2-Acrylamido-2-methylpropansulfonsäure

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Strukturformel
Struktur von 2-Acrylamido-2-methylpropansulfonsäure
Allgemeines
Name 2-Acrylamido-2-methylpropansulfonsäure
Andere Namen
  • AMPS
  • 2-ACRYLAMIDO-2-METHYLPROPANE SULFONIC ACID (INCI)[1]
Summenformel C7H13NO4S
Kurzbeschreibung

weißer Feststoff[2]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 15214-89-8
EG-Nummer 239-268-0
ECHA-InfoCard 100.035.683
PubChem 65360
Wikidata Q209301
Eigenschaften
Molare Masse 207,25 g·mol−1
Aggregatzustand

fest[2]

Dichte

1,1 g·cm−3 (15,6 °C)[2]

Schmelzpunkt

185 °C[2]

Löslichkeit

sehr leicht in Wasser (1500 g·l−1 bei 25 °C)[2]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[3]
Gefahrensymbol Gefahrensymbol

Gefahr

H- und P-Sätze H: 302+332​‐​318​‐​335
P: 261​‐​264​‐​280​‐​301+312​‐​304+340+312​‐​305+351+338[3]
Toxikologische Daten

5400 mg·kg−1 (LD50Ratteoral)[4]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

2-Acrylamido-2-methylpropansulfonsäure (Warenzeichen von Lubrizol: AMPS) ist eine chemische Verbindung aus der Gruppe der Sulfonsäuren. Die auch als 2-Acrylamido-tert-butylsulfonsäure (ATBS) bezeichnete Verbindung ist ein sehr reaktionsfähiges und gut wasserlösliches Acrylmonomer, das hochmolekulare Homopolymere (Molekülmasse >2 Mio.[5]) mit außergewöhnlichen Produkteigenschaften bildet und mittels radikalischer Copolymerisation mit anderen Monomeren zur gezielten Hydrophilierung der erhaltenen Copolymeren eingesetzt wird. Ursprünglich zur Verbesserung der Anfärbbarkeit von Polyacrylnitril-Fasern vorgeschlagen, hat AMPS aufgrund seiner Funktionalität breiten Einsatz in einer Vielzahl von Anwendungen gefunden.

Es wird nur synthetisch hergestellt. Ein natürliches Vorkommen ist nicht bekannt.

2-Acrylamido-2-methylpropansulfonsäure entsteht in einer Ritter-Reaktion aus Acrylnitril und Isobuten in Gegenwart hochkonzentrierter oder rauchender Schwefelsäure und Wasser[6]. Die neuere Patentliteratur[7] beschreibt diskontinuierliche und kontinuierliche Prozesse, die AMPS in hoher Reinheit (bis 99,7 %) und verbesserter Ausbeute (bis 89 %, bezogen auf Isobuten) bei Zugabe von flüssigem Isobuten zu einem Acrylnitril/Schwefelsäure/Phosphorsäuregemisch bei 40 °C erzeugen.

AMPS ist ein weißer, kristalliner, hygroskopischer Feststoff, der sich sehr gut in Wasser löst und mit Alkali- und Erdalkalimetallen gut lösliche Salze bildet. Wässrige AMPS-Lösungen reagieren wegen der vollständigen Dissoziation der Sulfonsäuregruppe stark sauer. Handelsüblich ist der Feststoff in Pulver- und Granulatform und wässrige 50%ige Lösungen der Natrium- (AMPS-Na) und Ammoniumsalze. AMPS verfügt als Acrylmonomer über ungewöhnliche Stoffeigenschaften, die es insbesondere als Comonomer in funktionellen Polymeren interessant machen:

  • Hohe thermische und hydrolytische Stabilität: Die Amidfunktion im AMPS-Molekül ist durch die geminalen Methylgruppen und die Sulfomethylgruppe räumlich abgeschirmt und gegen hydrolytischem und thermischem Abbau geschützt.[8] Die Zersetzung von AMPS-Homopolymeren erfolgt ab 225 °C, von AMPS-Na-Homopolymeren sogar erst ab 307 °C.[9]
  • Ausgeprägte Hydrophilie und Acidität: Die Sulfonsäurefunktion verleiht AMPS einen permanent hydrophilen Charakter und liegt weit in den sauren pH-Bereich als Sulfonat-Anion vor. Bereits geringe Anteile an AMPS (< 5 Gew.%) erhöhen die Hydrophilie von Copolymeren beträchtlich.

Die hohe Stabilität des AMPS bedingen seine geringe Bioabbaubarkeit. Es ist nicht mutagen und besitzt als neutrale AMPS-Na-Salzlösung eine sehr geringe Toxizität LD50 >16,000 mg/kg Ratte.[10] Das in der Umwelt vorliegende Anion ist persistent und mobil.[11]

Es polymerisiert leicht, auch unter Einfluss von Licht.

