Albert Goldenstedt

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Albert Goldenstedt (* 10. Januar 1912 in Varrel; † 11. August 1994 in Delmenhorst) war ein deutscher Bauingenieur, der Widerstand gegen den Nationalsozialismus leistete.

Goldenstedt wurde in eine kinderreiche Arbeiterfamilie hineingeboren, die protestantischen Glaubens war.[1] Mit der Hilfe eines Stipendiums vom Hackfeld’schen Marienschulfonds in Ganderkesee konnte er ein Studium an der Höheren Technischen Lehranstalt in Oldenburg aufnehmen.[2]

Widerstand gegen den Nationalsozialismus

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Von 1933 bis 1945 arbeitete Albert Goldenstedt im Widerstand. Von Anfang an arbeitete er mit Widerstandskämpfern unterschiedlicher konfessioneller und weltanschaulicher Prägung zusammen. Aufgrund einer marxistischen Rede, die er vor seinen Kommilitonen gehalten hatte, und seiner kommunistischen Agitationen wurde er im laufenden Examen verhaftet und für drei Monate in Oldenburg in „Schutzhaft“ genommen, zudem von allen deutschen Fachhochschulen ausgeschlossen. Trotz einer fortwährenden Überwachung durch die Gestapo setzte Goldenstedt seine Widerstandsarbeit fort. In Delmenhorst hatte er Kontakte mit Wilhelm Schroers,[3] Wilhelm Badenhop, August Broda und zu den Sozialdemokraten Leopold Klappstein und August Theis. Über Adolf Giehoff (KPD) wurde er mit Bernhard Gellhaus, Franz Kardatz, Karl Lamken, Heinrich Bleckwehl und dem Landtags- und Stadtratsabgeordneten Heinrich Wagner bekannt.[4] Von diesem Zeitpunkt an sammelte er in Absprache mit Wagner Beiträge für die Rote Hilfe. Anschließend versuchte er, in Delmenhorst, Leer, Emden und Goldenstedt Verbindungen zur Bezirksleitung der KPD in Bremen herzustellen. Es kam zweimal zu Kontaktaufnahmen mit dem kommunistischen Reichstagsabgeordneten Conrad Blenkle, zudem mit Georg Buckendahl, Klaus Bücking, Walter Platte, Willy Winkler, Karl Klein, Valeska Lamken u. a. Außerdem unternahm er Fahrten nach Frankreich und in die Schweiz und wurde dort von deutschen Emigranten und von dem Züricher Kaufmann Hans Hug beherbergt. Von diesen Fahrten brachte er illegale Schriften wie Die Rote Fahne und das Braunbuch mit.

Um einer drohenden Verhaftung zu entgehen, ging Goldenstedt Ende 1936 nach Amsterdam, wo er nach einem konspirativen Treffen mit Kommunisten vom 4. Januar bis zum 23. April 1937 als „illegaler Emigrant“ inhaftiert und dann nach Belgien abgeschoben wurde. Dort arbeitete er weiterhin in Flénu und im Umkreis von Brüssel als Kurier für die Rote Hilfe und die KPD. In dem Brüsseler Stadtteil Laeken wurde ihm von der Roten Hilfe die Betreuung und Versorgung der dort lebenden Emigranten übertragen. In dieser Zeit unternahm er zwei Reisen nach Bremen, um antifaschistisches Propagandamaterial zu verteilen.

1938 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen.[5][6] Der Reichsführer der SS und Chef der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern schrieb am 27. April 1938: „Die Entscheidung darüber, inwieweit der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit noch auf weitere Familienangehörige zu erstrecken ist, bleibt vorbehalten.“[6]

Mit der Unterstützung der Roten Hilfe erhielt Goldenstedt eine Anstellung als Architekt am Staudamm von Eupen. Das Arbeitsministerium in Brüssel erteilte im Januar 1939 die Arbeitserlaubnis. Er war zu diesem Zeitpunkt als Einwohner in Eupen registriert.[7] Angesichts der drohenden Kriegsgefahr wies ihn der belgische Staat 1940 in die Niederlande aus.[7] Goldenstedt verbrachte zwei Monate in einem Lager auf der Insel Vlieland.[8]

Nach der Okkupation der Niederlande wurde Goldenstedt von der Gestapo verhaftet und ins Deutsche Reich abgeschoben. Das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen verurteilte ihn am 9. Mai 1941 wegen „fortgesetzter Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ zu einer Zuchthausstrafe von sechs Jahren. Ein Jahr Untersuchungshaft wurde angerechnet. Die bürgerlichen Ehrenrechte wurden ihm auf die Dauer von sechs Jahren aberkannt.[9] Er war in der Justizvollzugsanstalt Bremen-Oslebshausen inhaftiert. In der Zeit des Nationalsozialismus war er insgesamt über vier Jahre in Gefängnissen oder Zuchthäusern in Haft.

