Alternative Initiationsriten

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Als Alternative Initiationsriten (engl.= Alternative Rites of Passage (ARP)) werden neuentwickelte Riten bezeichnet, die in Afrika den Übergang vom Kind zur Frau markieren. Diese Praktiken bauen auf den traditionellen Zeremonien auf, werden aber durchgeführt, ohne den Körper der Mädchen mit einer Beschneidung der Genitalien zu verstümmeln. Sie sind verbunden mit einer Aufklärung der Mädchen durch ältere Frauen, mit Empowerment-Maßnahmen und festlichen Programmpunkten. Bestrebungen, traditionellen Übergangsriten durch solche Zeremonien ohne Beschneidung zu ersetzen, gibt es seit Mitte der 1990er Jahre.

Die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) ist in vielen afrikanischen Staaten verboten. Trotzdem ist sie weiterhin in zahlreichen Ländern des Kontinents verbreitet, meist als Teil des Initiationsritus der Mädchen vor dem Übergang zur Frau.[1] In den meisten Fällen erfolgt die Beschneidung kurz vor oder während der Pubertät, um die Mädchen „heiratsfähig“ zu machen.[2] So waren in Kenia, wo die Genitalverstümmelung von Frauen unter 18 seit 2011 verboten ist, bei der letzten offiziellen Befragung 2014 noch immer 21 Prozent der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten.[1] Seit Mitte der 1990er Jahre werden daher „Alternative Rites of Passage" als Alternative zur Initiation von Frauen in die Weiblichkeit propagiert, wobei die Körper der Mädchen unversehrt bleiben. Sie können, so die Historikerin Lotte Hughes, „als neu erfundene Rituale verstanden werden, die darauf abzielen, bestimmte Aspekte des traditionellen Initiationsprozesses zu replizieren oder zu imitieren, jedoch ohne den physischen Schnitt“.[3]

Die ersten bekannten ARP wurde 1996 in 30 Familien der Meru-Gemeinschaft in Kenia von zwei Organisationen, Maendeleo Ya Wanawake und Programme for Alternative Technology in Health (PATH), durchgeführt. Ziel war, die Gemeinschaft davon zu überzeugen, diesen Initiationsritus, mit dem der Übergang von der Kindheit zum Frausein gefeiert wird, ohne – wie bisher üblich – eine Beschneidung durchzuführen. Dabei wurde der Geist des Ritus beibehalten: Die Mädchen wurden über ihre künftige Rolle als Frau in Familie und Gemeinschaft aufgeklärt, und es gab eine öffentliche Feier mit dem Austausch von Geschenken. Die Zeremonie wurde mit einer öffentlichen Erklärung abgeschlossen, mit der die Gemeinschaft den Übergang der Mädchen zur Frau anerkannte.[3]

Plan International beschrieb 2021 den Ablauf von ihr initiierten alternativen Initiationsriten: Dabei werde der Akt der Genitalverstümmelung durch eine Sitzung ersetzt, in der die Mütter ihr Wissen und ihre Erfahrungen an die Mädchen weitergeben. Wie in den traditionellen Zeremonien leben die Mädchen über fünf Tage abgeschnitten von der Außenwelt zusammen.[4] Unter der Leitung der Frauen werde den unbeschnittenen Mädchen traditionelle Lieder und Tänze beigebracht und so ihre kulturelle Identität gestärkt. Die Riten endeten mit feierlichen Zeremonien, an denen die ganze Gemeinschaft teilnehme.[5]

2009 rief die Amref Health Africa (Amref) das Programm „Alternative Rites of Passage“ ins Leben, unter dem Motto „Stop the cut“. Bis 2023 erlangten rund 20.000 Mädchen mit der Unterstützung ihrer Gemeinschaft mit ARP die „Reife“. Anfangs wurde versucht, Befragungen der „ARP-Mädchen“ auf Treffen in den Schulferien durchzuführen, die aber spärlich besucht waren; nach einem Schulwechsel oder -abgang ging der Kontakt zu den Mädchen meist vollends verloren.[6] Um die Wirksamkeit ihres Programms zu überprüfen, ließ Amref ein digitales Trackingtool entwickeln, mit dem Mädchen, die die ARP durchlaufen haben, nachverfolgt werden können. Die zentrale Frage lautet: Wie wirkt sich die ARP auf die Häufigkeit von Genitalverstümmelungen, Teenager-Schwangerschaften und Kinder-, Früh- und Zwangsehen unter heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen aus?[6]

