Algirdas Paleckis
Algirdas Paleckis (* 20. Mai 1971 in Bern, Schweiz) ist ein ehemaliger litauischer sozialistischer Politiker, Leiter der sozialistischen Partei Socialistinis liaudies frontas, Diplomat und Journalist.
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Paleckis ist Sohn des Diplomaten Justas Vincas Paleckis und Enkel des sowjetlitauischen Politikers Justas Paleckis (1899–1980). Nach dem Abitur an der 27. Mittelschule in Naujamiestis (jetzt Jonas-Basanavičius-Mittelschule) studierte er von 1989 bis 1994 Journalistik an der Universität Vilnius und von 1994 bis 1995 Internationale Beziehungen in Paris.[1]
Seit 1994 arbeitete Paleckis im litauischen Außenministerium. Von 1997 bis 2001 gehörte er als Diplomat der litauischen diplomatischen Mission bei der EU in Brüssel an, wo er für Kultur, Presse, Bildung und Wissenschaft zuständig war. 2001 wurde er Referatsleiter für Westeuropäische Länder im Außenministerium. 2003 war er Berater des stellvertretenden Vorsitzenden des Seimas. Vom 15. November 2004 bis zum 14. April 2007 war er Mitglied des litauischen Seimas.[2][3][4]
2007 wurde er Mitglied des Stadtrats Vilnius und stellvertretender Bürgermeister von Vilnius. Am 15. Januar 2008 wurde er aber aus der LSDP ausgeschlossen und musste auch vom Amt des stellvertretenden Bürgermeisters zurücktreten. Im Sommer 2008 gründete Paleckis die Partei „Frontas“, die erfolglos an den Wahlen zum Seimas im Herbst 2008 teilnahm. Ab dem 28. Januar 2009 war er Assistent des Direktors von „Vilniaus kapitalinė statyba“ (100 Prozent der Aktien gehört der Stadt Vilnius).[5] Jetzt arbeitet er in einer PR-Agentur und als Leiter der Einwohnergemeinde in Antakalnis.
Paleckis ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Gerichtsverfahren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]2011 strengte die Staatsanwaltschaft Vilnius ein Ermittlungsverfahren gegen Paleckis wegen Leugnung der sowjetischen Aggression gegen Litauen an. Paleckis hatte behauptet, bei den Januarereignissen in Litauen 1991 hätten (auch) litauische Scharfschützen und nicht (nur) Angehörige der russischen OMON-Einheiten in die Menge geschossen. Im Januar 2012 wurde er zunächst freigesprochen, im Juli 2012 jedoch zu einer Geldstrafe von 10.400 Litas verurteilt.[6] Das Urteil wurde am 22. Januar 2013 in letzter Instanz vom Obersten Gerichtshof Litauens bestätigt.[7] 2018 wurde er wegen des Verdachts der Spionage für Russland verhaftet. Die litauischen Behörden argumentierten zunächst gegen die Gewährung einer Kaution mit der Begründung, Paleckis habe in Moskau gelebt, es bestehe Fluchtgefahr. Er verbrachte 17 Monate in einer Einzelhaftzelle, bevor sein Prozess begann. Die Bundesregierung kümmerte sich nicht um den Fall, wie der damalige SPD-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth am 16. Dezember 2019 auf die parlamentarische Anfrage Nr. 49 der Linken[8] mitteilte. Immerhin wurde er 2020 freigelassen – aber unter Hausarrest gestellt. Im Juli 2021 verurteilte ihn jedoch das Bezirksgericht zu 6 Jahren Haft.[9] A. Paleckis legte gegen das Urteil Revision ein, blieb solange unter Hausarrest (Fußfessel), wurde aber dann doch am 14. Mai 2022 zur Strafverbüßung festgenommen.
Paleckis bestreitet jegliches Fehlverhalten mit dem Hinweis, er habe journalistisch gearbeitet. Nach Behauptungen der Generalstaatsanwaltschaft hätten die Angeklagten in einer organisierten Gruppe mit einem russischen Geheimdienstoffizier und anderen russischen Staatsbürgern, darunter ein für schuldig befundener Angeklagter im Verfahren vom 13. Januar 1991, zwischen Februar 2017 und Oktober 2018 zur Erlangung „sonstiger Vorteile“ Informationen von Interesse für den russischen Geheimdienst in Litauen gesammelt. Zu den „sonstigen Vorteilen“ gehörte die Unterstützung bei der Aufnahme von Kontakten mit Vertretern einer russischen politischen Partei, um die Finanzierung einer der in Litauen registrierten politischen Parteien zu sichern, sowie die Unterstützung bei der Aufnahme von Geschäftsbeziehungen. Die Angeklagten seien beauftragt worden, Informationen über Beamte und Richter zu sammeln, die im Zusammenhang mit der sowjetischen Aggression in Litauen in den Jahren 1990–1991 stehen. Unter anderem hätten die Angeklagten Personen gesucht, die den litauischen Strafverfolgungsbehörden Informationen über den Gesundheitszustand des Inhaftierten Juri Mel gegen eine unrechtmäßige finanzielle Vergütung zur Verfügung stellten, weil sie seine Haft durch eine mildere Maßnahme zu ersetzen oder seine Haftbedingungen zu verbessern suchten.[10]
Der angebliche ausländische Führungsoffizier wurde nicht identifiziert. Für die Staatsanwaltschaft und das Gericht reichte die Behauptung, er habe in Kontakt mit einem „nicht identifizierten“ ausländischen Agenten gestanden. Die Anklage stützt sich im Wesentlichen auf den (wegen Pädophilie verurteilten) Kronzeugen Deimantas Bertauskas, der als Gegenleistung für sein Geständnis freigesprochen wurde.