1943 wurde er als Soldat in die berüchtigte Strafdivision 999 einberufen (Festungs-Infanterie-Bataillon XIII/999, 4. Kompanie). Sein Einsatz war auf den griechischen Inseln Samos und Leros, wo er seinen Widerstand fortsetzte.[10] Nach zwei Jahren Dienst in der Strafdivision 999 geriet er in Kriegsgefangenschaft. Er war in den ägyptischen Camps 383, 381 (El Daaba) und 379 (Quassassin) inhaftiert.

Nach der Befreiung 1945 war Goldenstedt noch anderthalb Jahre in britischer Kriegsgefangenschaft, zuletzt in Wilton Park. Am 2. Oktober 1946 wurde er von einer britischen Entlassungsstelle in Minden (Westfalen) demobilisiert.[11]

Nach seiner Rückkehr nach Delmenhorst holte er seine Examina als Hoch- und Tiefbauingenieur an der Staatsbauschule Oldenburg nach und legte seine Prüfung als Baumeister vor der Handwerkskammer ab.[12] 1948 gründete er eine Baufirma in der Düsternortstraße in Delmenhorst und wurde ein Bauunternehmer mit „sozialem Gewissen“: Er kaufte den Landwirten Wiesen und Felder ab, die er in den Bebauungsplan brachte. Als Erschließungsträger verkaufte er die Grundstücke zum Selbstkostenpreis an die Bauherren. So wurden viele Straßen in Delmenhorst mit „Goldenstedt-Häusern“ bebaut: Adalbert-Stifter-, Amalien-, Chemnitzer-, Elisen-, Hedwig-, Heinrich-Heine-, Hölderlin-, Hohensteiner-, Jasmin-, Schlehen- und Urselstraße und der Welsehof. In Bremen entstand die Delmestraße, in Ganderkesee gab es Einzelbebauungen in der Herderstraße, am Bogen- und Schlattenweg.

Im politischen Bereich engagierte Albert Goldenstedt sich in der VVN Niedersachsen und war von 1975 bis 1981 ihr Vorsitzender. Intensive politische Kontakte bestanden weiterhin mit Delmenhorster und Bremer Antifaschisten, unter anderem mit Wilhelm Meyer-Buer und Georg Gumpert.