2019 berichtete die Amref über eine ARP-Feier mit 78 Mädchen in Indupa, Kajiado County. Über vier Tage erhielten die Mädchen Unterricht zu Themen wie Sexualaufklärung, HIV-Prävention, Familienplanung, Versorgung bei Schwangerschaft und Geburt, die Vorbeugung und Behandlung sexuell übertragbarer Krankheiten sowie die Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt und Empowerment-Maßnahmen. Ebenso wurden 40 Jungen darüber aufgeklärt, warum FGM eine überholte kulturelle Praxis ist, die Mädchen ihrer Zukunft beraube. Am Vorabend der Abschlusszeremonie fand ein Kerzenfest mit einem Schönheitswettbewerb statt, um das Selbstbewusstsein der Mädchen zu stärken. Zum Abschluss erhielten die Mädchen Papier und Schreibmaterial, um den Wert von Bildung zu unterstreichen. Die Ältesten von Indupa segneten ihre Töchter und wünschten ihnen viel Erfolg: „Wir geben euch die Kraft zu lesen.“[7] 2021 wurde eine Studie über die Auswirkungen von ARP in Gemeinschaften der Massai in Kajido veröffentlicht. Ein Fazit lautete, dass durch die Einführung von ARP zum Beispiel die Schulzeiten der Mädchen sich verlängert hatten, die zuvor im Allgemeinen nach einer FGM umgehend verheiratet worden waren.[8]

Auf der Plattform betterplace.org erschien 2021 einen Bericht über das landesweit zweite „ritual without cutting“ in Tonkolili in Sierra Leone, einem Distrikt, im dem FGM stark verbreitet ist. Dem Amazonian Initiative Movement (AIM) sei es gelungen, Familien und Communitys zu überzeugen, und 300 Teilnehmerinnen hätten sich angemeldet.[9] Plan International teilte 2022 mit, dass durch die Arbeit der Organisation in einer Projektregion in Guinea die Zahl der nicht-beschnittenen Mädchen im Alter von 5 bis 17 Jahren um 21 Prozent gestiegen sei.[5] Diese Entwicklung könne man nicht mit Zwang vorantreiben, sondern nur durch Überzeugung. Zudem sei es notwendig dafür zu sorgen, dass die Frauen, die als Beschneiderin arbeiteten, auf andere Weise ein eigenes Einkommen erwerben können.[10]

Einzelnachweise

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  1. a b Film: Nora Belghaus, Fabian Franke: Alternativen zur Beschneidung von Mädchen in Kenia. In: fluter.de. Abgerufen am 30. Dezember 2024.
  2. FGM: Beschneidung von Mädchen & Frauen | SOS Kinderdörfer. In: sos-kinderdoerfer.de. 25. September 2023, abgerufen am 31. Dezember 2024.
  3. a b Alternative Rites of Passage. In: copfgm.org. 3. November 2022, abgerufen am 30. Dezember 2024 (englisch).
  4. GLS Zukunftsstiftung Entwicklung: Kenia: Zuflucht vor Genitalverstümmelung. In: zukunftsstiftung-entwicklung.de. Abgerufen am 30. Dezember 2024.
  5. a b Projekt: Mädchen vor Beschneidung schützen − Plan International Deutschland e.V. In: plan.de. Abgerufen am 30. Dezember 2024.
  6. a b Tammary C. Esho, Julia Scholten, Hilke Conradi, David Kawai, Bernard Mbogo, Denge Lugayo, Yvonne Opa: Amref Alternative Rites of Passage (ARP) model for female genital mutilation/cutting, teenage pregnancies, and child, early and forced marriages in Kenya: a stepped-wedge cluster r. In: joghr.org. 20. Juni 2023, abgerufen am 30. Dezember 2024 (englisch).
  7. 78 Girls Graduate into Womanhood without ‘the cut’ – Amref Health Africa. In: amref.org. 19. August 2019, abgerufen am 30. Dezember 2024 (englisch).
  8. Samuel Muhula et.al.: The impact of community led alternative rite of passage on eradication of female genital mutilation/cutting in Kajiado County, Kenya: A quasi-experimental study. In: PloS One. 28. April 2021 (nih.gov).
  9. Grund zur Freude: Zweites alternatives Initiationsritual in Sierra Leone. In: betterplace.org. Abgerufen am 30. Dezember 2024.
  10. Annika Best: Weibliche Genitalverstümmelung: Ein Ritual im irreversiblen Folgen − Plan International Deutschland e.V. In: plan.de. 13. Juli 2022, abgerufen am 30. Dezember 2024.