Die Erörterung von Vermerken des litauischen Geheimdienstes fanden hinter verschlossenen Türen statt, obwohl selbst der Staatsanwalt zugab, dass es in diesem Fall nicht um Staatsgeheimnisse geht.
Als Journalist und Politiker ist A. Paleckis seit langem ein Kritiker der Regierung in Bezug auf soziale Ungerechtigkeit, Militarisierung und Geschichtsrevisionismus. Aufwertung zur schweren Straftat erhielten Recherchen zu den von Litauen gestarteten Verfolgungs- und Vollstreckungsmaßnahmen der Justiz. Beteiligte an den Ereignissen von 1991 wurden (in Absentitia) verurteilt, Litauen verlangt die Auslieferung, die Russland ablehnt und im Gegenteil von Interpol die Auslieferung litauischer Richter und Staatsanwälte wegen Rechtsbeugung fordert, wie die New York Times am 4. Januar 2024[11] berichtete.
Obwohl am 16. November 2021 das litauische Obergericht befand, dass die Protokolle der geheimen Verhöre des Belastungszeugen vorzulegen seien, wurde Paleckis am 6. Mai 2022 ohne Offenlegung der Zeugenaussagen zu 6 Jahren Haft verurteilt, wovon er anderthalb in Isolationshaft unter verschärften Bedingungen bereits verbüßt hatte. Das sofort in Kraft tretende Urteil erhielt in Zeiten der im Westen verbreiteten Sicht auf Russland keinerlei internationale Beachtung, auch Menschenrechtsorganisationen verzichteten darauf, sich für ihn einzusetzen. Immerhin wurde über seine Festnahme zur Strafverbüßung am 14. Mai 2022 berichtet.[12] Derzeit sitzt Paleckis im Gefängnis von Kaunas (Technikos g. 34, LT-51334) und soll dort noch zwei Jahre verbleiben, wenn seine Haft nicht wegen weiterer „Äußerungsdelikte“ (angebliche Verleumdung/Beleidigung litauischer Politiker als Nazis wegen deren öffentlich bekundeter Verehrung für litauische NAZI-Kollaborateure) mit neuen Strafverfahren verlängert wird.
Bibliografie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Ties Europos greitkeliu: Briuselio užrašai. Vilnius, Baltos lankos, 2001
- Mes ir ES. Vilnius, Vertimo, dokumentacijos ir informacijos centras, 2002.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Biografie in der Seimas-Website (englisch)
- ↑ Biografie ( vom 12. Januar 2010 im Internet Archive) (lt.)
- ↑ Photo ( vom 15. September 2012 im Internet Archive)
- ↑ valstietis.lt Biographie ( vom 17. Dezember 2008 im Internet Archive)
- ↑ Atnaujinta 16 36, Evaldas Utyra: A.Paleckis įsidarbino savivaldybės statybų bendrovėje. Abgerufen am 28. Oktober 2020 (litauisch).
- ↑ Oliver Wagner: Wo bleiben die Demokratiewächter? ( des vom 26. November 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek, 21. Juli 2012, abgerufen am 10. März 2013)
- ↑ Aukščiausiasis Teismas paliko galioti nuosprendį A.Paleckiui (foto) ( vom 13. April 2013 im Webarchiv archive.today) (Lietuvos žinios, 22. Januar 2013, abgerufen am 10. März 2013)
- ↑ Antwort des Staatsministers für Europa Michael Roth vom 16. Dezember 2019. Abgerufen am 25. Oktober 2024.
- ↑ Found guilty. 27. Juli 2021, abgerufen am 3. Januar 2022 (englisch).
- ↑ Lithuania looks to extend detention of politician accused of spying for Russia. 16. Oktober 2019, abgerufen am 28. Oktober 2020 (englisch).
- ↑ Putin’s Drive to Rewrite History Snares a Retired Lithuanian Judge. 4. Januar 2024, abgerufen am 12. Januar 2024 (englisch).
- ↑ Арест литовского антифашиста АЛЬГИРДАСА ПАЛЕЦКИСА. 14. Mai 2022, abgerufen am 16. Mai 2022 (russisch).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Offizielle Facebook-Seite von Algirdas Paleckis
Personendaten | |
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NAME | Paleckis, Algirdas |
KURZBESCHREIBUNG | litauischer Politiker und Diplomat |
GEBURTSDATUM | 20. Mai 1971 |
GEBURTSORT | Bern, Schweiz |