  • Werner Garbas, Frank Hethey (Hrsg.): Delmenhorster Lebensbilder II. Neue Porträts von Menschen in ihren Beziehungen zur Region Delmenhorst. Aschenbeck und Holstein Verlag, Delmenhorst/Berlin 2006, ISBN 978-3-939401-17-9.
  • Paul Wilhelm Glöckner: Delmenhorst unter dem Hakenkreuz. Band II: Der Widerstand. Delmenhorst 1983.
  • Paul Wilhelm Glöckner: Erst Verrat sorgt für Zerschlagung. Trotz Überwachung durch die Gestapo: Sozialistische Gruppe Wagner/Goldenstedt leistet in Delmenhorst Widerstand gegen die Nazis. In: Von Hus und Heimat, Delmenhorster Kreisblatt, 23./24.09.2023.
  • Christiane Goldenstedt: Albert Goldenstedt. Ein Delmenhorster im antifaschistischen Widerstand. (= Oldenburger Studien. Band 89). Isensee Verlag, Oldenburg 2019, ISBN 978-3-7308-1552-6.[13][14]
  • Michael Hepp (Hrsg.): Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933–1945 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen. Band 3. KG Saur Verlag, München 1988, ISBN 3-598-10537-1, S. 258.
  • Heinz Junge: Vlieland. Interneringskamp voor Duitse Tegenstanders van Hitler 1938–1940. Die Deutsche Ausgabe: Vlieland. Internierungslager für deutsche Hitlergegner 1938–1940. Selbstverlag Heinz Junge. (vlieland3940.files.wordpress.com)
  • Günter Heuzeroth, Johannes Petrich (Hrsg.): Unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus 1933–1945. Dargestellt an den Ereignissen in Weser-Ems. Band 1, Oldenburg 1989, ISBN 3-925713-02-6.
  • Joachim Käppner: Soldaten Im Widerstand: Die Strafdivision 999 1942–1945. Piper Verlag, München 2022, ISBN 978-3-492-07037-9.
  • Hans-Peter Klausch: Die 999er. Von der Brigade „Z“ zur Afrika-Division 999: Die Bewährungsbataillone und ihr Anteil am antifaschistischen Widerstand. Röderberg Verlag, Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-87682-818-X.
  • Björn Gerhard Roth: Halt, Feldgendarmerie! Die Ordnungstruppen der deutschen Wehrmacht 1939–1945. Eine kritische Auseinandersetzung. Books on demand, Norderstedt 2019, ISBN 978-3-7494-0023-2.
  • Wilhelm Schroers: Widerstand und Wiederaufbau in Delmenhorst. Lebenserinnerungen. Delmenhorst 2018.
  • Studienkreis zur Erforschung und Vermittlung der Geschichte des Widerstandes 1933–1945 (Hrsg.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933–1945. Band Niedersachsen II: Regierungsbezirke Hannover und Weser-Ems. Band 3, Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1986, ISBN 3-7609-0983-3.
  • Eike Wienbarg: Albert Goldenstedt : Ein Leben für seine Ideale. In: Weser-Kurier, 2. April 2021.
  • Albert Goldenstedt. Belgien, Niederlande, Luxemburg. Besatzung – Kollaboration – Widerstand. In: Wissenschaftliche Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933–1945, ISSN 0938-8672, 45. Jg., Nr. 91, Mai 2020, S. 32.

Einzelnachweise

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  1. Geheime Staatspolizei Wilhelmshaven, 15. Dezember 1937: „G. ist arisch und evangelischer Konfession. Soweit festgestellt werden konnte, waren seine Eltern und auch Großeltern ebenfalls evangelischer Religion.“ In: Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, RZ 214.R 99691 (Ausbürgerungen 29. Liste A–Z).
  2. Christiane Goldenstedt: Albert Goldenstedt. Ein Delmenhorster im antifaschistischen Widerstand. Isensee Verlag, Oldenburg 2019, ISBN 978-3-7308-1552-6.
  3. Wilhelm Schroers: Widerstand und Wiederaufbau in Delmenhorst. Hrsg.: Heike Honisch Hans-Jocham Olcyk. Eigenverlag, Delmenhorst 2018.
  4. Paul Wilhelm Glöckner: Delmenhorst unter dem Hakenkreuz. Band III. Selbstverlag, Ganderkesee 1987.
  5. Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, RZ 214.R 99691 (Ausbürgerungen 29. Liste A–Z).
  6. a b Sächsisches Staatsarchiv, Dresden, Bestand 10763, Nr. 9869.
  7. a b Archives nationales, Bruxelles, A 24/6/77/SE 310398 - A 241-677.
  8. Heinz Junge: Vlieland. Internierungskamp voor duitse Tegenstanders van Hitler 1938-1940. In: Selbstverlag Heinz Junge. Heinz Junge, 1982, abgerufen am 26. Oktober 2024 (niederländisch).
  9. Hanseatisches Oberlandesgericht, Urteil in der Strafsache gegen den Architekten Albert Goldenstedt, 9. Mai 1941. Staatsarchiv Bremen.
  10. Hans-Peter Klausch: Die 999er. Von der Brigade „Z“ zur Afrika-Division 999: Die Bewährungsbataillone und ihr Anteil am antifaschistischen Widerstand. Röderberg Verlag, Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-87682-818-X.
  11. Ehemals Deutsche Dienststelle Berlin für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht (WASt), heute Bundesarchiv.
  12. Niedersächsisches Landesarchiv (Abteilung Oldenburg).
  13. Vgl. Rezension von Friedrich Hübner in: Heimatjahrbuch 2020 Delmenhorst. 75 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs. Isensee Verlag, Oldenburg 2020, ISBN 978-3-7308-1702-5, S. 69 f.
  14. Vgl. Rezension von Friedrich Hübner in Oldenburger Landesverein (Hrsg.): Oldenburger Jahrbuch. Bd. 121, Isensee Verlag, Oldenburg 2021, ISBN 978-3-7308-1845-9, S. 205 f.