Als Bestandteil von Copolymeren mit Acrylsäure, Acrylamid und anderen funktionellen Acryl- und Vinylmonomeren. AMPS findet eine Reihe von Anwendungen[12] als Additiv oder Comonomer in:

1. Textil: erhöht die Anfärbbarkeit von polyacryl- und polyesterhaltigen Textilien.[13]

2. Farben, Lacke und Papierbeschichtung: bedingt eine höhere chemische und mechanische Stabilität von Polymeremulsionen, stabilisiert die Partikelverteilung, unterdrückt die Griesbildung und erhöht die Abriebfestigkeit von Anstrichen und Papieren.[14]

3. Klebstoffe: verbessert die thermischen und mechanischen Eigenschaften und erhöht die Haftfestigkeit von druckempfindlichen Klebstoffformulierungen.[15]

4. Waschmittel: steigert die Waschwirkung von Tensiden durch Bindung mehrwertiger Kationen und reduziert die Schmutzanlagerung.[16]

5. Kosmetik und Medizin: bildet mit anderen Comonomeren hochmolekulare Polymere, die als Hydrogele und in Emulsionen als Verdicker, Stabilisator, Dispergator und Gleitmittel in kosmetischen, dermatologischen und medizinischen Zubereitungen Anwendung finden.[17] Wird wegen seines hohen Wasseraufnahme- und -rückhaltevermögens als Comonomer in Superabsorbern für z. B. Babywindeln eingesetzt.[18]

6. Wasserbehandlung: stabilisiert besonders in Co- und Terpolymeren mit anderen ionischen und neutralen Monomeren mehrwertige Kationen in hartem Wasser und verhindert als 'scale inhibitor' die Kesselsteinbildung und Korrosion.[19]

7. Pflanzenschutz: erhöht in gelösten[20] und nanopartikulären[21] Polymerzubereitungen die Bioverfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln in wässrig-organischen Zubereitungen.

8. Membranen: steigert Wasserfluss, Rückhalt und Fouling-Resistenz von asymmetrischen Ultra- und Mikrofiltrationsmembranen[22] und wird als anionische Komponente in polymeren Brennstoffzellmembranen untersucht.[23]

9. Bau: wirkt in Copolymeren als Wasserrückhaltemittel in Mörteln und Putzen[24], führt zu zunehmender Dispergierbarkeit von Partikeln, erhöht das Gleitvermögen und verbessert in Copolymeren, insbesondere mit Methacryl- oder Acrylsäure, als Betonverflüssiger[25] die mechanische und chemische Stabilität von hochfließfähigem und selbstverdichtendem Beton.

10. Öl- und Gasexploration: erhöht die Stabilität von Polymeren in Öl- und Gasfeldanwendungen gegenüber hohen Temperaturen und Drücken, sowie hohen Salzkonzentrationen[9], verringert die Reibung und den Flüssigkeitsverlust in Bohr- und Zementierungsflüssigkeiten[26] und findet Anwendung in der tertiären Ölgewinnung[27] und bei dem Hydraulic Fracturing genannten Aufbrechen von Gesteinsformationen zur Förderung von Schiefergas.[28]

Die gegenwärtige Produktionskapazität der drei wichtigsten AMPS-Hersteller beträgt über 30.000 Tonnen/Jahr.[29]

