwortung im Rahmen wissenschaftlicher Ethik aufwerfen, etwa in Bezug auf Forschungen an Tieren oder Menschen oder besonders gemeingefährlichen Stoffen.

Freiheit der Lehre

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Hochschullehrer können demnach Lehrveranstaltungen (Vorlesungen, Übungen, Seminare usw.) inhaltich und methodisch frei gestalten und sind berechtigt, darin ihre wissenschaftliche und künstlerische Lehrmeinung frei zu äußern (vgl. § 4 Abs. 3 des Hochschulrahmengesetzes). Dabei können sie jedoch hinsichtlich der Art ihrer Durchführung (also etwa äußere Form, Zeitpunkt) durch die Studienordnung beschränkt sein. Es handelt sich soweit auch um einen Spezialfall der Redefreiheit und ist besonders weitreichend.

Lehrer an Schulen sind im Rahmen ihres Unterrichts nicht von der (akademischen) Freiheit der Lehre betroffen, sondern müssen sich an einen Lernplan halten.

Freiheit des Studium

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Die Freiheit des Studiums (vgl. § 4 Abs. 4 des Hochschulrahmengesetzes) steht im Zusammenhang mit der Freiheit der Berufswahl aus Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes. Sie besagt, dass die Studenten im Rahmen der Studien- und Prüfungsordnung frei wähllen können, welche Lehrveranstaltungen sie besuchen und im Regelfall auch, ob/wann sie ihre Prüfungen ablegen und welche Schwerpunkte (Vertiefungsfach) sie in ihrem Studium setzen möchten. Aus diesem Freiraum ergeben sich für die Studierenden je nach Studienrichtung mehr oder weniger große Spielräume in der Gestaltung ihrer akademischen Ausbildung. Dabei kann jedoch die Studienordnung teils verbindliche Stundenpläne vorgeben, die insbesondere in den ersten Semestern die Vermittlung der Grundlagen eines Faches vorschreiben und damit garantieren sollen, dass sich alle Studenten des Studiengangs im weiteren Verlauf des Studiums auf eine solide Basis aus Fähigkeiten und Kenntnissen stützen können. Gelegentlich werden diese Beschränkungen als Verschulung des Hochschulstudiums kritisiert; dies betrifft insbesondere Bachelor- und Staatsexamensstudiengänge. Auch eine auf den Arbeitsmarkt ausgerichtete Ausbildung kann eine striktere Linienführung im Aufbau des Studiums erzwingen.

Im Rahmen der Freiheit des Studiums sind Studenten zudem angehalten, eigene wissenschaftliche Meinungen zu erarbeiten und zu vertreten; diese Fallen jedoch an sich nicht unter die Freiheit der Lehre.

Stellung der Hochschule

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Aus Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes ergibt sich zudem die besondere Stellung der Hochschulen und Universitäten als Körperschaften des Öffentlichen Rechts, welche grundrechtlich sowohl berechtigt als auch verpflichtet sind. Diese Sonderstellung haben daneben lediglich die öffentlichen Rundfunkanstalten sowie die (als solche organisierten) Kirchen in Deutschland. So kann sich die Hochschule selbst auf die Hochschulfreiheit berufen, ist aber gegenüber Professoren und Studenten auch verpflichtet. Zu den akademischen Freiheiten der Hochschulen gehört insbesondere die Hochschulautonomie. Diese umfasst etwa die Freiheit in der Berufung von neuen Professoren oder die finanzielle Autonomie im Rahmen der zugeteilten Budgets bzw. der sonstigen Einnahmen („Drittmittel“).

  • Peter Classen: Zur Geschichte der "Akademischen Freiheit", vornehmlich im Mittelalter. In: Historische Zeitschrift, Bd. 232, H. 3 (Juni, 1981), Seiten 529–553.
  • Hermann von Helmholtz: Über die Akademische Freiheit der deutschen Universitäten. Rede beim Antritt des Rectorats an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 15. October 1877 gehalten. Nachdr. der Ausg. Berlin, Hirschwald, 1878, Hrsg.: Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin 2005.
  • Franz Himpsl: Die Freiheit der Wissenschaft : eine Theorie für das 21. Jahrhundert. Wiesbaden : J.B. Metzler 2017 (Dissertation Universität Regensburg 2016), ISBN 978-3-658-17382-1.
  • Ewald Horn: Akademische Freiheit. Historisch-kritische Untersuchung und freimütige Betrachtung nebst einem Anhang über studentische Ausschüsse. Berlin 1905.
  • Axel Rüdiger: Staatslehre und Staatsbildung: Die Staatswissenschaft an der Universität Halle im 18. Jahrhundert. Tübingen, Niemeyer 2005, ISBN 3-484-81015-7.
  • Martin Nettesheim: Grund und Grenzen der Wissenschaftsfreiheit. DVBl. 2005, 1072 ff.
  • Julian Krüper: Wissenschaftsfreiheit und Hochschulgovernance. Zum Strukturwandel der Aufsichtsinstrumente im Dritten Sektor am Beispiel des Hochschulrechts. In: Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Rolf Stober (Hrsg.): Jahrbuch Recht und Ökonomik des Dritten Sektors 2009/2010 (RÖDS), S. 119–148.
  • Carsten Nowak: Der Status der Forschung in der EU-Grundrechtecharta und in der Europäischen Menschenrechtskonvention. In: Eric Hilgendorf, Susanne Beck (Hrsg.): Biomedizinische Forschung in Europa. Nomos-Verlag 2010, S. 75–116.
  • Michael Droege: Finanzmittelzuweisung als Steuerungsinstrument zwischen Wissenschaftsfreiheit und demokratischer Wissenschaftsverantwortung. WissR 2015, S. 105–126.
  • Elif Özmen (Hrsg.): Wissenschaftsfreiheit im Konflikt: Grundlagen, Herausforderungen und Grenzen. J.B. Metzler 2021, ISBN 978-3-662-62892-8.

Einzelnachweise

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  1. William J. Hoye: Wurzeln der Wissenschaftsfreiheit an der mittelalterlichen Universität Münster, 2009, abgerufen am 5. November 2021
  2. Marian Füssel: Von der akademischen Freiheit zur Freiheit der Wissenschaft. Zur vormodernen Genealogie eines Leitbegriffs. Universität Göttingen, 2010
  3. Verfassung des deutschen Reiches (Memento vom 22. April 2016 im Internet Archive) vom 28. März 1849. Abschnitt VI. Die Grundrechte des deutschen Volkes, Art. VI § 152. verfassungen.de, abgerufen am 17. Dezember 2017
  4. More than 80 Percent of Surveyed Harvard Faculty Identify as Liberal | News | The Harvard Crimson. Abgerufen am 8. Juli 2024.