Einzelnachweise

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  1. Eintrag zu 2-ACRYLAMIDO-2-METHYLPROPANE SULFONIC ACID in der CosIng-Datenbank der EU-Kommission, abgerufen am 11. März 2020.
  2. a b c d e Datenblatt 2-Acrylamido-2-methylpropansulfonsäure bei Merck, abgerufen am 19. Januar 2011.
  3. a b Eintrag zu 2-Acrylamido-2-methylpropansulfonsäure in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 3. Januar 2023. (JavaScript erforderlich)
  4. Toksikologicheskii Vestnik., (3)(34), 2000.
  5. Vinati Organics Ltd: 2-Acrylamido 2-methylpropanesulfonic Acid (ATBS) (Memento vom 30. Oktober 2010 im Internet Archive)
  6. Patent US3506707: Preparation of acrylamidoalkanesulfonic acids. Angemeldet am 1. Februar 1968, veröffentlicht am 14. April 1970, Anmelder: Lubrizol Corp., Erfinder: Leonard E Miller, Donald L Murfin.
  7. US 6,504,050, Erfinder: P.P. Barve et al., Anmelder: CSIR (IN), veröffentlicht am 7. Januar 2003
  8. W.O. Parker, jr., A. Lezzi, Polymer, 34(23), 1993, S. 4913–4918.
  9. a b Lubrizol, AMPS(R) Specialty Monomers, Oil Field Applications
  10. The Lubrizol Corp.: HPV Challenge Program, Test Plan for AMPS (PDF; 1,1 MB), 1. August 2000.
  11. Isabelle Neuwald, Matthias Muschket, Daniel Zahn, Urs Berger, Bettina Seiwert: Filling the knowledge gap: A suspect screening study for 1310 potentially persistent and mobile chemicals with SFC- and HILIC-HRMS in two German river systems. In: Water Research. Band 204, 1. Oktober 2021, S. 117645, doi:10.1016/j.watres.2021.117645.
  12. Vinati Organics Ltd., Produktdatenblatt
  13. EP 1 611 278, Erfinder: W. Brennich et al., Anmelder: CHT R. Beitlich GmbG, erteilt am 24. Januar 2007
  14. G.P. Marks, A.C. Clark, ACS Symposium Series, 775, (5), 2000. S. 46–53 und EP 0 973 807, Erfinder: R. Figge, H.-P. Weitzel, Anmelder: Wacker-Chemie GmbH, veröffentlicht am 20. September 2000.
  15. US 4,012,560, Erfinder: J.C. Baatz, A.E. Corey, Anmelder: Monsanto Co., erteilt am 15. März 1977 und WO 2007/057333, Erfinder: A. Hashemzadeh, Anmelder: Wacker Polymer Systems, veröffentlicht am 24. Mai 2007.
  16. US 7,928,047, Erfinder: M.-S. Cho, Anmelder: LG Household & Health Care Ltd., veröffentlicht am 19. April 2011.
  17. EP 1 236 464, Erfinder: M. Löffler et al., Anmelder: Clariant GmbH, veröffentlicht am 4. September 2002 und EP 2 055 315, Erfinder: R. von Eben-Worlée et al., Anmelder: Worlée-Chemie, veröffentlicht am 6. Mai 2009.
  18. WO 2011/131526, Erfinder: N. Herfert et al., Anmelder: BASF SE, veröffentlicht am 27. Oktober 2011
  19. Z. Amjad, Tenside Surf. Det., 44(4), 2007. S. 202–208.
  20. Patent US20110166309: Preparation containing at least one type of fungicidal conazole. Angemeldet am 14. März 2011, veröffentlicht am 7. Juli 2011, Anmelder: BASF, Erfinder: Sebastian Koltzenburg et al..
  21. EP 1 681 923, Erfinder: S. Koltzenburg et al., Anmelder: BASF AG, veröffentlicht am 20. April 2011.
  22. US 6,183,640, Erfinder: I. Wang, Anmelder: USF Filtration and Separations Group, Inc., erteilt am 6. Februar 2001.
  23. US 2008/020255, Erfinder: H. Hiraoka, T. Yamaguchi, Anmelder: Toagosei Co., Ltd., veröffentlicht am 24. Januar 2008 und H. Diao et al., Macromolecules, 43(15), 2010. S. 6398–6405.
  24. EP 0 936 228, Erfinder: G. Albrecht et al., Anmelder: SKW Trostberg AG, veröffentlicht am 18. August 1999 und WO 03/085013, Erfinder: C. Spindler et al., SKW Polymers GmbH, veröffentlicht am 16. Oktober 2003.
  25. Modern Superplasticizers in Concrete Technology, Verein Deutsche Bauchemie e. V., Frankfurt am Main, January 2007 und Y.-S. Ye et al., J. Appl. Polym. Sci., 100, (3), 2006. S. 2490–2496 und C.T. Liao et al., Cement and Concrete Research, 36, (4), 2006. S. 650–655 und A. Buyukyagaci et al., Cement and Concrete Research, 39, (7), 2009. S. 629–635.
  26. US 6,448,311, Erfinder: M.L. Walker, Anmelder: Baker Hughes Inc., erteilt am 10. September 2002.
  27. Patent US4573533: Enhanced oil recovery. Angemeldet am 21. Juni 1984, veröffentlicht am 4. März 1986, Anmelder: American Cyanamid Company, Erfinder: Roderick G. Ryles, Albert G. Robustelli. und A. Sabhapondit et al., J. Appl. Polym. Sci., 87, (12), 2003. S. 1869–1878.
  28. Patent US20070204996: Fracturing a subterranean formation using an aqueous treatment fluid including a friction-reducing cationic polymer and an oxidizer as an anticoagulant (crosslinking, gelation inhibition) to prevent flocculation in the well bore. Angemeldet am 3. März 2006, veröffentlicht am 6. September 2007, Anmelder: Halliburton Energy Services, Erfinder: David McMechan et al.. und US 20100048430, Erfinder: G.P. Funkhouser, D. Loveless, Anmelder: Halliburton Energy Services, Inc., veröffentlicht am 25. Februar 2010.
  29. valuepickr.com: Vinati-organics.